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Sa, 14:19 Uhr
23.07.2011

Menschenbilder (8)

Aus dem im Spätherbst des Jahres 2011 erscheinenden reich bebilderten Buch "Menschenbilder aus der Harz- und Kyffhäuserregion" von Bodo Schwarzberg veröffentlicht die nnz in loser Folge eine Auswahl an Texten über Mitbürger, die er seit April 2010 zu ihrem Leben, ihrer Tätigkeit und deren gesellschaftlichen und persönlichen Hintergründen gesprochen hat.

Harald und Annekatrin Hoffmann
Jürgen und Helga Hoffmann

Eine Nordhäuser Geschichte
Bäckerei Hoffmann
Stolberger Straße 53
99734 Nordhausen


Dass die Bäckerei Hoffmann in der Stolberger Straße 2011 ihr einhundertjähriges Bestehen feiern konnte, spricht zum einen für das handwerkliche und unternehmerische Engagement von vier Generationen, zum anderen aber auch für die tiefe Verwurzelung und Beliebtheit des Familienbetriebes in der Nordhäuser Oberstadt. Der Autor dieses Buches selbst kann sich noch gut an die für gewöhnlich lange Schlange wartender Kunden erinnern und an die nimmermüde, freundliche, aber auch resolute Helga Hoffmann, ohne deren Markenzeichen, dem weißen Kittel und dem schwarzen Dutt, etwas Wichtiges gefehlt hätte. Immerhin schob sie zwischen 1959 und 01.04.2006, also 47 Jahre lang, Brot und Brötchen über den Ladentisch.

Die am 25.10.1935 in Großwerther Geborene selbst kann sich noch an unzählige Details der Nordhäuser erinnern, mit denen sie, wann irgend möglich, ein paar nette Worte wechselte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem am 12.06.1936 in Nordhausen geborenen Bäckermeister Jürgen Hoffmann, bestimmte sie das Ansehen des Handwerksbetriebes.

Die dramatischen Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges haben beide Familien des Paares in brutaler Weise betroffen. Rückblickend grenzt es daher schon an ein Wunder, dass die Bäckerei diese schwere Zeit überstand und ihren 100. Geburtstag feiern konnte.

Gegründet wurde der Familienbetrieb von Bäckermeister Emil Hoffmann, der aus der Schmiede Hoffmann in Niedersachswerfen entstammte und seine Lehre bei der Nordhäuser Bäckerei Rosenthal im bei der Bombardierung der Stadt 1945 zerstörten „Rosenthalschen Haus“ absolvierte. Dort lernte er seine künftige Ehefrau Anna, geb. Römer, kennen, mit der er zunächst in Salza eine Bäckerei führte, und schließlich am 01.04.1911 im von ihnen erworbenen Haus Stolberger Straße 53 in Nordhausen die Bäckerei Hoffmann eröffnete. Dessen Sohn, der Konditor Hans Hoffmann, war der erste Nordhäuser, der, gleich beim Polenfeldzug 1939, fiel.

Sein zweiter Sohn, Bäckermeister Kurt Hoffmann (geb. am 05.03.1909), sollte die Bäckerei übernehmen und wurde im Zweiten Weltkrieg hierfür sogar von der Front freigestellt. Dazu kam es jedoch nicht. Er starb bei einem Bombenangriff auf Hamburg im Jahre 1944. Damit war eine ganze Handwerkergeneration der Familie ausgelöscht. Emil Hoffmann sah sich gezwungen, den Betrieb zu verpachten, weil er sich aus Altersgründen nicht mehr in der Lage fühlte, ihn zu führen.

Von 1944 bis 1959 stand daher Bäckermeister Karl Dittmar in der Stolberger Straße 53 am Backofen. Weil dieser im Haus auch eine Wohnung benötigte, zogen die Mutter Jürgen Hoffmanns, Jürgen Hoffmann und sein Bruder Hans in das Haus Gartenstraße 15. Bei der Zerstörung Nordhausens wenige Monate später blieb auch ihr Haus nicht verschont, so dass sie fast ihren gesamten Besitz verloren. Das, was sie aus den Trümmern retten konnten, passte auf einen kleinen Handwagen, mit dem sie sich zu den am Hagen wohnhaften Großeltern Jürgen Hoffmanns mütterlicherseits, Brigitte und Adolf Scheidemantel auf den Weg machten.

