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Do, 07:37 Uhr
02.06.2011

EHEC und die Ehrfurcht vor dem Leben

Das Bakterium wird Bacillus permians genannt und gilt als ältester lebender Organismus unseres Planeten. Auf 250 Millionen Jahre wird sein Alter geschätzt. Er überdauerte die Steinkohlenwälder ebenso wie die Jahrmillionen des Saurierzeitalters, die Neandertaler und erst recht die Römer, die Inkas und die Wikinger. Einige Anmerkungen von Bodo Schwarzberg...


Und er wird auch uns Menschen mit Sicherheit überdauern. Er überlebte in einem Salzkristall, den Forscher in einer mexikanischen Höhle fanden.
Doch kommen wir zur Gegenwart: Der Mensch besteht aus etwa 10 Billionen Zellen, aber in und auf ihm leben etwa 100 Billionen Bakterien. Ohne sie wären wir nicht lebensfähig. Weder würde unsere Verdauung funktionieren, noch wäre unser Planet bewohnbar.

Bei meinem Biologie-Studium sagte ein Dozent: „Seien Sie froh, dass es so viele Bakterien gibt. Sonst würden wir hier inmitten von Leichen sitzen.“ – Denn tatschlich haben bisher rund 106 Milliarden Menschen auf der Erde gelebt. 100 Milliarden sind im Laufe der Menschheitsgeschichte bereits verstorben. Nur sechs oder bald sieben Milliarden leben noch. Glücklicherweise wurden unsere 100 Milliarden Vorfahren von Bakterien zersetzt. Gott oder besser Bakterien sei Dank.

Ohne Bakterien würde es die Menschheit, ja auch kein höheres Leben auf diesem Planeten geben. Der Boden, auf dem die Ernährungsgrundlage für Milliarden Menschen gedeiht, ist ein Hot Spot von Milliarden Mikroben, die Ausscheidungen der Pflanzen und Tiere und diese nach deren Absterben umsetzen und der neuen Saat verfügbar machen.

Ein anderer Schauplatz: Frauen und Männer hatten „Geschwülste an ihren Leisten oder unter den Achseln bis zur Größe eines Apfels oder eines Eies, von denen sich das tödliche Pestgift über den ganzen Leib verbreitete. …Ich habe es mit eigenen Augen gesehen: Man hat die Lumpen eines an der Krankheit verstorbenen armen Mannes auf die Straße geworfen, und zwei Schweine, die dazukamen, machten sich mit dem Rüssel und mit den Zähnen darüber und wühlten darin herum, und kaum eine Stunde später fielen sie beide, nach einigen Zuckungen, wie vergiftet, tot auf die Lumpen hin.“

Das schrieb Giovanni Boccaccio, ein Zeitzeuge der „Florentinischen Pest“ des Jahres 1347, dem ersten Ausbruchsort der Infektionskrankheit in Europa. Von ihrer „Heimat“ Nordchina aus hatte sie ihren Weg zuvor durch viele Länder Asiens genommen und dort, wo sie hindurchgezogen war, oftmals menschenleere Regionen hinterlassen. In Europa sollte die Krankheit bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Viertel der Bevölkerung hinwegraffen.

Stempeda im heutigen Kreis Nordhausen: Cantor Christian Roth schrieb 1868 in seiner Chronik: „Im Frühjahr würgte in Rottleberode Typhus und legte viele Menschen ins Grab.“ Derselbe schrieb 1871: „In diesem Jahr wurde Deutschland auch von der Pockenkrankheit heimgesucht. Auch Stempeda blieb nicht verschont. Schon im Sommer brach diese Krankheit hier aus und am Ende des Jahres ist sie noch nicht erloschen.“ Und ein Jahr später: „Am ersten Weihnachtsfeiertag 1871 morgens hat in Uftrungen ein toller Hund neun Personen gebissen, welche in kurzer Zeit bis auf eine Person an den Folgen dieser Bisse gestorben sind. Desgleichen auch in Nordhausen und Stolberg sind Kinder von tollen Hunden gebissen worden und gestorben. Auch in unserem Dorfe sind mehrere tolle Hunde getötet worden“.

