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Fr, 16:30 Uhr
23.08.2019
Ramelow und Gysi zu Gast in Neustadt

Waldwanderung im Wahlkampf

Auf der vorletzten Etappe ihrer Wanderwoche waren Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow und Gregor Gysi zu Gast in Neustadt. Im Wald zwischen Harzstieg und Neustädter Naturbühne sinnierte man über die Tatkraft der Gegenwart, die Zukunft des Tourismus und die Verfehlungen der Wiedervereinigung...

Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel) Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel)

Bodo Ramelow kann eine Anekdote aus seinen frühesten Tagen als Thüringer Ministerpräsident zum Besten geben, eine die mit Neustadt und dessen Bürgermeister Dirk Erfurt zusammenhängt. Der sei der erste gewesen, der bei ihm nach seinem Amtsantritt Protest angemeldet habe. In der Staatskanzlei ging ein Schild aus dem Südharz ein, "Neustadt hat Zukunft", stand darauf zu lesen. Herr Erfurt stieß sich am Verhalten der Behörden, keiner fühlte sich für die Sorgen des kleinen Ortes zuständig, man zerstöre so die Zukunft Neustadts. Das Schild, erzählt Ramelow, habe er so lange in seinem Büro behalten, bis das Problem gelöst war, mit Hilfe eines runden Tisches und der Ministerin Birgit Keller.

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Damals, resümiert Ramelow, sei Erfurt nicht gut auf ihn zu sprechen gewesen, heute zeige er stolz, was sich in Neustadt getan habe. In die Arbeiten am Schloss komme Schwung und das Areal dahinter habe sich aber prächtig entwickelt. Neustadt und der Tourismus im Südharz sind auf dem richtigen Weg, meint der Ministerpräsident.

Im Ort wird ihm da sicher nicht jeder zustimmen, Gaststätten und Hotels haben zu kämpfen, der Einzelhandel ist so gut wie verschwunden. Trügt der Schein? Nicht unbedingt, meint Gregor Gysi, inzwischen Präsident der europäischen Linken und der "elder statesman" in Ramelows Partei. Die Menschen würden vor allem das wahrnehmen, was ihnen fehlt, nicht das was sie haben, meint Gysi, dass sei heute genauso wie zu DDR-Zeiten. "Wenn man die Leute fragt sagen Ihnen 70% das es ihnen gut geht. Wenn man fragt was sie glauben wie es ihren Mitbürgern geht, sagen 70% das es ihnen schlecht geht. Es gibt da sehr unterschiedliche Wahrnehmungen. Auch deswegen sind wir wandern gegangen, um die schönen Seiten und die Entwicklung zu zeigen die das Land genommen hat."

Und um Wahlkampf zu machen, auch wenn man sich diesen Teil bis zum Ende der Wanderung aufheben würde. Angefangen hatte man vor einer guten Woche im Osten des Freistaates, im Höllental. Hier geht es um eine Zugverbindung, die 300 Lkw-Ladungen pro Tag auf die Schiene bringen könne, die aber von bayerischer Seite blockiert werde, erzählt Ramelow, ein Thema das Gysi mit nach Berlin nehmen will. "Solche Besuche bleiben nicht ohne Konsequenzen", versichert er. Weiter ging es zu gebeutelten Bergleuten, in Regionen die in der Entwicklung hinterherhinken und schließlich auch in den Südharz. Morgen wird man in Bischofferode erwartet.

Drei Kardinalfehler der Wiedervereinigung

Bodo Ramelow kennt man hier gut. Der Politiker hat sich schon vor Amtsantritt mit den Verfehlungen der Treuhandpolitik insbesondere in Bischofferode auseinandergesetzt. Das Gefühl des Tiefs, die Wahrnehmungsverschiebung von der Gysi spricht, rühre auch aus dem emotionalen Bruch der Wiedervereinigung her, "soziologisch ist dieser Teil der Geschichte noch nicht überwunden", sagt Ramelow.

