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Mi, 18:31 Uhr
12.11.2014

Von Feuer und Flamme zu Frust und Anpassung

Mit dem Fall der Mauer vor 25 Jahren fiel auch die Zensur der Presse. Eine Betrachtung eines ehemaligen DDR-Journalisten...


Journalist? Damals wie heute ein Traumberuf. Dutzende junge Menschen bewarben sich auch seinerzeit für ein Studium in Leipzig. Ich hatte Glück. Vielleicht, weil ich ein Arbeiterkind war. Das mehrjährige Studium empfand ich nicht als eine Art Parteischule. Ich studierte für den Traumberuf. Aus Überzeugung.

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Ganz gleich, bei welcher Zeitung, ob SED oder die der Blockparteien, man später arbeiten wollte, eine jeweilige Parteimitgliedschaft gehörte dazu. Wer dem Sozialismus kritisch gegenüber stand, brauchte sich erst gar nicht für das Studium bewerben. Jung und voller Tatendrang fing ich bei der Lokalredaktion an.

Das Betätigungsfeld eines Lokalredakteurs ist bunt wie eine Malerpalette. Auf Sportplätzen, in der Landwirtschaft, Städten und Gemeinden, Betrieben, Schulen, Kindergärten und Einrichtungen waren wir, so wie es die heutigen Kollegen sind, unterwegs. Ich war Feuer und Flamme, ging in diesem Beruf auf. Lokales bot Realitätsnähe. Zensur? Für mich damals ein Fremdwort.

Erst später, als Leiter, sollte ich sie kennen lernen. In aller Deutlichkeit. Jeden Freitag tagte das Sekretariat der Kreisleitung, kleines Politbüro genannt. Dort gab es Vorgaben, Anweisungen, Richtlinien. Auch für die Presse. Die rosarote Brille war immer dabei. Der 1. Kreissekretär gab die Richtung vor. Man täte ihnen Unrecht, alle über einen Kamm zu scheren. Ich lernte verträgliche und Betonköpfe kennen.

Einmal ging es um "Suizide im Landkreis“. Erschreckend die Zahlen. Mahnend hob der Erste den Zeigefinger: „Darüber kein Wort in der Zeitung.“Ein zehnjähriges Mädchen war umgebracht worden. Diesmal: „Höchstens eine kurze Notiz“. In einer sozialistischen Menschengemeinschaft hatte so etwas nicht zu sein. Aus einer Leser-Umfrage nach der freundlichsten Verkäuferin ging eine sympathische ältere Dame hervor. Unser Pech: Es war keine Genossin. Das alles war noch zu ertragen. Wir zensierten uns mit der Zeit selbst. Wurden Teil des Systems.

Nach Arthur S. als Kreissekretär, einem Mann, der noch realitätsbezogen denken konnte und der uns weitgehend in Ruhe ließ, kam Lutz S., ein junger Mann. Der Lokalteil war für ihn erst dann gut, wenn er, mindestens, dreimal in der Woche sich mit Bild im Blatt und seine Arbeit im Sinne der Parteibeschlüsse gewürdigt sah. Mit ihm bekam der Sekretär für Agitation und Propaganda, arrogant und überheblich, was S. erkannte und ihn klein hielt, wieder Oberwasser. Es wurden meine schlimmsten Jahre im Beruf.

Wir hatten in der Zeitung ein kleines Bild eines zwölfjährigen Mädchen mit kurzem Text veröffentlicht, das uns eine Musiklehrerin, deren Namen ich heute noch lese, zusandte. Das Kind hatte im Musikwettbewerb einen 2. Preis gewonnen. Stolz präsentierte ihn die Kleine.

