Do, 06:54 Uhr
06.10.2011
Menschenbilder (19)
Aus dem im Spätherbst des Jahres 2011 erscheinenden reich bebilderten Buch "Menschenbilder aus der Harz- und Kyffhäuserregion" von Bodo Schwarzberg veröffentlicht die nnz in loser Folge eine Auswahl an Texten über Mitbürger, die er seit April 2010 zu ihrem Leben, ihrer Tätigkeit und deren gesellschaftlichen und persönlichen Hintergründen gesprochen hat.
Wenn Dr. Johann Franz auf die Gründe für den erfolgreichen Entwicklungsweg des einstigen VEG Tierzucht Nordhausen angesprochen wird, dann gebraucht er Worte, die so manchen ehemaligen DDR-Bürger, aber auch so manchen Westdeutschen, staunen lassen: In der Landwirtschaft der DDR lag das Geld auf der Straße. Es gab viele Möglichkeiten, erfolgreich, innovativ und effektiv zu arbeiten. Die meisten Leiter aber haben diese Möglichkeiten nicht genutzt, sagt der am 03.11.1934 in Saaz im Sudetenland geborene Landwirt.
Und in der Tat: Johann Franz schaffte es, das VEG Tierzucht zu dem VEG mit dem höchsten Gewinn im Republikmaßstab zu machen. Das waren in den letzten 12 Jahren vor der Wende bis zu 35 Mio. Mark der DDR. Die Maßnahmen, mit denen er dies erreichte, sind ausgesprochen vielfältig, und sie stehen in einem deutlichen Gegensatz zu dem, was im alltäglichen Wirtschaftsgeschehen der DDR landauf, landab die Regel war. Johann Franz hielt nie etwas vom ideologisch geprägten Dogmatismus der Partei, der er selbst angehörte.
Er baute im VEG sein eigenes System auf, eine Enklave, die beispielhaft war, aber offenbar nicht beispielhaft genug, um die Ost-Berliner Führung zu bewegen, seine Erfahrungen auf weite Teile der Wirtschaft zu übertragen. Andererseits ließ sie den Pragmatiker Franz gewähren, weil er ihr nicht zu leugnende Erfolge präsentierte, die selbst international Anerkennung fanden.
Als Glied einer 400 Jahre zurück verfolgbaren Landwirtsfamilie und Sohn eines Landwirtschaftswissenschaftlers stand für ihn stets fest, dass auch er diesen Weg beschreiten würde. Er wuchs in Helbra und Schulpforte auf, wo er 1955 das Abitur ablegte. Entsprechend dem damals großen Bedarf an Führungskräften im Zuge der LPG-Bildung, wurde Johann Franz während seines Studiums der Landwirtschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg auf die Leitung großer landwirtschaftlicher Betriebe vorbereitet.
Dies entsprach seinen eigenen Zukunftsvorstellungen, aber auch denen seines Vaters: Du wirst Menschen führen lernen, hatte der einst zu ihm gesagt. An das breit angelegte Studium mit seinen vielfältigen Möglichkeiten erinnert er sich gern und dankbar zurück. Im Jahr 1960 wurde er mit der Leitung des VEG Bösewig in der Elbniederung bei Wittenberg betraut, womit er zugleich der jüngste Direktor eines Volkseigenen Gutes im damaligen Bezirk Halle wurde. Er war dessen 13. Leiter seit 1945, was auf viele Probleme am Standort hinwies. Vieles von dem, was Johann Franz in Bösewig im kleinen Maßstab umsetzte, führte auch später das VEG Tierzucht Nordhausen zum Erfolg:
Zunächst holte er die alten Fachleute zurück, die einst auf den Rittergütern gearbeitet hatten, aus denen das VEG gebildet worden war. Ich nutzte die Heimatliebe, die Verbundenheit der Menschen mit ihrer Scholle und deren über Generationen gewachsene Fähigkeiten, um den Betrieb voranzubringen. Das von der Partei für notwendig erachtete SED-Mitgliedsbuch bei meinen Mitarbeitern interessierte mich hingegen nicht, sagt er. Johann Franz wusste, dass es für ihn als Leiter nicht ausreichte, nur Fachmann zu sein. Nur wenn die Menschen motiviert sind, sind sie in der Lage und gewillt, ihre Fähigkeiten zum Wohl des großen Ganzen anzuwenden, betont er.
