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So, 10:58 Uhr
21.01.2018
Ein früherer Balljunge erinnert sich an Wolfgang Lencer

Der Tennis-Crack, der aus dem Kurpark kam

Die erstaunliche Tennis-Karriere des Wolfgang Lencer begann Ende der vierziger Jahre im vorigen Jahrhundert beim TC Bad Lauterberg im Kurpark. Durch Herzinfarkt auf der Anlage des Post-SV Düsseldorf endete sie am 20. August 1977 mit nur 50 Jahren im Spiel um die Senioren-Meisterschaft...


Lencer war damals Chefredakteur (seit 1963) des Fachblattes „Tennis“. Als Balljunge hatte ich ihm die seinerzeit noch weißen Filzkugeln aufgesammelt. Der „Stundenlohn“ betrug stolze fünfzig Pfennige, für die wir Jungen selbst Bälle oder schon für dreißig ein Eis am Stiel kaufen konnten. Lange vor dem von Boris Becker und Steffi Graf ausgelösten Tennis-Boom in Deutschland galt Tennis noch als exklusiver Sport.

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Im Winter trainierte uns Lencer beim Tischtennis. Wo einst Goethe abstieg, als er auf seiner dritten Harzreise 1788 die Einhornhöhle bei Scharzfeld und die Königshütte in Lauterberg besuchte, nämlich im „Ratskeller“ in der Hauptstrasse, flogen die Celluloid-Bällchen hin und her. Allerdings nicht im Keller, sondern in einem kleinen Saal im Hochparterre.

Schon als 20-jähriger galt Lencer, der am 8. Mai 1927 in Kattowitz geboren worden war, als Koryphäe. So wurde er als deutscher Ranglisten-Spieler zu-nächst nach Göttingen und später nach Hannover abgeworben. Ablösesummen und Handgeld kannte man damals nicht. Aber ihm wurde der berufliche Einstieg in den Journalismus ermöglicht. So konnte er über seinen Sport fachgerecht schreiben. Die Chance Lencers kam, als der Deutsche Tennis-Bund das Magazin „Tennis“ als alleiniges, amtliches Nachrichtenblatt in Hannover-Linden gründete. Die Startauflage war mit 1 500 Exemplaren noch bescheiden. Eine größere Leserschaft hatte er vor Augen, als er 1949 mit zwei Partnern einen Sport-Verlag in Düsseldorf gründete und das Magazin ausbaute. Aus diesem Unternehmen ist die Deutsche Tennis-Zeitung hervorgegangen, die bis heute im Sport-Verlag in Sindelfingen erscheint.

Lencer gehörte dem Düsseldorfer Sport-Club 99 an. Mit zwei anderen Mitgliedern dieses Vereins flog er 1956 zu den Olympischen Spielen in Melbourne. Der eine war Hugo Budinger, später Hockey-Professor, der andere Matthes Mauritz, Fortuna-Kicker. Lencer berichtete über Turniere im In- und Ausland und wurde mit der silbernen Ehrennadel des Deutschen Tennis-Bundes geehrt. Zu den über das Tagesgeschäft reichenden Publikationen Lencers zählen seine Bücher „Zehn Jahre Welttennis 1946 – 1956 / Tennismeister in Wort und Bild“ sowie „Tennis – Regeln und Ratschläge“. In einer Glosse zur Olympia-Reise der Drei bezeichnete er den Kapitän der deutschen Hockey-Auswahl als Edel-Sportler, den Fußballer der deutschen Amateur-Nationalelf als „Meineid-Schwörer“ und sich selbst(ironisch) als Schreiberling.

Der „Spiegel“ zitierte 1974 Lencer mit der Feststellung: „Lange gab es drei unverrückbare Tabus im Tennissport: Weiße Kleidung, absolute Ruhe beim Spiel und Schläger aus Holz.“ Doch verstärkt durch das Fernsehen kämen Geld und Chauvinismus immer mehr ins Spiel. In einem Nachruf hieß es: „Er war ein Meister seines Faches, sein Urteil ausgewogen. Wo er der Wahrheit entsprechend scharfe Akzente setzen musste, blieb er immer verbindlich, nie verletzend. Er kannte die Akteure, ihre kleinen und großen Schwächen und ihre Eitelkeiten. Er hatte ein Herz für sie. Das spürte man in jeder Zeile.“

Der Balljunge aus der Lencer-Ära in Bad Lauterberg hätte sich nicht träumen lassen, einmal Dauergast in Wimbledon zu werden.Von 1998 an 15 Jahre hintereinander berichtete ich von dem zweiwöchigen Traditionsturnier im All England Club, bis der letzte Deutsche ausschied. Dabei erinnerten mich Spieler mit einem eleganten Stil an Wolfgang Lencer.

