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Di, 13:38 Uhr
30.07.2019
nnz-Forum

Späte Reue einer Treuhänderin

Hungerstreik in Bischofferode - zwölf Kumpel wollen 1993 so gegen die Schließung ihres Werkes protestieren. Über 80 Tage dauert die Aktion und endet ohne Erfolg. nnz-Leser Manfred Neuber hat sich einmal eingehender mit der causa Bischofferode und dem Schicksal der ostdeutschen Kali-Industrie befasst...

„Der Hungerstreik, mit dem die Kali-Kumpel in Bischofferode 1993 gegen die Schließung ihres Werkes protestiert haben, hat mich bedrückt“, erklärte jetzt Birgit Breuel, damals Präsidentin der Treuhandanstalt, die in der Spätphase der DDR gegründet und 1995 nach der Wiedervereinigung in eine Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben umgewandelt wurde.

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„Wir hatten uns eigentlich darauf geeinigt, zwei westdeutsche und zwei ostdeutsche Kali-Bergwerke zu schließen. Das hielt ich für ein faires Verfahren. Aber vielleicht war Bischofferode auch der Höhepunkt der Überforderung. Wir hatten bereits zu viele Entscheidungen getroffen, die die Menschen einfach nicht mehr wollten. Der Hungerstreik hat uns sehr beschäftigt. Die Polizei verbot mir, dort hinzufahren. Wahrscheinlich hätte ich mich darüber hinwegsetzen sollen“, bekennt Breul (81).

Am 1. Juli 1993 treten zwölf Kumpel der Schachtanlage „Thomas Müntzer“ in einen Hungerstreik. Die Aktion dauert 81 Tage an – erfolglos. Sie wirkt als Symbol für den Kampf gegen die Privatisierung von Staatsbetrieben in der ehemaligen DDR. Die Kumpel erfahren Solidarität im ganzen Lande. Das MDR-Fernsehen analysiert zutreffend: „Ihr Glauben an die neu erlangte Freiheit ist erschüttert, hier im Eichsfeld, das die deutsche Einheit so euphorisch begrüßt hatte.“

Die Kumpel sehen sich als „Bauernopfer“ einer im Geheimen ausgehandelten Neuordnung der deutschen Kaliindustrie. „Das war der größte Wirtschaftsdeal der deutschen Einheit“, so der MDR, „der den Steuerzahlen mehr als zwei Milliarden € gekostet hat.“ Der Freistaat Thüringen war der große Verlierer: Außer Bischofferode müssen fast alle anderen Kaligruben dicht machen; für die Sanierung und Sicherung müssen jährlich Millionen Beträge aufgebracht werden.

Die Salzförderung im Südharz-Revier hatte 1911 begonnen. Die letzte Förderschicht in Bischofferode wurde am 23. Dezember 1993 gefahren. Weder eine Werksbesetzung vorher noch ein „Marsch auf Berlin“ vermochten daran etwas zu ändern. Die Kali-Vorkommen hätten noch für 500 Jahre gereicht. Tausend Arbeitsplätze für die Bewohner umliegender Dörfer gingen verloren. Die Einwohnerzahl Bischofferodes schwand um 700. In Bonn verfolgte damals der Autor die vergeblichen Bemühungen Gerhard Jüttners, als Unabhängiger auf der Liste der PDS in den Bundestag gewählt, um den Erhalt der Arbeitsplätze. Birgit Breul heute in Interviews: „Der Westen hat uns Treuhand-Manager stets als Verschwender bezeichnet und der Osten als Plattmacher. Ich habe immer versucht, die Interessen der Ostdeutschen zu vertreten.“ Sie hatte die undankbare Aufgabe übernommen, nachdem ihr Vorgänger Detlev Carsten Rohwedder ermordet worden war.

