Di, 07:00 Uhr
19.06.2018
Zirkusgeschichte im Zappelini-Zelt
Das Hakenkreuz in der Manege
Das der Zirkus in Deutschland keine anerkannte Kunstform ist, das hat sich auch in seiner historischen Betrachtung niedergeschlagen. Die großen Zirkusfamilien halten ihre Archive geschlossen, gerade wenn es um die Jahre geht, die mancher nur allzugern vergessen machen würde. Eine kleine Gruppe Künstler hat sich der Thematik angenommen und aus dem spärlichen Material eine Ausstellung samt artistischer Lesung geschaffen...
Kopfüber hängt sie am Trapez, die Gliedmaßen wie vom Schmerz verzerrt von sich gereckt. Es ist ein Bild, ein Moment, wie es vielen gibt in diesem Stück, dessen Körpersprache fast so laut spricht, wie die Worte der Irene Bento.
Die junge Künstlerin erlebt in den 1930er Jahren am eigenen Leib wie die Nationalsozialisten ihrer Rhetorik vom gefährlichen, vom "stinkenden Juden" Taten folgen lässt. Der ideologische Furor vom reinen, arischen Volk erreicht auch bald die Zirkusmanegen des Landes, die Irene so liebt. Mit 13 Jahren beginnt sie ihre Ausbildung zur Artistin. "Neger, Zwerge und Krüppel", "artfremde Musik von Juden oder Negern oder solche die sie nachahmt" und natürlich die Juden selbst sind da unter dem Zirkusdach schon nicht mehr erlaubt. Das Hakenkreuz hat Einzug gehalten im Zirkuszelt, die "Volkskunst" soll dem deutschen Volk auch rein "deutsche" Kultur zeigen. So wie sie die Nazis verstanden haben möchten.
Irene kann ihrem Traum dennoch folgen, im Zirkus von Adolf und Maria Althoff findet sie eine Zuflucht. Wenn die SS zur Durchsuchung anrückt, muss sie sich verstecken, die Direktorenfamilie und das Ensemble decken sie. Anfang der der 40er Jahre verliebt sich die junge Frau, wird schließlich schwanger und muss in die Stadt ihrer Kindheit zurückkehren. Als Irene Hochschwanger ins Krankenhaus kommt fällt die Tarnung, der Bürgermeister des Ortes identifiziert sie als Jüdin, ihren Kaiserschnitt muss sie ohne Betäubung überstehen, die Medikamente werden für die Menschen gebraucht, die den Nazis mehr Wert sind als der Rest.
Den Erlebnissen und Gefühlen der Irene Bento versucht die Gruppe "CiNs", kurz für "Circus im Nationalsozialismus", mit ihren Mitteln Ausdruck zu verleihen. Mit Show-Elementen, wie sie auch Irene genutzt hätte, baut das Künstlerkollektiv eine Art artistischer Lesung auf, die Wort und Bild sprechen lässt. Starr vor Schmerz hängt die Artistin in den Seilen, wird von der Deportation der Großeltern gesprochen rollt das Feuer in der Dunkelheit über die Haut eines Ensemblemitglieds, kommt die Gestapo bleibt keine Zeit mehr für Liebesglück.
Irene überlebt die Tortur und den Krieg, ihre Familie hat weniger Glück. Dennoch feiert die Zirkustruppe, zu der Irene schließlich zurückkehrt, am 8. Mai 1945 ausgelassen. Später wird sie sagen es war der glücklichste Moment ihres Lebens. Auch das zeigt man artistisch. Ihr Stück könne zwar immer nur eine Annäherung an das sein was war, für die Gräuel der Nazijahre gebe es keine Worte oder Darstellungen die dem gerecht würden, dennoch soll das Werk der Gruppe einen Beitrag zu einer Erinnerungskultur, die bald ohne Zeitzeugen auskommen müsse, erklären die Künstler.
Die Biographie "Der Clown und der Zirkusreiterin" gehört dabei zu den wenigen greifbaren Geschichten, die es zur Naziherrschaft aus Zirkusperspektive gibt. Im Vorfeld habe man viel recherchiert und wenig gefunden, erklärt Ines Rosemann. "Der Zirkus hat in Deutschland keine Stimme, die gehört wird", sagt die Künstlerin, Entschädigungen für erlittenes Leid gab es keine, selbst enteignete Grundstücke seien nicht zurückgegeben worden, wie viele Artisten Opfer der Nazis wurden weiß man nicht.
Manch Zirkus, etwa der Zirkus Krone, sei mit den Nazis groß geworden und habe man nach dem Krieg dort anknüpfen können wo man aufgehört hatte. Der Wille zur Aufklärung ist 70 Jahre danach gering, den Künstlern mit den Fragen zur Vergangenheit wollten die großen Zirkusbetriebe ihre Archive nicht öffnen. Die einzige Unterstützung Abseits der Nachkommen von Irene Bento fand das Kollektiv bei dem Pressesprecher des DDR-Zirkus, der Material beisteuern konnte.
Aus Irenes Geschichte und dem was sie zur Entwicklung des Zirkus unter den Nationalsozialisten zusammentragen konnten, haben sie nicht nur ein Stück, sondern auch eine Ausstellung gemacht. Beides war am vergangenen Wochenende im Zappelini-Zelt am Altentor zu sehen. Am Vormittag konnten die Zappelinis Schüler und Studenten begrüßen, am Abend wurde die Inszenierung noch einmal vor erwachsenen Publikum aufgeführt. Inzwischen ist die Ausstellung "Circus. Freiheit. Gleichschaltung." umgezogen und wird in den nächsten Wochen in der Stadbibliothek zu sehen sein.
