Mo, 10:30 Uhr
09.09.2019
Tag des offenen Denkmals in Heringen
Aus dem Nebelschleier der Vergangenheit
Es war ein kalter, nebelverhangener Novembertag vor sieben Jahren, als Archäologen auf dem Gelände des jetzigen Industriegebietes die Früchte monatelanger Grabungsarbeiten präsentierten. Schon damals war klar, das man hier auf etwas besonderes gestoßen war. Inzwischen haben einige der alten Relikte den Weg zurück zu ihrem Ursprungsort gefunden. Auf dem Heringer Schlossfest zeigte man gestern ganz praktisch, was man über das Leben in der Goldenen Aue gelernt hat...
Geduld ist eine Tugend, die dem Menschen des 21. Jahrhunderts vielfach abhanden gekommen zu sein scheint. Alles muss schnell gehen, schnell fahren, schnell laden, muss fließen, damit die gesparte Zeit optimal genutzt werden kann, just in time, passend auf die Minute, egal wann, egal wo. Der globale Temporausch hält auch die Menschen in der Goldenen Aue fest im Griff. Schnell, schnell, Termine, Termine.
Gleicher Ort, andere Zeit. Wer auch immer sich vor gut 4.500 Jahren auf die Idee kam, die ohnehin handgemachten Kleidung mit ein paar optischen Extras zu versehen, der brauchte vor allem eines: Geduld. Archäologe Markus Wehner zeigte auf dem Heringer Schlossfest am Wochenende wieso. Die Aufgabe: ein Loch in eine Muschel bohren und dann auffädeln. Technische Hilfsmittel: der Nachbau eines steinzeitlichen Bohrers, der mit Garn, Schwungrad, Muskelkraft und der eben beschworenen Geduld zu bedienen ist. Nach einer Viertelstunde ist das Werk vollbracht, das kleine Schmuckstück bereit, getragen zu werden.
2500 solcher Muschelscheiben und weitere 500 Hundezähne wurden wahrscheinlich auf eben diese Art und Weise in einem Dorf zwischen dem heutigen Bielen und Urbach um das Jahr 2.500 v. Chr. bearbeitet, um Mantel und Tasche einer Frau zu verzieren. Nach jahrtausendelangem Schlummer kam die "Dame der Goldenen Aue" 2012 wieder ans Tageslicht.
Archäologe Markus Wehner erklärt wie der Steinzeit-Bohrer funktioniert (Foto: Angelo Glashagel) Unter den Ausgräbern war damals auch Archäologe Wehner. Was man hier gefunden hat, bilde die Grundlage für das Verständnis steinzeitlichen Lebens in Thüringen, erzählt der er. "Wir wussten schon lange das Menschen hier gelebt haben, es gab viele Einzelfunde, die das belegten. Mit den Ausgrabungen haben wir auf einen Schlag tausende solcher kleinen Puzzleteile gefunden, die nicht nur zeigen, dass man hier gelebt hat, sondern vor allem wie. Wir haben ganze Dörfer aus verschiedenen Epochen gefunden, die zeigen, wie die dörfliche Struktur ausgesehen hat, wie die Wirtschaft funktioniert hat, wie man Brunnen genutzt hat und vieles mehr."
Über 5.000 "Befunde" aus verschiedensten Zeitaltern der Südharzer Frühgeschichte bargen Wehner und Kollegen 2012, von der Steinzeit um 5.600 v. Chr. bis in die Eisenzeit um 700 v. Chr. Einige der schönsten und eindrucksvollsten Funde kann man seit Mai im Heringer Schloss besichtigten. Dazu gehören natürlich die Grabbeigaben der "Dame" sowie zahlreiche Tongefäße, Werkzeuge aus Stein oder Schmuck und Waffen aus Bronze. Und das ist nur ein Bruchteil dessen, was zu Tage trat. "Wenn wir 20 Restauratoren hätten die rund um die Uhr arbeiten könnten wir fünf Etagen des Schlosses füllen", sagt Wehner, allein 400 Kisten voller Artefakte verbleiben im Landesamt in Weimar, die bisher nur gewaschen und inventarisiert aber noch nicht näher begutachtet werden konnten.
Und was lernt der moderne Mensch aus den Resten der Vergangenheit? Zum Beispiel das man am Harzrand schon damals internationale Kontakte pflegte. So fand man unter anderem ein Kindergrab, das deutliche Bezüge zum süddeutschen Kulturraum und dem Elsass aufzeigte. Entfernungen die heute kaum mehr als ein Katzensprung sind, damals aber einer kleinen Weltreise gleichgekommen sein dürften. Noch weiter reichen die "Fernbezüge", die man anhand der gefundenen Kreisgrabenanlage nachweisen kann. Deren Ursprünge kann die moderne Archäologie über Böhmen, Südösterreich und die Slowakei bis nach Ungarn zurückverfolgen.