Die kurze Nachricht hätte mein Todesurteil in diesem Beruf werden können. „Du hast die revolutionäre Wachsamkeit verletzt“, schrie Propagandasekretär B. K. wutentbrannt im Sekretariat. Mit sich überschlagender Stimme brüllte er: „Die Mutter hat einen Ausreiseantrag gestellt! Unverschämt dein Verhalten!“ Die Mama des Mädchen hieß zu allem Übel mit Vornamen Nancy. Der Erste sah da die Nähe zu einer Frau, die auch so hieß: Nancy Reagan, Frau des USA-Präsidenten.

Weilten wir in Dörfern, war darauf zu achten, ob da nicht in dem Haus, das wir fotografierten oder in dem Straßenzug, jemand mit Ausreiseantrag wohnte. Auf der Hut hatten wir zu sein, nicht einen der Partei unangenehmen Menschen zu präsentierten. Sozialistische Persönlichkeiten hatten sie alle zu sein.

Die einstige Euphorie schwand dahin. Der Beruf wurde zu einer Mischung aus Frust und Anpassung. In der Lokalredaktion erfolgte ein Leitungswechsel.

Dann kam die Wende und der 16. Januar 1990. Aus „Das Volk“ wurde die „Thüringer Allgemeine“. Die erste wirklich unabhängige Tageszeitung der DDR. Mit der „Westfälischen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ, heute Funke-Gruppe) fand sich ein solider Partner.

In Nordhausen tagte der Runde Tisch. Der spätere CDU-Bürgermeister und der heutige Noch-Fraktionschef der Christdemokraten stellten den Antrag, der TA den Status eines amtlichen Mitteilungsblattes für den Landkreis abzuerkennen. Nur dem „Harzkurier“ und dem „Lauterberger Tageblatt“, die sich mit Computertechnik anschickten, den Zeitungsmarkt hierzulande zu erobern, stünde dies zu. Die Mehrheit war dafür.

Die Nähe zu den Lesern, die Kenntnis der Situation auf dem Lande und in den Betrieben verschafften uns einen Vorteil gegenüber den Westblättern. Sie erreichten nicht die Leserzahl, um kostendeckend zu sein. Wie gekommen, so zerronnen. Die Mehrheit der Leser blieb ihrer Heimatzeitung und ihren Machern treu. Diejenigen, die vorher gegen die TA stimmten und gegen sie gewettert hatten, waren Monate später die ersten, die die Hände hoben ihr wieder den Status zuerkannten.

Man kann uns ehemaligen DDR-Journalisten als Wendehälse bezeichnen, sollte aber einräumen, dass sie selbst Beteiligte am Veränderungsprozess waren und schnell ihren Mut entdeckten. Mit ungetrübter Freude kann der Journalist von heute seinen Beruf ausüben. Er kann den Machthabern auf die Finger sehen, Prominente aufs Korn nehmen. Skandalminister in Thüringen beim Namen genannt.

Auch freimütig über einen Fettnäpfchen-Treter, der in Nordhausen wohnt, schreiben. Oder die Landrätin als eine Rote aus SED-Zeiten bezeichnen und zwischen den Zeilen lesen, dass ein bekannter CDU-Politiker eine Blockflöte und ein Wendehals sei. Über den guten Ton freilich lässt es sich streiten.
Kurt Frank

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Autor: red

Kommentare
andreas66
13.11.2014, 16.53 Uhr
Sehr geehrter Herr Frank,
einen sehr guten Artikel haben sie da verfasst. Die Namen zu den von Ihnen genannten Kürzeln sind mir bekannt. Gestatten sie mir eine kleine Ergänzung noch dazu.
Die von Ihnen erwähnte Mutter durfte dann ausreisen. Wer zog dann in dieses Haus? Jawohl, der damalige Propagandist B.K.. Die Marschroute der Montagsdemos führte auch an diesem Haus von K. vorbei. Auf die Mauer vorm Haus von Herrn K. stellten die Marschierenden Kerzen und Teelichter auf. Und siehe da, Herr K. ward nie wieder gesehen.
Herr Frank, machen sie weiter so.

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Knoblauch
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