Dazu zählt er auch materielle Anreize. An Lohn zu sparen, führt generell nur zu kurzfristigen ökonomischen Effekten, sagt er. Den kurzsichtigen schnellen Erfolgswünschen der Übergeordneten stellt er sein Konzept von der langfristigen Erfolgsentwicklung als einen soliden, wohlüberlegten und individuellen Prozess gegenüber. All dies gefiel den Arbeitern des gebeutelten Bösewiger Gutes so gut, dass der Betrieb schon nach kurzer Zeit, wie Johann Franz sagt, hervorragend lief. Zum Eintritt in die SED wurde er von seinen Mitarbeitern bewegt: Ich war von der Theorie des Sozialismus ehrlich überzeugt, und ging nicht aus Karrieregründen in die Partei. Wegen der praktischen Defizite des real existierenden Sozialismus stieß ich allerdings permanent an Ecken und Kanten, sagt er.
1966 wurde er nach Berlin gerufen und mit der Tätigkeit als stellvertretender Generaldirektor der VVB Tierzucht mit 70 Tierzuchtgütern betraut, kündigte aber bereits am nächsten Tag. Ich hatte die Parteiversammlung der obersten Leitungsebene miterlebt und wusste danach, dass ich mit diesen Leuten nichts zum Wohl der VVB würde erreichen können, begründete er seine Entscheidung. Der Ton war mir zu rüde, zu praxisfremd und zu diktatorisch. Mit sozialistischer Demokratie hatte das nichts zu tun, sagt er. Seine resolute Absage brachte Johann Franz große Probleme ein. Nachdem er in der Folgezeit die Tätigkeit in mehreren anderen Funktionen abgelehnt hatte, wurde er im Juni 1967 nach Nordhausen zum damaligen VEG Darre gewiesen.
Der Betrieb hatte zu dieser Zeit keinen guten Ruf: Der Satz Wenn du nicht lernst, dann kommst du zur Darre, gehörte für so manche Mutter im damaligen Nordhausen zum üblichen Vokabular. Dieses Bild veränderte sich unter Johann Franz schon nach kurzer Zeit. Und das nicht nur, weil er den Namen des Betriebes in VEG Tierzucht Nordhausen änderte. Zunächst zentralisierte er die Leitung der über den ganzen Kreis verstreuten Teilbetriebe. Er konnte zahlreiche Leiter halten, die auf Grund der zuvor herrschenden Verhältnisse kündigen wollten: Versuchen Sie es doch mal mit mir, sagte er zu ihnen. Viele blieben bis zur Wende. Und jeder erhielt seinen eigenen Entscheidungsbereich mit einem hohen Maß an Entscheidungskompetenz.
Den Hauptanteil an den wirtschaftlichen Erfolgen des VEG misst er dem ausgewogenen System an Innovation und ökonomischer Weitsicht zu, das sich an den Erfordernissen des Marktes orientierte. An erster Stelle stand die Einführung neuer Verfahren und Technologien in der Tierzucht. Johann Franz holte Wissen in Form von Fachleuten heran, ohne Blick auf die Parteizugehörigkeit, und er belebte den Erfahrungsaustausch mit anderen Betrieben. Darin sieht der Landwirt einen großen Vorteil. Heute ist der eine Betrieb der Konkurrent des anderen, wodurch ein für alle innovativer Informationsfluss verhindert wird, sagt er. Unter Wissen heranholen verstand er aber auch die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten, die Zugang zu internationaler Fachliteratur hatten. Sieben Institute etablierten in Nordhausen in der Folgezeit Niederlassungen.
Durch dieses Maßnahmenpaket konnten die züchterische Arbeit im VEG Tierzucht, und insbesondere die Selektionsmethoden, revolutioniert werden. Der Übergang von der Einzelzüchtung zur auf langfristige Spitzenzüchtungen angelegten Anwendung, der Experimentalzüchtung, der Neuzüchtung und der Populationsgenetik, waren das entscheidende Werkzeug in diesem Prozess. Mit diesem neuen System wurden im VEG Tierzucht pro Jahr durchschnittlich 1.500 Vatertiere produziert. Die Auswahl der besten Zuchttiere erfolgte aus den Nachkommen von 10.000 Tieren.
