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Fr, 12:58 Uhr
08.11.2019
30 Jahre Mauerfall

Zeitfragen im Schlaglicht

War "damals" wirklich alles besser? Warum fiel die Mauer wirklich? War die Treuhand ein "Segen des Westens"? In der Altendorfer Kirche kam man gestern Abend zusammen, um über das Leben in der DDR, die Wendejahre und ihre Folgen zu reden. Der Blick in die Vergangenheit sollte dabei vor allem in die Breite gehen, weniger in individuelle Tiefen. Auf dem Podium musste man sich einem strikten Reglement unterwerfen und warf Schlaglichter auf kontroverse Themen...

v.l.: Theaterintendant Daniel Klajner, Journalist Peter-Stefan Greiner, Ministerin Birgit Keller, Unternehmer Oliver Wönnmann, Theaterpädagogin Eva Lankau und Bürgerrechtler Matthias Türp (Foto: Angelo Glashagel) v.l.: Theaterintendant Daniel Klajner, Journalist Peter-Stefan Greiner, Ministerin Birgit Keller, Unternehmer Oliver Wönnmann, Theaterpädagogin Eva Lankau und Bürgerrechtler Matthias Türp (Foto: Angelo Glashagel)

Ein Journalist, eine Politikerin, ein Unternehmenschef, eine junge Theatermacherin und ein altgedienter Bürgerrechtler sitzen an einem Tisch machen sich Gedanken über die Wende. Was wie der Anfang eines Witzes klingt, war gestern Abend in der "Herzschlag Jugendkirche" der Ernst gemeinte Versuch, Geschichte und Geschichten rund um den Mauerfall und das Leben davor und danach möglichst breit zu besprechen.

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Der Ort war passend gewählt, vor 30 Jahren war die Altendorfer Kirche das "Epizentrum" der Proteste in Nordhausen, die in den größten Demonstrationen mündeten, die die Stadt je gesehen hat. Die Herausforderung waren gestern Abend nicht die gespitzten Ohren der Staatsmacht oder die Sorge vor den Folgen der eigenen Meinungsäußerung, sondern die kürze der Zeit und die Komplexität des Themas.

Nur 30 Sekunden blieben jedem der fünf Podiumsgäste um ihre Gedanken rund um allgemeine Aussagen und kontroverse Thesen zusammenzufassen. Das Format war bewusst gewählt, erklärt Theaterintendant Daniel Klajner, der die abendliche Runde zusammengerufen hatte. "Ich habe mit sehr vielen Menschen gesprochen, die die Wende auf unterschiedlichste Weise erlebt haben. Da sind die wahnsinnigsten Geschichten dabei, aber es sind eben auch immer ganze Geschichten.", erklärt Klajner, die Zeit würde an so einem Abend nicht reichen, jede Geschichte in ihrer Tiefe zu würdigen. Deswegen habe man sich entschieden, Schlaglichter zu werfen und viele Themenkomplexe anzusprechen mit dem Ziel, Denkanstöße zu liefern.

Dazu nutze man gängige Sätze wie "Damals war alles besser" oder Meinungen und Kommentare, die das Theater unter anderem auf den Seiten der nnz gesammelt hatte. War alles besser? Natürlich, meinte etwa Peter-Stefan Greiner, Journalist und Herausgeber dieser Zeitung, aus dem einfachen Grund das "damals" für ihn vor allem die Jahre seiner Kindheit und Jugend waren, eine glückliche Zeit, die friedlich durchlebt werden konnte. Ministerin Birgit Keller, 30 Jahre alt als die Mauer fiel und Mutter zweier Kinder, schätzte die Freiheit, die sie trotz ihrer elterlichen Aufgaben genießen konnte. Manches sei damals besser gewesen, anderes sei heute besser. Oliver Wönnmann, Chef der Firma "Feuerpower Air", erlebte die Wende von der anderen Seite, erinnerte sich an Grenzbesuche und die Erfahrungen, die er als Jugendlicher im Westen machen konnte. "Was wir damals tun konnten, das ist heute für alle Realität", sagte der Unternehmer. Eva Lankau, Jahrgang 1990, kennt die DDR vor allem aus den Geschichten ihrer Familie. Sie plädierte dafür, nicht nur Dinge wie die Staatssicherheit zu betrachten, sondern auch die sozialen Werte des Landes zu sehen. Schließlich Matthias Türp, vor 30 Jahren Mitbegründer des Neuen Forums" in Nordhausen: sicher, es war nicht alles schlecht. Aber: das was schlecht war, war richtig schlecht.

In diesem Modus geht es weiter, von Person zu Person und Thema zu Thema, aufgelockert durch humoristische Einlagen der "Poetry Slammer" Andreas In der Au und Matthias Klaas sowie die Künstler des Theaters Nordhausen.

These: Die physische Mauer ist gefallen, die geistige Mauer gewachsen. Keller: es sei nicht geschafft worden, Ost und West im Geiste zu vereinigen, die Angleichung der Lebensverhältnisse ist lange überfällig. Wönnmann: Es gibt bis heute zu wenig Austausch, gerade auch von Seiten der westdeutschen Bundesländer. Klassenfahrten sollten nicht nur nach London oder Paris gehen, sondern auch nach Dresden, Leipzig oder Chemnitz und umgekehrt. Lankau: Soziologisch betrachtet reichen 30 Jahre nicht, die "geistige Mauer" niederzureißen. Daran zu arbeiten sei auch Aufgabe der Kulturschaffenden. Herr Greiner stößt in ein ähnliches Horn, die "historischen Dimensionen" habe man damals verkannt und es werde noch ein bis zwei Generationen dauern, ehe auch die "geistige Mauer" vollständig geschliffen ist. Bis dahin müsse man vor allem tolerant miteinander umgehen.