In der wissenschaftlichen Dokumentation über die Stasi in Stadt und Kreis Nordhausen, von Dr. Hanna Labrenz-Weiß im Dezember 2017 vorgelegt, heißt es auf Seite 247: „Im August 1989 traten auch massive Probleme in der Kaliindustrie im Kreis Nordhausen auf. Diskussionen fanden u.a. in den Betrieben Bleicherode und Sollstedt statt. Wegen der geplanten Umstrukturierungen in Bleicherode fürchteten viele Mitarbeiter um ihren Arbeitsplatz. Dem Werk wurde vorgeworfen, dass nur in den Parteiversammlungen – zudem noch unklare – Vorstellungen über die Zukunft des Betriebes diskutiert wurden.“

„Das führte zu der Situation, dass leitende Mitarbeiter, aber auch viele junge Menschen das Werk verließen. Die Arbeiter vertraten außerdem die Meinung, dass der Lohn aufgrund der schweren und gefährlichen Arbeit im Vergleich mit anderen Industriezweigen zu niedrig sei. Auch die Arbeitsbedingungen wurden scharf kritisiert, da im Bereich der Fabrik und des Kraftwerkes hohe Staub- und Schmutzbelastungen zu verzeichnen waren. Eine ähnliche Situation herrschte im VEB Kalibetrieb Sollstedt. Die BGL fühlte sich durch einen anonymen Anrufer bedroht: ‚Hier ist das Streikkomitee Ernst Thälmann’.“

Weiter die Lage vor der Wende: „Der KD (Stasi) war allerdings auch bekannt, dass vor allem die Versorgungslage einen wesentlichen Einfluss auf die Stimmung und die Reaktionen der Arbeiter hatte. Mangelerscheinungen bei Obst und Gemüse führten zu scharfen Diskussionen, in denen die Arbeiter klarstellten, dass ‚Beschwichtigungen und Problemerklärungen’ nicht mehr akzeptiert würden.“ Manfred Neuber
Autor: red

Anmerkung der Redaktion:
Die im Forum dargestellten Äußerungen und Meinungen sind nicht unbedingt mit denen der Redaktion identisch. Für den Inhalt ist der Verfasser verantwortlich. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
Kommentare
Paulinchen
30.07.2019, 14.45 Uhr
Oh je...
..da hat aber einer von einer guten Vorlage, eine interessanten Neuigkeit abgekupfert.
Das Interview mit der damals meist gehassten Frau Deutschlands, ist aber nicht mehr besonders neu.

Herr Neuber, schreiben Sie uns doch noch einmal die Geschichte von Paul und Paula als völlig neue Story nieder. Sicher stehen wir dummen Ossis auf solche ollen Kamellen.
Franz Tabak
30.07.2019, 15.16 Uhr
(B)Reue(l)?
Reue einer Marktradikalen? Wers glaubt...
Don R. Wetter
30.07.2019, 15.24 Uhr
NNM - "Neubers-Neue-Märchenstunde" ?!
Weiter geht es - mit "Halbwahrheiten aus dem Land der Sieger" !

Frau Breul hätte,wollte,konnte - hat aber nicht!
Nur ein paar kleine Fehler wurden gemacht - sonst alles richtig !

"Nordthüringen könnte reich sein"

"Bischofferodes Gruben wurden geflutet und damit Kalisalz im Wert von heute rund 3,5 Mrd. Euro unbrauchbar gemacht - "Nordthüringen könnte reich sein", heißt es in dem dramatischen, zurückhaltend erzählten Dokumentarfilm von Dirk Schneider, in dem ehemalige Kumpel, Spitzenpolitiker und Treuhand-Vertreter sowie historische und aktuelle Aufnahmen die verheerende, undemokratisch bis illegale Privatisierungspolitik der Treuhand beschreiben."

Übrigens - Manfred Grund (CDU) - war einer der Befürworter der "Kalifusion" !

... "Nordthüringen könnte reich sein"...

Der Artikel - von Neuber/Rex/Roland - geht natürlich nicht ohne ...Stasi ...!
Örzi
30.07.2019, 15.46 Uhr
Schnee von vorgestern
Dieses ewige aufwärmen der Wendezeit dient doch nur, den Ossis immer wieder einzureden, wie sehr sie betrogen, ungerecht behandelt und unterdrückt wurden. Alles wurde ihnen weggenommen und heute sind sie immer noch schlimm benachteiligt. Das bei so einem gewaltigen Umbruch, der in der Geschichte bis dato einmalig war, auch Entscheidungen getroffen wurden und auch mussten, die den DDR-Bürgern nicht immer verständlich waren, oder dass auch Fehler gemacht wurden ergibt sich von selbst.
Und wer unvoreingenommen und realistisch jetzt in die neuen Bundesländer schaut, der muss Helmut Kohl zustimmen, was die "Blühenden Landschaften" betrifft.
Wer glaubt, dass es ihm heute schlechter gehe, als in der vermissten DDR, der soll in seinen Einkaufswagen schauen, sein Auto betrachten, seine Urlaubsreisen resümieren, seinen Lohnschein, bzw. Rentenbescheid oder soziale Unterstützungen mit früher vergleichen, seinen Wohnkomfort betrachten und die Möglichkeit über all das und Gott und die Welt öffentlich zu schimpfen.
Don R. Wetter
30.07.2019, 16.28 Uhr
@Örzi ..gebt endlich Ruhe !
Machen wir aber nicht !!

