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Do, 21:00 Uhr
19.01.2012

nnz-Doku: Rede von Barbara Rinke

Heute fand im Audimax der Nordhäuser Fachhochschule der gemeinsame Neujahrsempfang der Bildungseinrichtung und der Stadtverwaltung statt. Dabei hielt Oberbürgermeisterin Barbara Rinke eine Rede, die wir hier dokumentieren...


"Zwar lässt das neue Jahr sich mit Feiern und Festen willkommen heißen, doch der Alltag hat uns längst wieder. Da müssen Jahresabschlüsse gemacht und neue Planungen in Angriff genommen werden. Da werden unterschiedliche Jahresrückblicke gehalten und politische Bilanzen gezogen.

Ich will heute Abend nicht der Gefahr erliegen, einen weiteren Rückblick hinzuzufügen, noch bereits eine politische Bilanz zu ziehen, sondern vielmehr ein paar Gedanken äußern zu meiner persönlichen Verortung und zu dem, was vor uns liegt an Herausforderungen und Chancen. Dabei hilft mir ein scheinbar verstaubtes altmodisches Wort im alten Westen jahrzehntelang verpönt und im alten Osten ins Volksliedergut abdelegiert.

Es ist neuerdings wieder salonfähig bei Fortschrittlichen und Konservativen, bei Künstlern, Soziologen und Philosophen.

Ganz offensichtlich erlebt der Begriff Heimat eine Renaissance. In einer Welt, in der man schnell den Boden unter den Füßen verliert, ist das Gefühl wieder willkommen. Und was wenn nicht Heimat, vermittelt Zugehörigkeit und Halt? Wir sehen darin ein Stück Unvergänglichkeit in der vorbeirauschenden Zeit und einen Ort, an dem man war, an dem man sein kann, wo man dazu gehört – ganz selbstverständlich.

88 Prozent der Bundesbürger stufen ihn in einer Umfrage als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ ein – nur 2 Prozent sagt er nichts. Auffallend ist, dass sich heute wieder junge Leute stärker heimatverbunden fühlen. Sie finden es schick, im Schrebergarten zu grillen, sich im Heimatgeschichtsverein zu engagieren oder beim Wandern mit Freunden die Umgebung zu entdecken. Auf der Suche nach dem schönsten deutschen Wort belegte „Heimat“ einen vorderen Platz. Nur noch 7 Prozent der Deutschen verbinden mit Heimat Spießigkeit, Enge oder dumpfe nationalistische Gefühle.

Sie scheint zum Zielort einer allgemeinen Sehnsucht nach Bleibendem zu werden. Globalisierung, Finanzkrise und Orientierungslosigkeit der politischen Akteure haben die Menschen in ihrem bisherigen Streben nach Ferne und Weite, nach fremden Kulturen und Ländern so stark verunsichert, dass sie alte Traditionen wieder aufgreifen, sich besinnen auf Bewährtes, aber – das ist das Entscheidende – es neu interpretieren.

Der Historiker Heinz Schilling, der lange Jahre an der Humboldt-Universität gelehrt hat, sagt dazu: „Heimat ist heute eine Sehnsuchtslandschaft der Gefühle“.

Ursprünglich war es ja ein rein juristischer Begriff, der sich auf die Bürgerrechte bezog, also nicht auf Emotionen, sondern auf Ansprüche. Heute verstehen die Menschen darunter die Familie (68 %), Vertrautheit (42 %), Geborgenheit, Kindheit, Geburtsort.

Besonders die Kindheit prägt unser Heimatgefühl. Bilder, Gerüche, Sprachen, Klänge oder Berührungen können ein Leben lag ein Wohlgefühl auslösen. Sozialpsychologen sagen: Heimat gibt in einer zunehmend komplizierter und unüberschaubarer werdenden Welt Orientierung und Halt wie eine letzte Rückversicherung.

Die sogenannte kosmopolitische Postmoderne, in der jeder überall und nirgendwo zu Hause ist, scheint der Natur der meisten Menschen nicht zu entsprechen. Und auch der Chat-Room wird auf Dauer kein verlässliches Zuhause bieten.

