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Do, 06:33 Uhr
13.10.2011

Menschenbilder (20)

Aus dem im Spätherbst des Jahres 2011 erscheinenden reich bebilderten Buch "Menschenbilder aus der Harz- und Kyffhäuserregion" von Bodo Schwarzberg veröffentlicht die nnz in loser Folge eine Auswahl an Texten über Mitbürger, die er seit April 2010 zu ihrem Leben, ihrer Tätigkeit und deren gesellschaftlichen und persönlichen Hintergründen gesprochen hat.

Günter Trautmann †

Ehrenbürger der Gemeinde Niedersachswerfen
langjähriger Lehrer und Schuldirektor in Niedersachswerfen


„Achte das Alter und die Alten und lebt AUCH in deren Sinn“, schrieb mir der einzige Ehrenbürger von Niedersachswerfen, Günter Trautmann, auf die von ihm verfasste „Kleine Chronik“ seiner Heimatgemeinde. Für den am 08.10.1927 in Allstedt geborene Pädagogen und Zeitzeugen spielte der Respekt der Menschen füreinander und insbesondere die Liebe zur Jugend eine herausragende Rolle.

Er prägte während seines langen, abwechslungsreichen und arbeitsreichen Lebens gerade die Bildungslandschaft von Niedersachswerfen, das kann mit Fug und Recht behauptet werden, so wie kein anderer Vertreter seiner Generation an vorderster Front mit. Günter Trautmann hat Werte vertreten und an die Jüngeren weitergegeben, für die sie ihm noch heute, viele Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Schuldienst, dankbar sind.

„Du wirst Lehrer oder Ingenieur“, hatte einst sein Vater bestimmt, und ganz in diesem Sinne nahm Günter Trautmann im Jahre 1944 nach dem Erreichen der Mittleren Reife an der Landesbildungsanstalt in Luisenthal ein Studium auf. Doch nach nur wenigen Monaten forderten die Nationalsozialisten auch von ihm als gerade 16-jährigen die militärische Vorbereitung auf den Fronteinsatz.

Im Oktober 1944 wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, kam im Januar 1945 zur Wehrmacht nach Göttingen und nahm wenige Wochen darauf als Offiziersanwärter im besetzten Dänemark die Ausbildung an einer Offiziersschule auf. Das Ende des mörderischen Krieges und die Gefangennahme durch die Briten verhinderte glücklicherweise seine geplante Abkommandierung zur kämpfenden Truppe. Weil er sich als Landwirtschaftsschüler ausgab, bewirkte er bereits für den 24. Juni 1945 seine Entlassung. – Denn Arbeitskräfte wurden in der Landwirtschaft dringend gebraucht.

Auf seinem Weg ins heimische Allstedt erlebte er dennoch die schrecklichen Folgen des Krieges hautnah nach: Er sah das zerstörte Magdeburg, wo er sich insbesondere an einen Mann erinnerte, der inmitten der Trümmerwüste vor einem der wenigen unzerstörten Häuser die Muße zum Unkrautjäten hatte, denkt an verzweifelte Mütter zurück, die ihn mit den Bildern ihrer Männer und Söhne in der Hand nach deren Verbleib fragten, und er traf in Schönebeck auf Menschen, die ihm, obwohl sie selber kaum etwas hatten, Speckbrot und andere Lebensmittel gaben.

Angekommen in Allstedt, arbeitete Günter Trautmann für 20 Reichsmark pro Woche zunächst tatsächlich in der Land- und Forstwirtschaft. Aber in erster Linie verfolgte er das Ziel, sein 1944 abgebrochenes Studium wieder aufzunehmen. Er wurde zum Hospitieren verpflichtet, und stand stattdessen in Allstedt plötzlich selbst vor einer Klasse mit 72 Schülern – da war er selbst gerade 17.

