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Fr, 18:00 Uhr
06.12.2019
Heringer Schloss macht die Steinzeit erlebbar

Arbeiten wie die ersten Bauern

Das Brötchen kommt vom Bäcker, das Werkzeug aus dem Baumarkt, der dicke Winterpulli aus dem Geschäft oder gleich alles per Bote irgendwo aus der weiten, weiten Welt. Das Leben ist für den durchschnittlichen Mitteleuropäer heutzutage ziemlich leicht. Zumindest dann, wenn man es mit dem Leben unserer Vorfahren vergleicht. Im Schloss Heringen ist der Unterschied jetzt ganz praktisch zu erfahren...

Wie man in der Steinzeit gelebt und gearbeitet hat, konnten die Schülerinnen und Schüler der Regelschule Heringen jetzt selber ausprobieren (Foto: Angelo Glashagel) Wie man in der Steinzeit gelebt und gearbeitet hat, konnten die Schülerinnen und Schüler der Regelschule Heringen jetzt selber ausprobieren (Foto: Angelo Glashagel)

Einen Eindruck davon wie es sich vor rund 7.000 Jahren im Südharz lebte und starb gibt seit einem guten halben Jahr das Schlossmuseums in Heringen. Die schick inszenierte Ausstellung zeigt nicht nur zahlreiche Artefakte der ersten "Thüringer" Bauern aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit, sondern setzt manchem vorgeschichtlichen Alltagsgegenstand auch das moderne Äquivalent entgegen.

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Erfahrbar wird die Vergangenheit durch Betrachtung aber nur bedingt. Einige Modelle und Replikate zum anfassen und ausprobieren waren deswegen von Anfang an Teil der Ausstellung, in den letzten Monaten ist man aber noch einen Schritt weiter gegangen.

Zwischen Oktober und November hat das Museumsteam um die Archäologen Mirjana Culibrk und Markus Wehner in enger Zusammenarbeit mit der Interessengemeinschaft des Heringer Schlosses dafür gesorgt, dass ein Teil des uralten Alltags auch praktisch erfahrbar wird.

Zwei Stunden für ein halbes Brötchen

Die ersten die das ausprobieren durften, waren die Schülerinnen und Schüler der Heringer Regelschule. Mit zwei sechsten und drei siebten Klassen wurde Projekttage durchgeführt, bei denen die Jungen und Mädchen selber Hand anlegen mussten.

In fünf Workshops wurde den Techniken der Altvorderen Südharzbewohner nachgespürt, angefangen bei der Ernährung. Heute reicht es in der Regel, ein wenig Kleingeld in der Tasche zu haben, damals brauchte man ausreichend Getreidekörner, einen Reibstein und viel, viel Geduld.

Und die brachten die Schüler mit. "Wir waren sehr überrascht. Eigentlich waren die Workshops so gestaltet, das jeder frei zwischen den Stationen wechseln konnte aber wir hatten einige Kinder dabei, die geschlagene zwei Stunden in aller Ruhe am Mahlstein verbracht haben.", erzählte Lehrerin Katrin Penzler heute. Die Ausbeute freilich war mager: am Ende hatten sich die fleißigen Steinzeit-Müller eine kleine Schüssel voll Mehl erarbeitet, kaum genug für ein Brötchen heutiger Tage.

"Erst wenn man so etwas einmal gemacht hat, begreift man wie lange die Dinge gedauert haben. Wir konnten sehr schön zeigen, wie hart der Alltag der ersten Bauern tatsächlich war", sagt Mirjana Culibrk, die Hausherrin im Museum. Die Aufgaben orientierten sich dabei an dem, was auch in der Ausstellung zu sehen ist.

Mehl zu mahlen war nur eine von vielen Herausforderungen, die uns heute mühsam erscheinen müssen. Ehe man ein Loch in die fragile, kleine Muschel gebohrt hat, die einmal Teil eines neolithischen Schmuckstücks werden soll, vergehen mehrere Minuten. Für ein Element. Das Kunstwerk, das einst die "Dame der Goldenen Aue" zierte, bestand aus 3000 durchbohrten Muschelscheiben (und 498 Hundezähnen). Der außergewöhnliche Fund kann nach so einem Selbstversuch in der Dauerausstellung gleich mit ganz anderen Augen bewundert werden.