In vielem ist man sich einig an diesem Abend und unterscheidet sich vor allem in Nuancen. An anderer Stelle liegen die Ansichten etwa weiter auseinander, in Summe überwiegt aber der Konsens. Leben wir heute in einer "Mediendiktatur"? Vom Podium kommt ein klares "Nein", neue Medien und Informationsflut seien aber neue Herausforderungen. Der Journalist kann, anders als damals, schreiben was er denkt, auch wenn es nicht jedem gefällt und der Bürger seine Meinung kundtun, ohne staatliche Repressalien fürchten zu müssen. War die Treuhand Segen oder Fluch? Sie war ein Fehler der Wende, nicht der erste und nicht der letzte, einer der viele Biographien gebrochen hat und bis heute nachwirkt. Hat die Sehnsucht nach dem Kapitalismus die Mauer zu Fall gebracht? Ja, nein, ein bisschen, es kommt darauf an, wen man fragt.

Trotz des 30-Sekunden-Formats sollte es ein langer Abend werden. Wende, Mauerfall, 40 Jahre DDR und die 30 Jahre, die darauf folgten, bieten viel Stoff für Tiefe Diskussionen, zu viel für einen Abend der das ganze Themenfeld umspannen will. Jede Einschätzung, jede Erzählung, jedes Detail aus dem eigenen Lebenslauf, berührt zwangsläufig andere Komplexe der Geschichte. Wenn der gestrige Abend eines gezeigt hat, dann das wir mehr Zeit für diese unsere Geschichte brauchen, im kulturellen Alltag und vor allem an unseren Schulen, hüben wie drüben.
Angelo Glashagel
Autor: red

Kommentare
Latimer Rex
08.11.2019, 15.16 Uhr
Glashagel/Mauerfall/Neue Legenden
Wieso "hüben und drüben"? Diese Unterteilung erübrigt
sich zum Glück in Deutschland. Ebenso eine noch die
historische Wahrheit verfälschende Sicht: "Die Bundes-
republik besudelt sich gerade wieder in allen Medien, wie toll sie ist", schrieb mir ein Cousin in Nordhausen,. "Man
könnte glauben, die DDR hätte von den 17 Millionen Menschen eine Hälfte Regimegegner und eine Hälfte
Stasi-Spitzel und Idioten." Was für ein Irrglauben!
Eine glückliche Kindheit und Datschen-Kumpanei mag
bei begrenztem Horizont in der DDR befriedigend gewesen
sein, aber die Unterdrückung der Menschenrechte wog
schwerer.
tannhäuser
08.11.2019, 17.08 Uhr
Ja klar...
...nun muss auch noch Angelo Glashagel sein Fett wegbekommen!

Er hat es übrigens wegen eines gewissen Nordhäuser Erdfalls ins englischsprachige TV geschafft (Ich weiss nicht mehr ob NGeo oder Discovery) und dort perfekt englisch gesprochen.

Ich tippe mal, das wissen Sie, Latimer Rex, und nun rezensieren Sie ihn aus blankem Neid negativ.

Die "Stimme der Kritik" auf RIAS war damals Friedrich Luft. Kaum zu glauben, aber empfangbar im Tal der Ahnungslosen (Heutiges Sachsen), wo ich einige Zeit verbrachte.

Latimer Rex, was Vernunft betrifft werden Sie immer heiserer.
Leser X
08.11.2019, 17.13 Uhr
Neue unüberwindliche Grenze
Was soll man groß dazu sagen? Es gibt auch Grenzen ohne Beton, die trotzdem viel härter sind. Denn eines muss man der "Wende" schon bescheinigen: sie hat die schon zuvor im Westen herrschende Grenze zwischen oben und unten, zwischen arm und reich, weiter vertieft. Einer der Hauptgründe dafür, dass angesichts dieses Jubiläums nicht alle glücksbesoffen durch die Gegend laufen.
Paul
08.11.2019, 20.42 Uhr
Latimer rex
Anhand Ihres Kommentares sehe ich das Sie wirklich von nichts eine Ahnung haben. Ich habe vor der Grensöffnung die Möglichkeit gehabt den "goldenen Westen" zu besuchen. Aufgrund von Verwandschaft. Nun es mag durchaus sehr schöne Dinge im Westen gegeben haben. Aber die Dinge die richtig schei....e waren im Westen die habe ich von den Leuten dort selber auch erfahren. Und ich wurde auch gefragt ob es stimmt, daß es im Osten tatsächlich keine Arbeitslosen gibt.
Und zum engen Horizont der DDR-Leute muß ich Ihnen Antworten, daß ein sehr großer Teil der altersgenossen aus dem Westen auch noch nie im Urlaub überhaupt gewesen sind und schon garnicht in was weiß ich nicht wo in der Welt. Schönen Tag Rex.
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