Mo, 05:57 Uhr
26.11.2018
Berichte aus den Hotspots der Artenvielfalt 18 und 19
Geschützter Gipsfelsen beschädigt
Manchmal bedarf es nur vergleichsweise kleiner, privater Maßnahmen, um Vorkommen bedrohter Pflanzen- oder Tierarten zu erhalten. Umso ärgerlicher ist es, wenn sie von anderen Akteuren vor Ort durch mechanische Biotopbeeinträchtigungen torpediert werden...
Seit 2014 bemühe ich mich im Einvernehmen mit dem Eigentümer einer bei Gudersleben gelegenen, wahrscheinlich natürlichen Gipsfelswand um die Erhaltung von zwei laut Roter Liste Thüringen gefährdeten Pflanzenarten. Einmal jährlich mähe ich den wegbegleitenden, kaum 20 Meter langen Hang mit dem oberflächlich anstehenden weißen Gestein und lege Bodenverwundungen an. Dabei wird auch der Austrieb von dort wurzelnden Gehölzen entfernt.
Insbesondere die deutschlandweit und auch in Thüringen stark gefährdete Zwerg-Steppenkresse (Hornungia petraea) hat von den Pflegemaßnahmen profitiert. In witterungsseitig günstigen Frühjahren können auf nur wenigen Quadratmetern mehrere tausend Pflanzen nachgewiesen werden. An derartige Zahlen war vor 2014 lange nicht zu denken.
Der Felsanriss ist begehrtes Exkursionsziel für Karstforscher, und, auf Grund der floristischen Raritäten, auch für Exkursionen im Rahmen des Biologie-Studiums umliegender mittel- und westdeutscher Universitäten.
Geomorphologisch bedeutsam ist er insbesondere durch zwei so genannte Zwergenlöcher, winzige Höhlchen, die, einfach gesagt, durch die Volumenzunahme des durch Wasseraufnahme in Gips umgewandelten Anhydrits mit folgender Aufwölbung entstanden sind. Bis 2016 wies auch eine Informationstafel des Karstwanderwegs auf die Bedeutung des Felsanrisses hin. Die Tafel verfiel und wurde, im Gegensatz zu anderen Tafeln, bis heute nicht ersetzt.
Am 17. November führte ich die diesjährige, insgesamt vierte Pflegemaßnahme seit 2014 an dem felsigen Hang durch, und musste dabei feststellen, dass dieser an dessen Fuß massiv beschädigt worden war: Durch eine Verbreiterung des Weges beidseitig um etwa 50 Zentimeter war die Felswand auf ihrer gesamten Länge um etwa dasselbe Maß angeschnitten und das dabei anfallende Gesteinsmaterial abgefahren oder im Zuge der Wegesanierung verarbeitet worden.
Passanten berichteten mir, dass hier in großem Stil Wege im bei Guderseben liegenden Waldgebiet verbreitert, aufgeschüttet und so auch aus dem hier diskutierten recht naturnahen Feldweg ein für große LKW nutzbarer Fahrweg geschaffen wurde. Ein Fotovergleich 2017/2018 verdeutlicht das Geschehene.
Problematisch dabei ist zweierlei:
Erstens gilt nach § 18 Thüringer Naturschutzgesetz (Absatz 1):
Die folgenden Biotope werden, ohne dass im Einzelfall eine Rechtsverordnung erlassen werden muss, unter besonderen Schutz gestellt:….4.: natürliche Block- und Felsschutthalden, Felsbildungen, Lehm- und Lösswände, Höhlen und Stollen, soweit diese nicht mehr genutzt werden sollen
Weiter heißt es in Absatz 3:
Alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung, nachhaltigen Störung oder Veränderung des charakteristischen Zustandes von besonders geschützten Biotopen führen können, sind verboten. Dem wurde hier, gut sichtbar, zuwidergehandelt.
Zweitens wies die verfallene und abgebaute Informationstafel des Karstwanderwegs explizit auf die Bedeutung des Felsanrisses hin und bat darum, diese nicht zu beeinträchtigen.
