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Mo, 06:52 Uhr
06.08.2012

nnz-Forum: Konkret Herr Reinholz?

Erinnern Sie sich, liebe nnz-Leser? Im Februar stellte der Thüringer Umweltminister Reinholz die neuen Roten Listen gefährdeter Pflanzen- und Tierarten im Freistaat vor. Die nnz schrieb darüber. Er beklagte die dramatische Entwicklung und die "alarmierenden Zahlen", nach denen 40 Prozent der im Freistaat nachgewiesenen 17.000 Arten gefährdet bzw. sogar von Aussterben berdoht seien...


Nur verbale Ankündigungen? (Foto: B. Schwarzberg) Nur verbale Ankündigungen? (Foto: B. Schwarzberg) Und er kündigte bei der Vorstellung der neuesten Roten Listen an, bis zum Erscheinen der nächsten Roten Listen im Jahre 2020 "mindestens die Hälfte aller in Thüringen vom Aussterben bedrohten Arten zu retten". Dazu sei bereits im Oktober 2011 eine Strategie beschlossen worden.

Schon im Februar kommentierte ich Herrn Reinholz' Äußerungen als halbherzig: Was bedeutet es denn konkret, "mindestens die Hälfte aller in Thüringen vom Aussterben bedrohten Arten zu retten"? In den Spielraum, den dieser Satz lässt, passt die ganze Dienstwagenflotte der Thüringer Landesregierung und kaum jemand bemerkt díes. Meint der Minister vielleicht lediglich, er wolle 50 Prozent der vom Aussterben bedrohten Arten vor dem Aussterben bewahren, oder heißt dies gar, er strebe deren "Höherstufung" in die Kategorie "stark gefährdet" an?

Und was übrigens ist mit den verbleibenden, vom Minister "nicht näher betrachteten" anderen 50 Prozent der vom Aussterben bedrohten Arten? Hat er sie bereits abgeschrieben? Und wie würden die Roten Listen des Jahres 2020 überhaupt aussehen, wenn letztere tatsächlich aus Thüringen verschwänden? Desolat denke ich. Hat das Umweltministerium diese aus ihrer Argumentation folgende Option bedacht?

Im März 2012 entlarfte ich das Statement des Ministers als verklausulierten Ausdruck der Unfähigkeit der Landesregierung, tatsächlich etwas Wirksames gegen den Artenschwund zu tun. Ein Minister, der sagt, er wolle die Hälfte der vom Aussterben bedrohten Arten "retten", erscheint mir am Ende seiner Möglichkeiten. Konkretes Beispiel gefällig?
Was wurde konkret getan, Herr Minister? (Foto: B. Schwarzberg)
Was wurde konkret getan, Herr Minister? (Foto: B. Schwarzberg)
Was wurde konkret getan, Herr Minister? (Foto: B. Schwarzberg)
Seit 2004 interessiere ich mich für die sogar deutschlandweit vom Aussterben bedrohte Borstige Glockenblume Campanula cervicaria. Im sachsen-anhaltischen Südharz besetzt sie einen ihrer letzten ostdeutschen Standorte, für dessen Unterschutzstellung durch den Landkreis Harz ich mich erfolgreich einsetzte.

Für Thüringen, wo die Art ebenfalls com Aussterben bedroht ist, werden in der Flora Thüringen (Zümdorf, Günther, Korsch, Westhus, 2006) nur fünf Fundorte genannt. Einen bei Weißenborn-Lüderode im Landkreis Eichsfeld suchte ich seit 2010 mehrfach auf (zuletzt im Juli 2012) und stellte keine Pflanzen dieser Art mehr fest. Im Gegenteil: Auf etwa einem Meter Breite war die Vegetation im Zuge einer Baumaßnahme vollständig entfernt worden. Die am Fuße des ehemaligen Vorkommens verlaufende Schotterstraße wurde von LKW in Richtung einer nahegelegenen BVaustelle befahren. Der gesamte ehemalige Standort war von konkurrenzstarken, stickstoffliebenden Pfanzenarten überwuchert.

Hier aber hätten die Verantwortlichen längst handeln können. Erstens ist diese Art nicht erst seit diesem Jahr hochgradig bedroht. Handlungsbedarf gibt es seit mindestens 50 Jahren! Nun aber ist die Art fast verschwunden und an einem der fünf Thüringer Standorte ist nichts zu ihrer Rettung passiert. Bei den verbliebenen ist das für mich ebenso nicht vorstellbar. Zweitens kartieren wir Thüringer Botaniker die Pflanzenwelt - übrigens im Auftrag des Umweltministeriums - seit ca. 1990. Offenbar im Zuge dessen wurde der nun verschwundene Standort von Süß 1998 entdeckt.

Ich stelle hiermit die Frage, was das Ministerium konkret zur Erhaltung der letzten vier Thüringer Standorte der Borstigen Glockenblume zu unternehmen gedenkt, sofern diese überhaupt noch existieren. Oder gehört die Art vielleicht zu jenen 50 Prozent, die er, zumindest bei genauer Interpretation seins Statements vom Februar, nicht oder nicht unbedingt retten möchte?

Mit diesem Beispiel soll ich die Problematik verdeutlichen, dass die Umweltpoltiker Willensbekundungen herausgeben, deren Umsetzung aber zumeist auf der Strecke bleibt. Dass die Zahl der bedrohten Arten tendenziell immer weiter zunimmt, hat seine Grundlage z.T. in vorliegenden aber auch in fehlenden nationalen und globalen wirtschaftlichen Entscheidungen. Diese aber wird auch Umweltminister Reinholz nicht oder kaum beeinflussen, sondern allenfalls abfedern können.

Dieses Abfedern ist möglich aber es erfolgt zu wenig.Ich persönlich wünsche mir, dass die Gebietskenner, jene Fachleute also, die die Standorte bedrohter Arten kennen, aktiv in Schutzmaßnahmen einbezogen werden. An ihnen führt einfach kein Weg vorbei. Welchen Zweck sollte es denn sonst auch haben, so viele Daten im Rahmen der Kartierungen zu erfassen?

Ich persönlich möchte all das nicht nur für den Schreibtisch getan haben. Ich wünsche mir, dass die Daten tatsächlich zum Schutz der erfassten Arten Verwendung finden. Viele gefährdete Arten wurden auf von keinem aktuellen Pflegeprogramm erreichte Sonderflächen verdrängt. Diese mit Unterstützung der Gebietskenner zu erhalten, daran muss schnell gearbeitet werden. Sonst werden wir noch viele weitere Areten verlieren. Und das vom Minister anvisierte Jahr 2020 kommt schneller, als mancher denkt.

Und Misstrauen ist angebracht. Schon der damalige bundesdeutsche Umweltminister Gabriel musste einst kleinlaut einräumen, dass das Ziel der Bundesregierung, das Artensterben im Land bis 2010 zu stoppen, weit verfehlt wurde. Das neue Ziel: 2020.

Mehrere Bilder zeigen "mein Diskussionsbeispiel", die Borstige Glockenblume, am von mir seit 2004 beobachteten Standort im Sachsen-Anhaltischen Südharz, wo alljährlich noch bis zu 100 Pflanzen zur Blüte kommen (Aufnahmen von Juli 2010 und vom Juli 2012). Ein weiteres Bild zeigt den ehemaligen Standort bei Weißenborn-Lüderode, an dem die Vegetation im Zuge von Baumaßnahmen teilweise entfernt wurde (Juli 2012).
Bodo Schwarzberg
Autor: red

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