Der Tod in früheren Jahrhunderten war untrennbar mit dem Wüten von Bakterien und Viren verbunden. Trotz allen damit verbundenen Leids: Diese Dramatik war Teil des Lebens. Die Menschen waren dem Wirken der Keime hoffnungslos ausgeliefert. Erst die bahnbrechenden Forschungen von Wissenschaftlern wie Alexandre Yersin (Entdecker des Pestbazillus), Luis Pasteur (er entwickelte die Tollwutimpfung) und anderen setzten dem millionenfachen Sterben und auch z.B. den Hexenverbrennungen ein vorläufiges Ende.

Und nun haben wir EHEC. 14 Tote und rund 1500 Infizierte mit steigender Tendenz. Patienten müssen an die Dialyse und tragen vielleicht bleibende Schäden davon. Eine Infektionsquelle ist unbekannt. Wenn ich diese Nachrichten lese, gehen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf: Wie glücklich können wir uns zum einen schätzen, dass eine Infektionskrankheit mit 1.500 Erkrankten heute schon fast als Katastrophe bezeichnet wird. Zur Hoch-Zeit von Pest, Cholera und Pocken hätten 14 Tote wohl keine Erwähnung gefunden: Heinrich Heine erlebte den Ausbruch der Cholera in Paris: „Ganz Paris geriet in die grauenhafteste Todesbestürzung“…..Auf dem berühmten Pécre Lachaise erblickte er „nichts al Himmel und Särge.“

Das Leiden der von EHEC bzw. HUS Betroffenen ist für sie selbst und ihre Angehörigen gewiss eine Katastrophe. Auf Grund unserer modernen Medizin können sie jedoch vielfach gerettet werden. Plasmapherese, Dialyse – das sind schlimme Worte, aber diese Verfahren haben die Hilflosigkeit der Ärzte früherer Jahrhunderte als wirksame Therapien abgelöst.

Dennoch lässt auch EHEC aufhorchen. Denn man kann die Angelegenheit auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Trotz der modernen Intensiv-Medizin erliegen Menschen der krankmachenden Form des Bakteriums Escherichia coli. Sie hat die Mikroben und oftmals auch die Folgen ihres Tuns nicht immer im Griff. Und dabei ist EHEC in seinen bisherigen Ausmaßen geradezu harmlos, wenn man die Erkrankung mit den Tausenden Toten vergleicht, die dem „Krankenhauskeim“ Staphylococcus aureus alljährlich und mit steigender Tendenz zum Opfer fallen.

Diesen „Eitererreger“ haben die Mediziner noch viel weniger im Griff. Da die von ihm verursachten Toten jedoch längst zum medizinischen Alltag gehören, erzeugen sie, trotz der ungleich höheren Opferzahl kaum Schlagzeilen. Nur als dem brasilianischen Top-Modell Mariana Bridi 2009 auf Grund von Staphylococcus beide Hände und Füße amputiert werden mussten und die junge Frau dennoch verstarb, machte dies in der Weltpresse Schlagzeilen.

Die EHEC-Infektionen und der mit ihnen verbundene mediale Hype verschleiern also noch viel schlimmere Infektionskrankheiten unserer Zeit. Auch die bisher rund 30 Millionen Aids-Toten sind nur noch selten ein Thema. Wir sollten bezüglich EHEC zwar wachsam sein, aber versuchen, bei der Betrachtung der Erkrankung einen klaren Kopf zu behalten. Das gilt besonders für die wahrscheinlichen Ursachen. Dass uns heute wieder Bakterien wie Staphylococcus aureus und eben auch EHEC zu beherrschen drohen, hat, so sagen einige Forscher, mit unserer Wirtschaftsweise zu tun.

Beide Keime sind zunehmend gegen die einstige Wunderwaffe der Medizin, dem einst von Alexander Fleming entdeckten Penicillin und anderen Antibiotika resistent. Der Einsatz dieser Stoffe zur Steigerung der Fleischproduktion bis zu deren Verbot 2006, der zu häufige Einsatz bei banalen Infekten, die oft gar keine bakteriellen Infekte sind, sorgt dafür, dass die Mikroben Resistenzen entwickeln. Mit der Folge, dass sie immer weniger zu beherrschen sind. Auch die Pharmalobby hat zu dieser Entwicklung beigetragen. Mit der Erforschung neuer Antibiotika lässt sich relativ wenig Profit erzielen.