„Sie duzten mich und gaben mir den Spitznamen „Kräuter““, erzählte Günter Trautmann, und betont zugleich, dass er schon damals keinerlei Disziplinverstöße durchgehen ließ. Er beendete einen Volkshochschulkurs für angehende Lehrer mit Auszeichnung, und studierte von 1946 bis 1949 in Halle Pädagogik, wo er, dem Lehrermangel geschuldet, in die Lage versetzt wurde, in allen angebotenen Fächer zu unterrichten. 1949 verpflichtete man den Neulehrer nach Landgrafroda bei Querfurt, wo er die Klassenstufen 5 bis 8 unterrichtete, zugleich aber auch sofort als Schulleiter eingesetzt wurde.

„Diese Tätigkeit als Schulleiter sollte mich von nun an für Jahrzehnte begleiten, obwohl ich doch am liebsten einfach nur als einfacher Lehrer gearbeitet hätte“, sagte er. 1951 heiratete Günter Trautmann seine Hannelore. – Seit 1956 wohnte das Paar in Niedersachswerfen, wohin es den jungen Lehrer wegen der schönen Landschaft zog, aber auch auf Grund der besseren Behandlungsmöglichkeiten für seine unter orthopädischen Problemen leidende, kleine Tochter.

Vor 51 Jahren baute Günter Trautmann für seine junge Familie in der Großen Bahnhofstraße 37 jenes Haus, in dem er mit seiner Ehefrau bis zuletzt wohnte. Er wollte nie wieder Schulleiter sein, und wurde doch sogleich als stellvertretender Direktor der Schule Niedersachswerfen verpflichtet. „Sie haben doch von unserem Staat einen Kredit für Ihr Haus bekommen. Dafür können Sie nun auch Verantwortung übernehmen“, sagte man ihm dazu. In den 60-er Jahren absolvierte Günter Trautmann ein Fernstudium im Fach Physik, das er als Diplomlehrer beendete. Außer Physik unterrichtete er auch die Fächer Astronomie und Geografie. Von 1959 bis 1982 war er Direktor der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule Niedersachswerfen und er prägte diese Bildungseinrichtung und ihren hervorragenden Ruf wie kein anderer Lehrer vor ihm.

„So manchen Strauß habe ich in all den Jahren ausgefochten. Aber ich hatte dabei stets das Wohl meiner Schüler, meiner Kollegen und meiner Schule im Sinn“, dachte er zurück.

Obwohl Günter Trautmann der SED angehörte, war er ein bekennender Pragmatiker, und genau deswegen für so manchen ideologischen Dogmatiker unbequem. Zum Beispiel, als diese der Sachswerfer Schule den Namen eines Kommunisten verleihen wollten: „Das verhinderte ich mit Erfolg, und schlug stattdessen einen parteilosen Mann vor, der sich im nahen, ehemaligen KZ Mittelbau-Dora dem Befehl der SS verweigert hatte, einen Mithäftling vor den Augen aller Lagerinsassen zu erhängen. Sein Vorschlag wurde abgelehnt.

Der langjährige Schulleiter setzte für sein Kollegium und seine Schüler gegen massive Widerstände der Verantwortlichen auch einen Schulneubau in Niedersachswerfen durch, und baute besonders enge Kontakte zu den wichtigsten damaligen Betrieben, den VEB Kältetechnik und den Leunawerken Walter Ulbricht auf. Auch mit dem Vorwurf, in der Gemeinde eine „Lehrerdynastie“ etablieren zu wollen, sah sich Günter Trautmann konfrontiert, weil er für seine Kollegen den Bau neuer Wohnungen durchsetzte.

Andererseits aber verfügte der engagierte Pädagoge gegenüber den Ideologen in den Verwaltungen und in der SED-Kreisleitung stets über schlagende Argumente für seine Initiativen: Denn er machte seine Schule zu den angesehensten, diszipliniertesten und leistungsstärksten im gesamten Kreis Nordhausen: „Ich konnte praktisch stets alle unsere Bewerber für die Abiturstufe an der EOS durchsetzen. Wenn die Entscheider hörten, dass sie von meiner Schule kamen, winkte man sie durch“, sagte er.

