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So, 07:00 Uhr
12.04.2015

Die letzten Zeugen

Vor 70 Jahren wurde das Konzentrationslager Dora-Mittelbau von den Amerikanern befreit. Nur wenige können noch aus diesen Tagen berichten und ihren Zahl schwindet Jahr um Jahr. Vielleicht war das ein Grund, für das große Interesse der Nordhäuser an der gestrigen "Bürgerbegegnung"...

Mit einigen der letzten Überlebenden des KZ Mittelbau-Dora konnte man gestern im Nordhäuser Ratssaal noch einmal ins Gespräch kommen (Foto: Angelo Glashagel) Mit einigen der letzten Überlebenden des KZ Mittelbau-Dora konnte man gestern im Nordhäuser Ratssaal noch einmal ins Gespräch kommen (Foto: Angelo Glashagel)

Es könnte die letzte Chance gewesen sein, von Angesicht zu Angesicht mit den Überlebenden des Lagerhorrors der Nazidiktatur zu sprechen und erfreulich viele Menschen, junge wie alte, nahmen diese Gelegenheit gestern war.

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Was hingegen bedauernswert ist, ist das dieses Format der Begegnung und des Austauschs erst jetzt Premiere feiern durfte und man eine ähnliche Herangehensweise an das Thema "Dora" nicht schon vor Jahren etabliert hat. Denn einige der Herren, die über ihr Erleben und Überleben in Nazideutschland erzählten, haben ihr 90. Lebensjahr bereits überschritten.

Zum Beispiel Albrecht Weinberg, Alter: 91. Mit 13, berichtete er, ist er das erste Mal in ein Zwangsarbeiterlager gekommen, das war noch vor dem Krieg. Warum er überlebt hat und der Rest seiner Familie nicht, das weiss er selbst kaum zu sagen. "Man muß Glück gehabt haben das man nicht krank geworden ist", erzählt er. Bei Kontrollen durch die Oberscharführer und die Blockältesten mussten sich die Häftlinge nackt ausziehen, "und wenn du dann die Krätze hattest nur von einem Flohbiss der sich entzündet hat, und du warst abgemagert, dann hat er deine Häftlingsnummer aufgeschrieben und dann biste ins Gas gegangen, den nächsten Tag".

Albrecht Weinberg - "das biste ins Gas gegangen" (Foto: Angelo Glashagel) Albrecht Weinberg - "das biste ins Gas gegangen" (Foto: Angelo Glashagel) Für das, was damals geschehen ist, gäbe es keine Worte, erzählt der 91-jährige weiter und berichtet von den letzten Tagen vor der Befreiung: "wie ich nach Bergen-Belsen gekommen bin, da war ich kein Lebemensch mehr, ich weiß nicht wie ich da hin gekommen bin, die Tage sind vollkommen ausgelöscht, verschwunden. Da war ich noch nicht mal 28 Kilo. Nur Haut und Knochen."

David Salz spricht nicht von Befreiung, sondern von Rettung, "den befreit bin ich bis zum heutigen Tag nicht. Es wurzelt in mir und ich kann nicht vergessen. Und man darf nicht vergessen. Vergessen ist frevelhaft". Ihm war in den letzten Kriegstagen die Flucht gelungen und er berichtete von Menschen, die ihm Brot und Kleidung gaben, aber auch von vermeintlich Hilfsbereiten, die schließlich doch "den Judenjungen" noch erschlagen wollten. Seine Rettung war eine Einheit der US-Armee, die ihn schließlich aufsammelte.

David Salz - "Ich kann nicht von Befreiung sprechen, denn befreit bin ich bis zum heutigen Tage nicht" (Foto: Angelo Glashagel) David Salz - "Ich kann nicht von Befreiung sprechen, denn befreit bin ich bis zum heutigen Tage nicht" (Foto: Angelo Glashagel)

Immer wieder kommt an verschiedenen Tischen auch die Frage auf, wie man überhaupt mit dem erlebten habe umgehen können. In einer Zeit, in der viele Menschen nicht nur nach Tragödien sondern auch nach persönlichen Rückschlägen den Weg zum Psychiater suchen oder sich medikamentös behandeln lassen, muss das Grauen, dass diese Menschen erlebt haben, einem Nachgeborenen schier unerträglich erscheinen. Die innere Widerstandskraft die diejenigen, die den Holocaust überlebt haben, noch heute besitzen, ist nahezu unfassbar.

Oto Konsteins ganze Familie hat "ihr Leben dort in Auschwitz, im Krematorium beendet". Als er nach Hause, nach Kroatien, zurückkehrte, stand er vor dem nichts. "Niemanden habe ich gefunden. Und heute bin ich da. Das Leben läuft weiter". Der alte Herr berichtet ruhig, fast abgeklärt, nur gelegentlich mischt sich Unruhe in seine Stimme. Er ist nicht der einzige, der "danach" weiter gemacht hat. "Wer den Krieg überlebt hat, in verschiedenen Lagern, der ist ziemlich stark, der kann noch verschiedenes vertragen im Leben. Man gründet eine eigene Familie, das Leben geht weiter, ganz normal. Die Erinnerungen bleiben, ja, aber ändern kann man nichts. So ist das."

