Fr, 20:00 Uhr
05.05.2017
Argumentationshilfen für den Alltag
StammtischkämpferInnen
In der Ära des vermeintlich postfaktischen, in der harte Fakten scheinbar nicht mehr von Bedeutung sind und die öffentliche Debatte auf der Straße, am Stammtisch und im Netz von Hysterie und Großbuchstaben dominiert werden, wer will da eigentlich noch ernsthaft an einer Diskussion teilnehmen. Die "Stammtischkämpfer*Innen" wollen wieder mehr Ruhe und Sachlichkeit in die gesellschaftliche Auseinandersetzung bringen...
Das Internet sollte, so die Utopie ihrer frühen Verfechter, einmal ein Raum des freien Austauschs von Meinung und Wissen sein, nicht nur ein Schritt auf dem Weg des allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritts sondern ein Sprung.
In der Realität ist der digitale Meinungsaustausch an vielen Stellen zur Schlammschlacht geworden. Beleidigt werden und beledigt sein, der digitale Wutausbruch in GROSSBUCHSTABEN und mit schön viel! !!!!SATZZEICHEN!!!!!, unangebrachte Vorwürfe, fragwürdige Argumentationsketten, wilde Verschwörungstheorien, Trolle, sich selbst verstärkende Filterblasen bis hin zu justiziablem Hass und sogar Mord und Totschlag - das Paradies der neuen Aufklärung ist heute ein weiteres Spiegelbild der allgemeinen menschlichen Verfassung. Im Guten wie im Schlechten.
Schreit man sich gegenseitig nur noch nieder, ist keine vernünftige Debatte mehr möglich, kommen wir nicht mehr miteinander ins Gespräch, reißt das dünne Gewebe, dass die Gesellschaft zusammenhält, irgendwann auseinander. Und spätestens dann wird es gefährlich.
Die steigende Aggressivität in der Auseinandersetzung findet sich vermehrt auch in der realen Welt wieder. In Dresden und anderswo im Land wird das Geschrei vom "Volksverräter" und der "Lügenpresse" laut, da brennen wieder Asylbewerberheime und im Netz tobt der Krieg der Weltanschauungen. Die Gesellschaft besteht scheinbar nur noch aus Nazis und Rassisten auf der einen und "Bahnhofsklatschern" und "Links-Grün versifftem Pack" auf der anderen Seite.
Wie wissen will, wie weit das führen kann, der muss nur einen Blick über den großen Teich werfen. Da verbietet die Heimat der "free speech", der freien Meinungsäußerung, die Universität Berkeley konservativen Rednern das Wort, weil man mit gewaltsamen Ausbrüchen von der liberalen Seite rechnen muss. Weite Teile der Bevölkerung stehen sich unversöhnlich gegenüber, es geht nicht mehr darum, gemeinsam das beste zu schaffen, sondern dem anderen ein reinzuwürgen.
Angesichts einer solchen Atmosphäre - welcher "normale" Mensch will sich da noch einmischen? In der Altendorfer Kirchgemeinde fanden sich heute 25 Leute zusammen, die sich trauen wollen. Im Workshop "Stammtischkämper*Innen" sollte erkundet werden, was man braucht um sich einzumischen, was einen davon abhält seinen Mund aufzumachen, wenn man Unrecht oder Drangsal beobachtet und wie man in welcher Situation reagieren kann.
Organisiert wurde der Workshop vom Verein Schrankenlos, als Referenten waren Manu aus Jena und Sebastian aus Dresden angereist. Sebastian ist schon länger dabei, redet an Schulen und leitet für das Netzwerk Demokratie Projekttage. Wie man sich verhält, das komme auf die Situation an. Wer steht mir gegenüber? Sind es Freunde, Kollegen oder Wildfremde? Sitzt man allein in kleiner Runde oder befindet man sich im öffentlichen Raum, umgeben von vielen Menschen? "Wenn ich Zeuge einer Pöbelei werde, dann sage ich was, zeige Kante aber ich lasse mich nicht auf lange Diskussionen ein" sagt Sebastian. An anderer Stelle, etwa beim Gespräch mit Kommilitonen, Kollegen oder auch Familienmitgliedern da sei es besser nachzuhaken und Widersprüche in der Argumentation aufzuzeigen.
