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Fr, 09:49 Uhr
28.02.2020
nnz-Forum:

Gipsabbau und kein Ende - der Selbstbetrug geht weiter

Ein neuer Steinbruch am Kuhberg, ein abbaufreundlicher Regionalplanentwurf und nun noch ein Strategiepapier der Gipswirtschaft. - Wie ist der Widerspruch zu den angeblichen Bestrebungen zur Erhaltung unserer Landschaft zu erklären? Einige Anmerkungen von nnz-Leser Bodo Schwarzberg im Forum dieser Zeitung...

Schützenswert (Foto: B. Schwarzberg) Schützenswert (Foto: B. Schwarzberg) Parallel zu den Bestrebungen gegen den Gipsabbau geht das Artensterben auch in unserer Region ungehindert weiter - wenn keine aktiven Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. Die über Gips siedelnde, in Thüringen extrem seltene, deutschlandweit stark zurückgehende und vom Aussterben bedrohte Zimt-Rose (Rosa majalis) beispielsweise kann an ihrem einzigen Wuchsort im Landkreis Nordhausen nur noch durch unterstützende Maßnahmen überleben.

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Wer auf die Politik setzt um unsere Landschaft zu retten, ist verraten und verkauft. Unter Rot Rot Grün begann die erste Neuverritzung unserer europaweit einmaligen Gipskarstlandschaft.

Sie alle waren hier und haben von unserer Landschaft geschwärmt. Althaus, Lieberknecht und Siegesmund sowieso. Auch Ramelow schwebte einst ein und hat auch über alles und jeden etwas Nettes gesagt; natürlich zur Beruhigung der grünen Gemüter, wie jener der Gipsindustrie, die Angst um ihre Profite hat.

Der Anachronismus kann also kaum größer sein: Während die Parteifunktionäre fast jedweder Couloir sich in Sprechblasen zur Erhaltung unserer Landschaft und damit auch eines wichtigen Stückes unserer Identität ergehen, verhindern sie das Gegenteil nicht: Seit Jahren zerreißt der Knauf-Steinbruch ungehindert den Alten Stolberg, der Steinbruch Rüsselsee wächst, es gibt besagte Neuverritzung am Kuhberg und der Steinbruch Kohnstein erstrahlt wie eh und je im steinernen Weiß. Neue Steinbrüche drohen am Winkelberg im Herz der Rüdigsdorfer Schweiz und im Naturschutzgebiet Harzfelder Holz.

Und, glaubt man dem jüngsten Strategiepapier der Gipswirtschaft, wäre all das nur ein ganz kleiner Anfang. Und wenn dies nicht schon genügen würde, steht ein Regionalplan zur Diskussion (in die Öffentlichkeit gebracht übrigens unter Rot Rot Grün), der ganz ungeniert noch einmal Dutzende Hektar als Vorrangebiete für den Rohstoffabbau vorsieht.

Wie ist das zu erklären? Das geht nur mit Selbstbetrug. Und zwar auf allen Seiten: Denn zum einen dürfte es noch nie vorgekommen sein, dass ein Wirtschaftszweig der Bauindustrie aus ökologischen Gründen am Wachstum gehindert worden wäre. Uneingeschränktes Wachstum ist die Religion des Kapitalismus, der überwiegende Wunsch der hiesigen Bewohner nach Schutz ihrer Heimat hat dahinter ebenso zurückzustehen, wie der lästige Naturschutz. Die auch vom Gipsabbau in unserer Region mit angetriebene sechste Aussterbewelle und der Klimawandel, die Zerstörung der Böden – und des Vertrauens der Bevölkerung in die von ihnen gewählten so genannten Volksvertreter sind sekundär. Aber das wissen wir ja nicht erst seit heute.

Weil dies ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin oder aber eine grüne Umweltministerin nicht zugeben können, winden sie sich, wie es eben nur Politiker aus dem FF beherrschen. Schließlich ist Öko in aller Munde, Öko entspricht dem main stream, da muss man schon mithalten und immermal ein paar Worte über den unglaublichen Wert unserer Landschaft verlieren.

Dabei können sich die Politiker aber auch auf den Selbstbetrug vieler Wähler stützen, die zwar immer mehr grün wählen, aber, so zeigen Umfragen, kaum selbst bereit sind, ihren Wohlstand einzuschränken, zumindest sobald diese Einschränkung spürbar wird. Kaum ein Konsumbereich ist zu finden, in dem es sinkende Verkaufszahlen gibt.

Darauf kann die Wirtschaft beruhigt bauen. Ein grünes, aber auch ein schlechtes Gewissen führt daher oftmals zum grün Wählen, aber nicht wirklich zum Verzicht, wie Umfragen belegen. Bekanntlich haben gerade die Grünen ein oft im gut verdienenden Mittelstand angesiedeltes Wählerklientel. Und Hand aufs Herz: Haben die Grünwähler etwa keine mit Gips eingegipsten Dübel in ihren Wänden? Verzichten sie tatsächlich aus ökologischen Gründen auf eine Fernreise? Umfragen zeigen immer wieder: überwiegend Nein.