Als ich Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts in Berlin studierte, fuhr ich häufig zu meinen Eltern nach Hause nach Nordhausen. Für die Berliner gab es eigentlich immer nur Berlin, Berlin und „draußen in der Republik“. Wenn ich Freitagnachmittag nach der letzten Vorlesung mit dem Städteschnellverkehr Richtung Halle fuhr, ging‘s raus in die Republik, nach Nordhausen in die Heimat. Das erste, was ich tat, kurz nach Sangerhausen, ließ ich im Zugabteil das Fenster herunter und kaum waren wir am Kyffhäuser vorbei, da strömte mir kurz vor Heringen diese einzigartige Harzluft würzig, kräftig und frisch entgegen und ich fühlte mich zu Hause. Noch heute bilde ich mir ein, überall auf der Welt könnte ich sie mit zuen Augen von allen anderen Düften und Gerüchen unterscheiden.

Das ist Identifikation.

Identifikation bedeutet laut Meyers Lexikon „seelische Einverleibung“. Ich mache mich mit meiner Seele ein Stückchen eins mit meiner Heimat, meiner Stadt, meinem Dorf, den Klang der Sprache, den Geruch der Luft.

Heute sind viele von uns nur noch Bürger auf Zeit. Wir haben keine Ortstreue mehr. Was über Jahrtausende gewachsen war, das war Ortstreue. Man konnte auf die Menschen bauen, die blieben da! Man konnte ihnen auch viel zumuten. In der jüngsten Zeitgeschichte nimmt die DDR allerdings eine Sonderstellung ein, sowohl was die Zumutungen betraf als auch die Fluchtmöglichkeiten.

Heute gehen die Menschen dahin, wo sie die besten Bedingungen haben. Wenn es eine Stadt nicht schafft, den Menschen vernünftige Lebens-, Entwicklungs- und Arbeitsbedingungen zu schaffen, dann packen zuerst die Leistungsträger, die Jungen, Unabhängigen ihre Koffer. – Heimat ade.

Diesen Aderlass haben viele Städte im Osten nach der Wende erlebt und erlitten. Wir auch ! Inzwischen wendet sich das Blatt. Die Bedingungen haben sich verbessert. Es gibt stabile, erfolgreiche Unternehmen – Sie alle stehen dafür - , es gibt gut ausgebaute Verkehrswege, es gibt attraktiven Wohnraum, es gibt vielfältige Bildungs- und Kulturangebote. Es lässt sich inzwischen wieder gut leben in der Provinz. Da kann man schon mal überlegen, aus der anonymen Großstadt wieder ins Heimische zu wechseln, dort, wo die Eltern sind, wo Freunde und Bekannte wohnen, wo man wieder aus der Anonymität heraustritt.

Dort ist fester Boden unter den Füßen etwas mehr Sicherheit. Wir erleben gerade einen epochalen Wandel, weltweit ereignet sich eine unglaubliche Zäsur, ein Umbruch, der mit den Stichworten Klima, Energie, Ressourcen, Terrorismus, Korruption, das Auseinanderbrechen von Sozialstrukturen zu beschreiben ist.

Wir wissen nicht, wo es hingeht! Werden die Führungsrollen in der Welt neu verteilt, wird das alte Europa den Schritt zu mehr Gemeinsamkeit schaffen, welche alten Werte bleiben, was wird uns abverlangt, werden wir die Kraft aufbringen, den Klimawandelt einzudämmen, die Kulturlandschaft zu pflegen, die Lebenswelt weiter zu entwickeln? Wie sehen unsere Städte aus in 30 Jahren. Wenn wir ehrlich sind, ahnen wir, wo es hingehen müsste.

Wer keinen Mut hat, diesen Blick hinter den Horizont zu wagen, ist orientierungslos, der irrt umher von einer Krise zur nächsten, der hat keine Chance, den richtigen Weg zu finden.

