Sa, 09:05 Uhr
20.01.2018
Historisches aus dem Südharz
Bad Lauterberg wechselte von Rot zu Braun
Der Harzer Kurort Bad Lauterberg galt vor der Machtergreifung Hitlers als eine rote Hochburg wie der Berliner Wedding. Das belegen hohe Stimmenanteile für die KPD bei den letzten freien Wahlen. Von hier agierte der Pinselmacher Karl Peix, der bekannteste Kommunist im Kreis Osterode...
Gedenkstein für Peix (Foto: privat) Gedenkstein für Karl Peix
Er wurde im Oktober 1933 von den Nazis inhaftiert und am 6. November 1941 im KZ-Außenlager Hahndorf bei Goslar ermordet. An Peix und zwei andere getötete Antifaschisten erinnert ein Gedenkstein, der am 11. September 1949 von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) am Felsenkeller am Rande des Kurparks in Bad Lauterberg errichtet wurde.
Der KP-Funktionär fand seine letzte Ruhestätte auf dem Bad Lauterberger Waldfriedhof in der Gemarkung Paradies. In der Kneipp-Stadt stellte die Arbeiterschaft im Laufe der industriellen Entwicklung zu Anfang des 20. Jahrhunderts einen beträchtlichen Teil. So kam es in den zwanziger Jahren oft zu Streiks und sozialpolitischen Unruhen.
Infolge der Inflation herrschte bittere Not. Bei Hungerrevolten wurden Läden geplündert und Kaufleute, die Waren gehortet hatten, auf Wagen durch die Stadt gezogen und verspottet. Rote Fahnen wehten von Fabrikschloten. Deshalb wurde eine Einheit der Schutzpolizei in einem Nebengebäude der Volksschule in der Stützerstrasse stationiert.
Zu Beginn der dreißiger Jahre waren 400 der 7 000 Einwohner Mitglied in der KPD. Der Vorsitzende ihrer Ortsgruppe, Karl Peix, saß seit 1929 in der Gemeindevertretung und im Kreistag. 1932 wurde er in den Provinziallandtag in Hannover gewählt. Bei der Wahl des Reichspräsidenten im März jenen Jahres stimmten 29,68 Prozent der wahlberechtigten Bürger in Bad Lauterberg für den kommunistischen Kandidaten Ernst Thälmann. Bei der Nachwahl im April sank der Stimmenanteil der KPD auf 24,45 Prozent.
Bei Razzien im Schicksalsjahr 1933 in Bad Lauterberg und in den umliegenden Dörfern wurden 115 Wohnungen durchsucht und 251 Regime-Gegner von der Polizei und ihren Helfern (SA und SS) festgenommen und zu hohen Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt. Unter ihnen Karl Pape (gestorben 1943 im KZ Stutthof), Bruno Maue (1939 im KZ Sachsenhausen) sowie Adolf Jahn (1942 im KZ Esterwegen).
Peix war am 27. März 1899 in Herzberg geboren worden, lernte Pinselmacher nach der Schule und wurde als Soldat in den Ersten Weltkrieg eingezogen. Danach fand er eine Stelle im Emaillierwerk der MIAG in Bad Lauterberg – im Volksmund Blechbude. Wegen politischer Umtriebe wurde er entlassen. Er trat 1920 bei der USPD und 1921 in die KPD ein, deren Mitbegründer er dort war. Seit 1928 fungierte er als Vorsitzender des Unterbezirks Lauterberg.
Nach der Machtübernahme der Nazis und der Zerschlagung der KPD organisierte Peix politischen Widerstand im Untergrund. Er trat noch zweimal als Red
ner auf Parteikundgebungen in der Harz-Region auf, bis er im Oktober 1933 in Hannover verhaftet wurde. Er führte illegale KP-Schriften mit sich. In einem Verfahren wegen Landfriedensbruch, das ein SA-Angehöriger gegen ihn angestrengt hatte, wurde er freigesprochen.
Aber er sah sich Anfeindungen und Anschlägen vor der Schutzhaft ausgesetzt. Schlagzeilen über den Harz hinaus rief die Straßenschlacht vom April 1932 in Bad Lauterberg hervor. Peix hatte ein Verbot eines Nazi-Aufmarsches beantragt, der Rat und die Ortspolizei stimmten zu, aber ein übergeordnetes Gericht hob es auf. Am Postplatz durchbrachen Demonstranten die Polizei-Ketten und griffen den Nazi-Fahnenträger an. Es wurde mit Beilen, Knüppeln und Koppelzeug gekämpft, bis - wie Augenzeuge Fritz Ließmann berichtete - die Braunhemden von der Straße gefegt waren. Im Prozess wegen Landfriedensbruch im November wurden zwei von 15 Kommunisten und einer von zwei Nazis zu Haftstrafen verurteilt.
