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So, 07:00 Uhr
17.03.2019
St. Blasii bilanzierte Nächstenliebe

Almosen für Türken in Nordhausen

Alles schon mal dagewesen. Diese Erkenntnis eines Rabbis vor 2 000 Jahren trifft auch auf bestimmte Vorgänge in der Nordhäuser Geschichte zu. Nämlich ganz aktuell auf Flüchtlinge. Opfer von Kriegen und Katastrophen fanden schon früher Aufnahme in der Rolandstadt. Ein Beitrag von Martin Roland...


„Der Begriff Exilant bezeichnet in der Regel Personen, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat verlassen mussten und im Exil leben“, erklärt Gina
Trominski in einer Untersuchung über Armenfürsorge in Nordhausen im 17. Jahrhundert. „Als Ursachen können beispielsweise Vertreibung und Verbannung
sowie religiöse und politische Verfolgung angesehen werden.“

Bedürftige im ausgehenden Mittelalter waren vorwiegend auf die Barmherzigkeit der Kirchengemeinden angewiesen. So gibt das Rechnungsbuch der St. Blasii-Kirche detaillierten Aufschluss über die Verwendung der Notgroschen. Nach dem Gebot der christlichen Nächstenliebe förderten Almosen das Seelenheil der Spender.

Zwar sind in den Listen keine Gründe für die Zuwanderung angegeben, aber die Herkunftsorte der Exilanten lassen Rückschlüsse auf deren Motive zu. Schon vor dem Siebenjährigen Krieg zwischen Preußen und Österreich kamen Flüchtlinge aus Schlesien, freilich in erheblich geringerer Anzahl als die Millionen von Vertriebenen bei Kriegsende 1945. Propter Deum (Für Gott) steht auf dem Rechnungsbuch von St. Blasii, in dem die Ausgaben für Arme und Bedürftige aus Nordhausen und von auswärts aufgelistet sind.

Katastrophen waren das wichtigste Kriterium für Bedürftigkeit; so fielen 55 Prozent der Zuwendungen an Brandopfer. Nordhausen war im 17.Jahrhundert mehrmals durch Feuersbrünste, die Pest und den Dreißigjährigen Krieg heimgesucht worden. Vertriebene Arme – etwa gleichzusetzen mit Flüchtlingen aus Kriegsgebieten unserer Zeit – erhielten 30 Prozent der Unterstützung. An Kriegsopfer und ehemalige Gefangene wurden zwölf Prozent ausgeteilt, an durch Hagel und Überschwemmungen Geschädigte insgesamt nur drei Prozent. „Angeschossene Soldaten“ zählten zu den Empfängern wie “von Soldaten Ausgeraubte“.

„Der Umstand, dass die meisten vertriebenen Armen aus Schlesien stammten, kann auf die dort im 17. Jahrhundert herrschenden Krisen politischer und konfessioneller Art zurückgeführt werden. Aufgrund von politischer und religiöser Verfolgung mussten viele Personen das Land verlassen. Abgesehen davon stammten viele Arme und Bedürftige aus Böhmen, Ungarn, Holstein und der Pfalz“, konstatiert Gina Trominski.

Ihre Abhandlung unter der Überschrift „Die Ausgaben der St. Blasii Kirche in Nordhausen für Arme und Bedürftige in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
auf der Grundlage ihres Rechnungsbuches“ erschien im 43. Band (2018) der „Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Landkreis Nordhausen“. Ergänzend hinzugezogen wurde eine Rechnung des St. Cyriaci-Hospitals.

„Bei der Betrachtung der Einträge, welche sich auf die Kriegsopfer beziehen, wird deutlich, dass viele von ihnen infolge der Türkenkriege des 17. Jahrhunderts von den Türken verletzt, gefangen genommen oder vertrieben wurden. Die hohe Zahl der türkischen Gefangenen in Nordhausen, die von der St. Blasii Kirche unterstützt worden sind, zeigt die erheblichen Auswirkungen dieser Kriege“, vermerkt die Autorin.