"Die Goldene Aue war immer in ein europäisches Netzwerk eingebunden. Wir waren hier zwar nicht unbedingt am Puls der Zeit von neuer Technik und neuem Wissen, aber hier wurde genau das aus allen Richtungen aufgenommen", erklärt der Archäologe.
Neues Wissen ums Alte vermitteln - Museumsleiterin Mirjana Culibrk. Archäologe Markus Wehner und Praktikantin Lara Dietz
Das gewonnene Wissen um die älteste Geschichte des Südharzes will man am Heringer Schloss vor allem den Schülerinnen und Schülern der Region vermitteln. Auch deswegen bot man am Wochenende "Archäologie zum anfassen" mit verschiedenen Stationen, Bronzeguss, Handarbeit und Geduldsproben an. "Wir haben an den zwei Tagen gut 300 Kinder hier gehabt, es ist schön zu sehen das dass so gut angenommen wird", sagt Museumsleiterin Mirjana Culibrk. In den letzten Wochen hat man das alte Milchhaus ausgebaut, neu gestrichen und mit Anschlüssen für Strom und Wasser versorgt. Perspektivisch wird man einen Brenn- und eine Backofen hier unterbringen um das pädagogische Angebot noch zu erweitern. "Momentan befassen wir uns vor allem mit der Landeskunde in Klasse 3. und 4. sowie dem Geschichtsunterricht in Klasse 5. und 6.", erläutert Culibrik, in Zukunft will sie das pädagogische Angebot aber auch für höhere Klassenstufen und Kindergärten erweitern.
Öffentliche Führungen finden im Museum immer Dienstags um 16 Uhr statt oder können nach Absprache organisiert werden. Der Blick in die Vergangenheit kann für die Harzrandbewohner des 21. Jahrhunderts durchaus erhellend sein und wenn die Kollegen Markus Wehner's in Weimar fleißig weiterarbeiten, ist die Geschichte der Goldenen Aue auch noch lange nicht auserzählt. Denn neben dem, was schon zu sehen ist, wartet noch manch weitere Überraschung auf uns Nachgeborene. Sowohl in den Archiven der Archäologen wie unter dem Boden der Goldenen Aue.
Angelo Glashagel
Autor: redGeduld ist eine Tugend, die dem Menschen des 21. Jahrhunderts vielfach abhanden gekommen zu sein scheint. Alles muss schnell gehen, schnell fahren, schnell laden, muss fließen, damit die gesparte Zeit optimal genutzt werden kann, just in time, passend auf die Minute, egal wann, egal wo. Der globale Temporausch hält auch die Menschen in der Goldenen Aue fest im Griff. Schnell, schnell, Termine, Termine.
Gleicher Ort, andere Zeit. Wer auch immer sich vor gut 4.500 Jahren auf die Idee kam, die ohnehin handgemachten Kleidung mit ein paar optischen Extras zu versehen, der brauchte vor allem eines: Geduld. Archäologe Markus Wehner zeigte auf dem Heringer Schlossfest am Wochenende wieso. Die Aufgabe: ein Loch in eine Muschel bohren und dann auffädeln. Technische Hilfsmittel: der Nachbau eines steinzeitlichen Bohrers, der mit Garn, Schwungrad, Muskelkraft und der eben beschworenen Geduld zu bedienen ist. Nach einer Viertelstunde ist das Werk vollbracht, das kleine Schmuckstück bereit, getragen zu werden.
2500 solcher Muschelscheiben und weitere 500 Hundezähne wurden wahrscheinlich auf eben diese Art und Weise in einem Dorf zwischen dem heutigen Bielen und Urbach um das Jahr 2.500 v. Chr. bearbeitet, um Mantel und Tasche einer Frau zu verzieren. Nach jahrtausendelangem Schlummer kam die "Dame der Goldenen Aue" 2012 wieder ans Tageslicht.