Also hinein in den Horizont, dorthin, wo wir als Bürgerinnen und Bürger, als Verantwortliche in Wirtschaft, Politik, Kultur und Bildung vor Ort gefragt sind. Wie wird sie aussehen unsere Heimat in 30 Jahren. Was heißt Nordhausen 30 plus? Schließlich ist jede Stadt ein lebender Organismus, der sich ständig weiter entwickelt, denn lebende Organismen sind nicht die Summe ihrer Bestandteile, sondern sie sind in ganz hohem Maße auch ein emotionales Konstrukt. Eine Stadt besteht aus vielen Funktionen. In Nordhausen gibt es über 1000, die so definierbar sind. Aber selbst das gedeihliche Zusammenspiel dieser Funktionen macht eine Stadt noch nicht aus. Vielmehr ist es die Idee der Stadt, ist sie Emotion, ist sie ein Gefühl.

Um nochmal auf Berlin zurückzukommen, dort heißt es eben, Berlin bleibt Berlin oder der berühmte Ausspruch von J. F. Kennedy „Ich bin ein Berliner“ – mehr Emotion geht nicht.

Urbane Identität lebt von symbolischer Ortsbezogenheit. Identität und Aktivität erklären sich daher auch nicht nur aus quantitativen Daten zur Wirtschaftskraft, zur Sozial- und Infrastruktur – vielmehr geht es um qualitative Indikatoren, die die Lebensqualität und Identität einer Stadt ausmachen. Hier liegt ein großes Entwicklungspotenzial. Denn nur, wo Identität wirklich bindet, wo Heimat empfunden werden kann, entwickelt sich auch die Energie und das Engagement einer aktiven Gesellschaft. So wird das Gemeinsame in den Vordergrund gestellt, nur so werden die Kräfte mobilisiert, die wir für die Zukunft brauchen.

Immer wieder haben wir auch in Nordhausen die Frage gestellt, was macht unsere Stadt aus? Was ist wirklich wichtig, was lieben die Bürger an dieser Stadt und was ärgert sie? Was hält sie hier? Und was lässt sie aus der Ferne wieder zurückkehren?

Reicht es einfach, nur das Notwendige zu tun, im Stadtrat und mit den Bürgern den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen? Oder brauchen wir nicht vielmehr eine neue Kraftanstrengung?
Stadtentwicklung ist ein langfristiger Prozess, der nicht an Wahlperioden gebunden ist. Sonst bleibt die Nachhaltigkeit auf der Strecke. Und Stadtentwicklung heißt auch nicht: sparen um jeden Preis, sondern heißt Geld und Kraft und Zeit und Energie optimal einsetzen. Und da muss immer wieder nachgeregelt werden, genauso wie Sie es in Ihren Unternehmen auch tun. Natürlich passiert Stadtentwicklung nicht ins Blaue hinein, wir wollen nichts produzieren, was niemand braucht, sondern vor dem Hintergrund einer Leitidee, eines Leitbildes die notwendigen Schritte gehen. Ich hoffe, wir können in diesem Jahr noch unser Klimakonzept im Rahmen der städtischen Nachhaltigkeitsstrategie beschließen.

Mit der Landesgartenschau und der Leitidee einer Neuen Mitte haben wir genau das getan. In absehbarer Zeit wird die Mitte, der Ort zwischen Oberstadt und Unterstadt, zwischen Altstadt und Neustadt wieder der lebendige Stadtkern sein. Im Jahr 2008 hat der Stadtrat entschieden, Nordhausens verlorene Stadtmitte neu entstehen zu lassen.

Diese Entscheidung war richtig angesichts zurückgehender Finanzmittel und der Tatsache, dass die Zerstörung unserer Stadt nunmehr 67 Jahre zurückliegt.

