Sa, 09:00 Uhr
18.06.2016
Lichtblick
Was ist Wahrheit?
Die Wahrheit muss hervor, so lautete das Motto des Kirchentages vom letzten Wochenende in Allstedt am äußersten östlichen Rand des Kirchenkreises, der sich im Westen bis Kleinkeula und Körner, im Norden bis Badra bzw. Einzingen und im Süden bis Greußen über vier Landkreise und zwei Bundesländer erstreckt. Aber was ist Wahrheit?
Schon immer gab es Menschen, die vorgaben im Besitz der Wahrheit zu sein. Lange Zeit war das die Obrigkeit, die auch aus der Bibel ableitete, dass Sie das Sagen und die Macht und den Willen habe, die Wirklichkeit nach Ihrem Sinn zu gestalten. Doch das war nicht der Sinn der meisten Menschen der Zeit.
Die Bauernaufstände im Süddeutschen Raum und in Thüringen machten deutlich, dass das nicht zu halten und schon gar nicht zu rechtfertigen war. So manches Schloss, das wir heute bewundern, ist durch die Auspressung der Bevölkerung entstanden oder zumindest mit erbaut. Das trifft auch auf Kirchen zu – zumindest indirekt, denn deren Bau wurde oft durch die Patrone gefördert.
Kirche hat in dieser Zeit leider oft keine rühmliche Rolle gespielt, denn Sie stand häufig auf der Seite derer, die die Macht hatten.
Thomas Müntzer und viele anderen zeigen aber, dass das nicht die einzige Sicht auf die Wirklichkeit dieser Zeit war. Denn er und andere waren als Pfarrer auf der Seite der Rechtlosen und standen dafür mit ihrem Leben ein. Das wurde z.B. in DDR-Zeiten gern verschwiegen und ausschließlich der Teil der Kirche betont, die den Mächtigen willfährig war.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit, die auch nicht dadurch zurechtgerückt wird, dass der Pfarrer Thomas Müntzer in der DDR auf dem 5-Mark-Schein wiedergegeben wurde. Hier galt er als Revolutionär und Bauernführer, dabei bezog seine gesellschaftskritische Position ausschließlich auf die Bibel und die vorfindliche Wirklichkeit.
Die Wahrheit muss hervor – aber was ist Wahrheit?
Heute nehmen wir, befördert durch die modernen Medien, viele Wahrheiten wahr. Jeder (z.T. auch anonym) hat die Möglichkeit, seine Wahrheit weltweit zu verbreiten, ihr Bekanntheit zu verschaffen, für Sie auf die Straße zu gehen, sie ungehindert zu plakatieren, zu befeuern, hinauszuschreien usw., wenn Sie sich im Rahmen der Gesetze befindet.
Viele Wahrheiten und Freiheiten bleiben dabei halbherzig, denn Sie nehmen nur sich selbst wahr (das unterscheidet sie in Nichts von vielen Fürsten und ihrem Denken zur Zeit Müntzers) und nicht auch die Wahrheit und Freiheit der Andersdenkenden, auf die Rosa Luxemburg hingewiesen hat. Wahrheit ist nur dann wahr, wenn Sie alle Aspekte, nicht nur meine, einbezieht. Freiheit und Wahrheit können nicht auf dem Boden der Bedrückung/Unterdrückung anderer Wahrheiten gedeihen.
Deshalb braucht es Korrektive, die uns hinterfragen: für Christen ist das erste und wichtigste Korrektiv die Bibel. Sie befragen wir, wenn wir wissen wollen, ob wir recht und GOTT-gefällig handeln.
Hinzu kommt die Gemeinschaft in der Gemeinde, denn auch hier gibt es andere Ein- und Ansichten als unsere, die meine Meinung in Frage stellen und ergänzen. An ihnen reibt sich meine Wahrheit und wird hier und dort abgeschliffen, unterentwickelte Stellen hinzumodelliert – kurzum sie verändert. Doch auch außerhalb der Gemeinde wird unsere Wahrheit täglich neu hinterfragt. Gut ist, wenn dies in respektvollem Miteinander geschieht, auf der Suche nach dem rechten Weg und die Wahrheit.
Das aber, liebe Leserschaft, vermisse ich weithin. Wenn in der Zeitung, ob analog oder digital ist dabei gleich, jemand etwas schreibt, kann darauf gewartet werden, dass darüber hergezogen, geschimpft, ja dem Schreiber Unwissenheit, Dummheit u.a. Heiten testiert werden.