Otto Konstein (links) und Albrecht Weinberg - "Wer den Krieg in mehreren Lagern überlebt hat, der ist ziemlich stark" (Foto: Angelo Glashagel) Otto Konstein (links) und Albrecht Weinberg - "Wer den Krieg in mehreren Lagern überlebt hat, der ist ziemlich stark" (Foto: Angelo Glashagel)

Ressentiments gegen das Volk der Täter hegt er bis heute nicht. "Ich bin Kosmopolit", sagt Konstein, "für mich ist jeder Mensch ein Mensch". Es sei nicht die Schuld der heutigen Generation, das ihre Großväter andere Menschen ermordet haben. Und auch damals sei nicht jeder Deutsche sein Feind gewesen, "es war nicht von jedem die Schuld was mir geschehen ist und meiner Familie", erzählt er, "viele wussten doch nicht: was passiert in einem Auschwitz? Das wussten wir ja auch nicht im vorhinein."

Den Grund für sein Schicksal sieht er im Antisemitismus, weil er Jude war und nicht Protestant oder Katholik, aber so ganz vermag er sich das unerklärliche auch nicht zu erklären. "Warum hat man Millionen Leute umgebracht? Warum hat meine eineinhalb Millionen Kinder kaputt gemacht? Warum? Es ist gut das die Völker darüber nachdenken".

Für Stanislav Kaunov der von Buchenwald über Dora nach Ohrdruff kam, hörte der Schrecken nach dem Ende des Krieges nicht auf. Als der Ukrainer in die Heimat zurückkehrte, verfrachteten in die Sowjets als vermeintlichen Kollaborateur ins Gulag. Für vier Jahre. Dabei hatte der damals 19-jährige nach seiner Flucht aus der Zwangsarbeit bei Duisburg auf der Seite des französischen Widerstandes hinter den deutschen Linien gekämpft und unter anderem Zugbrücken in die Luft gesprengt, wie er stolz berichtete. Heute lebt er in Kiew, und hat sechs Bücher geschrieben, über seine Erlebnisse, über die Geschichte, gegen den Totalitarismus.

Stanislav Kaunov (rechts) - "eine großartige Veranstaltung und wichtig für weitere Generationen" (Foto: Angelo Glashagel) Stanislav Kaunov (rechts) - "eine großartige Veranstaltung und wichtig für weitere Generationen" (Foto: Angelo Glashagel) Die Erinnerungsarbeit, wie man sie hierzulande praktiziere, die gebe es in seiner Heimat nicht. "Das haben wir nicht, das ist alles vergessen", übersetzt Julia Billich von der Nordhäuser Hochschule. Er ist wieder nach Deutschland gekommen, weil er den Wunsch hatte, sich daran zu beteiligen. Die Bürgerbegegnung sei für ihn eine "großartige Veranstaltung" und wichtig für weitere Generationen. Denn auch wenn er nicht gerne über das spricht, was sich dieser Tage in seiner Heimat abspielt und der gestrige Tag sich mehr der Vergangenheit und weniger der Zukunft widmen sollte, so warnt er doch vor einem dritten Weltkrieg. "So etwas muss verhindert werden".

Viel wurde erzählt an diesem Tag, vieles das man als Zuhörer erst einmal verarbeiten muss. Auch wenn man sich schon oft mit den Schicksalen der Holocaustopfer auseinandergesetzt hat. Die Berichte von denjenigen, die das Grauen bis heute begleitet, gehen unter die Haut und lassen einen erschöpft und matt zurück. Und sie zeigen, warum es auch 70 Jahre nach dem Ende dieses größten und schrecklichsten Krieges noch wichtig ist, sich diese Geschichten anzuhören.

Filme und Bücher können nur schwer fassbar machen, welche Verbrechen damals tatsächlich begangen wurden und wozu Menschen fähig sind. Wenn aber der alte Mann, der einem gegenüber sitzt, vom Todesmarsch und den von Toten gesäumten Straßen berichtet, dann ist die Wirkung eine andere, tiefgreifendere.

Es ist gut, das die Möglichkeit noch einmal mit den letzten Zeugen dieser Tage zu sprechen, von so vielen wahrgenommen wurde. Noch besser wäre es, wenn sich diese Begegnungen in den kommenden Jahren wenigstens noch ein paar wenige Male wiederholen lassen würden, bevor die Jahre der Nazidiktatur endgültig aus der Zeitgeschichte hinaustreten und nicht mehr erinnerte sondern nur noch vermittelte Geschichte werden.
Angelo Glashagel
Autor: red

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