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Do, 14:03 Uhr
02.02.2023
nnz-Interview

Wie wird ein Landkreis "resilient"?

Seit dem 1. November vergangenen Jahres hat der Landkreis mit Dirk Schimm einen neuen Beigeordneten. Der langgediente Soldat hat sich auf seiner zivilen Position im Landratsamt schnell eingelebt. Die nnz hat mit ihm über drängende Aufgaben, die Frage nach der „Resilienz“ und den Handlungsspielraum einer Verwaltung gesprochen…

Dirk Schimm an seinem neuen Arbeitsplatz im Landratsamt (Foto: agl) Dirk Schimm an seinem neuen Arbeitsplatz im Landratsamt (Foto: agl)


nnz: Herr Schimm, was liegt auf Ihrem Schreibtisch gerade ganz oben?

Dirk Schimm: Aktuell haben wir drei Themen, die wichtig sind. Ganz oben steht der Verwaltungshaushalt, dieser soll am 7. März im Kreistag eingebracht werden. Auch mögliche Veränderungen im Stellenplan gilt es zu diskutieren. Beides bildet die Grundlage für die Umsetzbarkeit der an den Landkreis gestellten Aufgaben. Thema Nummer zwei ist die Abstimmung mit den Bürgermeistern der Gemeinden. Es gibt eine Reihe an Herausforderungen, die man nur gemeinsam wird lösen können, wie Infrastruktur, Wirtschaftsförderung oder auch Tier- und Naturschutz. Ich will sehen, wo wir aktuell stehen und wo wir die Gemeinden noch besser unterstützen können. Beim Thema Infrastruktur geht es zum Beispiel um Verkehrsberuhigung und die Verbesserung des Stadtbildes. Dazu gehört auch die Ersatzvornahme bei Schrottimmobilien, mit anderen Worten der Abriss von Gebäuden, von denen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Drittens beschäftigen wir uns mit der Umsetzung von Genehmigungsverfahren, entsprechend den aktuellen neugefassten Gesetzgebungen im Bereich Bundesimmisionsschutz, um zum Beispiel Investitionen zum Ausbau der erneuerbaren Energien der Wirtschaft und Bürgerenergiegenossenschaften ermöglichen zu können.

 nnz: Sie waren über 29 Jahre aktiver Soldat. Gibt es für Sie große Unterschiede in der zivilen Position?

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Schimm: Genau genommen bin ich noch Berufssoldat, für meine Aufgaben hier wurde ich freigestellt. Angefangen habe ich allerdings als gelernter Landwirt. Dass ich nach meinem Grundwehrdienst bei der Bundeswehr geblieben bin, hatte letztlich damit zu tun, dass ich studieren wollte. Das ist alles eine lange Geschichte und liegt weit zurück. Während meiner aktiven Dienstzeit habe ich zahlreiche Führungs- und Verwaltungsverwendungen im In- und Ausland begleitet. Aufgrund des beruflichen Einsatzes in den Bereichen der zivil-militärischen Zusammenarbeit und der ressortübergreifenden Krisenvorsorge sind mir die Strukturen, Verfahrensabläufe und Entscheidungsprozesse in zivilen Behörden gut bekannt. Die Unterschiede sind am Ende so groß nicht, das fühlt sich schnell so an, als hätte man das alles schon fünf Jahre gemacht.  

nnz: In Ihrer Bewerbungsrede vor dem Kreistag im vergangenen Jahr sprachen Sie viel über eine „Resilienz“, die man für den Kreis schaffen müsse. Was haben Sie damit gemeint?

Schimm: Resilienz meint in dem Zusammenhang Robustheit und die Fähigkeit des Landkreises, auf sich verändernde Einflüsse reagieren zu können, sowohl ökonomisch, ökologisch wie auch politisch. Den geopolitischen Veränderungen der letzten Jahre geschuldet haben sich große Teile der Bevölkerung und der politischen Akteure sehr stark auf die aktuell zu leistenden gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, wie zum Beispiel die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern, die Durchführung einer Energiewende zur Sicherstellung einer stabilen und ausreichenden Energieversorgung fokussiert. Das sind alles Dinge, die getan werden müssen. Dass wir vor Ort die Arbeits- und Lebensbedingungen erhalten, wiederherstellen und verbessern müssen, dürfen wir dabei aber nicht aus dem Blick verlieren. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Resilienz bedeutet da auch, die Voraussetzungen für einen zukunftsgerichteten, ökonomisch, ökologisch und infrastrukturell starken und lebenswerten Landkreis zu schaffen. 

nnz: Und wie kann man dieses Ziel Ihrer Meinung nach erreichen?

