Di, 22:40 Uhr
12.04.2016
Ein etwas anderer Theaterabend
Tanzen am Abgrund
Vergangene Woche feierte im Theater unterm Dach ein kleines, feines Stück Premiere. Trotz guter Kritiken und medialem Echo stand die erste Aufführung der "Tänzerin von Ausschwitz" aber unter keinem guten Stern. Nach der Verletzung eines Schauspielers mussten die weiteren Vorstellungen abgesagt werden. Am Montag bot man stattdessen eine Lesung an und auch die sollte sich lohnen...
Bis zur ersten Choreographie ging alles gut, erzählte Regisseurin Bianca Sue Henne am Montag Abend, bei einer Hebung passiert es dann aber - Olaf Reinecke verletzt sich am Rücken. Der Tänzer spielt trotzdem "durch", entscheidet von Szene zu Szene ob es noch geht. "Als das Publikum raus war ging nichts mehr und wir haben den Notarzt gerufen", erzählte die Regisseurin dem diesmal eher überschaubaren Publikum.
Vergangenen Donnerstag sah das noch ganz anders aus, da zwängten sich sogar die Kameras des MDR in den kleinen Raum des "Theater unterm Dach", dem TuD. Es ist eine Bühne für kleine Produktionen, das Publikum ist ganz nah dran am Geschehen, sitzt bei der Aufführung der "Tänzerin" sogar fast auf der Bühne.
Erzählt wird eine erstaunliche Geschichte, es geht um die Naziherrschaft und die Konzentrationslager, schon der Titel des Stückes lässt da kaum Raum für Interpretationen. Und doch ist die Geschichte anders, als man das im ersten Moment vermuten würde. Es geht um Rosa, Rosa Glaser aus den Niederlanden, für die der Tanz und die Bewegung zu ihrem Leben gehören. Die ein Leben in Saus und Braus führt, aber von ihrem zunehmend radikalen Ex-Ehemann verraten wird, weil sie ihren Judenstern nicht trägt und von ihrem Liebhaber für ein Kopfgeld verpfiffen wird.
Die als Sekretärin, als "Funktionshäftling", die Listen mit den Namen derer verfassen muss, die nach Auschwitz gebracht werden und die, selber dort angekommen, ihre Mithäftlinge vor dem Gang in die Gaskammern beruhigen soll. Die im Block 10 unterkommt, bei Clauberg und Mengele, und dort sterilisiert wird. Die Lieder schreibt, im KZ mit SS-Offizieren anbandelt, ihnen Benimmregeln und Gesellschaftstanz beibringt. Die auf den Todesmarsch geschickt wird. Die überleben will und sich nicht brechen lässt.
Aber es ist auch die Geschichte von Paul Glaser, ihrem Neffen, der sich daran macht ein Familiengeheimniss zu lüften. Diesen Teil der Geschichte, die jener Paul Glaser als Buch veröffentlicht hat, ist auf der Bühne nicht zu sehen. Bianca Sue Henne, Chefdramaturgin Anja Eisner, Ballettdirektorin Jutta Ebnotter und Ensemblemitglied Patrick Jech stellten ihn in das Zentrum der Ersatz-Lesung am Montag.
v.l.: Anja Eisner, Jutta Ebnotter, Caroline Kühner, Joy Kammin, Patrick Jech, Bianca Sue Henne (Foto: Angelo Glashagel) Paul Glaser wächst nach dem Krieg auf, streng katholisch. Dass seine Großeltern Juden waren und seine Eltern dies ihren Kindern verschwiegen haben, findet er erst heraus, nachdem er bei einem Auschwitzbesuch einen Koffer mit seinem Familiennamen darauf entdeckt. Er habe seine Kinder schützen wollen und ihnen ihre jüdischen Wurzeln deswegen verheimlicht, wird ihm sein Vater später sagen, und er solle das für seine Kinder auch tun. Um die Jahrtausendwende herum fallen diese Sätze. Paul folgt dennoch den Spuren und entdeckt schließlich die Geschichte seiner Tante, die inzwischen in Schweden lebt.