Angelo Glashagel
Autor: redKopfüber hängt sie am Trapez, die Gliedmaßen wie vom Schmerz verzerrt von sich gereckt. Es ist ein Bild, ein Moment, wie es vielen gibt in diesem Stück, dessen Körpersprache fast so laut spricht, wie die Worte der Irene Bento.
Die junge Künstlerin erlebt in den 1930er Jahren am eigenen Leib wie die Nationalsozialisten ihrer Rhetorik vom gefährlichen, vom "stinkenden Juden" Taten folgen lässt. Der ideologische Furor vom reinen, arischen Volk erreicht auch bald die Zirkusmanegen des Landes, die Irene so liebt. Mit 13 Jahren beginnt sie ihre Ausbildung zur Artistin. "Neger, Zwerge und Krüppel", "artfremde Musik von Juden oder Negern oder solche die sie nachahmt" und natürlich die Juden selbst sind da unter dem Zirkusdach schon nicht mehr erlaubt. Das Hakenkreuz hat Einzug gehalten im Zirkuszelt, die "Volkskunst" soll dem deutschen Volk auch rein "deutsche" Kultur zeigen. So wie sie die Nazis verstanden haben möchten.
Irene kann ihrem Traum dennoch folgen, im Zirkus von Adolf und Maria Althoff findet sie eine Zuflucht. Wenn die SS zur Durchsuchung anrückt, muss sie sich verstecken, die Direktorenfamilie und das Ensemble decken sie. Anfang der der 40er Jahre verliebt sich die junge Frau, wird schließlich schwanger und muss in die Stadt ihrer Kindheit zurückkehren. Als Irene Hochschwanger ins Krankenhaus kommt fällt die Tarnung, der Bürgermeister des Ortes identifiziert sie als Jüdin, ihren Kaiserschnitt muss sie ohne Betäubung überstehen, die Medikamente werden für die Menschen gebraucht, die den Nazis mehr Wert sind als der Rest.
Den Erlebnissen und Gefühlen der Irene Bento versucht die Gruppe "CiNs", kurz für "Circus im Nationalsozialismus", mit ihren Mitteln Ausdruck zu verleihen. Mit Show-Elementen, wie sie auch Irene genutzt hätte, baut das Künstlerkollektiv eine Art artistischer Lesung auf, die Wort und Bild sprechen lässt. Starr vor Schmerz hängt die Artistin in den Seilen, wird von der Deportation der Großeltern gesprochen rollt das Feuer in der Dunkelheit über die Haut eines Ensemblemitglieds, kommt die Gestapo bleibt keine Zeit mehr für Liebesglück.
Irene überlebt die Tortur und den Krieg, ihre Familie hat weniger Glück. Dennoch feiert die Zirkustruppe, zu der Irene schließlich zurückkehrt, am 8. Mai 1945 ausgelassen. Später wird sie sagen es war der glücklichste Moment ihres Lebens. Auch das zeigt man artistisch. Ihr Stück könne zwar immer nur eine Annäherung an das sein was war, für die Gräuel der Nazijahre gebe es keine Worte oder Darstellungen die dem gerecht würden, dennoch soll das Werk der Gruppe einen Beitrag zu einer Erinnerungskultur, die bald ohne Zeitzeugen auskommen müsse, erklären die Künstler.
Die Biographie "Der Clown und der Zirkusreiterin" gehört dabei zu den wenigen greifbaren Geschichten, die es zur Naziherrschaft aus Zirkusperspektive gibt. Im Vorfeld habe man viel recherchiert und wenig gefunden, erklärt Ines Rosemann. "Der Zirkus hat in Deutschland keine Stimme, die gehört wird", sagt die Künstlerin, Entschädigungen für erlittenes Leid gab es keine, selbst enteignete Grundstücke seien nicht zurückgegeben worden, wie viele Artisten Opfer der Nazis wurden weiß man nicht.
Manch Zirkus, etwa der Zirkus Krone, sei mit den Nazis groß geworden und habe man nach dem Krieg dort anknüpfen können wo man aufgehört hatte. Der Wille zur Aufklärung ist 70 Jahre danach gering, den Künstlern mit den Fragen zur Vergangenheit wollten die großen Zirkusbetriebe ihre Archive nicht öffnen. Die einzige Unterstützung Abseits der Nachkommen von Irene Bento fand das Kollektiv bei dem Pressesprecher des DDR-Zirkus, der Material beisteuern konnte.
Aus Irenes Geschichte und dem was sie zur Entwicklung des Zirkus unter den Nationalsozialisten zusammentragen konnten, haben sie nicht nur ein Stück, sondern auch eine Ausstellung gemacht. Beides war am vergangenen Wochenende im Zappelini-Zelt am Altentor zu sehen. Am Vormittag konnten die Zappelinis Schüler und Studenten begrüßen, am Abend wurde die Inszenierung noch einmal vor erwachsenen Publikum aufgeführt. Inzwischen ist die Ausstellung "Circus. Freiheit. Gleichschaltung." umgezogen und wird in den nächsten Wochen in der Stadbibliothek zu sehen sein.
Angelo Glashagel
Kommentare
Bisher gibt es keine Kommentare.
Kommentare sind zu diesem Artikel nicht möglich.
Es gibt kein Recht auf Veröffentlichung.
Beachten Sie, dass die Redaktion unpassende, inhaltlose oder beleidigende Kommentare entfernen kann und wird.
Beachten Sie, dass die Redaktion unpassende, inhaltlose oder beleidigende Kommentare entfernen kann und wird.