Aufstehen gegen Rassismus - rund 25 Stammtischkämpfer'Innen fanden sich heute zusammen (Foto: Angelo Glashagel) Wichtiger als das reine Faktenwissen sei oftmals die Empathie. Man müsse versuchen zu verstehen wo sie herkommt, die Wut und die Angst des Anderen. Wer sein Gegenüber pauschal verurteilt, in Schubladen steckt und beschimpft statt zu diskutieren, der "gewinnt" nach dem eigenen Befinden vielleicht die Auseinandersetzung oder findet ein Ventil für die eigene Wut, überzeugen wird man mit dieser Taktik am Ende aber niemanden.
Was nicht heißt das es nicht auch diejenigen gibt, die nicht mehr mit sich reden lassen wollen, die nicht mehr erreichbar sind. Mit den ideologisch gefestigten Pegida-Verfechtern seiner Heimatstadt redet auch er nicht mehr, sagt der Dresdner. Die Sorgen, die man sich dieser Tage um Rassismus, Hass und das Postfaktische macht, sind nicht aus der Luft gegriffen. Sie sind aber auch nicht so weit verbreitet, wie das vielleicht mancher befürchtet. Noch nicht zumindest. Mehr Ruhe und Sachlichkeit in der Debatte, sei es im Netz oder am Stammtisch, sind ein guter Schritt, um das Problem hier wie dort nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Jeden wird man nicht erreichen. Aber wer weiß? Vielleicht kann wenigstens die Mehrheit der Menschen irgendwann wieder ganz normal miteinander reden ohne sich gegenseitig niederzuschreien. WÄRE DAS NICHT SCHÖN?!?!!!1!!?
Angelo Glashagel
Autor: redDas Internet sollte, so die Utopie ihrer frühen Verfechter, einmal ein Raum des freien Austauschs von Meinung und Wissen sein, nicht nur ein Schritt auf dem Weg des allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritts sondern ein Sprung.
In der Realität ist der digitale Meinungsaustausch an vielen Stellen zur Schlammschlacht geworden. Beleidigt werden und beledigt sein, der digitale Wutausbruch in GROSSBUCHSTABEN und mit schön viel! !!!!SATZZEICHEN!!!!!, unangebrachte Vorwürfe, fragwürdige Argumentationsketten, wilde Verschwörungstheorien, Trolle, sich selbst verstärkende Filterblasen bis hin zu justiziablem Hass und sogar Mord und Totschlag - das Paradies der neuen Aufklärung ist heute ein weiteres Spiegelbild der allgemeinen menschlichen Verfassung. Im Guten wie im Schlechten.
Schreit man sich gegenseitig nur noch nieder, ist keine vernünftige Debatte mehr möglich, kommen wir nicht mehr miteinander ins Gespräch, reißt das dünne Gewebe, dass die Gesellschaft zusammenhält, irgendwann auseinander. Und spätestens dann wird es gefährlich.
Die steigende Aggressivität in der Auseinandersetzung findet sich vermehrt auch in der realen Welt wieder. In Dresden und anderswo im Land wird das Geschrei vom "Volksverräter" und der "Lügenpresse" laut, da brennen wieder Asylbewerberheime und im Netz tobt der Krieg der Weltanschauungen. Die Gesellschaft besteht scheinbar nur noch aus Nazis und Rassisten auf der einen und "Bahnhofsklatschern" und "Links-Grün versifftem Pack" auf der anderen Seite.
