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Mo, 06:33 Uhr
02.01.2012

Aus einer 102-jährigen Zeitung (1)

Seit einigen Tagen stöbert Bodo Schwarzberg ab und zu im "Volksblatt für Nordthüringen" aus dem Jahre 1910, das er bei einem Bekannten einsehen kann. In loser Folge möchte er Sie, liebe nnz-Leserinnen und -Leser mit einigen Veröffentlichungen der damaligen Zeit vertraut machen...


Heute ein Auszug aus dem genannten Blatt vom 29. Oktober 1910 zum Thema Gesundheitspflege in der herbstlichen Jahreszeit, der Autor ist bzw. war Dr. Otto Gotthilf. Unter der Zwischenüberschrift "Das beste und nachhaltigste Erwärmungsmittel aber ist und bleibt die körperliche Bewegung" schrieb er:

"Wer so glücklich ist, ein Gärtchen sein eigen zu nennen, möge darin jetzt die umfangreichen Herbstarbeiten vornehmen, selbst bei Nebel und Regen. Auch Holzhacken möge niemand unter seiner Würde halten, ging doch darin der alte Gladstone, der "englische Bismarck", mit gutem Beispiel voran. Im Zimmer aber werden regelmäßige Übungen mit Hanteln und Stäben stets gute Dienste tun. Freilich darf man darüber das Spaziergehen draußen in der frischen freien Luft nicht vernachlässigen.

Wohl scheuen sich ängstliche Gemüter vor der herbstlich nasskkalten Nebelluft, jedoch mit Unrecht. Viele bleiben jetzt schon in den wenig oder gar nicht gelüfteten Zimmern und verlassen die Wohnung nur, wenn es durchaus sein muss. Das ist ganz falsch, denn dadurch werden sie gegen die Witterungseinflüsse nur so empfindlicher. Was Wunder, wenn dann beim geringsten Luftzuge Schnupfen und Husten als ungebetene Gäste bei diesen Luftscheuen sich einstellen. Man bedenke wohl: Noch haben wir den ganzen langen Winter vor uns und wissen nicht, welch rauhe Witterung und furchtbare Kälte er uns vielleicht bringen wird.

Da heißt es beizeiten, jetzt in der Übergangsperiode, sich richtig abhärten, sonst kann man später, wenn Schnee und Eis kommt, erst gar nicht mehr hinaus in die frische Luft, sondern wird von Woche zu Woche immer mehr stubensiech, und wenn dann im Winter eine Gelegenheitskrankheit, z.B. Influenza sich einstellt, so fallen die Luftscheuen "wie Fliegen" um. Darum nur mutig hinaus, auch in den Herbstnebel! Nur muss man draußen nicht stille stehen, sondern sich möglichst kräftige Bewegung machen. Dann wird sogar die Nebelluft sehr gut bekommen."

Heute, liebe nnz/kn-Leserinnen und -leser empfehlen Ähnliches unsere Boulevardzeitungen und Ratgebersendungen in Funk und Fernsehen. Wenn man bedenkt, dass sich das Leben vor 112 Jahren, ganz einfach bedingt durch die damalige Arbeitswelt, noch viel mehr als heute im Freien abspielte, erhält der zitierte Beitrag besonderes Gewicht. Damals musste fast jede Strecke außerhalb der eigenen vier Wände zu Fuß zurück gelegt werden. Autos gab es praktisch noch nicht.

Dennoch warnte der Arzt schon 1910 vor all zu viel und im Zuge der damals beginnenden Technisierung immer häufiger auftretender körperlicher Verweichlichung.
Wenn er unsere heutige Welt erleben könnte, würden seine Worte gewiss drastischer ausfallen: Nicht nur Influenza oder Schnupfen macht den Bewohnern der Industrieländer heute zu schaffen, sondern der fehlende Aufenthalt an der "frischen Luft" und fehlende körperliche Bewegung sorgen für einen verbreiteten, durch das fehlende Sonnenlicht erzeugten Vitamin-D-Mangel mit weiteren schlimmen Folgen: Diabetes Typ 1 und verschiedene Krebsarten zum Beispiel.

Hinzu kommen heute das damals noch weitgehend unbekannte verbreitete Übergewicht, Bluthochdruck und allgemein das "metabolische Syndrom" als Zusammenfassung von Diabetes, Bluthochdruck, erhöhten Blutfettwerten und Fettleibigkeit - mit Milliarden Kosten für unser Sozialssystem und mit viel Leid für die Betroffenen.

Haben wir seit 1910 nichts gelernt? Ich denke, dass diese Aussage eindeutig mit Ja beantwortet werden muss. Die Verantwortung des Einzelnen für seine eigene Gesundheit wird lieber abgeschoben: auf ein zwar hoch entwickeltes aber ungeheuer teures Gesundheitssystem. Ein Chefarzt aus Halle sagte mir in einem Interview, dass einige seiner Patienten von ihm und seinen Kollegen forderten, nach spätestens zehn Tagen gesund entlassen zu werden. Schließlich würden sie ja hohe Kassenbeiträge zahlen. Der Arzt entgegnete dann meist, dass er die Folgen des jahrzehntelangen Raubbaus an der Gesundheit nicht innerhalb von zehn Tagen korrigieren könne. Genau diese Haltung meine ich. Aber der Mensch ist keine Maschine, sondern ein Lebewesen.

Wenn ich jedoch sehe, wie viel Liebe und Zeit viele Menschen in die Pflege ihres später sowieso zu verschrottenden Autos investieren, glaube ich manchmal, die Sorge um dessen "Wohlergehen" ist größer, als jene um sich selbst. Trotz aller Gesundheitswünsche zum neuen Jahr 2012.

Die Reihe wird zu verschiedenen Themen in loser Folge fortgesetzt.
Autor: nnz

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