Gregor Gysi (links): Bei der Wiedervereinigung wurden drei große Fehler gemacht (Foto: Angelo Glashagel) Gregor Gysi (links): Bei der Wiedervereinigung wurden drei große Fehler gemacht (Foto: Angelo Glashagel) Gregor Gysi pflichtet bei, es gebe drei generelle Punkte, die bei der Wiedervereinigung schief gelaufen sind. Erstens: Man habe zwei Bevölkerungen zusammengeführt aber nichts an der Symbolik des Landes geändert. "Im Grunde hat man gesagt: das ihr jetzt zu uns dazu kommt, das ändert für uns gar nichts. Und das hinterlässt psychische Spuren bis heute." Punkt zwei: Die Arroganz des Siegers. In der BRD habe man das Gute, was in der DDR gab, nicht aufgenommen, etwa in Bezug auf die Stellung der Frau, die Berufsausbildung oder das Gesundheitswesen. "Das wurde geradeheraus abgelehnt und man hat nicht gemerkt, das man eine Bevölkerung damit demütigt. Hätte man sechs Dinge genommen, in denen die DDR besser aufgestellt war als die BRD und hätte sie übernommen, wäre der Übergang für den Osten leichter gefallen und der Lebensstandard im Westen sogar noch gestiegen. So nörgeln die Leute das die Wiedervereinigung nur Geld gekostet hat und fangen an komisch zu wählen", sagt Gysi. Punkt drei: die Treuhand. Es hätte auch andere Wege gegeben, um mit den Betrieben der DDR umzugehen, Wege die Zeit geschaffen hätten, sich den neuen Bedingungen anzupassen, etwa über staatliche Subventionen. "Den Vorschlag haben wir damals als PDS gemacht aber weil er von uns kam, wollte das keiner hören. In der Bankenkrise hat man dann genau das gemacht, Kurzarbeit gefördert und die Firmen stabilisiert."

Die Folgen wie das Erstarken der AfD sehe man jetzt, wobei Gysi dem auch Gutes abgewinnen kann. Eine "Ostdiskussion", wie man sie jetzt in Berlin führe, habe es seit Jahren nicht gegeben.

Womit man bei der Frage wäre, wie man aus dem "Tief" herauskommt. "Positiv weiterarbeiten", meint Ramelow, Nordhausen sei ein gutes Beispiel, was man alles auf die Beine gestellt habe in den letzten Jahren, auch Dank des tatkräftigen Einsatzes von Birgit Keller. "Da ist der AKS, das Theater und die Feuerwehr, hier passiert eine ganze Menge und wir haben das unabhängig vom lokalen Streit immer unterstützt". Auch ein Ort wie Neustadt habe Potentiale, meint der Ministerpräsident und führt als Beispiel den kleinen Ort Vesser an. Der hat nur 130 Einwohner aber drei Kneipen, die gut laufen weil man mitten im Biosphärenreservat liegt und vom Tourismus lebt. Der Erfolg hänge auch von Menschen ab, die zupacken, wie Bürgermeister Erfurt und Dr. Haas, die sich um den Orstkern kümmern oder die Mitglieder des Harzklub-Zweigvereins Osterode-Neustadt, die mit jeder Menge eigener Kraft und ein wenig Unterstützung viel geschaffen haben.

Den Schritt vom Kleinen zum Großen macht Gysi. Die Anerkennung der Lebensleistung in Form der Rente könne vom Bund nicht länger verschoben werden. Gleiches gelte für die Löhne. "Thüringen steht in der Produktivität und bei den Arbeitsplätzen gut da aber hier wird im Schnitt 30% weniger Lohn gezahlt. Das geht einfach nicht mehr.", sagt der Linke. Außerdem brauche es Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung und Kultur, wie man sie früher gehabt habe. Man habe mit der Wiedervereinigung an Demokratie und Freiheit gewonnen, eine feste Währung und ein größeres Angebot an Waren und Dienstleistungen. Aber man habe auch vieles verloren, so Gysi. "Als ich mir bei meinem ersten Besuch im Westen die Mona Lisa im Louvre angesehen habe, war ich nach Bahnticket und Eintritt fast Pleite. Wenn ich mir in Dresden die alten Meister ansehen wollte, hat mich das fast nichts gekostet. Das Kind einer Hartz IV Empfängerin wird sich heute Beethovens 9. nie im Original ansehen können. Das ist eine soziale Trennung, die wir so nicht gekannt haben." Auch auf dem Land bräuchte es wieder mehr Kultur, mehr Gemeinschaft. Er kenne Leute, denen es gut gehe, die aber Kneipe, Konsum und die Feiern bei der LPG vermissten - mit einem Wort: Gemeinschaft.

