Fr, 07:00 Uhr
22.11.2019
Lichtblick
Ein Glied desselben Leibes
Am 08. und 09. November stand Superintendent Kristóf Bálint auf zwei von drei jüdischen Friedhöfen im Kirchenkreis und war angetan von der Ernsthaftigkeit der versammelten Menschen, Jung und Alt, Mann und Frau...
Jedem und jeder stand vor Augen, dass von Deutschen unsägliches Leid über viele andere Deutsche und Nichtdeutsche gebracht wurde. Sie waren eben nur abseits der von den Meinungsmachern der Zeit für richtig erklärten Norm. Anders gläubig als sie, anders sexuell orientiert als sie, mit einer anderen politischen Einstellung als sie, nicht zum Wehrdienst bereit, anders gesundheitlich konstituiert als sie, intellektueller als sie, nicht so sesshaft wie sie, eben anders.
Ein Kinderbuch (Irgendwie anders) führt vor Augen, dass anders sein nicht schlecht(er) ist. Es ist nur anders. Sich damit auseinander zu setzen kann sehr bereichern. Wer immer nur mit seinesgleichen Kontakt hat, wer immer nur Bestätigung für seine Meinung sucht, der denkt eben nicht, sondern ist sich selbst genug, verkümmert und verarmt intellektuell. Der will sich und seine Gedanken nicht infrage stellen lassen und durch die dabei entstehende Reibung an anderen Meinungen neue Erkenntnisse gewinnen, sondern der will so bleiben wie er ist – mit allen verhängnisvollen Folgen (diese merkwürdige Margarine-Werbung ist ja zum Glück verschwunden, denn wer bleiben will wie er ist, der bleibt nicht!).
Doch die Geschichte zeigt, dass nur der sich treu bleibt, der sich verändert. Dass nur der (gedanklich und körperlich) beweglich bleibt, der sich bewegt. Das wird uns jeder Mediziner bestätigen und wir wissen das auch. Nur intellektuell scheinen einige das infrage zu stellen, indem Sie wieder und wieder Dinge behaupten, vertreten und sich und anderen einreden, die nach wissenschaftlichen Maßstäben geklärt sind. Wissenschaft, der sie sonst viel Wahrheitsgehalt bescheinigen – wenn sie ihnen nützt, wird dann schnell in Frage gestellt.
Der andere darf nicht ausreden, sondern wird niedergeschrien, in (a)sozialen Netzwerken bloß oder an den Pranger gestellt. Ansonsten wird von alternativen Fakten gesprochen, die dem Zeitgeist entgegenstehen.
Intellektuelle Auseinandersetzung: Fehlanzeige.
Gedankliche Durchdringung der Gegenargumente: Fehlanzeige. Bemühtes Ringen um den anderen und eine gemeinsame Weg-Suche: Fehlanzeige.
Das Engagement erschöpft sich weithin in der Darstellung der eigenen Meinung und dabei bleibt es. Entweder ihr geht meinen Weg/ seid meiner Meinung oder nicht. Schwarz-Weiß.
Dabei ist die Geschichte voll von Beispielen, wohin dieser Weg führt. Immer in den Konflikt, oft in die Katastrophe. Es gibt nicht nur zwei Zustände: Schwarz und Weiß. Es gibt unendlich viele Grau- und Farbtöne. Diese auszuloten kostet Kraft, womöglich auch den Sieg der eigenen Meinung über die der anderen. Doch der Gewinn ist ungleich größer, denn wenn ich mit anderen einen Weg finden kann, gehen wir ihn gemeinsam – in Frieden und Zufriedenheit, denn alle Beteiligten können ihn miteinander gehen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Zufriedenheit der Menschen heute so gering, weil es ihnen scheinbar nur auf alles oder nichts ankommt. Doch das ist weder hilfreich, noch ist es zukunftsorientiert. Die Lösung liegt im Dazwischen, im Aushandeln von für alle vertretbaren Positionen. Da helfen Maximalforderungen nicht weiter. So mühsam das in jedem Fall auch ist – wie wir zum Beispiel in Tarifverhandlungen merken, wo zwei Maximalforderungen aufeinanderprallen und nach hartem Ringen ein gemeinsamer Weg gefunden wird.