Der Selektionsdruck war durch diese hohe Zahl besonders groß, wodurch es leichter war, gute Tiere zu finden, sagt Dr. Johann Franz. Viele Lösungsmöglichkeiten entwickelten sich im Gespräch mit seinen Kollegen und mit Forschungsinstituten, wobei ihm die Selbständigkeit der jeweiligen Partner ein besonders wichtiges Anliegen war.
Bereits nach zwei Jahren schrieb der Betrieb stabil schwarze Zahlen. Bei alledem halfen dem sozialistischen Unternehmer Dr. Franz auch unzählige Auslandsaufenthalte. In Vietnam leistete er Schützenhilfe beim Aufbau von landwirtschaftlichen Staatsbetrieben. Für deren erfolgreiche Entwicklung revanchierte sich das Land mit einem gesteigerten Kaffeeexport in die DDR. In Algerien wirkte er an der Gründung der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften mit und mit Österreich und anderen Ländern unterhielt er Handelskontakte.
Reisen führten ihn auch in die USA und nach Kanada, wo man ihn zum Bleiben überreden wollte. Ihre Familie holen wir nach, wurde ihm in den USA gesagt. Amüsiert erinnert er sich auch an die Frage nach der Anzahl der Mitarbeiter, die für ihn arbeiteten. Diese Sichtweise entsprach nicht meiner Herangehensweise im Umgang mit Menschen, mit denen ich immer auf. Augenhöhe kommunizierte, sagt er. Auch an Abnehmer in das westliche Ausland lieferte das VEG aus Nordhausen Zuchttiere, und erhielt im Gegenzug andere Rassen. Im westlichen Ausland war man oft über die fachliche Entscheidungsfreiheit erstaunt, für die Johann Franz in seinem Betrieb stand. Doch er nutzte, wie er sagt, einfach nur die in der DDR gegebenen großzügigen Strukturen der Landwirtschaft effektiv aus. Diese jedoch fehlten in den nichtsozialistischen Ländern.
Neben der Tierzucht setzte das VEG Tierzucht aber auch auf zahlreichen anderen Gebieten Maßstäbe: So gehörten zum Betrieb 300 Stuten, die damit die größte Pferdezucht der gesamten DDR repräsentierten. Die Tiere waren hochwertige Sportpferde und wurden fast ausschließlich in westliche Länder exportiert, ja sogar zum britische Königshaus. Einen Teil seiner Einnahmen erwirtschaftete das Unternehmen mit der Gewinnung von Hormonseren, die zur Fortpflanzungssteuerung benötigt werden.
Für 73 Mark Einsatz in der Pferdezucht erreichten wir einen Erlös von 100 Mark, sagt Johann Franz. Zum Unternehmen gehörte außerdem eine Gärtnerei, in der neben Blumen und Zierpflanzen Chicorée und Champignons produziert wurden, letztere im Betriebsteil Himmelsberg bei Appenrode. Mit den Champignons verbindet sich für Johann Franz auch eine seiner negativsten Erfahrungen im sozialistischen Wirtschaftssystem, die zugleich den Gegensatz zwischen seiner unternehmerischen Denkweise und der Erstarrtheit der Partei in einzigartiger Weise verdeutlichten: Einen wirtschaftsverantwortlichen Genossen ersuchte er um Erhöhung der Plankennziffer der Arbeitskräfte zur Erweiterung der Pilzzucht. Als dieser entgegnete, der Gartenbau sei nicht Aufgabe seines Wirtschaftszweiges, bekam der Landwirt einen Herzinfarkt.
Trotz des Systems der ökonomischen Freiheit, das ich aufgebaut hatte, musste ich doch immer wieder erkennen, wie wenig Initiative in der Republik erwünscht war, sagt er dazu. Auch die Tatsache, dass er das Leistungsprinzip nicht so anwenden konnte, wie er es sich vorstellte, bereitete ihm Kopfzerbrechen. Dass er also JEDEM Mitarbeiter eine Leistungsprämie zu zahlen hatte, ob für gute oder für schlechte Arbeit, störte ihn sehr.
Bekannt war über Landesgrenzen hinaus auch die Biogasanlage des VEG, die Johann Franz als Forschungsobjekt initiierte und für die er sich ausgesprochen stark machte. In der DDR jedoch stieß er mit seinen zukunftsträchtigen Plänen zur alternativen Energiegewinnung, wegen des Mangels an Material, auf wenig Interesse, aber auch weil Mais und Getreide ausschließlich für die Ernährung vorgesehen waren.