Zwar bietet natürlich auch das Thüringer Naturschutzgesetz wirtschaftlich begründete Hintertürchen für die erlaubte Beschädigung von nach § 18 geschützten Biotopen. Diese jedoch müssten entsprechend Absatz 5 ausgeglichen bzw. begründet werden:
Ausnahmen von den Absätzen 3 und 4 können durch die Untere Naturschutzbehörde zugelassen werden, wenn die Beeinträchtigungen der Biotope ausgeglichen werden können oder wenn die Maßnahmen aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls notwendig sind.
Es erhebt sich Frage, ob die Beseitigung von Teilen eines geologisch alten, offenbar natürlichen Felsanrisses überhaupt ausgleichbar ist (wenn ja, wie?) und ob, gerade im Interesse des Gemeinwohls, nicht auf die Beseitigung des nur ca. 20 Meter langen felsigen Hangfußes mit Bezug auf § 18, Absatz 1 hätte verzichtet werden können.
Weiterhin muss hinterfragt werden, ob die Untere Naturschutzbehörde überhaupt über die Wegeausbaumaßnahmen und die damit verbundene Beschädigung der Felsbildung nach § 18 ThürNatG informiert war und wenn ja, ob, bzw. welche Ausgleichsmaßnahmen sie angeordnet hat.
Und schließlich sei die Frage aufgeworfen, warum ein sich in die Landschaft gut einpassender Weg (siehe Foto von 2017) dermaßen verhunzt werden musste. EINE Antwort lieferte vielleicht der 40-Tonner-LKW zum Transport von Stammholz, der am Sonnabendnachmittag der vorvergangenen Woche den hier diskutierten Weg befuhr. Trotz Wegverbreiterung berührte er fast den Felsanriss.
Jahrzehnte zuvor ging es, heute kaum zu glauben, auf unseren Feld- und Waldwegen auch ohne überbreite 40-Tonner.
Mögliche Folge: Erosion
Welche Folgen die Beschädigungen eines naturnahen oder gar natürlichen felsigen Hanges längerfristig haben können, lässt sich gut am Stempedaer Marktweg bei Steigerthal im Naturschutzgebiet Alter Stolberg studieren: Denn auch Hohlwege sind nach § 18 ThürNatG geschützt.
Durch die wiederkehrende Befahrung mit überbreiten Fahrzeugen jedoch erodieren dessen steile Wände an mehreren Stellen. Gehölze, die diese stabilisierten, wurden vor oder beim Befahren herausgerissen oder zuvor abgesägt (ich berichtete vor längerer Zeit in der Presse mit einer Fotodokumentation). Weitere Gehölze verloren ihren Halt nach späteren Sturzregen, deren Wassermaßen in den einmal erodierten Wegrändern leichtes Spiel hatten.
Mittlerweile droht im Hohlweg potenziell Gefahr für das fast letzte Thüringer Vorkommen einer vom Aussterben bedrohten Pflanzenart, die dort bereits von den Nordhäuser Botanikern Vocke und Angelrodt Ende des 19. Jahrhunderts nachgewiesen wurde. Sie siedelt direkt an der einen Seitenwand des Hohlweges. An deren Fuß im Bereich des Vorkommens gibt es bereits Erosionserscheinungen, die von zu breiten Fahrzeugen ausgeöst worden sein dürften.
Auffällig ist, dass zum Teil noch steilere, nicht befahrene, aber bewachsene Steilhänge im Gebiet des Gipskarsts nicht abrutschen. Ausnahmen bilden lediglich einige wenige natürliche Gipsschutthalden.
Der Fotovergleich zeigt den Weg bei Gudersleben mit der Felsbildung (Bezeichnung nach § 18 ThürNatG) im April und im November 2018 (Fotos 1 und 2) sowie den erodierenden Hohlweg im Naturschutzgebiet Alten Stolberg: durch Befahrung mit zu breiten Fahrzeugen beginnende (Bild 3) und fortgeschrittene Erosion der nach § 18 Thür NatSchG geschützten Hohlwege (2014). Der Vergleich der Fotos 1 und 2 zeigt, dass der Wegeausbau bei Gudersleben ohne Rücksicht auf den felsigen Steilhang erfolgte. Erosion des Hanges, vor allem bei fortgesetzter Befahrung und weiterer mechanischer Beinflussung der "Felsbildung" nicht ausgeschlossen.