Archäologe Markus Wehner erklärt wie der Steinzeit-Bohrer funktioniert (Foto: Angelo Glashagel) Unter den Ausgräbern war damals auch Archäologe Wehner. Was man hier gefunden hat, bilde die Grundlage für das Verständnis steinzeitlichen Lebens in Thüringen, erzählt der er. "Wir wussten schon lange das Menschen hier gelebt haben, es gab viele Einzelfunde, die das belegten. Mit den Ausgrabungen haben wir auf einen Schlag tausende solcher kleinen Puzzleteile gefunden, die nicht nur zeigen, dass man hier gelebt hat, sondern vor allem wie. Wir haben ganze Dörfer aus verschiedenen Epochen gefunden, die zeigen, wie die dörfliche Struktur ausgesehen hat, wie die Wirtschaft funktioniert hat, wie man Brunnen genutzt hat und vieles mehr."
Über 5.000 "Befunde" aus verschiedensten Zeitaltern der Südharzer Frühgeschichte bargen Wehner und Kollegen 2012, von der Steinzeit um 5.600 v. Chr. bis in die Eisenzeit um 700 v. Chr. Einige der schönsten und eindrucksvollsten Funde kann man seit Mai im Heringer Schloss besichtigten. Dazu gehören natürlich die Grabbeigaben der "Dame" sowie zahlreiche Tongefäße, Werkzeuge aus Stein oder Schmuck und Waffen aus Bronze. Und das ist nur ein Bruchteil dessen, was zu Tage trat. "Wenn wir 20 Restauratoren hätten die rund um die Uhr arbeiten könnten wir fünf Etagen des Schlosses füllen", sagt Wehner, allein 400 Kisten voller Artefakte verbleiben im Landesamt in Weimar, die bisher nur gewaschen und inventarisiert aber noch nicht näher begutachtet werden konnten.
Und was lernt der moderne Mensch aus den Resten der Vergangenheit? Zum Beispiel das man am Harzrand schon damals internationale Kontakte pflegte. So fand man unter anderem ein Kindergrab, das deutliche Bezüge zum süddeutschen Kulturraum und dem Elsass aufzeigte. Entfernungen die heute kaum mehr als ein Katzensprung sind, damals aber einer kleinen Weltreise gleichgekommen sein dürften. Noch weiter reichen die "Fernbezüge", die man anhand der gefundenen Kreisgrabenanlage nachweisen kann. Deren Ursprünge kann die moderne Archäologie über Böhmen, Südösterreich und die Slowakei bis nach Ungarn zurückverfolgen.
"Die Goldene Aue war immer in ein europäisches Netzwerk eingebunden. Wir waren hier zwar nicht unbedingt am Puls der Zeit von neuer Technik und neuem Wissen, aber hier wurde genau das aus allen Richtungen aufgenommen", erklärt der Archäologe.
Neues Wissen ums Alte vermitteln - Museumsleiterin Mirjana Culibrk. Archäologe Markus Wehner und Praktikantin Lara Dietz (Foto: Angelo Glashagel)
Neues Wissen ums Alte vermitteln - Museumsleiterin Mirjana Culibrk. Archäologe Markus Wehner und Praktikantin Lara Dietz
Das gewonnene Wissen um die älteste Geschichte des Südharzes will man am Heringer Schloss vor allem den Schülerinnen und Schülern der Region vermitteln. Auch deswegen bot man am Wochenende "Archäologie zum anfassen" mit verschiedenen Stationen, Bronzeguss, Handarbeit und Geduldsproben an. "Wir haben an den zwei Tagen gut 300 Kinder hier gehabt, es ist schön zu sehen das dass so gut angenommen wird", sagt Museumsleiterin Mirjana Culibrk. In den letzten Wochen hat man das alte Milchhaus ausgebaut, neu gestrichen und mit Anschlüssen für Strom und Wasser versorgt. Perspektivisch wird man einen Brenn- und eine Backofen hier unterbringen um das pädagogische Angebot noch zu erweitern. "Momentan befassen wir uns vor allem mit der Landeskunde in Klasse 3. und 4. sowie dem Geschichtsunterricht in Klasse 5. und 6.", erläutert Culibrik, in Zukunft will sie das pädagogische Angebot aber auch für höhere Klassenstufen und Kindergärten erweitern.
Öffentliche Führungen finden im Museum immer Dienstags um 16 Uhr statt oder können nach Absprache organisiert werden. Der Blick in die Vergangenheit kann für die Harzrandbewohner des 21. Jahrhunderts durchaus erhellend sein und wenn die Kollegen Markus Wehner's in Weimar fleißig weiterarbeiten, ist die Geschichte der Goldenen Aue auch noch lange nicht auserzählt. Denn neben dem, was schon zu sehen ist, wartet noch manch weitere Überraschung auf uns Nachgeborene. Sowohl in den Archiven der Archäologen wie unter dem Boden der Goldenen Aue.
Angelo Glashagel
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