Der Fachbegriff hierfür ist kognitive Dissonanz, auch Verdrängen oder Gewissensberuhigung genannt.

Bei der Demo in Harzungen warnten Umweltschützer von einer Steinbruchlandschaft, die in ferner Zukunft von Harzungen bis Rüdigsdorf reichen könnte. Das Problem ist die ferne Zukunft dieses Szenarios und unser fehlendes sich vorstellen Wollen eines solchen Desasters. Denn wenn das Abgrabungsgebiet bereits im kommenden Jahr seine Endgröße von 48 Hektar einnehmen würde, wären nicht 70, sondern gewiss tausende Menschen zum Kuhberg gewandert, und das mit bundesweiter Teilnehmerschaft.

Für viele unter uns ist eine solche Vorstellung einfach viel zu weit weg, sie ist zu unglaubhaft, zu schlimm, mancher sagt sich, 'das erlebe ich sowieso nicht mehr' oder 'verhindern kann ich es eh nicht' u.s.w. u.s.w.

Die von Ohnmachtsgefühlen genährte Verdrängung ist allgegenwärtig, wodurch sich der gordische Knoten nicht wirklich lösen lässt. Anzunehmen, der aus der Rauchgasentschwefelung bald fehlende Gips ist durch Recyclinggips oder neue Baustoffklassen zum Teil zu ersetzen, ist schon deshalb unlogisch und Teil der Verdrängung, weil der Gips- bzw. Baustoffbedarf, dem Wachstumsmantra geschuldet, allgemein immer weiter ansteigt. Selbst im günstigsten Fall wird also auch der Naturgipsbedarf zunehmen. Und zugleich der Bedarf potenzieller neuer Baustoffe, die jedoch auch irgendwie und irgendwo der Bios- oder Geosphäre entnommen und damit unter Umständen Kreisläufen mit recht wahrscheinlich negativen ökologischen Folgen entzogen werden müssen. Bisherige Entwicklungen zeigen leider kaum etwas anderes. - Trotz politischer Willensbekundungen einer angeblich angestrebten Einheit von Ökonomie und Ökologie.

Eindrucksvoll und beklemmend beschreibt diese Sachverhalte der britische Autor und Professor Stephen Emmott in seinem Weltbestseller „10 Milliarden“.

Nur ein Neudenken, eine Umstellung der Bauwirtschaft nach rein ökologischen Kriterien und noch davor vor allem eine Neudefinition von Wachstum und Wohlstand könnten helfen. Vor allem aber ein Ende von unser aller Verdrängung.

Und noch etwas: Während demonstriert wird, teure Rechtsgutachten verfasst und Tonnen von Papier in Schubladen verschwinden oder hin- und hergeschoben werden, stirbt Stück für Stück die uns umgebende Biodiversität durch eine Vielzahl anderer menschbeeinflusster biotischer und abiotischer Faktoren. Darauf zu hoffen, dass eines schönen Tages in hundert oder zweihundert Jahren keine neuen Steinbrüche mehr angelegt werden, reicht beileibe nicht, um unsere Landschaft und ihr Inventar zu erhalten.

Das Arteninventar unserer Naturschutzgebiete muss parallel zu diesen langwierigen und nicht zwangsläufig von Erfolg gekrönten gegen den Gipsabbau gerichteten Bemühungen aktiv durch ein geeignetes Paket verschiedener Maßnahmen zum unmittelbaren Artenschutz erhalten und gefördert werden. Denn die Naturschutzgebiete haben noch die größte Chance, den Gelüsten der Gipswirtschaft zu entgehen.

Die Arten und ihre Wuchsorte verschwinden oft lange, bevor die Gipsindustrie auch nur einen Stein umgedreht hat, wenn wir uns zu einseitig fokussieren oder weiterhin zu wenig tun.

Und im Vergleich zum globalen Klimawandel und dessen Auswirkungen ist der Gipsabbau, so hart wie das auch klingen mag, ein zu vernachlässigendes, regionales Problem.

Doch für unsere Region steht fest: Das in ihrem Strategiepapier gezeigte Bestreben der Gipsindustrie die bestehenden Schutzgebietssysteme und das ihnen zugrundeliegende Recht auszuhebeln ist ein Angriff auf unsere hiesigen Lebensgrundlagen, unsere Identität sowie auf nationale und internationale Bemühungen zur Erhaltung der Biodiversität.
Bodo Schwarzberg
Autor: red

Anmerkung der Redaktion:
Die im Forum dargestellten Äußerungen und Meinungen sind nicht unbedingt mit denen der Redaktion identisch. Für den Inhalt ist der Verfasser verantwortlich. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
Kommentare
Leser X
28.02.2020, 11.30 Uhr
Der Beitrag wurde deaktiviert – Anm. d. Red.: Gehört nicht zum Thema
Envites
28.02.2020, 12.21 Uhr
Aber ex MP Ramelow will erforschen
Aber Mr. Ramelow hat von Forschung geschwärmt Gips Recycling in Nordhausen. Mit Lehm oder Holz usw.. Da wird die Gips Industrie begeistert sein... Die Neuverritzen. Ist nicht mehr zu ändern. Die Linke zeigt was die pragmatisch können. Besser als...
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