Jesus hat das schon vor Verdi, aber anders gemacht. Er hielt seinem Gegenüber immer die eigene Meinung entgegen und setzte seine dazu ins Verhältnis. Er konfrontierte sie mit der Frage: ist das, was ich denke, wirklich richtig und dem Leben dienlich? Ist das, was Du denkst, wirklich richtig und dem Leben dienlich?
Das ist auch die Frage, die uns, vom Volkstrauertag herkommend und auf den Ewigkeitssonntag (dem Ende des Kirchenjahres) zugehend, beschäftigen soll. Dient unser Verhalten in Familie, Firma, Freundeskreis, Gesellschaft … dem friedlichen Miteinander oder nicht? Wir wissen, dass unser Leben endlich ist und wir nicht alle Zeit der Welt haben.
Es wäre ein Lichtblick, wenn wir diese uns geschenkte Zeit der Besinnung nutzten, und uns genau dazu Gedanken machten. Und natürlich dann auch unser Verhalten ändern, wo es angezeigt ist.
Wer über den Tellerrand schaut, der wird anderer Gedanken gewahr und kann sich davon beschenken lassen. Folgenden, ins Nachdenken führenden persischen Text fand ich unlängst und möchte ihn Ihnen vor Augen führen:
Ein Glied desselben Leibes
Ist ein jedes Menschenkind
Weil von derselben Wesensart wir alle sind
Und trifft ein Schicksalsschlag
Ein Glied im Lauf der Zeit
So spüren alle seine Glieder dieses Leid
Wenn dich das Unglück anderer nicht quält
Dann ist der Name Mensch für dich verfehlt.
Saadi (1210 – 1291)
Saadi oder Sa'di, mit vollem Namen Abu Moḥammad Mošarref ad-Din Moṣleḥ bin ʿAbd-Allāh bin Mošarref Širāzi, war ein herausragender persischer Dichter und Mystiker. Er ist insbesondere für seine beiden Werke Bustān und Golestān bekannt. Saadi stammte aus Schiraz, wo er auch viele Jahre seines Lebens verbrachte.
Ich wünsche Ihnen ein nachdenkliches Wochenende zum Ewigkeitssonntag, mögen wir alle spüren, dass unser Leben zu kostbar für Streit, Hass und (verbale wie körperliche) Gewalt ist.
Ihr Superintendent Kristóf Bálint
Autor: redJedem und jeder stand vor Augen, dass von Deutschen unsägliches Leid über viele andere Deutsche und Nichtdeutsche gebracht wurde. Sie waren eben nur abseits der von den Meinungsmachern der Zeit für richtig erklärten Norm. Anders gläubig als sie, anders sexuell orientiert als sie, mit einer anderen politischen Einstellung als sie, nicht zum Wehrdienst bereit, anders gesundheitlich konstituiert als sie, intellektueller als sie, nicht so sesshaft wie sie, eben anders.
Ein Kinderbuch (Irgendwie anders) führt vor Augen, dass anders sein nicht schlecht(er) ist. Es ist nur anders. Sich damit auseinander zu setzen kann sehr bereichern. Wer immer nur mit seinesgleichen Kontakt hat, wer immer nur Bestätigung für seine Meinung sucht, der denkt eben nicht, sondern ist sich selbst genug, verkümmert und verarmt intellektuell. Der will sich und seine Gedanken nicht infrage stellen lassen und durch die dabei entstehende Reibung an anderen Meinungen neue Erkenntnisse gewinnen, sondern der will so bleiben wie er ist – mit allen verhängnisvollen Folgen (diese merkwürdige Margarine-Werbung ist ja zum Glück verschwunden, denn wer bleiben will wie er ist, der bleibt nicht!).
Doch die Geschichte zeigt, dass nur der sich treu bleibt, der sich verändert. Dass nur der (gedanklich und körperlich) beweglich bleibt, der sich bewegt. Das wird uns jeder Mediziner bestätigen und wir wissen das auch. Nur intellektuell scheinen einige das infrage zu stellen, indem Sie wieder und wieder Dinge behaupten, vertreten und sich und anderen einreden, die nach wissenschaftlichen Maßstäben geklärt sind. Wissenschaft, der sie sonst viel Wahrheitsgehalt bescheinigen – wenn sie ihnen nützt, wird dann schnell in Frage gestellt.