"Treuhand: Ein Raubzug wird auf „Fehler“ reduziert
Die Wut über die während der DDR-Abwicklung verübten Verbrechen und Ungerechtigkeiten bricht sich Bahn. Um das zu kanalisieren, werden verschiedene Strategien angewendet: Der politische Wille hinter der Schocktherapie nach der „Wende“ wird verleugnet, indem von „Fehlern“ gesprochen wird. Zudem ist eine Konzentration auf Einzelpersonen festzustellen. Beides setzt aktuell die ehemalige Präsidentin der Treuhand, Birgit Breuel, in einem Interview um. "

("Nachdenkseiten" - Tobias Riegel)
Leser X
30.07.2019, 18.02 Uhr
Fratze des Kapitalismus
Selbst der damalige CDU-Ministerpräsident Vogel sah sich gezwungen, von der häßlichen Fratze des Kapitalismus zu sprechen. Auch mit diesem Beitrag wird es nicht posthum gelingen, dieser häßlichen Fratze ein paar menschliche Gesichtszüge hinzuzufügen.

Was damals stattfand, war ein wirtschaftskrimineller Akt einer Gang aus Industrie und Politik mit Frau Breuel als Ausführende. Ich glaube ihren falschen Tränen nicht. Es ist wohl eher ein schlechte Gewissen, das man nicht so gern im Alter mit sich trägt.
geloescht 20210830
30.07.2019, 20.02 Uhr
Na ja
Es ist in meinen Augen schon so, dass damals viel schief gelaufen ist und auch das wir im Osten den Preis dafür gezahlt haben. Aber auch Örzi hat nicht unrecht. Die Ossis waren leichtgläubig, viele Betriebe waren marode (ja ich hab in einem gearbeitet und als ich 1990 zum ersten Mal in ein Siemens Werk kam, habe ich das auch sofort gesehen) und alle haben die Probleme unterschätzt. Wir haben doch tatsächlich geglaubt, dass Politiker die Wahrheit sagen... Das hätten wir aber auch damals schon besser wissen können... In der DDR haben die schließlich auch gelogen, dass sich die Balken gebogen haben. Aber ganz ehrlich..... Mir und meiner Familie inkl. der älteren Generation geht's gut. Und nach 30 Jahren immer noch zu lamentieren, bringt nichts. Ich fühle mich nicht benachteiligt, ich habe das schon 1991 als ganz große Chance gesehen und hab gebotene Möglichkeiten ergriffen und ja, ich war auch zeitweise in den alten Ländern. Dort habe ich sehr viele positive Erfahrungen, aber auch einige Negative gemacht. Ich habe aber nie von einzelnen Menschen auf alle geschlossen und ich halte nix von Vorurteilen. Ich habe hart gearbeitet und war auch viel unterwegs, weit weg von zu Hause, aber es hat sich gelohnt und ich habe vieles von dem, was ich erreichen wollte, auch geschafft. Ich habe nie erwartet, dass jemand mir dabei hilft, sondern mir war immer klar, dass man es nur selber und aus eigener Kraft schaffen kann. So ist das nun mal..... Jammern hat noch nie geholfen, nicht zurück blicken sondern nach vorne und niemals aufgeben.... Das ist mein Motto..... Gelernt habe ich das von meiner Oma, einer Vertriebenen aus Ostpreußen, die nach dem Krieg viel weniger hatte, als wir nach der Wende.
Andreas Dittmar
30.07.2019, 22.03 Uhr
ja ja der Neuber...
Wenn man gezwungen ist, seine Produkte auf dem Weltmarkt zu verramschen, bekommt man kein Geld rein um notwendige Investitionen zu tätigen. Keine Investitionen heißt die Produktionsmittel auf Verschleiß fahren mit den bekannten Folgen. Besonders in der Chemiebranche bekam man diesen Umstand in Form von explodierenden Anlagen zu spüren.
Kommt man wegen Embargobestimmungen nicht an notwendige Maschinen und Geräte ran, muss man diese eben selber herstellen. So weit ich das recherchieren konnte, hatte man nicht nur den 1Mbit-Chip sondern auch die Fertigungslinie neu gebaut. Die politische Grenze war zwar "die Lebensversicherung" der DDR-Wirtschaft. Das heißt aber nicht, dass die Facharbeiter und Ingenieure weniger auf dem Kasten hatten, wie ihre Kollegen im Westen.
Paulinchen
30.07.2019, 22.11 Uhr
Späte Reue?
Das ist die Flucht nach vorn! Die Angst treibt die Breuel um. Die LINKE ist es wohl, welche eine grundlegende Aufarbeitung der Treuhand fordert.
Es soll wohl zu einem Untersuchungsausschuss kommen. Deshalb kann die gut versorgte Pensionärin nicht mehr ruhig schlafen.
Sie hat in der DDR Betriebe platt gemacht, die noch volle Auftragsbücher hatten. Sie hat in vielen Familien den Ruin verursacht. Herr Neuber, ich kann nichts darüber in Ihrem Lagebericht aus jener Zeit lesen, dass die Kumpel von Bischhofferode sogar in den Hungerstreik gegangen sind. Einem Notarzt ist es zu verdanken, dass es nicht zu einem Todesfall dort gekommen ist. Nur das hätte die Treuhand als Kollateralschaden abgetan.
Herr Neuber, lassen Sie diese Geschichte einfach als Wessi ruhen. Schreiben Sie über das Liebesleben der Ölsardine bei geschlossener Dose, oder über in Aussicht stehender Entschädigungen der Treuhand, gegenüber der Bevölkerung der ehemaligen DDR.