Den zweiten großen Angriff auf die Rolandstadt erlebten sie im Keller der Brauerei am Hagen. Ihren Handwagen indes verloren sie kurzzeitig aus den Augen. Er wurde ihnen gestohlen. Den zweiten Angriff am 4. April 1945 überlebten sie nur knapp, weil auf Grund der Zerstörungen das Wasser im Brauereikeller sprunghaft anstieg. Von einem Soldaten wurden Scheidemantels und die überlebenden Mitglieder der Familie Hoffmann in letzter Minute gerettet. Die nächsten Stationen hießen Parkschloss, wo sie das Kriegsende erlebten, Lagerräume der ehemaligen Zichorienfabrik in der Stolberger Straße und Pfingstweg 14 (heutige Friedrich-Naumann-Straße).

Weil die Wohnung im glücklicherweise erhalten gebliebenen Haus der Hoffmanns in der Stolberger Straße 53 nach 1945 frei wurde, konnte die Familie nach Monaten endlich wieder eine feste Bleibe finden.

Dass Jürgen Hoffmann von 1950 bis 1953 bei der Bäckerei Eisfeld in der Hesseröder Straße seine Lehre absolvierte, und damit die Geschichte der Bäckerei noch nicht abgeschlossen werden musste, hat er in erster Linie seinem Großvater Emil Hoffmann zu verdanken.

„‘Ich habe für Dich eine Lehrstelle gefunden. Du wirst Bäcker‘, sagte er eines Tages zu mir. Aber eigentlich, so beteuert er, habe er seinen Beruf stets mehr als Arbeit, denn als innere Berufung empfunden. Die Entscheidung dafür sei einfach notwendig gewesen, um die Bäckerei unter dem Namen Hoffmann fortführen zu können. Als junger Geselle blieb er noch ein weiteres Jahr in seinem Lehrbettrieb und arbeitete anschließend in der Nordhäuser HO- bzw. Konsum-Bäckerei. 1958 machte er in Weimar seinen Meister.

Seit dem 1.4.1959 und damit genau 48 Jahre nach seiner Gründung, übernahm er den in den 15 Jahren zuvor verpachteten Familienbetrieb. Damit war die Lücke, die der Krieg durch den Tod von Vater und Onkel gerissen hatte, zwar nicht geschlossen, aber wenigstens überbrückt worden. Von Beginn an war seine Ehefrau, die gelernte Industriekauffrau Helga Hoffmann, geborene Enzenberg mit dabei, sowie deren Mutter Hildegard Enzenberg, die gemeinsam mit Jürgen Hoffmann bereits in der Konsum-Bäckerei tätig gewesen war. Auch Helga Hoffmann, geb. Enzenberg, verlor im Krieg ihren Vater. Richard Enzenberg wurde am 17.10.1943 eingezogen und wird seit dem 02.12. des Jahres in Russland vermisst.

Sie selbst träumte ursprünglich von einer Arbeit als Krankenschwester auf einem Hochseedampfer. Weil sie ihre Mutter jedoch nicht gehen lassen wollte, absolvierte sie von 1950 bis 1953 beim VEB Nordbrand eine Lehre zur Industriekauffrau und wechselte später zum VEB Kraftverkehr. 1957 heiratete Helga Enzenberg Jürgen Hoffmann, und ein Jahr später wurde Sohn Harald geboren, der die Bäckerei heute führt. Seit 1959 stand sie mit Ausnahme des Sonntags und des seltenen Urlaubs Tag für Tag im Geschäft. Falls es die Produktion in der Backstube erforderte, stand sie mit ihrem Mann auch schon früh um 1 Uhr auf. Meist jedoch öffnete sie die Ladentür um 6 Uhr, um sie sechs Stunden später für drei Stunden wieder abzuschließen.

Trotz des stets gut besuchten Geschäftes musste sie nebenbei noch den Haushalt führen und in der „Mittagspause“ sah man sie oft in ihrem Trabant Kombi auf der Jagd nach Obst und weiteren Zutaten. Zwischen 15 und 18 Uhr stand sie dann wieder hinter dem Ladentisch. Sonnabends öffnete die Bäckerei Hoffmann zwischen 6 und 10 Uhr. Bezogen auf die Erreichbarkeit der notwendigen Zutaten für Brot, Brötchen und für den angebotenen Kuchen, waren die ersten Jahre erträglich: „Zucker, Hefe und Mehl gab es problemlos. Das Obst kauften wir von Kleingärtnern auf und Konserven bezogen wir von der Marmeladenfabrik Friedrich in der Halleschen Straße. Diese lieferte die vollen Gläser mit dem Pferdewagen an, der die Gläser vom Vortag gleich wieder mitnahm“, denkt Jürgen Hoffmann zurück.