Bodo Schwarzberg
Autor: redSeit 2014 bemühe ich mich im Einvernehmen mit dem Eigentümer einer bei Gudersleben gelegenen, wahrscheinlich natürlichen Gipsfelswand um die Erhaltung von zwei laut Roter Liste Thüringen gefährdeten Pflanzenarten. Einmal jährlich mähe ich den wegbegleitenden, kaum 20 Meter langen Hang mit dem oberflächlich anstehenden weißen Gestein und lege Bodenverwundungen an. Dabei wird auch der Austrieb von dort wurzelnden Gehölzen entfernt.
Insbesondere die deutschlandweit und auch in Thüringen stark gefährdete Zwerg-Steppenkresse (Hornungia petraea) hat von den Pflegemaßnahmen profitiert. In witterungsseitig günstigen Frühjahren können auf nur wenigen Quadratmetern mehrere tausend Pflanzen nachgewiesen werden. An derartige Zahlen war vor 2014 lange nicht zu denken.
Der Felsanriss ist begehrtes Exkursionsziel für Karstforscher, und, auf Grund der floristischen Raritäten, auch für Exkursionen im Rahmen des Biologie-Studiums umliegender mittel- und westdeutscher Universitäten.
Geomorphologisch bedeutsam ist er insbesondere durch zwei so genannte Zwergenlöcher, winzige Höhlchen, die, einfach gesagt, durch die Volumenzunahme des durch Wasseraufnahme in Gips umgewandelten Anhydrits mit folgender Aufwölbung entstanden sind. Bis 2016 wies auch eine Informationstafel des Karstwanderwegs auf die Bedeutung des Felsanrisses hin. Die Tafel verfiel und wurde, im Gegensatz zu anderen Tafeln, bis heute nicht ersetzt.
Am 17. November führte ich die diesjährige, insgesamt vierte Pflegemaßnahme seit 2014 an dem felsigen Hang durch, und musste dabei feststellen, dass dieser an dessen Fuß massiv beschädigt worden war: Durch eine Verbreiterung des Weges beidseitig um etwa 50 Zentimeter war die Felswand auf ihrer gesamten Länge um etwa dasselbe Maß angeschnitten und das dabei anfallende Gesteinsmaterial abgefahren oder im Zuge der Wegesanierung verarbeitet worden.
Passanten berichteten mir, dass hier in großem Stil Wege im bei Guderseben liegenden Waldgebiet verbreitert, aufgeschüttet und so auch aus dem hier diskutierten recht naturnahen Feldweg ein für große LKW nutzbarer Fahrweg geschaffen wurde. Ein Fotovergleich 2017/2018 verdeutlicht das Geschehene.
Problematisch dabei ist zweierlei:
Erstens gilt nach § 18 Thüringer Naturschutzgesetz (Absatz 1):
Die folgenden Biotope werden, ohne dass im Einzelfall eine Rechtsverordnung erlassen werden muss, unter besonderen Schutz gestellt:….4.: natürliche Block- und Felsschutthalden, Felsbildungen, Lehm- und Lösswände, Höhlen und Stollen, soweit diese nicht mehr genutzt werden sollen
Weiter heißt es in Absatz 3:
Alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung, nachhaltigen Störung oder Veränderung des charakteristischen Zustandes von besonders geschützten Biotopen führen können, sind verboten. Dem wurde hier, gut sichtbar, zuwidergehandelt.
Zweitens wies die verfallene und abgebaute Informationstafel des Karstwanderwegs explizit auf die Bedeutung des Felsanrisses hin und bat darum, diese nicht zu beeinträchtigen.
Zwar bietet natürlich auch das Thüringer Naturschutzgesetz wirtschaftlich begründete Hintertürchen für die erlaubte Beschädigung von nach § 18 geschützten Biotopen. Diese jedoch müssten entsprechend Absatz 5 ausgeglichen bzw. begründet werden:
Ausnahmen von den Absätzen 3 und 4 können durch die Untere Naturschutzbehörde zugelassen werden, wenn die Beeinträchtigungen der Biotope ausgeglichen werden können oder wenn die Maßnahmen aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls notwendig sind.