Das Sozialsystem des VEG war ebenso beispielhaft: So wurden zum Beispiel Mütter mit ihren Kindern gemeinsam von Zuhause hin zu Betriebskindergärten bzw. zum Betrieb abgeholt und gemeinsam auch wieder nach Hause gefahren. Es gab einen Jugendklub und eine Betriebskantine, die auch am Wochenende geöffnet war. Betriebsärzte sorgten sich um das gesundheitliche Wohl der 800 Kolleginnen und Kollegen sowie um das ihrer Angehörigen. Der Betrieb sollte mehr sein, als nur ein Ort zum Geldverdienen, meint Johann Franz.
Seine Arbeit wurde mehrfach hoch dekoriert. So mit dem Titel Held der Arbeit und mit dem Nationalpreis. Das bedeutete mir wenig, aber das Geld brauchte ich schon für meine vier Kinder, sagt er dazu. Auch der Betrieb erhielt die höchsten staatlichen Auszeichnungen. Ein eigenes Haus indes hatte Johann Franz zu DDR-Zeiten stets mit der Begründung abgelehnt, er wolle nicht, dass man ihn vonseiten der Machthaber auf Grund ihrer Großzügigkeit der Gewährung eines Eigenheimes, unter Druck setzen konnte.
Die Wende hat Dr. Johann Franz sehr begrüßt, Im Land schlief alles ein und ich hatte die große Hoffnung, dass sich das starre System ändern könne, sagt er. Aber er musste schnell erkennen, dass das VEG Tierzucht trotz seiner Erfolge und seiner Einzigartigkeit immer noch ein Teil des Systems war. Auf einmal kümmerte sich niemand mehr um das riesige Vermögen, das ich in den Händen hielt. Die oben waren wie gelähmt, sagt er.
In Osteuropa und in der Verarbeitungsindustrie brachen die langjährigen Kunden des VEG weg. Aus der Angst heraus, dass er unter den unsicheren Verhältnissen der Umbruchzeit für seine 120.000 Schweine nicht mehr über ausreichend Futter verfügen könne, verkaufte er sie zu Dumpingpreisen in den Westen. Die sich leerenden Ställe, aber auch die Notwendigkeit, viele seiner 800 Mitarbeiter zu entlassen, belastete ihn so sehr, dass Johann Franz darüber nachdachte, ins Ausland zu gehen.
Ich sehnte eine schnelle Vereinigung der beiden deutschen Staaten herbei, damit wieder eine verlässliche Rechtsordnung besteht, nennt er einen seiner damaligen Wünsche. Immer wieder standen westdeutsche Glücksritter vor dem Werkstor: Was kann man bei Ihnen billig kaufen?, fragte ihn einst zum Beispiel ein Bayer. Hier gibt es gar nichts billig zu kaufen!, entgegnete ihm Johann Franz. Als der Bayer sah, dass er der Chef des VEG war und nur einen Lada fuhr, forderte er ihn auf, sich doch erst einmal ein vernünftiges Auto zu kaufen.
Zunächst wurde das VEG als GmbH an einen Autohändler verkauft, der jedoch scheiterte. Denen ging es nie um den Betrieb, sondern nur um das Vermögen, kritisiert Johann Franz.. Der zweite und schließlich erfolgreiche Eigentümer heißt van Asten und kommt aus Holland. Er knüpft an die Tradition des VEG an und hat heute, wie in alten Zeiten, wieder eine große Zahl an Schweinen in den Ställen stehen: Ich sehe in ihm einen tüchtigen und würdigen Mann, der der neuen Zeit angepasst ist, sagt Johann Franz über ihn. Alle Führungspositionen sind heute übrigens mit Tierzuchtexperten besetzt, die an ostdeutschen Universitäten ausgebildet wurden.
Johann Franz selbst blieb noch bis 1997 an seiner langjährigen Wirkungsstätte, und ging anschließend mit seinem Wissen und seinen Patenten hausieren, wie er sagt. Ich wollte zeigen, dass ich kein dummer Ossi bin, sagt er. In Wallhausen baute er aus eigener Kraft einen Betrieb für die Herstellung von Pilzsubstrat auf. Dieser Betrieb Pilzhof Pilzsubtrat Wallhausen GmbH ist einer der größten und erfolgreichsten Betriebe in ganz Mitteleuropa. Er exportiert das Substrat in zahlreiche Länder. Bis 2006 war er in Wallhausen Geschäftsführer und stellte dann sein Wissen vor allem zu Leitungsfragen diesem Betrieb, aber auch anderen Firmen zur Verfügung.