Neben der Herstellung von Schmuck und Mehl konnten die Kinder an weiteren Stationen experimentieren und dabei Bronze beschlagen oder simple Lederbeutelchen fertigen, die erst einmal mit der Feuersteinklinge zugeschnitten und dann mit einem "Knochenfriem" durchbohrt werden müssen, einer groben aus Tiergebeinen gefertigten Nadel. Auch hier zeigten die Schülerinnen und Schüler einigen Eifer und brachten einen ledernen Armschutz oder Bekleidung im Miniaturformat zu Stande.

Andere Arbeiten funktionieren heute noch fast genauso wie ehedem. Wer heute das töpfern mit der Hand erlernt, dem werden die gleichen Techniken beigebracht, wie sie schon die ersten Bauern der Goldenen Aue benutzt haben. Auch die Technik aus einem Faden eine Stück Stoff zu weben ist im Kern die gleiche geblieben, nur das man sich die rohe Wolle heute nicht erst vom Schaf holen und daraus einen Faden spinnen muss. Zumindest nicht persönlich.

Die Zukunft der Vergangenheit

Die Ergebnisse der fleißigen Mühen der Heringer Schüler kann man seit heute im frei zugänglichen Erdgeschoss des Museums betrachten. Bis Ende März bleiben die Exponate hier, werden dann durch neue Stücke der nächsten "Generation" ersetzt und die Handwerker der ersten Runde können ihre Werke mit nach Hause nehmen.

Flankiert wird die Werkschau der Schülerexperimente durch eine Multimediapräsentation. Möglich wurde das durch Fördermittel des Bundes in Höhe von insgesamt 100.000 Euro aus dem Programm "LandKultur - Teilhabe im ländlichen Raum". Die Heringer waren mit ihrem Projekt "Steinzeit erleben" nur einer von 1.500 Bewerbern, von denen am Ende 300 bedacht wurden.

Entsprechend Stolz durfte man sich heute in Heringen zeigen. Das Projekt realisiert zu sehen und die Begeisterung der Workshopteilnehmer zu erleben, mache Lust auf mehr, sagte Heringens Bürgermeister Maik Schröter. Und mehr wird es geben. "Steinzeit erleben" ist auf drei Jahre angelegt, mit der Möglichkeit auch darüber hinaus gefördert zu werden. Nach dem ersten Durchlauf mit den Klassenstufen sechs und sieben will man als nächstes die fünften Klassen der Heringer Regelschule ins Museum locken, perspektivisch sollen die Angebote auch für Grundschulen und Kindergärten umgesetzt werden. "Unsere Angebote sind grundsätzlich für alle Schulen der Region offen. Das kann sowohl ein langer Projekttag oder auch ein einzelner Workshop sein", erklärt Museumsleiterin Culibrk. Möglich seien zudem auch Aktivitäten für Kleingruppen, Kindergeburtstage oder für Erwachsene.

Mirjana Culibrk und Dr. Klaus Moser haben mit dem Schlossmuseum noch einiges vor (Foto: Angelo Glashagel) Mirjana Culibrk und Dr. Klaus Moser haben mit dem Schlossmuseum noch einiges vor (Foto: Angelo Glashagel)

Mirjana Culibrk und Dr. Klaus Moser haben mit dem Schlossmuseum noch einiges vor

Im kommenden Frühjahr wird man einen eigenen Steinzeitofen aus Lehm und Weidengeflecht bauen und auch ein funktionierendes Modell eines jungsteinzeitlichen Webstuhls könnte das experimental-archäologische Arsenal in Zukunft ergänzen.

Museal will man in Heringen nicht in der Bronzezeit stehen bleiben, die Pläne für eine Erweiterung der Ausstellung in Richtung Mittelalter liegen schon auf dem Tisch. Ziel sei es das Museum für die Archäologie der Region zu werden, sagte Dr. Klaus Moser von der Interessengemeinschaft Schloss Heringen.

Die nächste Möglichkeit, sich selber einmal im neolithischen Handwerk zu versuchen, bietet sich bereits am Sonntag. Wenn der Heringer Weihnachtsmarkt am Nachmittag auf dem Schlosshof gastiert, wird auch die Experimentierstube im "Milchhaus" ihre Pforten öffnen.
Angelo Glashagel
Autor: red

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