Der andere darf nicht ausreden, sondern wird niedergeschrien, in (a)sozialen Netzwerken bloß oder an den Pranger gestellt. Ansonsten wird von alternativen Fakten gesprochen, die dem Zeitgeist entgegenstehen.
Intellektuelle Auseinandersetzung: Fehlanzeige.
Gedankliche Durchdringung der Gegenargumente: Fehlanzeige. Bemühtes Ringen um den anderen und eine gemeinsame Weg-Suche: Fehlanzeige.
Das Engagement erschöpft sich weithin in der Darstellung der eigenen Meinung und dabei bleibt es. Entweder ihr geht meinen Weg/ seid meiner Meinung oder nicht. Schwarz-Weiß.
Dabei ist die Geschichte voll von Beispielen, wohin dieser Weg führt. Immer in den Konflikt, oft in die Katastrophe. Es gibt nicht nur zwei Zustände: Schwarz und Weiß. Es gibt unendlich viele Grau- und Farbtöne. Diese auszuloten kostet Kraft, womöglich auch den Sieg der eigenen Meinung über die der anderen. Doch der Gewinn ist ungleich größer, denn wenn ich mit anderen einen Weg finden kann, gehen wir ihn gemeinsam – in Frieden und Zufriedenheit, denn alle Beteiligten können ihn miteinander gehen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Zufriedenheit der Menschen heute so gering, weil es ihnen scheinbar nur auf alles oder nichts ankommt. Doch das ist weder hilfreich, noch ist es zukunftsorientiert. Die Lösung liegt im Dazwischen, im Aushandeln von für alle vertretbaren Positionen. Da helfen Maximalforderungen nicht weiter. So mühsam das in jedem Fall auch ist – wie wir zum Beispiel in Tarifverhandlungen merken, wo zwei Maximalforderungen aufeinanderprallen und nach hartem Ringen ein gemeinsamer Weg gefunden wird.
Jesus hat das schon vor Verdi, aber anders gemacht. Er hielt seinem Gegenüber immer die eigene Meinung entgegen und setzte seine dazu ins Verhältnis. Er konfrontierte sie mit der Frage: ist das, was ich denke, wirklich richtig und dem Leben dienlich? Ist das, was Du denkst, wirklich richtig und dem Leben dienlich?
Das ist auch die Frage, die uns, vom Volkstrauertag herkommend und auf den Ewigkeitssonntag (dem Ende des Kirchenjahres) zugehend, beschäftigen soll. Dient unser Verhalten in Familie, Firma, Freundeskreis, Gesellschaft … dem friedlichen Miteinander oder nicht? Wir wissen, dass unser Leben endlich ist und wir nicht alle Zeit der Welt haben.
Es wäre ein Lichtblick, wenn wir diese uns geschenkte Zeit der Besinnung nutzten, und uns genau dazu Gedanken machten. Und natürlich dann auch unser Verhalten ändern, wo es angezeigt ist.
Wer über den Tellerrand schaut, der wird anderer Gedanken gewahr und kann sich davon beschenken lassen. Folgenden, ins Nachdenken führenden persischen Text fand ich unlängst und möchte ihn Ihnen vor Augen führen:
Ein Glied desselben Leibes
Ist ein jedes Menschenkind
Weil von derselben Wesensart wir alle sind
Und trifft ein Schicksalsschlag
Ein Glied im Lauf der Zeit
So spüren alle seine Glieder dieses Leid
Wenn dich das Unglück anderer nicht quält
Dann ist der Name Mensch für dich verfehlt.
Saadi (1210 – 1291)
Saadi oder Sa'di, mit vollem Namen Abu Moḥammad Mošarref ad-Din Moṣleḥ bin ʿAbd-Allāh bin Mošarref Širāzi, war ein herausragender persischer Dichter und Mystiker. Er ist insbesondere für seine beiden Werke Bustān und Golestān bekannt. Saadi stammte aus Schiraz, wo er auch viele Jahre seines Lebens verbrachte.
Ich wünsche Ihnen ein nachdenkliches Wochenende zum Ewigkeitssonntag, mögen wir alle spüren, dass unser Leben zu kostbar für Streit, Hass und (verbale wie körperliche) Gewalt ist.
Ihr Superintendent Kristóf Bálint
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