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So, 15:22 Uhr
01.01.2012

nnz-Forum: Wer soll uns regieren?

Keine Frage: Auslöser für die Überlegungen zu nachfolgendem Beitrag ist die „Affäre Wulff“. Dennoch ist dieser Beitrag frei von allen Namen und vorhergehenden oder aktuellen politischen Skandalen und Skandälchen zu lesen. Es geht um die Frage: Von wem wollen wir eigentlich regiert werden? Diese Frage stellt ein Leser der nnz...


Bevor ein Mensch „etwas wird“ im Leben, braucht er viele Helfer – meistens sicher in dieser Reihenfolge: Eltern, Großeltern und Geschwister, Erzieher und Lehrer (Kindergärtnerin bis Professor), Freunde, Kollegen und Bekannte. Wenn er dann „was geworden ist“, ist das all deren Einflussnahme zu verdanken. Wir Wähler müssen daher immer damit leben, diese o. g. Personen faktisch mit zu wählen. Wir wollen ja keinen Gewählten, der „vergessen hat, wo er herkommt“, der, nachdem er was geworden ist, „keine Freunde und Verwandten mehr kennt“. Das sind Ansprüche, die viele Menschen so wie in „ “ gesetzt formulieren.

Auch freuen wir uns berechtigter Maßen darüber, wenn der Gewählte „ganz der Alte geblieben“ ist. Dieser „ganz der Alte“ wird nur selten nach der Wahl noch neue Verwandte, wohl aber neue Freunde (sowohl richtig gute, als sicher auch ein paar falsche) dazu bekommen.

Verwandte und gute Freunde machen sich untereinander Geschenke und räumen sich gegenseitig Vorteile ein. Dabei hat es selbstverständlich gesetzeskonform zuzugehen. Robert Leicht hat das in der ZEIT ONLINE am 29.12.2011 bezogen auf den Bundespräsidenten wie folgt formuliert: „Ein Amtsträger (…..) schuldet den Bürgern eine untadelige Amtsführung, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Er schuldet uns also nicht in seiner Privatsphäre ein überdurchschnittliches moralisches Verhalten. Was uns interessiert, ist sein Amtsethos, nicht sein Privatethos (…...) Deshalb: Strich unter die Affäre – schon deshalb, weil nach und nach, auch in einigen Medien, Maß und Ziel verloren gehen. Vom Hölzchen aufs Stöckchen, zumal wenn Gratismoralismus und aufgereizter Jagdinstinkt sich gegenseitig empor schrauben – davon hat am Ende niemand etwas.“

Moralisches Verhalten wird nach den individuellen eigenen Vorstellungen bewertet. Bedenken Sie nur, wie unterschiedlich die Menschen mehrere Scheidungen im Leben eines Menschen beurteilen oder welche Maßstäbe sie bei der konfessionellen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit eines Menschen anlegen. Dabei sagt diese ja nichts über den Glauben des Menschen aus. Schließlich kann jeder glauben was er will, ohne dazu einer kirchlichen Gemeinschaft angehören zu müssen. Nicht umsonst fordert daher die zivilisierte Welt die Trennung zwischen Kirche und Staat.

Journalismus sollte dazu dienen, uns über die Welt zu berichten und sie uns zu erklären. Das kann dazu führen, dass Journalismus mitregiert. Wo es sich um die Amtsführung eines Gewählten handelt, ist das vollkommen korrekt. Privat ist privat und muss es bleiben, solange es gesetzeskonform ist. Einen Gewählten über sein Privatleben „abzuschießen“, ist nicht nur unfair, sondern führt dazu, dass wir letztlich von Journalisten regiert werden. Nicht von denen, die berichten und erklären, sondern von denen, die entsprechend ihrer individuellen Moralvorstellungen schnüffeln und hetzen.
Jürgen Wiethoff, Nordhausen
Autor: nnz

Anmerkung der Redaktion:
Die im Forum dargestellten Äußerungen und Meinungen sind nicht unbedingt mit denen der Redaktion identisch. Für den Inhalt ist der Verfasser verantwortlich. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
Kommentare
H.A.
01.01.2012, 16.16 Uhr
Blindes Unterstützertum?
Mal im Ernst, das war weder seine erste noch seine letzte Verfehlung. Und auch wenn das Amt des Bundespräsidenten nur noch als Grüßaugust angesehen wird es ist dennoch eine äusserst wichtige Position die nur mit Moralisch gefestigt sind.
Das er den Kredit von seinem „Freund“ in Anspruch genommen hat ist für mich nur ein kleines Problem aber wie das gelaufen ist zeigt eindeutig das er moralisch völlig verkommen ist.

Das das Geld angeblich von der Ehefrau kam ist generell schon ein schlechter Witz und zeigt eigentlich nur das er sich vollkommen im klaren darüber war das es zumindest grenzwertig ist. Aber dieses herumlavieren und der Kredit von der Bank der auch nicht ganz koscher war haben es noch schlimmer gemacht und gezeigt wessen Geistes Kind Wulff wirklich ist.