Dabei sagen die Antwortenden mehr über sich selbst aus als ihnen lieb sein kann und mehr als zu dem eigentlichen Thema.
Wer anderen das Denken verbietet, Ihnen eine eigene Meinung abspricht, sie als töricht bezeichnet oder mit (Schein-) Argumenten zu verdeutlichen sucht, dass der andere keine Ahnung hat, der zeigt vor allem eines: dass es ihm nicht um die Wahrheit geht.
Ihm geht es um Recht behalten, nicht um eine Suche, sondern um eine Verteidigung einer Ansicht. Wer der Wahrheit auf der Spur ist, braucht nichts verteidigen als den gesunden Menschenverstand, der in solchen Diskussionen leider oft auf der Strecke bleibt. Wahrheit setzt sich durch. Zugegebener Maßen manchmal (GOTT sei es geklagt) erst spät, aber sie kommt immer zum Ziele und entblößt die selbstdarstellerischen Inszenierungen der Neunmalklugen.
Ich möchte ein Plädoyer für die vorurteilsfreie Suche nach der Wahrheit halten. Niemand soll beschimpft werden, wenn er eine andere Sicht hat. Jeder soll seinen Standpunkt sagen dürfen und ohne wenn und aber bereit sein, ihn auch infrage stellen zu lassen. Er soll ihn auch zu verändern bereit sein, wenn das Gegenüber bessere Argumente hat, die ich ehrlich prüfe. Nur so können wir die großen Herausforderungen dieser Zeit bewältigen, ohne in eine Gewaltspirale zu gelangen, die sich so schrecklich zu Müntzers Zeiten, beim IS und bei den Hooligans in Frankreich abspielt(e).
Wir könnten aus den Fehlern der Altvordern lernen, wenn wir nur bereit dazu wären und nicht in die Falle gerieten, Recht haben zu wollen.
Wir Christen glauben, dass die letztgültige Wahrheit ohnehin erst am Ende der Tage offenbar wird – für jeden, ob er glaubt oder nicht, wenn wir nämlich vor den Richterstuhl GOTTes treten. Bis dahin dürfen wir um Wahrheit ringen, in Respekt für den und Anerkennung des anderen, so schwer seine Meinung auch manchmal auszuhalten sei.
Gewalt führt nie zum Ziel, das lehrt uns Müntzer. Wahrheit setzt sich durch und erweist sich spätestens im Nachhinein. Beweise dafür gibt es genug. Lernen wir daraus, das wäre ein echter Lichtblick.
Superintendent Kristóf Bálint
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Autor: redSchon immer gab es Menschen, die vorgaben im Besitz der Wahrheit zu sein. Lange Zeit war das die Obrigkeit, die auch aus der Bibel ableitete, dass Sie das Sagen und die Macht und den Willen habe, die Wirklichkeit nach Ihrem Sinn zu gestalten. Doch das war nicht der Sinn der meisten Menschen der Zeit.
Die Bauernaufstände im Süddeutschen Raum und in Thüringen machten deutlich, dass das nicht zu halten und schon gar nicht zu rechtfertigen war. So manches Schloss, das wir heute bewundern, ist durch die Auspressung der Bevölkerung entstanden oder zumindest mit erbaut. Das trifft auch auf Kirchen zu – zumindest indirekt, denn deren Bau wurde oft durch die Patrone gefördert.
Kirche hat in dieser Zeit leider oft keine rühmliche Rolle gespielt, denn Sie stand häufig auf der Seite derer, die die Macht hatten.
Thomas Müntzer und viele anderen zeigen aber, dass das nicht die einzige Sicht auf die Wirklichkeit dieser Zeit war. Denn er und andere waren als Pfarrer auf der Seite der Rechtlosen und standen dafür mit ihrem Leben ein. Das wurde z.B. in DDR-Zeiten gern verschwiegen und ausschließlich der Teil der Kirche betont, die den Mächtigen willfährig war.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit, die auch nicht dadurch zurechtgerückt wird, dass der Pfarrer Thomas Müntzer in der DDR auf dem 5-Mark-Schein wiedergegeben wurde. Hier galt er als Revolutionär und Bauernführer, dabei bezog seine gesellschaftskritische Position ausschließlich auf die Bibel und die vorfindliche Wirklichkeit.
Die Wahrheit muss hervor – aber was ist Wahrheit?