So wird das Jahr 2012 ein Jahr des Bauens sein, vor allem im Zentrum.
  • Wir bauen die letzte große Platte um zu einem attraktiven Wohn- und Geschäftshaus am Kornmarkt
  • Wir bauen ein Haus für das Einkaufen im Zentrum am Pferdemarkt
  • Wir bauen ein Haus für die Stadtgeschichte - die Flohburg, die in diesem Jahr fertiggestellt wird,
  • Wir bauen ein Haus für die Weisheit – die Kulturbibliothek, in der die Schätze der Geisteswissenschaft, der Dichter und Lyriker jedem Bürgere zugängig sind,
  • Wir bauen ein Haus für den Stadtrat mit Veranstaltungsräumen für die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Bürger,
  • Wir bauen ein Haus für die Kinder im Stadtteil Ost
  • Wir bauen gemeinsam mit Heringen, Görsbach und Urbach das Industriegebiet Goldene Aue, damit die Wirtschaft wachsen kann und die Menschen hier Arbeit finden,
  • Wir bauen Photovoltaik-Anlagen für eine bessere Klimabilanz,
  • Und zur Freude aller Nordhäuser bauen wir einen Gondelteich für Erholung und Freizeit.
Das Jahr 2012 wird auch das Jahr unseres 1085jährigen Stadtjubiläums sein. Wir werden viele Gäste aus dem In- und Ausland und aus unseren Partnerstädten willkommen heißen. Es wird genug Gelegenheit geben zum Feiern und Fröhlichsein.

Und das Jahr 2012 kündigt sich jetzt bereits als Wahljahr an. Ich wünsche uns, dass es ein fairer Wettbewerb wird, wo der gewinnt, der die besten Ideen mit fundiertem Wissen und Eloquenz verbinden kann. Die Macht der besseren Argumente sollte sich durchsetzen.

Mein politischer Stil hat sich immer an einer Kultur des „Wir“ orientiert. Ich glaube, das hat der Stadtentwicklung gut getan und würde diese Erfahrung gern an meinen Nachfolger weitergeben. Der Schutz und die nachhaltige Weiterentwicklung unserer Lebenswelt ist angesichts der Unsicherheiten, die die nächsten Jahrzehnte ganz unvermeidlich prägen werden, vielleicht die wichtigste soziale Frage. Der Zusammenhalt der Menschen braucht feste Orte. Man kann sie auch Heimat nennen.

Wenn Nordhausen in dieser Hinsicht für immer mehr Menschen attraktiv ist, sind wir auf dem richtigen Weg. In weltweiten Netzen herum zu surfen, ist heute leicht. Aber meine sehr geehrten Damen und Herren, man muss auch einmal irgendwo wirklich ankommen und zu Hause sein.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten und erfolgreichen Wege durch das neue Jahr und da ich in dieser Funktion heute das letzte Mal zu Ihnen gesprochen habe, möchte ich mich bedanken für die langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit im Sinne des großen „Wir“ zum Wohle der Einwohner unserer Stadt."
Autor: nnz

Kommentare
undCO
19.01.2012, 22.07 Uhr
Kinderhaus-Ost???
Wann und wer zieht dort ein? Die Stadt will ja dieses Objekt nicht mehr selbst mit Kindern beziehen. Liebe Stadtväter, zeigt endlich Rückgrad!!!!!
mg0611
20.01.2012, 08.01 Uhr
Kinderhaus Ost?!
Wir bauen ein Haus für die Kinder - für welche Kinder fragt sich hier nur. Die kleinen Mäuse die seit über einem Jahr den Umbau verfolgen und sich freuen bald in IHREN neuen Kindergarten einziehen zu dürfen - dürfen dies ja wohl nun doch nicht. Da die Stadt ja scheinbar einen Rückzieher macht. Was soll das nur?
undCO
20.01.2012, 19.35 Uhr
An alle,
ganz schön ruhig hier,ich denke wir wollen etwas bewegen!!
Nordhusia
21.01.2012, 10.12 Uhr
Kinderhaus Ost
Ja, ruhig halten im Sinne von ‚Sand ins Getriebe werfen‘, das machen andere schon. WIR Eltern müssen für unsere Kinder kämpfen, die Kleinen sollen sich endlich wieder ganz frei entfalten dürfen. Es muss wieder genügend Platz zum Spielen sein.
Kinder, die jetzt noch auf einen Kiga- und vor allem Krippenplatz warten müssen,sollen mit baldigem Einzug in das Kinderhaus Ost auch eine Chance haben, diesen zeitnah zu bekommen. Das darf einfach nicht noch mehr verzögert werden.
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