Noch ein Wort zu Wulffs „Vorleben“:
Zitat: Wulff als offizieller Unterstützer von “Pro Christ”, sollte aber auf keinen Fall unterschätzt werden. Wer Ulrich Parzanys (Hauptprediger von “Pro Christ”) Reden kennt, der sieht sich mit allem konfrontiert, was fundamentalistischen christlichen Glauben ausmacht.

Kreationismus, Schwulenhetze und strikte Ablehnung von Abtreibungen gehören zu seinen Lieblingsthemen.

Er hat sich erst davon losgesagt als das Amt zum BP in Sicht war und ihm anscheinend sein Imageberater verklickert hat das es nicht gut rüber kommt wenn man einer ganz üblen Sekte huldigt.

Der Mann hat und hatte noch nie was in einer offiziellen Position zu suchen und die Berichterstattung geht noch viel zu harmlos mit ihm um.
Jürgen Wiethoff
02.01.2012, 10.51 Uhr
Warum erst heute?
„Mit drastischen Worten hat Bundespräsident Christian Wulff versucht, den Bericht der "Bild"-Zeitung über seinen umstrittenen Privatkredit zu stoppen. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" drohte das Staatsoberhaupt sogar mit einer Anzeige. Wulffs Wut-Anruf ist bestens dokumentiert - auf dem Anrufbeantworter von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann.“ (Zitat aus Süddeutsche.de)

Ich gehe mal davon aus, dass eine seriöse Tageszeitung auch in ihrer online-Version keine Lügen verbreitet und frage daher: Warum kommt diese wichtige Information erst heute? Diese Frage unterstreicht noch mal meinen Wunsch nach einem seriösen Journalismus, der – unabhängig von allen Personen und ihren Stellungen in unserer Gesellschaft – von Anfang an die volle Wahrheit veröffentlicht.

Nun können wir alle noch mal von vorn anfangen zu diskutieren. Diesmal über das Thema: Muss Wulff wegen der Bedrohung des Bild-Chefredakteurs gehen oder wegen erwiesener Dummheit?
Retupmoc
02.01.2012, 11.09 Uhr
Sie haben sicher eines Teiles Recht,
sehr geehrter Herr Wiethoff. Es gibt Leute in dieser Regierung, die sich mehr zu Schuledne haben kommen lassen. Nur eines beachten Sie bitte: Wenn ich Staatsoberhaupt ( oder wie damals "nur " Ministerpräsident ) bin - dann habe ich auch eine private Vorbildwirkung.

Das dies wichtig ist, wird auch mit einem gutem Geld vergütet. Und gerade deshalb ist es eine Frechheit, derartige Geldgeschäfte zu tätigen, der Mann hat soviel verdient, der hatte das nicht nötig. Und keiner soll mir sagen, das es bei Geldgeschäften nur um reine Freundschaft geht. Da wird schon eine Gegenleistung erwartet.
Real Human
02.01.2012, 14.25 Uhr
Wer lenkt Deutschland?
„Von wem wollen wir eigentlich regiert werden?“ Das war die Eingangsfrage zum Forumsbeitrag von Herrn Wiethoff. Ja, das frage ich mich auch. Dahinter steht noch eine abgründigere Frage: Leben wir wirklich in einer „Demo-kratie“ oder – deftig volkstümlich formuliert – vielmehr in einer „Dämlo-kratie“, in der ein politisch halb besinnungsloses Volk ständig von habgierigen und machthungrigen Oligarchen aus dem sorgsam getarnten Hintergrund heraus manipuliert wird?

Wer hat diesen umstrittenen Politiker (Wulff) eigentlich zum Bundespräsidenten gewählt? Klar, die „Bundesversammlung“. Warum wird der Bundespräsident eigentlich nicht direkt vom Volk gewählt? (Wikipedia gibt zum Wahlverfahren aufschlussreiche Hintergrundinformationen!) Es gibt aber durchaus Staaten, in denen das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt wird – auch in Putins „Gelenkter Demokratie“ ist das übrigens OFFIZIELL so!

Bei uns hat das Staatsoberhaupt vor allem die Aufgabe Deutschland nach außen zu repräsentieren. Nach innen ist er so was ähnliches wie ein „Ersatzkönig“ zu dem jeder aufblicken können sollte. Der „Grüßaugust" sollte also für die Bürger durchaus eine gewisses Vorbild sein – auch in seinem Privatleben! Das sollte tunlichst auch für andere in Verantwortung für das Allgemeinwohl stehende Politiker gelten. Auch sie sollten sich mehr als nur „gesetzeskonform“ verhalten.

Nenne mir deine (wirklichen) Freunde und GÖNNER und ich sage dir, wer du bist. Danach muss sich auch der Bundespräsident beurteilen lassen!

Zu seinen guten Freunden zählt bekanntlich die Familie Maschmeyer. Carsten Maschmeyer war laut Wikipedia von 1987 bis 2009 ein führendes Mitglied des AWD – ja er repräsentierte ihn mindestens zeitweilig.