Dr. Johann Franz ist seit 1960 mit Monika Franz, geb. Lehmann-Eschenhorn, verheiratet und blickt mit Stolz auf seine Enkel und vier Söhne, die erfolgreich die neuen Umstände und Unternehmen meistern. Drei Söhne sind in der Region selbständig. Am liebsten widmet er sich in der Freizeit seinem großen Garten und ist interessiert an wirtschaftlichen Leitungsfragen großer Landwirtschaftsbetriebe.
Das Buch wird von Helmut Peter von der Autohaus Peter GmbH und vom Maler und Grafiker Klaus-Dieter Kerwitz (mit Grafiken) großzügig unterstützt. Kommentare sind nicht erwünscht.
Autor: nnzDr. agr. Johann Franz
Ehemaliger Direktor des VEG Tierzucht NordhausenWenn Dr. Johann Franz auf die Gründe für den erfolgreichen Entwicklungsweg des einstigen VEG Tierzucht Nordhausen angesprochen wird, dann gebraucht er Worte, die so manchen ehemaligen DDR-Bürger, aber auch so manchen Westdeutschen, staunen lassen: In der Landwirtschaft der DDR lag das Geld auf der Straße. Es gab viele Möglichkeiten, erfolgreich, innovativ und effektiv zu arbeiten. Die meisten Leiter aber haben diese Möglichkeiten nicht genutzt, sagt der am 03.11.1934 in Saaz im Sudetenland geborene Landwirt.
Und in der Tat: Johann Franz schaffte es, das VEG Tierzucht zu dem VEG mit dem höchsten Gewinn im Republikmaßstab zu machen. Das waren in den letzten 12 Jahren vor der Wende bis zu 35 Mio. Mark der DDR. Die Maßnahmen, mit denen er dies erreichte, sind ausgesprochen vielfältig, und sie stehen in einem deutlichen Gegensatz zu dem, was im alltäglichen Wirtschaftsgeschehen der DDR landauf, landab die Regel war. Johann Franz hielt nie etwas vom ideologisch geprägten Dogmatismus der Partei, der er selbst angehörte.
Er baute im VEG sein eigenes System auf, eine Enklave, die beispielhaft war, aber offenbar nicht beispielhaft genug, um die Ost-Berliner Führung zu bewegen, seine Erfahrungen auf weite Teile der Wirtschaft zu übertragen. Andererseits ließ sie den Pragmatiker Franz gewähren, weil er ihr nicht zu leugnende Erfolge präsentierte, die selbst international Anerkennung fanden.
Als Glied einer 400 Jahre zurück verfolgbaren Landwirtsfamilie und Sohn eines Landwirtschaftswissenschaftlers stand für ihn stets fest, dass auch er diesen Weg beschreiten würde. Er wuchs in Helbra und Schulpforte auf, wo er 1955 das Abitur ablegte. Entsprechend dem damals großen Bedarf an Führungskräften im Zuge der LPG-Bildung, wurde Johann Franz während seines Studiums der Landwirtschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg auf die Leitung großer landwirtschaftlicher Betriebe vorbereitet.
Dies entsprach seinen eigenen Zukunftsvorstellungen, aber auch denen seines Vaters: Du wirst Menschen führen lernen, hatte der einst zu ihm gesagt. An das breit angelegte Studium mit seinen vielfältigen Möglichkeiten erinnert er sich gern und dankbar zurück. Im Jahr 1960 wurde er mit der Leitung des VEG Bösewig in der Elbniederung bei Wittenberg betraut, womit er zugleich der jüngste Direktor eines Volkseigenen Gutes im damaligen Bezirk Halle wurde. Er war dessen 13. Leiter seit 1945, was auf viele Probleme am Standort hinwies. Vieles von dem, was Johann Franz in Bösewig im kleinen Maßstab umsetzte, führte auch später das VEG Tierzucht Nordhausen zum Erfolg:
Zunächst holte er die alten Fachleute zurück, die einst auf den Rittergütern gearbeitet hatten, aus denen das VEG gebildet worden war. Ich nutzte die Heimatliebe, die Verbundenheit der Menschen mit ihrer Scholle und deren über Generationen gewachsene Fähigkeiten, um den Betrieb voranzubringen. Das von der Partei für notwendig erachtete SED-Mitgliedsbuch bei meinen Mitarbeitern interessierte mich hingegen nicht, sagt er. Johann Franz wusste, dass es für ihn als Leiter nicht ausreichte, nur Fachmann zu sein. Nur wenn die Menschen motiviert sind, sind sie in der Lage und gewillt, ihre Fähigkeiten zum Wohl des großen Ganzen anzuwenden, betont er.