Nehmen wir noch einmal den 250 Millionen Jahre alten Bacillus permians vom Beginn meiner Ausführungen, nehmen wir EHEC und Staphylococcus aureus. Wir sollten, um mit dem Friedensnobelpreisträger und Arzt Albert Schweizer zu sprechen, vor der ungeheuren Anpassungsfähigkeit und vor ihrer Bedeutung für die Natur als Ganzes durchaus den Hut ziehen. „Ehrfurcht vor dem Leben“, sagte Albert Schweizer. Mit diesem allgemeingültigen Satz sollte aber auch die Anerkennung verbunden sein, dass die Mikroben keinesfalls von uns Menschen abhängig sind, sondern wir von ihnen: unsere Gesundheit ebenso, wie unsere Ernährung, ja unser gesamtes Leben. Vielleicht kann der übersteigerte Medienrummel um EHEC einige Zeitgenossen diesbezüglich zum Nachdenken bringen. Die Pest gehört in den meisten Teilen der Welt der Vergangenheit an. Die Viruskrankheit Pocken gilt als besiegt. Dafür haben wir Ebola, HIV, Staphylococcus aureus und nun EHEC. Gegen keines der vier Erkrankungen gibt es übrigens Impfstoffe.

Die Mikroben bleiben mit all ihren positiven und potentiell todbringenden Möglichkeiten. Von ihnen können wir vor allem lernen, mit welchen prinzipiellen Methoden man auf einem Planeten 250 Millionen Jahre überleben kann. Unserem Wissen und Handeln setzen sie ihre einfachen und seit Jahrmillionen erprobten Strategien entgegen. Und sie sind erfolgreich damit. – So lange sie es „wollen“. Sie werden uns mit Sicherheit überleben.
Bodo Schwarzberg

Quellen:
  • Karger-Decker, B. Unsichtbare Feinde. Leipzig 1968.
  • Fischer, Christa: Chronik Stempeda 1800 bis 1944. Stempeda 1996.
  • Wikipedia
Autor: nnz

Kommentare
Susi Hentschel
02.06.2011, 08.30 Uhr
Ich habe trotzdem Angst
Ich habe 2 kinder im alter von 4 jahren und ich finde es schlimm wir verzichten seid wochen auf gurken tomaten und salat so auch auf äpfel und so die aus der region kommen

denn ich habe wirklich angst hauptsächlich um meine kinder..und am schlimmsten finde ich das man nicht weiß wo der erreger drin ist vielleicht sollte man ja mal testen was diese personen im täglichen bedauf hatten...nicht nur auf das gemüse oder obst bezogen.Man denkt immer unsere Medizin ist soweit entwickelt und dann das..

MFg
Bodo Schwarzberg
02.06.2011, 09.12 Uhr
Angst vor EHEC
Ich kann Sie und Ihre Angst um Ihre Kinder gut verstehen. So lange die Infektionsquelle nicht erkannt wurde, besteht bei vielen Menschen eine große Unsicherheit. Mit meinem Beitrag wollte ich ja u.a. genau das zeigen, was Sie ansprechen: Dass die Medizin trotz aller Fortschritte, trotz der Ausrottung der Pocken und der Pest in Europa, die krankmachenden Mikroben nicht immer in den Griff bekommt. Und dass diese winzigen Lebewesen ohne Gehirn, Arme und Beine in der Lage sind, den Menschen mit all seinem Wissen und seiner modernen Intensivmedizin an Grenzen bringt. Dies geben im Falle von EHEC ja mehrere Professoren zu. Das sollte uns schon zu denken geben und darüber nachdenken lassen, dass es ein Trugschluss ist, wir als Menschen hätten auf diesem Planeten alles in unserer Gewalt. Das meinte ich auch mit Prof. Albert Schweizers "Ehrfurcht".

Dennoch glaube ich, ohne dass ich nun Arzt bin, dass EHEC in der Presse übertrieben dramatisiert wird. Natürlich ist Vorsicht und Hygiene angebracht. Aber ich bin mir sicher, dass die Krankheit nicht derartige Auswirkungen haben wird, wie die mittelalterlichen, siegreichen Schlachten z.B. des Pestbazillus. Während man den Seuchen damals hilflos gegenüber stand, weiß man heute zumindest, welche Wege man beschreiten muss, um schnell therapieren oder vorbeugen zu können. Das ist ein großer Erfolg. Allerdings zeigt es EHEC genauso wie der Flugzeugabsturz von AF 447 am 1. Juni 2009, gestern vor zwei Jahren:
Die Geschichte der Menschheit beweist, dass, es so makaber dies auch klingen mag, oftmals Katastrophen bedurfte, um sie bei deren erneuten Eintreten beherrschen beherrschen zu können oder gar um sie ganz zu verhindern.