Aus Gefängnissen wurde Peix 1937 ins KZ Buchenwald überstellt und als Sanitäter im Krankenrevier eingesetzt. Mit Walter Krämer und Paul Grünewald bildete er eine Widerstandsgruppe. Zum Außenkommando Goslar kam er im Herbst 1941. Nur drei Tage später wurde er dort hinterrücks erschossen. Das selbe Schicksal erlitt Krämer. Beide sollen von der Syphilis-Behandlung des
Lagerkommandanten Karl Otto Koch gewusst haben. Peix’ Ehefrau Marie, ebenfalls KP-Mitglied, überlebte die KZ-Haft.
Mit Beginn des Dritten Reiches geschah in Bad Lauterberg ein radikaler Wandel zugunsten der NSDAP. Im Buch Der Deutsche Gruß (Eine Kindheit und Jugend zwischen Ideologie und Idylle) erinnert sich der Nordhäuser Ulrich H. K. Hesse an einen Harz-Ausflug mit dem Onkel aus Leipzig in dessen Horch: Eine andere Fahrt in einer der großen, den Fahrzeugen der Regierungs- und Parteigrößen gleichenden Limousinen führt bei einem Familienausflug in den Harz nach Bad Lauterberg... Schon bei der Einfahrt in den Ort fällt die Fülle der Hakenkreuz-Fahnen auf, mit denen fast jedes Haus versehen ist, eine im nationalsozialistischen Deutschland inzwischen übliche Pflicht an nationalen Feiertagen oder aus Anlass eines Besuches höchster Prominenz. Zum Zentrum hin sind die Straßen zunehmend von Menschen gesäumt, die meisten ebenfalls Hakenkreuz-Fähnchen in der Hand.
Die lange Wartezeit – es gehört zur Regie dieser Veranstaltungen, sie bewusst auszudehnen – hat scheinbar ein Ende, und erstes Fähnchenschwenken sowie verhaltener Jubel bahnen sich an, als sich – das Auto passiert inzwischen die Promenade, das Zentrum des Kurbades – der Onkel sich von seinem Sitz erhebt und nach allen Seiten nach Art Hitlers den Deutschen Gruß ausführt, sorgfältig in beiden Variationen abwechselnd mit ausgestrecktem und angewinkeltem Arm. Die verunsicherte Menge stockt mit Jubel und Fähnchenschwenken, denn sie kann mit Erscheinen der nicht uniformierten Besucher in den anlassüblichen Fahrzeugtypen nichts anfangen.
Ahnend, welche Konsequenzen diese Provokation für alle Beteiligten haben könnte, geht jetzt die Aufforderung an den Chauffeur, Gas zu geben... in der Hoffnung, es möge niemand unter den verblüfften Zuschauern sich das Kennzeichen des Wagens gemerkt haben. Die Erwartung geht auf, der Vorfall bleibt ohne Folgen. – Auf das Gerücht hin, der Führer würde auf dem Wege nach Goslar durch Bad Lauterberg fahren, war die Menschenmenge zusammengekommen.
Manfred Neuber
Autor: redGedenkstein für Peix (Foto: privat) Gedenkstein für Karl Peix
Er wurde im Oktober 1933 von den Nazis inhaftiert und am 6. November 1941 im KZ-Außenlager Hahndorf bei Goslar ermordet. An Peix und zwei andere getötete Antifaschisten erinnert ein Gedenkstein, der am 11. September 1949 von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) am Felsenkeller am Rande des Kurparks in Bad Lauterberg errichtet wurde.
Der KP-Funktionär fand seine letzte Ruhestätte auf dem Bad Lauterberger Waldfriedhof in der Gemarkung Paradies. In der Kneipp-Stadt stellte die Arbeiterschaft im Laufe der industriellen Entwicklung zu Anfang des 20. Jahrhunderts einen beträchtlichen Teil. So kam es in den zwanziger Jahren oft zu Streiks und sozialpolitischen Unruhen.
Infolge der Inflation herrschte bittere Not. Bei Hungerrevolten wurden Läden geplündert und Kaufleute, die Waren gehortet hatten, auf Wagen durch die Stadt gezogen und verspottet. Rote Fahnen wehten von Fabrikschloten. Deshalb wurde eine Einheit der Schutzpolizei in einem Nebengebäude der Volksschule in der Stützerstrasse stationiert.
Zu Beginn der dreißiger Jahre waren 400 der 7 000 Einwohner Mitglied in der KPD. Der Vorsitzende ihrer Ortsgruppe, Karl Peix, saß seit 1929 in der Gemeindevertretung und im Kreistag. 1932 wurde er in den Provinziallandtag in Hannover gewählt. Bei der Wahl des Reichspräsidenten im März jenen Jahres stimmten 29,68 Prozent der wahlberechtigten Bürger in Bad Lauterberg für den kommunistischen Kandidaten Ernst Thälmann. Bei der Nachwahl im April sank der Stimmenanteil der KPD auf 24,45 Prozent.
Bei Razzien im Schicksalsjahr 1933 in Bad Lauterberg und in den umliegenden Dörfern wurden 115 Wohnungen durchsucht und 251 Regime-Gegner von der Polizei und ihren Helfern (SA und SS) festgenommen und zu hohen Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt. Unter ihnen Karl Pape (gestorben 1943 im KZ Stutthof), Bruno Maue (1939 im KZ Sachsenhausen) sowie Adolf Jahn (1942 im KZ Esterwegen).