Was fällt Ihnen dazu ein? Bringen Sie es auf den Weg.
Andreas Dittmar
31.07.2019, 00.06 Uhr
Natürlich wollen die Linken
nach 30 Jahren gern alles aufarbeiten. Warum nach 30 Jahren ? weil da meistens die Verjährung greift. Keine Panik Frau Breuel mir reicht es schon wenn sie und ihre Nächsten nie wieder ruhig schlafen werden. Diesen Umstand haben sich solche A...l.... wie Sie redlich verdient.
Psychoanalytiker
31.07.2019, 08.11 Uhr
Lieber alex300800 ...
... Na ja, da Sie in der Polytechnischen Oberschule noch das Lesen und sogar die Schreib- UND Druckschrift erlernen durften, hatten Sie 1990 den Vorteil, sofort zu sehen, dass an dem Werk "Siemens" (sicher nicht in Schreibschrift) dran stand. Meistens war dort, wo "Siemens" dran stand, auch "Siemens" drin. Dass Sie der Meinung sind, dass Örzi "nicht unrecht" hat, kann zumindest ich nicht so richtig nachvollziehen, denn beispielsweise Helmut Kohls "blühende Landschaften" sehe ich nicht. Das hat aber nichts mit einer Augenkrankheit zu tun, sondern mit sterbenden Bäumen (nicht nur im Harz), mit zwar neu gebauten, aber gleich wieder kaputten Autobahnen und Brücken, mit Schlaglöchern wie zu DDR-Zeiten, mit miserablen oder abgebauten Schienennetzen und verfallenen Bahnhöfen, mit weniger Insekten und Vögeln und mit Vermüllungen in Wald, Flur und um Häuserblöcke herum. Weiter will ich nicht aufzählen, denn soviel Zeichen läßt die Kommentarfunktion gar nicht zu.

Und wenn ich meinen Ost-Rentenbescheid ansehe und feststelle, dass die Mindestrente in Österreich um einiges höher ist, gleichzeitig die Lebensleistung unserer Ost-Rentner sehr wenig geachtet wird (z.B. Herr Neuber in einem seiner letzten Kommentare), dann frage ich mich, auf welcher "Insel" Sie leben, wenn Sie Örzi zustimmen können ...
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