Den gemütlichen Teil der mehrstündigen Wanderung hat man da schon hinter sich gelassen. Gysi und Ramelow machen zum Abschluss noch einmal richtig Wahlkampf. Der Ministerpräsident spricht über Rot-Rot-Grün, Rente, Bildung und Löhne, Gysi über die große Weltpolitik, über Trump, nationale Egoismen die man selber heraufbeschworen hat, Entsolidarisierung und Zweckoptimismus.

Den wird man sich auch erhalten müssen, wenn einen die politische Realität wieder hat. Glaubt man den Umfragen, dürfte das regieren, bei aller soziologischen Analyse, nach den Wahlen nicht leichter werden, egal wer dann am Ruder ist.
Angelo Glashagel
Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel)
Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel)
Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel)
Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel)
Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel)
Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel)
Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel)
Gregor Gysi und Bodo Ramelow waren heute zu Gast in Neustadt (Foto: Angelo Glashagel)
Autor: red

Kommentare
Berserkertom63
23.08.2019, 22.04 Uhr
Der Beitrag wurde deaktiviert – Gehört nicht zum Thema des Beitrages
-Insider-
24.08.2019, 10.31 Uhr
Ähm
Vielleicht habe ich ja was verpasst, aber was ist konkret Stand heute denn im AKS und mit dem Theater sowie der Feuerwehr passiert?

Auf Grund nicht zurechnungsfähiger Kleinstadtpolitiker, die sich mit ihren seelischen und moralischen Unzulänglichkeiten im Dauerkrieg befinden, wurden hunderttausende Euro in Planung und Umplanung gesteckt, aber nicht 1 Stein bewegt.

Insofern ist es natürlich traurig, wenn gerade das für die positive Entwicklung im Kreis Nordhausen stehen soll.
harzwj
24.08.2019, 10.40 Uhr
Die Gemeinde Harztor ist...
mit ihren Ortschaften eben eine sehr dynamische und lebenswerte Region im Südharz. Da bewegt sich was im Interesse ihrer Einwohner und Besucher. In diesem Sinn scheinen Besuche "von Oben" fördernd zu sein, wenn die Bewohner dies auch so empfinden. Erstaunlich für mich als Ilfelder/Sophienhofer ist immer wieder worauf der Focus derer gelegt wird, die in "gewissen Zeiten" unsere Region besuchen. Betrachtet man die genannte Dynamik sollte man nun endlich mal unterscheiden, wo Dynamik mit primär öffentlichen Mitteln, oder durch Privatengagement erreicht wird. Und hier komme ich auf Sophienhof zu sprechen. Als ehemaliger Ortsteilbürgermeister nehme ich für mich und die ehemaligen Ortschaftsratsmitglieder, die Mitglieder der FFW und des Förderverein Sophienhof e.V. in Anspruch, eine Wertung zur Entwicklung des am nördlichsten und am höchsten gelegenen "Bergdörfchen" im Freistaat Thüringens vornehmen zu können. Auch, wenn das manchem Betrachter nicht gefällt. Die Entwicklung des Tourismus in Sophienhof hat sich auf Grund des Engagements von ortsansässigen Unternehmern ausserordentlich gut entwickelt. In der Gesamt-Dynamik anders als Neustadt. (Übernachtungsstatistiken belegen das)Selbst Neustädter sagen, bei euch in Sophienhof ist am Wochenende richtig was los! In 2017 bestätigte Fürst Stollberg/ Wernigerode anläßlich der 300 Jahrfeier der Namensgebung "Sophienhof" diese Wertung. Auch Ministerin Keller unterstrich die Anerkennung der Leistung der Bürgerinnen und Bürger.
Bei aller positiven Betrachtung der sichtbaren Entwicklung von Sophienhof, als "Teil" von Ilfeld und Harztor gibt es Reserven. Eine ist die Unterstützung aus Erfurt dem "Flecken-Sophienhof" nun endlich ein schnelles Internet zu verschaffen. Hier lebt man derzeit im "digitalen Mittelalter". Das ist absolut kontraproduktiv für die am Ort vorhandenen Unternehmen und die Bürger. Ein jüngstes Argument aus dem Wirtschaftsministerieum, momentan wären die Erdarbeiten zum Verlegen eines Erdkabels ein Problem, geht an der Sache vorbei, da Rothesütte bis zum Ortseingang aus Richtung Netzkater über ein Freileitungskabel mit einem schnellen Internet versorgt wird. Warum nicht auch Sophienhof? Förderung des ländlichen Raum sollte aus Erfurt auch für Sophienhof gelten. Vielleicht ist es im Programm von Besuchen aus Erfurt/Berlin in der Region des Südharzes auch mal möglich sich von der Dynamik der Entwicklung von Sophienhof zu überzeugen. Auch hier gibt es Rundwege durch den Wald, wo man sich von der Schönheit der umgebenden Natur überzeugen kann.
Hier gibt es zwar keinen Golfplatz, jedoch laden ortsansässige Erlebnisbereiche zum Verweilen ein.
W. Jörgens
Andreas Dittmar
24.08.2019, 14.14 Uhr
Super Kommentar Herr Jörgens
Ihrem Kommentar kann ich nur vollste Zustimmung geben. Wer ihnen da den Daumen runter verpasst hat, wird wohl keine Argumente dafür haben, sonst hätte er sich geäussert.