Peix war am 27. März 1899 in Herzberg geboren worden, lernte Pinselmacher nach der Schule und wurde als Soldat in den Ersten Weltkrieg eingezogen. Danach fand er eine Stelle im Emaillierwerk der MIAG in Bad Lauterberg – im Volksmund Blechbude. Wegen politischer Umtriebe wurde er entlassen. Er trat 1920 bei der USPD und 1921 in die KPD ein, deren Mitbegründer er dort war. Seit 1928 fungierte er als Vorsitzender des Unterbezirks Lauterberg.
Nach der Machtübernahme der Nazis und der Zerschlagung der KPD organisierte Peix politischen Widerstand im Untergrund. Er trat noch zweimal als Red
ner auf Parteikundgebungen in der Harz-Region auf, bis er im Oktober 1933 in Hannover verhaftet wurde. Er führte illegale KP-Schriften mit sich. In einem Verfahren wegen Landfriedensbruch, das ein SA-Angehöriger gegen ihn angestrengt hatte, wurde er freigesprochen.
Aber er sah sich Anfeindungen und Anschlägen vor der Schutzhaft ausgesetzt. Schlagzeilen über den Harz hinaus rief die Straßenschlacht vom April 1932 in Bad Lauterberg hervor. Peix hatte ein Verbot eines Nazi-Aufmarsches beantragt, der Rat und die Ortspolizei stimmten zu, aber ein übergeordnetes Gericht hob es auf. Am Postplatz durchbrachen Demonstranten die Polizei-Ketten und griffen den Nazi-Fahnenträger an. Es wurde mit Beilen, Knüppeln und Koppelzeug gekämpft, bis - wie Augenzeuge Fritz Ließmann berichtete - die Braunhemden von der Straße gefegt waren. Im Prozess wegen Landfriedensbruch im November wurden zwei von 15 Kommunisten und einer von zwei Nazis zu Haftstrafen verurteilt.
Aus Gefängnissen wurde Peix 1937 ins KZ Buchenwald überstellt und als Sanitäter im Krankenrevier eingesetzt. Mit Walter Krämer und Paul Grünewald bildete er eine Widerstandsgruppe. Zum Außenkommando Goslar kam er im Herbst 1941. Nur drei Tage später wurde er dort hinterrücks erschossen. Das selbe Schicksal erlitt Krämer. Beide sollen von der Syphilis-Behandlung des
Lagerkommandanten Karl Otto Koch gewusst haben. Peix’ Ehefrau Marie, ebenfalls KP-Mitglied, überlebte die KZ-Haft.
Mit Beginn des Dritten Reiches geschah in Bad Lauterberg ein radikaler Wandel zugunsten der NSDAP. Im Buch Der Deutsche Gruß (Eine Kindheit und Jugend zwischen Ideologie und Idylle) erinnert sich der Nordhäuser Ulrich H. K. Hesse an einen Harz-Ausflug mit dem Onkel aus Leipzig in dessen Horch: Eine andere Fahrt in einer der großen, den Fahrzeugen der Regierungs- und Parteigrößen gleichenden Limousinen führt bei einem Familienausflug in den Harz nach Bad Lauterberg... Schon bei der Einfahrt in den Ort fällt die Fülle der Hakenkreuz-Fahnen auf, mit denen fast jedes Haus versehen ist, eine im nationalsozialistischen Deutschland inzwischen übliche Pflicht an nationalen Feiertagen oder aus Anlass eines Besuches höchster Prominenz. Zum Zentrum hin sind die Straßen zunehmend von Menschen gesäumt, die meisten ebenfalls Hakenkreuz-Fähnchen in der Hand.
Die lange Wartezeit – es gehört zur Regie dieser Veranstaltungen, sie bewusst auszudehnen – hat scheinbar ein Ende, und erstes Fähnchenschwenken sowie verhaltener Jubel bahnen sich an, als sich – das Auto passiert inzwischen die Promenade, das Zentrum des Kurbades – der Onkel sich von seinem Sitz erhebt und nach allen Seiten nach Art Hitlers den Deutschen Gruß ausführt, sorgfältig in beiden Variationen abwechselnd mit ausgestrecktem und angewinkeltem Arm. Die verunsicherte Menge stockt mit Jubel und Fähnchenschwenken, denn sie kann mit Erscheinen der nicht uniformierten Besucher in den anlassüblichen Fahrzeugtypen nichts anfangen.
Ahnend, welche Konsequenzen diese Provokation für alle Beteiligten haben könnte, geht jetzt die Aufforderung an den Chauffeur, Gas zu geben... in der Hoffnung, es möge niemand unter den verblüfften Zuschauern sich das Kennzeichen des Wagens gemerkt haben. Die Erwartung geht auf, der Vorfall bleibt ohne Folgen. – Auf das Gerücht hin, der Führer würde auf dem Wege nach Goslar durch Bad Lauterberg fahren, war die Menschenmenge zusammengekommen.
Manfred Neuber
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