Wie wissen will, wie weit das führen kann, der muss nur einen Blick über den großen Teich werfen. Da verbietet die Heimat der "free speech", der freien Meinungsäußerung, die Universität Berkeley konservativen Rednern das Wort, weil man mit gewaltsamen Ausbrüchen von der liberalen Seite rechnen muss. Weite Teile der Bevölkerung stehen sich unversöhnlich gegenüber, es geht nicht mehr darum, gemeinsam das beste zu schaffen, sondern dem anderen ein reinzuwürgen.
Angesichts einer solchen Atmosphäre - welcher "normale" Mensch will sich da noch einmischen? In der Altendorfer Kirchgemeinde fanden sich heute 25 Leute zusammen, die sich trauen wollen. Im Workshop "Stammtischkämper*Innen" sollte erkundet werden, was man braucht um sich einzumischen, was einen davon abhält seinen Mund aufzumachen, wenn man Unrecht oder Drangsal beobachtet und wie man in welcher Situation reagieren kann.
Organisiert wurde der Workshop vom Verein Schrankenlos, als Referenten waren Manu aus Jena und Sebastian aus Dresden angereist. Sebastian ist schon länger dabei, redet an Schulen und leitet für das Netzwerk Demokratie Projekttage. Wie man sich verhält, das komme auf die Situation an. Wer steht mir gegenüber? Sind es Freunde, Kollegen oder Wildfremde? Sitzt man allein in kleiner Runde oder befindet man sich im öffentlichen Raum, umgeben von vielen Menschen? "Wenn ich Zeuge einer Pöbelei werde, dann sage ich was, zeige Kante aber ich lasse mich nicht auf lange Diskussionen ein" sagt Sebastian. An anderer Stelle, etwa beim Gespräch mit Kommilitonen, Kollegen oder auch Familienmitgliedern da sei es besser nachzuhaken und Widersprüche in der Argumentation aufzuzeigen.
Aufstehen gegen Rassismus - rund 25 Stammtischkämpfer'Innen fanden sich heute zusammen (Foto: Angelo Glashagel) Wichtiger als das reine Faktenwissen sei oftmals die Empathie. Man müsse versuchen zu verstehen wo sie herkommt, die Wut und die Angst des Anderen. Wer sein Gegenüber pauschal verurteilt, in Schubladen steckt und beschimpft statt zu diskutieren, der "gewinnt" nach dem eigenen Befinden vielleicht die Auseinandersetzung oder findet ein Ventil für die eigene Wut, überzeugen wird man mit dieser Taktik am Ende aber niemanden.
Was nicht heißt das es nicht auch diejenigen gibt, die nicht mehr mit sich reden lassen wollen, die nicht mehr erreichbar sind. Mit den ideologisch gefestigten Pegida-Verfechtern seiner Heimatstadt redet auch er nicht mehr, sagt der Dresdner. Die Sorgen, die man sich dieser Tage um Rassismus, Hass und das Postfaktische macht, sind nicht aus der Luft gegriffen. Sie sind aber auch nicht so weit verbreitet, wie das vielleicht mancher befürchtet. Noch nicht zumindest. Mehr Ruhe und Sachlichkeit in der Debatte, sei es im Netz oder am Stammtisch, sind ein guter Schritt, um das Problem hier wie dort nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Jeden wird man nicht erreichen. Aber wer weiß? Vielleicht kann wenigstens die Mehrheit der Menschen irgendwann wieder ganz normal miteinander reden ohne sich gegenseitig niederzuschreien. WÄRE DAS NICHT SCHÖN?!?!!!1!!?
Angelo Glashagel
Kommentare
Eckenblitz
06.05.2017, 13.26 Uhr
Diskussion
Ich kann nur hoffen, das die beiden Herren die Diskussion auch unter die Politiker/innen tragen. Die haben es am nötigsten. Für sie gibt es doch nur bestimmte Kreise der Bürger, ich muss wohl nicht extra betonen, um wen es sich handelt, oder Ist die Diskussion nur für die enttäuschten Bürger gedacht, damit die Politiker/innen mit ihrer Versagerpolitik so weiter machen können.
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