Es erhebt sich Frage, ob die Beseitigung von Teilen eines geologisch alten, offenbar natürlichen Felsanrisses überhaupt ausgleichbar ist (wenn ja, wie?) und ob, gerade im Interesse des Gemeinwohls, nicht auf die Beseitigung des nur ca. 20 Meter langen felsigen Hangfußes mit Bezug auf § 18, Absatz 1 hätte verzichtet werden können.
Weiterhin muss hinterfragt werden, ob die Untere Naturschutzbehörde überhaupt über die Wegeausbaumaßnahmen und die damit verbundene Beschädigung der Felsbildung nach § 18 ThürNatG informiert war und wenn ja, ob, bzw. welche Ausgleichsmaßnahmen sie angeordnet hat.
Und schließlich sei die Frage aufgeworfen, warum ein sich in die Landschaft gut einpassender Weg (siehe Foto von 2017) dermaßen verhunzt werden musste. EINE Antwort lieferte vielleicht der 40-Tonner-LKW zum Transport von Stammholz, der am Sonnabendnachmittag der vorvergangenen Woche den hier diskutierten Weg befuhr. Trotz Wegverbreiterung berührte er fast den Felsanriss.
Jahrzehnte zuvor ging es, heute kaum zu glauben, auf unseren Feld- und Waldwegen auch ohne überbreite 40-Tonner.
Mögliche Folge: Erosion
Welche Folgen die Beschädigungen eines naturnahen oder gar natürlichen felsigen Hanges längerfristig haben können, lässt sich gut am Stempedaer Marktweg bei Steigerthal im Naturschutzgebiet Alter Stolberg studieren: Denn auch Hohlwege sind nach § 18 ThürNatG geschützt.
Durch die wiederkehrende Befahrung mit überbreiten Fahrzeugen jedoch erodieren dessen steile Wände an mehreren Stellen. Gehölze, die diese stabilisierten, wurden vor oder beim Befahren herausgerissen oder zuvor abgesägt (ich berichtete vor längerer Zeit in der Presse mit einer Fotodokumentation). Weitere Gehölze verloren ihren Halt nach späteren Sturzregen, deren Wassermaßen in den einmal erodierten Wegrändern leichtes Spiel hatten.
Mittlerweile droht im Hohlweg potenziell Gefahr für das fast letzte Thüringer Vorkommen einer vom Aussterben bedrohten Pflanzenart, die dort bereits von den Nordhäuser Botanikern Vocke und Angelrodt Ende des 19. Jahrhunderts nachgewiesen wurde. Sie siedelt direkt an der einen Seitenwand des Hohlweges. An deren Fuß im Bereich des Vorkommens gibt es bereits Erosionserscheinungen, die von zu breiten Fahrzeugen ausgeöst worden sein dürften.
Auffällig ist, dass zum Teil noch steilere, nicht befahrene, aber bewachsene Steilhänge im Gebiet des Gipskarsts nicht abrutschen. Ausnahmen bilden lediglich einige wenige natürliche Gipsschutthalden.
Der Fotovergleich zeigt den Weg bei Gudersleben mit der Felsbildung (Bezeichnung nach § 18 ThürNatG) im April und im November 2018 (Fotos 1 und 2) sowie den erodierenden Hohlweg im Naturschutzgebiet Alten Stolberg: durch Befahrung mit zu breiten Fahrzeugen beginnende (Bild 3) und fortgeschrittene Erosion der nach § 18 Thür NatSchG geschützten Hohlwege (2014). Der Vergleich der Fotos 1 und 2 zeigt, dass der Wegeausbau bei Gudersleben ohne Rücksicht auf den felsigen Steilhang erfolgte. Erosion des Hanges, vor allem bei fortgesetzter Befahrung und weiterer mechanischer Beinflussung der "Felsbildung" nicht ausgeschlossen.
Bodo Schwarzberg
Anmerkung der Redaktion:
Die im Forum dargestellten Äußerungen und Meinungen sind nicht unbedingt mit denen der Redaktion identisch. Für den Inhalt ist der Verfasser verantwortlich. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
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Beachten Sie, dass die Redaktion unpassende, inhaltlose oder beleidigende Kommentare entfernen kann und wird.
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