Noch viel weniger war vor der Wende in der DDR daran zu denken, einmal auf Plätzen in Mitteldeutschland zu spielen. Nach dem Ende der SED-Diktatur flog ich mit einer kleinen Gruppe Bonner Journalisten und Ministerialbeamten nach Berlin, um in Adlershof mit Kollegen der „Aktuellen Kamera“ des Fernsehens und der DEFA erste Ballwechsel aufzunehmen. Die zweite Tour im Sommer 1990 führte nach Eisenach auf die Anlage des gastfreundlichen Eisenbahner-Sportvereins.

Besuch auf der Wartburg (Foto: privat) Besuch auf der Wartburg (Foto: privat)

Eigens für diese Begegnung hatte Bundeskanzler Helmut Kohl einen Pokal gestiftet. In Adlershof sahen wir noch, mit welchen Schwierigkeiten die Tennisspieler drüben zu kämpfen hatten. Weil es keinen roten Sand gab, hatten sie erfinderisch Geräte zum Zerkleinern von Backsteinen und Dachziegeln konstruiert. Wenn Pfützen auf dem Platz standen, wurden sie mit Putzlappen und Schwämmen an Besenstielen aufgesaugt. In Eisenach boten die Platzherren sogar den thüringischen Landesmeister auf. Nach einem Wartburg-Besuch wurde im Klubhaus in fröhlicher Stimmung gefeiert.

Tennis war damals noch nicht wieder olympisch. Was der DDR keine Medaillen oder Titel einbrachte, blieb von Doping von Staatswegen verschont. Außerdem galt Tennis als Kapitalisten-Sport. Darunter zu leiden hatte Thomas Emmrich. 48-maliger (!) Meister der DDR. „Ich bin ein bisschen zu weit östlich geboren“, bedauerte er 2002, „Rein tennismässig hätte man in den Westen abhauen müssen.“ Experten wie Martina Navratilova und Boris Beckers Trainer Günther Bosch hatten Emmrich eine große Karriere zugetraut.

Tatsächlich hatte er den späteren Weltranglisten-Ersten Ivan Lendl zweimal und dessen tschechischen Landsmann Tomas Smid einmal besiegt. Emmerichs Vorbild war der Australier Roy Emerson. Den Becker-Boom und die Steffi-Begeisterung konnte er nur im West-Fernsehen miterleben. „Mir kam oft der Gedanke: Das hättest Du auch geschafft. Ich hätte es gerne erlebt.“ Andererseits: „Mir ist der große Trubel erspart geblieben.“ Während Boris Millionen scheffelte,
gewann er nur 2 500 Dollar bei einem ATP-Turnier in Bulgarien. Sein Stasi-Begleiter untersagte die Annahme.
Emmrich konnte es nicht fassen.“

Das wären 10 000 Mark Ost gewesen, zum Schwarzmarktkurs hätte ich 100 000 Mark bekommen.“ Er war wütend und versuchte alles, um an das Geld zu kommen. “Der Verband hätte es ja auch in brauchbares Material investieren können. „Bis zur Wende hatten wir nicht eine ordentliche Halle.“ Wenn er in Staaten des Ostblocks als Trainingspartner vor Daviscup-Runden eingeladen war, wurde er nicht mit Bargeld, sondern in Materialen entlohnt. Mit dem ATV Hildesheim errang er 2002 die deutsche Mannschaftsmeisterschaft der Senioren. Zu Hause in Magdeburg wurde der Sportpark Herrenkrug, sein zweites Unternehmen, von der Jahrhundertflut der Elbe fortgespült.

Links im Bild: Manfred Neuber (Foto: privat) Links im Bild: Manfred Neuber (Foto: privat)
Klaus-Ulrich Hahn, der Sportchef des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“, hatte in seinem Buch „Der weiße Dschungel“, das im Vorabdruck im Sportmagazin „Start“ 1987 erschien, das „dekadente Tennis“ verspottet, weil es „in den internationalen Bädern und Kurorten der Großbourgeoisie“ entstanden sei. Becker gebe eine „spektakuläre Galionsfigur des Konservatismus in der BRD“ ab. „Saure Trauben“, bemerkten Beobachter, weil Tennis in der Kosten-Nutzen-Analyse der DDR-Sportfunktionäre keinen Ertrag „zu Ehren eines SED-Parteitages“ einbringe.

Übrigens, die Tennis-Begeisterung des Autors hatte bei den ersten Ballwechseln mit der großen Schwester auf dem Sandplatz an der Stolberger, Ecke Köllingstraße (heute Neue Apotheke) vor Kriegsende in Nordhausen begonnen.
Manfred Neuber
Autor: red

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