Den AWD (Allgemeiner Wirtschaftsdienst) habe ich selbst bei einer Rekrutierungsveranstaltung (So nenne ich das Schauspiel.) kennengelernt. Es war ein einziger Appell an die Gier nach dem schnellen Geld. Man scheute sich nicht, Kontoauszüge an die Leinwand zu projizieren. Und so mancher im Schnelldurchgang ausgebildete „Handelsvertreter“ hat sich wohl als Provisionshai bei Freunden und Verwandten unmöglich gemacht. (Als man mich werben wollte, habe ich mich mit „Das ging mir zu glatt!“ von dieser peinlichen Veranstaltung verabschiedet.) Wer das Firefox-Add-on WOT installiert hat, findet übrigens nur Warnungen vor den Webseiten dieses Finanz-“dienstleisters“.

Und unser jetziger Bundespräsident lässt sich vom langjährigen Oberhäuptling dieser „Drückerkolonne“ (laut Wikipedia von der Financial Times Deutschland so bezeichnet) einen günstigen Kredit für sein Eigenheim geben.

Dem Zitat von Robert Leicht kann ich überhaupt nicht zustimmen. Der Repräsentant eines demokratischen Staates sollte meiner Meinung nach auch in seinem Privatleben mehr als eine DURCHSCHNITTSMORAL vorleben.

Unter den 62,2 Millionen deutschen Wahlberechtigten, von denen jeder ein potenzieller Bundespräsident sein könnte, wird sich doch wohl wenigstens einer (oder eine) finden, der dafür sowohl sehr gut qualifiziert, als auch moralisch über die allermeisten Zweifel erhaben ist. Oder?

Was kann der potenzielle Wähler aus diesem neuen kleinen Betriebsunfall der deutschen Demokratie lernen?

Wähle in den nächsten Jahren niemals CDU, FDP und auch nicht die SPD! (Der AWD hat 1998 auch den Wahlkampf von Gerhard Schröder unterstützt!) Nur so kann man als einfacher wahlberechtigter Bürger wenigstens ETWAS gegen den beträchtlichen Einfluss der Finanzoligarchen und sonstigen zweifelhaften Lobbyisten auf die deutsche Politik unternehmen.
Jürgen Wiethoff
03.01.2012, 20.57 Uhr
Streng gegliederte abschließende Stellungnahme
1. zu Herrn Wulff
Ich kann mich, sicher wie die meisten anderen nnz-Leser auch, nur an den verschiedenen Veröffentlichungen in den Medien orientieren. Das Bild, welches sich seit gestern ergibt, und heute nachhaltig vertieft wurde, taugt nicht für einen Rat zum Rücktritt. Einem Bundespräsidenten, der gegen das Grundgesetz verstößt, sollte – wie jedem anderen Angestellten, der seine Arbeitspflichten derart massiv vergisst, auch – ohne weiteres Aufsehen gekündigt werden. Solange wie nötig ALG I, danach das übliche an Bezügen. Nach ehrlicher Reue und einem Lernprozess ist nichts gegen eine 2. Chance einzuwenden. Soll er zeigen, dass er diese auch verdient hat. Wo ist aber der „Chef“, der ihm das unmissverständlich verklickert?

2. zu allen Gewählten
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass diese Menschen ein Recht auf eine gesetzeskonforme Privatsphäre haben. Meines Wissens ist es niemand verboten, sich privat Geld zu leihen. Demzufolge ist nach meinem Sprachverständnis ein Privatkredit keine Geschäftsbeziehung.
Zum Thema „gute Freunde“ hat sicher jeder Mensch andere Erfahrungen gemacht. Wirklich gute Freunde rechnen nichts gegeneinander auf. Sie erwarten zwar, sollten sie selbst in Not geraten, Gegenleistungen, fordern sie aber nicht. Erst recht nicht, wenn der Gewählte diese Gegenleistungen nur mit der Macht seiner Wahlfunktion erbringen könnte. Diese Menschen findet man sicher nicht an jeder Straßenecke. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, sie gerade dort zu finden. Und weil ich Optimist bin, hoffe ich: Nicht immer, aber immer öfter.

3. zur Rolle der Medien
Bereits am 20.12.2011 vermutete in der nnz Herr Greiner mit seiner Erfahrung richtig: „Meinen denn Wullf und Rest-Freunde wirklich, dass BILD oder SPIEGEL alles auf einmal "rauslassen", was den Redaktionen einst zugespielt und dann weiterrecherchiert wurde?“ Ich weiß, dass alle Einnahmen in der Medienwelt nach Einschaltquote und Auflagenhöhe berechnet werden. Ich weiß nicht, ob das jetzt die letzten Enthüllungen in dieser Sache sind. Aber einzig aus Gründen des Gewinns die Wahrheiten scheibchenweise unters Volk zu streuen, ist keine verantwortungsbewusste Arbeit. Erst recht dann nicht, wenn das höchste Amt im Staat davon betroffen ist. Und zum Schluss frage ich mich, ob zum Zeitpunkt seines Rücktrittes Herr Köhler zumindest ahnte, wo man noch nachhaken könnte, um ihn letztlich doch zum Rücktritt zu bewegen und deswegen diesen, aus damaliger Sicht recht wenig begründeten, Schritt vorgezogen hat.
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