Bei den Herkunftsgebieten von Kriegsfolgen handelt es sich in 15 von 53 Fällen um die Türkei. St. Blasii führte auch Buch darüber. welche Unterstützung Konvertiten und Angehörige anderer Religionen erhielten. Besonders erwähnt wird Hilfe für Katholiken, „zwei von ihnen katholische Priester und einer von Adel“. Das ihnen gewährte Almosen sei überdurchschnittlich hoch gewesen. „Dies könnte möglicherweise darauf zurückzuführen sein, dass sich die St. Blasii Kirche in direkter Nähe zum katholischen Stift St. Crucis befunden hat und nach dem Übertreten zum Protestantismus katholische Bräuche beibehielt.“

Weiter heißt es in der umfangreichen Abhandlung: „Die Beträge, die pro fremde Person gezahlt worden sind, haben am Anfang des Rechnungsbuches 12 Pfennige betragen. Ab Mitte der 1660er Jahre sind sie auf 8 und ab 1669/79 auf durchschnittlich 6 Pfennige gesunken. Der Umstand, dass die Beträge für die alten Weiber und die lahme Magd nicht reduziert worden sind, deutet darauf hin, dass die St. Blasii Kirche dem Heimatprinzip teilweise trotz der hohen Anzahl an Fremden nachgekommen ist.“

Übrigens, eine tatsächliche Gefahr für das christliche Abendland zog nach Türken-Kriegen im vorherigen Jahrhundert abermals 1716 auf, als die Heerscharen des Osmanischen Reiches wieder vor Wien standen. Damals rief Prinz Eugen („der edle Ritter“) zum „Kampf gegen die Ungläubigen“ auf. Heute haben militante Islamisten den Spieß umgedreht. Türkische Mitbürger in schon zweiter und dritter Generation leben mit steigendem Wohlstand in unserer offenen Gesellschaft.
Martin Roland
Autor: red

Kommentare
Frankledig
17.03.2019, 08.13 Uhr
Almosen...
Wer wollte das jetzt wissen???
Mueller13
17.03.2019, 12.08 Uhr
Nicht vergleichbar
Eine Gleichsetzung der Zustände damals und heute verbietet sich.
Wer das macht, ist nicht an einer offenen Diskussion interessiert, sondern nimmt das Ergebnis vorweg, indem er mit der moralisch-historischen Keule wedelt.
Peter Lustig
17.03.2019, 13.31 Uhr
Natürlich vergleichbar
Die Leute sind damals wie heute auf Grund von kriegerischen Auseinandersetzungen, Verfolgungen oder wirtschaftlichen Gründen ... in andere Länder eingewandert.

Sie, @Mueller 13, sind nur nicht in der Lage, darüber vernünftig und ergebnisoffen zu diskutieren. Wenn das von Gottessohn Mueller13 vorgefertigte Ergebnis auf Fakten und Tatsachen stößt, dann spricht Gottessohn Mueller13 allen anderen den Intellekt, die Diskussionsfähigkeit, die Ernsthaftigkeit, oder sonst irgend etwas an den Haaren herbeigezogenes, ab.

Und mit der Moral steht es bei Ihnen wirklich schlecht @Mueller13. Nicht umsonst sind alle anderen die "Moralisten". Was gibt es denn aus Ihrer Sicht gegen Moral einzuwenden? Ihre kleine Welt ist bei Weitem nicht meine!

Interessanter Artikel Herr Roland. Danke.
Mueller13
17.03.2019, 19.40 Uhr
Beeindruckendes geschichtliches Wissen M. Bergmann
Die Türken haben im 17Jhd mehrfach versucht christliche Gebiete in Europa zu erobern. Die Türken waren gekommen, um unsere Vorfahren von Leben und Eigentum zu "befreien". Es waren Kriegsgefangene.
Warum Sie Kriegsgefangene im 17Jhd. mit Wirtschftsflüchtlingen im 21Jhd. vergleichen und gleichsetzen wollen, bleibt ihr Geheimnis.
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