Aber der uneigennützige Einfluss von Günter Trautmann ging noch weiter: „Ich habe so manchen Sachswerfern die Ehe gerettet, und damit auch deren Kinder vor möglicherweise schlimmen Folgen bewahrt. Wenn ich feststellte, dass Schüler unter den Verhältnissen in ihren Familien litten, nahm ich mir die Eltern zur Brust und erinnerte sie an ihre Verantwortung für den Nachwuchs.“ Aber auch so manchem Betriebsleiter bescheinigte er notfalls pädagogische Unfähigkeit im Umgang mit den Jugendlichen. „Ich hatte oft Angst davor, wegen meiner Unkonventionalität den Job zu verlieren. Aber so richtig traute man sich an mich nicht heran! Und ich wusste, dass viele Menschen so denken wie ich. Daher war ich mir sicher, auf dem richtigen Weg zu gehen!“ –

Unkonventionell waren auch die Ansprachen Günter Trautmanns zum 1. Mai. „Ich las mir die vorgefertigten, mit ideologischen Floskeln gespickten, von der SED-Kreisleitung vorgegebenen Pamphlete kurz durch, und stutzte sie auf eine Redezeit von nur 10 Minuten zurecht. Damit machte ich mir unter den Sachswerfern viele Freunde“, dachte er zurück.

Im Jahre 1982 ging Günter Trautmann in den Ruhestand. Zu seinem 80. Geburtstag aber kehrte er noch einmal an seine langjährige Wirkungsstätte zurück, und hielt vor vielen begeisterten Zuhörern eine Unterrichtsstunde über die Geschichte seiner Heimatgemeinde. Und ein ehemaliger Schüler schrieb in einem Zeitungsartikel: „Manchmal sahen wir ihn lieber von hinten. Er war zwar streng, aber gerecht!“ – „Die erste Strafe für einen undisziplinierten Schüler war mein Blick, die zweite eine Pause beim Reden, die dritte das Ansprechen des betreffenden Schülers mit seinem Nachnamen, und die vierte die Aufforderung, den Klassenraum zu verlassen“, sagte er.

Über seine Tätigkeit als Schuldirektor hinaus engagierte sich Günter Trautmann auch als stellvertretender Kreisvorsitzender der Nationalen Front und als Vorsitzender der Jugendhilfekommission. All dies machte ihn nur schwer angreifbar.

Seit seinem Eintritt in den Ruhestand widmete sich Günter Trautmann als Chronist der Geschichte seiner Heimatgemeinde. Er vergrub sich in Archiven, sammelte Literatur und veröffentlichte zahlreiche Schriften. Und er kreierte das erste Wappen für Niedersachswerfen.

Im Jahre 2004 wurde Günter Trautmann der Titel „Ehrenbürger“ verliehen, als Referenz für sein nachhaltiges Wirken als Pädagoge und Schulleiter in Niedersachswerfen, für seine Unbeugsamkeit in einer schwierigen Zeit und für seine Fähigkeit, Menschen zu begeistern, ja für seine Mitmenschlichkeit. Am Tag der Feierlichkeiten zum 800-jährigen Bestehen seines Heimatortes hielt eine festlich geschmückte Kutsche vor seinem Haus in der Großen Bahnhofstraße. Mit ihr wurden er und seine Ehefrau Hannelore dorthin gefahren, wo sie sich stets am wohlsten fühlten, und die ihnen stets am meisten am Herzen lagen: Zu den Menschen von Niedersachswerfen.

Günter Trautmann verstarb am 4. Februar dieses Jahres im Alter von 83 Jahren, kurz vor dem Jubiläum der Diamantenen Hochzeit mit seiner Hannelore.

Das Buch wird von Helmut Peter von der Autohaus Peter GmbH und vom Maler und Grafiker Klaus-Dieter Kerwitz (mit Grafiken) großzügig unterstützt. Kommentare sind nicht erwünscht.
Autor: nnz

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