Mein letzter Besuch im Braunen Hirsch war wirklich ein schönes Erlebnis. Ihr tut da sehr viel für den Tourismus. Leider scheint euch der Tourismusverband noch gar nicht wahr zu nehmen. Solche Perlen, wie Sophienhof gehören dort eigentlich in den Focus gerückt, gerade wenn man Wandern und Radfahren bewerben will.

Zum Breitband hatte ich heute morgen unter den Artikel über Rodishain etwas geschrieben. Digitale Kommunikation ist Grundlage von Werbung, Buchungssystemen und Touristeninformationen. Wlan-Hotspots gehören zur Standartausrüstung vieler Hotels. Gewerbe ohne Internetanbindung ist kaum noch denkbar. Dorfgemeinschaftshäuser sollen ja auch noch versorgt werden. Allein die Aktualisierung aktueller Betriebssysteme setzt einen leistungsfähigen Internetzugang vorraus.

Bei meinem Besuch im Braunen Hirsch ist mir auch der rudimentäre Kabelverzweiger aufgefallen. Das Kabel kommt vom Netzkater. Über 6,5 km 0,6'er Luftkabel kommen noch nicht mal 384 kbit/s über DSL an, um zB. Hybrid zu realisieren. LTE scheint auch nicht die gesamte Ortslage abzudecken. Da ist der CS-Funk mit Volumenbegrenzung oder die Analogflat für 80 Euro Standard. Respekt, dass Hotels trotz dieser Vorraussetzungen dort so gut laufen.

Probleme mit den Erdarbeiten sind aus meiner Sicht aus der Luft gegriffen. 5 km Kabel zwischen Rothesütte und Sophienhof einzugraben ist sportlich.

Es spricht nichts dagegen, Glasfaserkabel an die bestehende Mastlinie, welche vom Netzkater kommt dazu zu hängen oder prüfen, ob das Kabel, welches auf der selben Trasse zum Unterberg (das ist auch Glasfaser) geht, noch nutzbare Reserven vorhanden sind. Dann muss man nur 2 km neu auf die Masten hängen. Auch Richtfunk ist möglich. Diese Technik nutzt man, um Nordseeinseln und Halligen aber auch schwer erreichbare Standorte im Hochgebirge mit Mobilfunk und Breitband zu versorgen. Diese schaffen auch Datenraten im Gigabit-Bereich.

Mit 400 Mio. Euro will Tiefensee bis 2025 alle Thüringer Haushalte mit mindestens 30 Mbit/s an das Glasfasernetz anschließen. Die Priorität muss aus meiner Sicht vor allem auf die unterversorgten Gebiete gesetzt werden und nicht auf das aufbohren vorhandener 50 Mbit/s Anschlüsse nur weil das technisch einfacher realisierbar ist. Geld kostet das auch aber es sollte nicht vorrangig aus den Fördertöpfen entnommen werden.

In Ballungsgebieten sind 100 Mbit/s Standard. Mit Supervectoring lässt sich das auf 250 Mbit/s aufbohren. Kabelkunden sind bereits mit 500 Mbit/s unterwegs.
Wir trennen das Handy vom WLAN-Router, tricksen den PC aus, damit er nicht permanent Updates lädt nur um Internetseiten zu öffnen und Mails zu versenden. Von Youtube will ich lieber gar nicht reden.
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