"Tante Roosje" trifft er nur ein einziges mal und es gelingt ihm nur mit Mühe, ihr ihre Geschichte und die seiner Familie zu entlocken. Erst als sie 2007 verstirbt fallen auch Rosa Aufzeichnungen in seine Hände. Tagebücher, Fotografien, alte Filmaufnahmen.
Die Geschichte der tanzenden Jüdin klingt geradezu fantastisch, Material für einen besseren Hollywoodstreifen vielleicht. Aber sie ist wahr. Die Filmausschnitte, die Rosa beim Tanzen zeigen, kann man im Internet finden, die Kapitel in Paul Glasers Buch stützen sich auf die von Rosas selbst rekonstruierten Tagebücher, von denen sie einige vor ihrer Verhaftung in den Niederlanden verscharrt hatte.
Auf der Bühne erweckten am Donnerstag zwei Tänzerin und zwei Tänzer diese Geschichte zum Leben. Gepaart mit Elementen des Puppenspiels und moderneren Tanzelementen ein gewagtes und wohl auch gelungenes Experiment. Am Montag zeigte Joy Kammin unkostümiert einen Ausschnitt aus den Choreographien und Kollegin Caroline Kühner sang Rosa Lied von einem Kapo als Geliebtem.
Dem verletzten Olaf Reinecke soll es schon wieder etwas besser gehen, konnte Bianca Sue Henne berichten, ob er aber bis zur nächsten Vorstellung am 21. Mai wieder wird tanzen können bleibt fraglich. Die ausgefallenen Aufführungen vom Montag und Mittwoch will man in jedem Fall nachholen, versprach Regisseurin Sue Henne am Ende der Lesung. Wann genau steht aber noch nicht fest. Sicher ist hingegen, dass die Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Bezug auf das Stück am Samstag eine Sonderführung zu Funktionshäftlingen im KZ anbieten wird. Um 14 Uhr soll es losgehen, vorherige Anmeldung ist erwünscht.
Angelo Glashagel
Autor: redBis zur ersten Choreographie ging alles gut, erzählte Regisseurin Bianca Sue Henne am Montag Abend, bei einer Hebung passiert es dann aber - Olaf Reinecke verletzt sich am Rücken. Der Tänzer spielt trotzdem "durch", entscheidet von Szene zu Szene ob es noch geht. "Als das Publikum raus war ging nichts mehr und wir haben den Notarzt gerufen", erzählte die Regisseurin dem diesmal eher überschaubaren Publikum.
Vergangenen Donnerstag sah das noch ganz anders aus, da zwängten sich sogar die Kameras des MDR in den kleinen Raum des "Theater unterm Dach", dem TuD. Es ist eine Bühne für kleine Produktionen, das Publikum ist ganz nah dran am Geschehen, sitzt bei der Aufführung der "Tänzerin" sogar fast auf der Bühne.
Erzählt wird eine erstaunliche Geschichte, es geht um die Naziherrschaft und die Konzentrationslager, schon der Titel des Stückes lässt da kaum Raum für Interpretationen. Und doch ist die Geschichte anders, als man das im ersten Moment vermuten würde. Es geht um Rosa, Rosa Glaser aus den Niederlanden, für die der Tanz und die Bewegung zu ihrem Leben gehören. Die ein Leben in Saus und Braus führt, aber von ihrem zunehmend radikalen Ex-Ehemann verraten wird, weil sie ihren Judenstern nicht trägt und von ihrem Liebhaber für ein Kopfgeld verpfiffen wird.