Heute nehmen wir, befördert durch die modernen Medien, viele Wahrheiten wahr. Jeder (z.T. auch anonym) hat die Möglichkeit, seine Wahrheit weltweit zu verbreiten, ihr Bekanntheit zu verschaffen, für Sie auf die Straße zu gehen, sie ungehindert zu plakatieren, zu befeuern, hinauszuschreien usw., wenn Sie sich im Rahmen der Gesetze befindet.
Viele Wahrheiten und Freiheiten bleiben dabei halbherzig, denn Sie nehmen nur sich selbst wahr (das unterscheidet sie in Nichts von vielen Fürsten und ihrem Denken zur Zeit Müntzers) und nicht auch die Wahrheit und Freiheit der Andersdenkenden, auf die Rosa Luxemburg hingewiesen hat. Wahrheit ist nur dann wahr, wenn Sie alle Aspekte, nicht nur meine, einbezieht. Freiheit und Wahrheit können nicht auf dem Boden der Bedrückung/Unterdrückung anderer Wahrheiten gedeihen.
Deshalb braucht es Korrektive, die uns hinterfragen: für Christen ist das erste und wichtigste Korrektiv die Bibel. Sie befragen wir, wenn wir wissen wollen, ob wir recht und GOTT-gefällig handeln.
Hinzu kommt die Gemeinschaft in der Gemeinde, denn auch hier gibt es andere Ein- und Ansichten als unsere, die meine Meinung in Frage stellen und ergänzen. An ihnen reibt sich meine Wahrheit und wird hier und dort abgeschliffen, unterentwickelte Stellen hinzumodelliert – kurzum sie verändert. Doch auch außerhalb der Gemeinde wird unsere Wahrheit täglich neu hinterfragt. Gut ist, wenn dies in respektvollem Miteinander geschieht, auf der Suche nach dem rechten Weg und die Wahrheit.
Das aber, liebe Leserschaft, vermisse ich weithin. Wenn in der Zeitung, ob analog oder digital ist dabei gleich, jemand etwas schreibt, kann darauf gewartet werden, dass darüber hergezogen, geschimpft, ja dem Schreiber Unwissenheit, Dummheit u.a. Heiten testiert werden.
Dabei sagen die Antwortenden mehr über sich selbst aus als ihnen lieb sein kann und mehr als zu dem eigentlichen Thema.
Wer anderen das Denken verbietet, Ihnen eine eigene Meinung abspricht, sie als töricht bezeichnet oder mit (Schein-) Argumenten zu verdeutlichen sucht, dass der andere keine Ahnung hat, der zeigt vor allem eines: dass es ihm nicht um die Wahrheit geht.
Ihm geht es um Recht behalten, nicht um eine Suche, sondern um eine Verteidigung einer Ansicht. Wer der Wahrheit auf der Spur ist, braucht nichts verteidigen als den gesunden Menschenverstand, der in solchen Diskussionen leider oft auf der Strecke bleibt. Wahrheit setzt sich durch. Zugegebener Maßen manchmal (GOTT sei es geklagt) erst spät, aber sie kommt immer zum Ziele und entblößt die selbstdarstellerischen Inszenierungen der Neunmalklugen.
Ich möchte ein Plädoyer für die vorurteilsfreie Suche nach der Wahrheit halten. Niemand soll beschimpft werden, wenn er eine andere Sicht hat. Jeder soll seinen Standpunkt sagen dürfen und ohne wenn und aber bereit sein, ihn auch infrage stellen zu lassen. Er soll ihn auch zu verändern bereit sein, wenn das Gegenüber bessere Argumente hat, die ich ehrlich prüfe. Nur so können wir die großen Herausforderungen dieser Zeit bewältigen, ohne in eine Gewaltspirale zu gelangen, die sich so schrecklich zu Müntzers Zeiten, beim IS und bei den Hooligans in Frankreich abspielt(e).
Wir könnten aus den Fehlern der Altvordern lernen, wenn wir nur bereit dazu wären und nicht in die Falle gerieten, Recht haben zu wollen.
Wir Christen glauben, dass die letztgültige Wahrheit ohnehin erst am Ende der Tage offenbar wird – für jeden, ob er glaubt oder nicht, wenn wir nämlich vor den Richterstuhl GOTTes treten. Bis dahin dürfen wir um Wahrheit ringen, in Respekt für den und Anerkennung des anderen, so schwer seine Meinung auch manchmal auszuhalten sei.
Gewalt führt nie zum Ziel, das lehrt uns Müntzer. Wahrheit setzt sich durch und erweist sich spätestens im Nachhinein. Beweise dafür gibt es genug. Lernen wir daraus, das wäre ein echter Lichtblick.
Superintendent Kristóf Bálint
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