Die heutigen Flugzeuge sind voll von Technik, die ohne das Studium früherer Abstürze dort nicht vorhanden wäre, z.B. selbst simple Taschenlampen für die Stewardessen. Alle Impfungen sind im gleichen Sinne Folge früherer Krankheitsausbrüche. Ein besonderes anschauliches Beispiel für das enge Nebeneinander von Drama, Lernen und Rettung ist übrigens die erste Tollwutimpfung, die Luis Pasteur entwickelte und höchst persönlich vornahm; An einem Jungen, der von einem wutkranken Hund gebissen worden war. - Der Junge überlebte, obwohl Pasteur nicht wusste, wie der Mensch auf seine Impfung reagiert. Bis dahin hatte er sie nur an Tieren getestet. Doch dieser Schritt in das Unbekannte in einer Notsituation hat die Medizin revolutioniert.

Bodo Schwarzberg
H.Buntfuß
02.06.2011, 11.51 Uhr
Typhus, Pocken, Cholera ?
Herr Scwarzberg,
ich gebe Ihnen Recht, ohne Viren, Bakterien kurz gesagt ohne Mikroben gäbe es kein Leben. Zumindest nicht so, wie wir es kennen. Es stellt sich aber die Frage, in wieweit der Mensch dazu beiträgt, dass sich immer wieder neue und gefährlichere Viren entwickeln können.

Da wird verlangt, dass wir jeder Zeit frisches Gemüse, Obst und was weiß ich auf den Teller haben. Aber ist denn das noch natürlich? Wir wollen mitten im Winter frische Erdbeeren, Gurken, usw. obwohl die Erdbeeren nicht nach Erdbeeren und die Gurken nicht nach Gurken schmecken, Hauptsache wir befriedigen unser „EGO“.

Was machen die Erzeuger dieser Produkte, sie ziehen das Obst oder Gemüse im Gewächshaus. Damit es gut gedeiht wird gedüngt was das Zeug hält. Gegen Krankheiten gibt es Pestizide, gerade aus Spanien hört man da so einiges. Was will ich mit meinen Text sagen? Wir sollten einfach die Natur achten, Obst und Gemüse dann essen, wenn es die Natur bereit stellt, es gibt für jede Jahreszeit Obst und Gemüse, es müssen nicht Erdbeeren im Winter sein, die nur wie Erdbeeren aussehen.
Peter59
03.06.2011, 06.40 Uhr
Hilflosigkeit und wenig Informationen
EHEC, nach anderen "Pandemien" ein neues Szenario? Stellen sich dem Laien einige Fragen:
1. Wieso gibt man span. Gurken die Schuld, die es gar nicht waren?
2. Weshalb ist das Erkrankungsareal vorwiegend auf den Norden beschränkt?
3. Wieso sind vorwiegend Frauen betroffen?
4. Wieso tauchen im Internet dazu immer mehr (teils sinnlose) Verschwörungstheorien auf, bis hin zu Angriffen mit bakteriologischen Kampfstoffen?

Fakt ist, Massentierhaltung mit allen Begleiterscheinungen (wie Gülle) dient nicht gerade der Gesundheit des Menschen, ebenso Pestizide in Nutzpflanzen! Wir stehen als Bevölkerung mal wieder im Dunkeln, dem dummen "deutschen Michel" muss man ja auch nicht alles sagen, was "da oben" so abgeht. Bleibt nur der Standartrat. "Vor dem Klo und nach dem Essen, Händewaschen nicht vergessen!":=)
Klingt alles etwas zynisch ist aber die Realität.
Harzer_Wolf
03.06.2011, 07.42 Uhr
Vielleicht weil:
irgendein Labor im Norden mit den Bakterien Versuche veranstaltet hat und es ein Leck gab? Ich wundere mich schon die ganze Zeit, warum man das nicht der Al Kaida zuschiebt oder dem Iran? Die spanishen Gurken konnten sich erstmal nicht wehren.
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