Regelmäßig im Frühjahr und Sommer war Helga Hoffmann auch mit ihrem Trabant-Kombi nebst Hänger nach Agnesdorf bei Questenberg unterwegs, von wo sie frisches Obst holte. Allerdings war das Backen zur damaligen Zeit noch mit mehr körperlicher Arbeit als heute verbunden. Pro Woche schleppten sie eine Tonne Briketts durch den Hausflur zum Backofen, und die Asche wieder hinaus. Die Mehlsäcke, die der Meister durch die Bäckerei wuchten musste, wogen 75 Kilogramm. Gebacken wurde, so Jürgen Hoffmann, „ohne Ende“. Viele Kunden kauften drei bis vier Brote auf einmal. Denn weil ein Drei-Pfund-Schrotbrot nur ganze 51 Pfennige kostete, lohnte sich für viele Menschen deren Verfütterung an die damals noch verbreitet gehaltenen Schweine.

Schwierigkeiten mit den zuständigen Behörden blieben den Hoffmanns übrigens erspart: Vielleicht lag das ja auch daran, dass sie die SED-Kreisleitung und dem Rat des Kreises, den VEB Nordbrand, die Stielwerke und das Lehrerinstitut regelmäßig mit Brötchen und Brot belieferten. Allerdings verschlechterte sich nach dem Mauerbau allmählich die Versorgungssituation bei den Zutaten: Rosinen und Mandeln wurden zugeteilt und statt Zitronat musste der Bäckermeister in den 80-er Jahren geriebene, mit Zucker kandierte Möhren und grüne Tomaten einsetzen.

1989 liebäugelte Jürgen Hoffmann eigentlich mit dem Vorruhestand: „Ich war mir sicher, dass für uns die Wende nichts Gutes bringt“, sagt er. „In der DDR hatten wir nichts auszustehen. Wir hatten ohne Ende zu tun und kamen auf Grund unserer vielen Kontakte auch an Bananen und Apfelsinen. Seine Skepsis schien berechtigt zu sein: Denn gleich nach der Währungsunion wollten die Menschen nur noch große, runde West-Brötchen kaufen. Auch an seinen ersten Besuch bei der Kreishandwerkerschaft in Osterode denkt er mit unterschiedlichen Gefühlen zurück: „Die dortigen Kollegen kamen in Anzug und Krawatte und ich im Rollkragenpullover“, sagt er. Allerdings wurde er mit offenen Armen empfangen. Glücklicherweise riet ihm ein ehrlicher Handelsvertreter zum Kauf von kleinen Maschinen für die Neueinrichtung seiner Bäckerei.

Dennoch gab es auch bei Jürgen und Helga Hoffmann eine gewisse Expansion. Denn nun kamen die Märkte mit ihren marktbeherrschenden Backshops. Jürgen Hoffmann verschloss sich dieser Entwicklung nicht und mietete sich in einen Supermarkt in der Halleschen Straße ein. Eine weitere Filiale eröffnete er in einem Bleicheröder Aldi, dazu das „Café am Alten Tor“. Hinzu kam noch ein Verkaufswagen, der in mehreren Ortschaften des Landkreises zur Befriedigung von Kundenwünschen diente. Zeitweise standen bis zu 25 Menschen bei der Bäckerei Hoffmann in Lohn und Brot.

Wenige Jahre nach der Wende behinderten umfangreiche Bauarbeiten in der Stolberger Straße den Geschäftsbetrieb. Weil die Kunden ihre Bäckerei auf Grund eines tiefen Grabens von der gegenüberliegenden Straßenseite nicht erreichen konnten, bahnte sich Helga Hoffmann selbst den Weg durch das aufgewühlte Erdreich und brachte ihnen das Gewünschte hinüber. „Ein viertel Jahr lang hatten wir durch die Baustelle große Ausfälle zu beklagen. Infolge dessen mussten wir leider Mitarbeiter entlassen“ sagt sie.