Schimm: Wenn wir die Attraktivität steigern und zeigen wollen, was der Landkreis zu bieten hat, müssen wir die Gelder, die wir haben, auch wie bisher richtig und effizient einsetzen und unsere Arbeitsleistung bündeln und konzentrieren. Aus Sicht der Verwaltung heißt das für mich, dass wir unsere Fachbereiche stärken müssen, wenn wir den Landkreis weiter voranbringen wollen. Im Moment laufen wir da an der Obergrenze der personellen Belastung. Nehmen Sie den Bereich Bau und Umwelt. Mit 39 Mitarbeitern in sieben Sachgebieten ist das der größte Bereich in meinem Ressort. Diese 39 Kollegen haben im letzten Jahr 550 Vorkaufsrechte geprüft, sich mit der Neuausweisung und Novellierung von 120 Naturschutz- und Flächendenkmälern befasst, 650 Vorgänge in der Bauordnung bearbeitet und 230 Genehmigungsverfahren geprüft. Weiterhin haben sich die Mitarbeiter um ein Straßennetz von 135 Kilometern Länge mit 40 Brücken- und Stützwerke zu kümmern. Dazu kamen die Landesvorgaben zum Ausbau der Windenergie zum 1. Februar. Die Anträge sollen voll elektronisch bearbeitet werden können. Das klingt einfach, bedeutet real aber ein Jahr Arbeit für die Umsetzung eines hochkomplexen Verfahrens.
 
Auch meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Fachbereich Ordnung leisten täglich sehr gute Arbeit, um die in den letzten beiden Jahren deutlich gestiegen Zahl an Anträgen aus den Bereichen Verfahren zur humanitären Aufnahme, Verfahren zur Umsetzung von Gesetzen und Verordnungen zum Aufenthaltsrecht und Einbürgerungsrecht zu bearbeiten. Darüber hinaus stellen sie auch den Vollzug von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sicher.  Im Fachbereich Veterinärwesen liegen die Herausforderungen insbesondere in der Aufgabenwahrnehmung der Lebensmittelkontrollen, tierärztlichen Kontrollen sowie der Tierseuchenbekämpfung. Besonders im Falle einer Tierseuche müssen wir „kaltstartfähig“ sein und unsere Mitarbeiter aus- und fortbilden sowie materiell ausstatten. Unsere Mitarbeiter haben enorm viel geleistet und das meiste davon sieht man von außen nicht. 
Für all das brauchen wir nicht nur Geld, sondern auch Kraft. In allen Bereichen werden uns in den kommenden Jahren altersbedingt Mitarbeiter in den Ruhestand verlassen. Betrachtet man die Sache so, wird es schon schwierig werden, den Status quo auch nur zu halten.

Aber es ist auch das Potential für mehr da und hier muss man gemeinsam ansetzen, mit einer aktiven Unterstützung und Förderung und dem Engagement der Bewohner des Landkreises, der politischen Akteure, Interessengruppen, Organisationen, Vereine und der Wirtschaft sowie der finanziellen Hinterlegung und der Suche nach Fördermitteln. 
Neben der Bewältigung der aktuellen geopolitischen Herausforderungen darf die Gestaltung und Verbesserung des Lebens- und Arbeitsumfeldes nicht aus dem Blick verloren werden. Gerade die gemeinsame Entwicklung von Projekten, welche Themen wie Bildung, ökologische und ökonomische Ziele sowie Integrationsthemen verbinden, sind durch die politischen Vertreter und Bürger einzubringen und zu fördern.  

nnz: Sie sprachen vorhin davon, die Arbeits- und Lebensbedingungen nicht nur zu halten, sondern zu verbessern. Wieviel Spielraum bleibt in einer Verwaltung bei der Aufgabenfülle?

Schimm: Neunzig Prozent der Aufgaben in meinem Geschäftsbereich sind Pflichtaufgaben. Bei dem, was darüber hinausgeht, müssen wir uns fokussieren und alles auf die Waagschale legen. Wir müssen in der Lage sein darüber zu diskutieren, was wichtig und was notwendig ist und auch sehen, was vielleicht einmal ausgesetzt werden kann. Eine Vision, wo es hingehen soll, die muss es an der Spitze geben, der Weg zum Ziel kann aber von dort nicht vorgegeben werden. Die Kunst in jeder Verwaltung sind strukturierte Planungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse. Was habe ich, wie sind die Strukturen, was spricht dagegen - das sind die Elemente, die in den Entscheidungsprozess eingehen und eine Diskussion in den politischen Gremien möglich machen. Man legt die Fakten auf den Tisch, zeigt Vor- und Nachteile von verschiedenen Handlungsmöglichkeiten auf und dann sieht man, wo man Akzente setzen kann.  

nnz: Ihr Posten ist auch ein politisches Amt, Sie selber kommen aber nicht aus der lokalen Politik. Wie kommen Sie bisher mit diesem Teil der Arbeit zurecht?

Schimm: Ich sehe das auch als ein politisches Amt, aber ich bin parteilos und damit neutral. Diese Unabhängigkeit schätze ich ungemein, ich kann mit allen ins Gespräch kommen und ausloten, wo Gemeinsamkeiten zu finden sind. Und man kann auch mal den Spiegel vorhalten und Stachel im Fleische sein. Ich kann offene Diskussionen mit allen Beteiligten führen und bisher wird das gut angenommen. 

nnz: Herr Schimm, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Angelo Glashagel
Autor: red

Kommentare
H.Freidenker
02.02.2023, 20.52 Uhr
als freigestellter Berufssoldat im Landratsamt tätig ?
ist das jetzt so wie bei Innenministerin Faeser zu verstehen.
Tritt zur Wahl als Ministerpräsidenten in Hessen an, wird als Innenministerin freigestellt und wenn die Wahl schief geht, dann wieder schnell nach Berlin ins Amt.
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Anm. d. Red.: Nein, Herr Schimm ist ja gewählt worden. Ob Frau Faeser zurück nach Berlin darf entscheiden die hessischen Wähler ... ;-)
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