Joy Kammin und Olaf Reinecke in "Die Tänzerin von Ausschwitz" im Theater unterm Dach in Nordhausen (Foto: Theater Nordhausen)
Die als Sekretärin, als "Funktionshäftling", die Listen mit den Namen derer verfassen muss, die nach Auschwitz gebracht werden und die, selber dort angekommen, ihre Mithäftlinge vor dem Gang in die Gaskammern beruhigen soll. Die im Block 10 unterkommt, bei Clauberg und Mengele, und dort sterilisiert wird. Die Lieder schreibt, im KZ mit SS-Offizieren anbandelt, ihnen Benimmregeln und Gesellschaftstanz beibringt. Die auf den Todesmarsch geschickt wird. Die überleben will und sich nicht brechen lässt.
Aber es ist auch die Geschichte von Paul Glaser, ihrem Neffen, der sich daran macht ein Familiengeheimniss zu lüften. Diesen Teil der Geschichte, die jener Paul Glaser als Buch veröffentlicht hat, ist auf der Bühne nicht zu sehen. Bianca Sue Henne, Chefdramaturgin Anja Eisner, Ballettdirektorin Jutta Ebnotter und Ensemblemitglied Patrick Jech stellten ihn in das Zentrum der Ersatz-Lesung am Montag.
v.l.: Anja Eisner, Jutta Ebnotter, Caroline Kühner, Joy Kammin, Patrick Jech, Bianca Sue Henne (Foto: Angelo Glashagel) Paul Glaser wächst nach dem Krieg auf, streng katholisch. Dass seine Großeltern Juden waren und seine Eltern dies ihren Kindern verschwiegen haben, findet er erst heraus, nachdem er bei einem Auschwitzbesuch einen Koffer mit seinem Familiennamen darauf entdeckt. Er habe seine Kinder schützen wollen und ihnen ihre jüdischen Wurzeln deswegen verheimlicht, wird ihm sein Vater später sagen, und er solle das für seine Kinder auch tun. Um die Jahrtausendwende herum fallen diese Sätze. Paul folgt dennoch den Spuren und entdeckt schließlich die Geschichte seiner Tante, die inzwischen in Schweden lebt.
"Tante Roosje" trifft er nur ein einziges mal und es gelingt ihm nur mit Mühe, ihr ihre Geschichte und die seiner Familie zu entlocken. Erst als sie 2007 verstirbt fallen auch Rosa Aufzeichnungen in seine Hände. Tagebücher, Fotografien, alte Filmaufnahmen.
Carolin Kühner und Joy Kammin ließen Roas Glasers Lieder aus Auschwitz erklingen (Foto: Angelo Glashagel)
Die Geschichte der tanzenden Jüdin klingt geradezu fantastisch, Material für einen besseren Hollywoodstreifen vielleicht. Aber sie ist wahr. Die Filmausschnitte, die Rosa beim Tanzen zeigen, kann man im Internet finden, die Kapitel in Paul Glasers Buch stützen sich auf die von Rosas selbst rekonstruierten Tagebücher, von denen sie einige vor ihrer Verhaftung in den Niederlanden verscharrt hatte.
Auf der Bühne erweckten am Donnerstag zwei Tänzerin und zwei Tänzer diese Geschichte zum Leben. Gepaart mit Elementen des Puppenspiels und moderneren Tanzelementen ein gewagtes und wohl auch gelungenes Experiment. Am Montag zeigte Joy Kammin unkostümiert einen Ausschnitt aus den Choreographien und Kollegin Caroline Kühner sang Rosa Lied von einem Kapo als Geliebtem.
Dem verletzten Olaf Reinecke soll es schon wieder etwas besser gehen, konnte Bianca Sue Henne berichten, ob er aber bis zur nächsten Vorstellung am 21. Mai wieder wird tanzen können bleibt fraglich. Die ausgefallenen Aufführungen vom Montag und Mittwoch will man in jedem Fall nachholen, versprach Regisseurin Sue Henne am Ende der Lesung. Wann genau steht aber noch nicht fest. Sicher ist hingegen, dass die Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Bezug auf das Stück am Samstag eine Sonderführung zu Funktionshäftlingen im KZ anbieten wird. Um 14 Uhr soll es losgehen, vorherige Anmeldung ist erwünscht.
Angelo Glashagel
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