Trotz der mehrfachen Nachfrage von Jürgen Hoffmann, teilte ihm der Aldi-Konzern schließlich erst zwei Tage zuvor die Schließung der Filiale Bleicherode mit. „48.000 Mark für die Einrichtung waren damit umsonst gewesen. Und das Café in Altendorf mussten wir auf Grund der von der Stadt veränderten Verkehrsströme, wiederum durch eine Baustelle, ebenfalls schließen. Dadurch verloren wir abermals viele Kunden und hatten zudem wieder umsonst investiert“, sagt er.

Dennoch steht und fällt in einer Bäckerei auch alles mit kompetentem Personal. „Wir haben insgesamt 40 Lehrlinge zu leistungsfähigen Handwerkern ausgebildet. Heute hingegen findet man kaum noch gute Mitarbeiter“, stellt der Meister fest.

Und er muss es wissen: Denn immerhin war er stellvertretender Obermeister, Lehrlingswart und Vorsitzender der Prüfungskommission. Die Bäckereiinnung Nordhausen initiierte Anfang der 90-er Jahre ein Backkabinett in der Berufsschule (Straße der Genossenschaften), also eine kleine Bäckerei für die überbetriebliche Lehrlingsausbildung.

Doch all das hätte er gewiss nicht erreichen und bewegen können, wenn ihn seine Ehefrau Helga nicht im Geschäft den Rücken freigehalten hätte: Als junge Industriekauffrau kam sie an der Seite von Jürgen Hoffmann im Jahre 1957 zur Bäckerei in der Stolberger Straße. Nach der Geburt ihres Sohnes Harald (1958) blieb sie ein Jahr zu Hause. Dann wurde sie bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand am 01.04.2006 zum Aushängeschild der Bäckerei Denn ihren Mann bekamen die Kunden so gut wie nie zu sehen.

Jürgen Hoffmanns Großvater Emil Hoffmann hatte das große Glück, erleben zu dürfen, dass einer seiner größten Wünsche in Erfüllung ging: Dass die Bäckerei von seinem Enkel weitergeführt wird. Er starb am 15.09.1971.

Harald Hoffmann erlernte ursprünglich den Beruf eines Zerspanens, schulte jedoch nach 1990 drei Jahre in Osterode auf den Bäckerberuf um. Er führt das Geschäft heute mit seiner Frau Annekatrin, die für den Verkauf zuständig ist. Ihnen zur Seite stehen ihr Sohn, Bäckermeister Holger Hoffmann, zwei Halbtagskräfte sowie eine Konditorin in der Backstube.

Während die ganz große Leidenschaft Jürgen Hoffmanns seit Jahrzehnten die Jagd ist, lässt es seine Frau mit Handarbeiten etwas friedlicher angehen. Jürgen Hoffman sieht sich immer noch durch und durch als Handwerker. Das hat er trotz der vielen technischen Änderungen einfach im Blut. Da kann er über den Besuch bei einem westdeutschen Bäcker in Emmerich kurz nach der Wende auch heute nur schmunzeln: „Der hatte x Filialen und alles war vom Feinsten. Über seinen PC konnte er genau sehen, wie viele Waren in jeder seiner Filialen noch vorrätig waren. Aber am Ende hatte er sich wohl übernommen und ging pleite“, sagt er.

In seiner Ausgabe 1/1991 schrieb die Zeitschrift „Der Spiegel“ über die Nordhäuser Bäckerei und stellte ihre Entwicklung jener einer westdeutschen Bäckerei gegenüber. Das Resümee der eigenen Geschichte fällt für Jürgen Hoffmann ernüchternd aus: „Erst kamen die Amerikaner mit ihren Panzern, dann die Russen mit Planwagen, aber 1990 kamen die Geier“, sagt er.

Die Bäckerei Hoffmann indes feierte am 1. April 2011 ihren 100. Geburtstag in der Stolberger Straße 53. Dort also, wo eine schöne, aber auch dramatische Nordhäuser Handwerkergeschichte begann.

Das Buch wird von Helmut Peter von der Autohaus Peter GmbH und vom Maler und Grafiker Klaus-Dieter Kerwitz (mit Grafiken) großzügig unterstützt.
Autor: nnz

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