Dazu zählt er auch materielle Anreize. An Lohn zu sparen, führt generell nur zu kurzfristigen ökonomischen Effekten, sagt er. Den kurzsichtigen schnellen Erfolgswünschen der Übergeordneten stellt er sein Konzept von der langfristigen Erfolgsentwicklung als einen soliden, wohlüberlegten und individuellen Prozess gegenüber. All dies gefiel den Arbeitern des gebeutelten Bösewiger Gutes so gut, dass der Betrieb schon nach kurzer Zeit, wie Johann Franz sagt, hervorragend lief. Zum Eintritt in die SED wurde er von seinen Mitarbeitern bewegt: Ich war von der Theorie des Sozialismus ehrlich überzeugt, und ging nicht aus Karrieregründen in die Partei. Wegen der praktischen Defizite des real existierenden Sozialismus stieß ich allerdings permanent an Ecken und Kanten, sagt er.
1966 wurde er nach Berlin gerufen und mit der Tätigkeit als stellvertretender Generaldirektor der VVB Tierzucht mit 70 Tierzuchtgütern betraut, kündigte aber bereits am nächsten Tag. Ich hatte die Parteiversammlung der obersten Leitungsebene miterlebt und wusste danach, dass ich mit diesen Leuten nichts zum Wohl der VVB würde erreichen können, begründete er seine Entscheidung. Der Ton war mir zu rüde, zu praxisfremd und zu diktatorisch. Mit sozialistischer Demokratie hatte das nichts zu tun, sagt er. Seine resolute Absage brachte Johann Franz große Probleme ein. Nachdem er in der Folgezeit die Tätigkeit in mehreren anderen Funktionen abgelehnt hatte, wurde er im Juni 1967 nach Nordhausen zum damaligen VEG Darre gewiesen.
Der Betrieb hatte zu dieser Zeit keinen guten Ruf: Der Satz Wenn du nicht lernst, dann kommst du zur Darre, gehörte für so manche Mutter im damaligen Nordhausen zum üblichen Vokabular. Dieses Bild veränderte sich unter Johann Franz schon nach kurzer Zeit. Und das nicht nur, weil er den Namen des Betriebes in VEG Tierzucht Nordhausen änderte. Zunächst zentralisierte er die Leitung der über den ganzen Kreis verstreuten Teilbetriebe. Er konnte zahlreiche Leiter halten, die auf Grund der zuvor herrschenden Verhältnisse kündigen wollten: Versuchen Sie es doch mal mit mir, sagte er zu ihnen. Viele blieben bis zur Wende. Und jeder erhielt seinen eigenen Entscheidungsbereich mit einem hohen Maß an Entscheidungskompetenz.
Den Hauptanteil an den wirtschaftlichen Erfolgen des VEG misst er dem ausgewogenen System an Innovation und ökonomischer Weitsicht zu, das sich an den Erfordernissen des Marktes orientierte. An erster Stelle stand die Einführung neuer Verfahren und Technologien in der Tierzucht. Johann Franz holte Wissen in Form von Fachleuten heran, ohne Blick auf die Parteizugehörigkeit, und er belebte den Erfahrungsaustausch mit anderen Betrieben. Darin sieht der Landwirt einen großen Vorteil. Heute ist der eine Betrieb der Konkurrent des anderen, wodurch ein für alle innovativer Informationsfluss verhindert wird, sagt er. Unter Wissen heranholen verstand er aber auch die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten, die Zugang zu internationaler Fachliteratur hatten. Sieben Institute etablierten in Nordhausen in der Folgezeit Niederlassungen.
Durch dieses Maßnahmenpaket konnten die züchterische Arbeit im VEG Tierzucht, und insbesondere die Selektionsmethoden, revolutioniert werden. Der Übergang von der Einzelzüchtung zur auf langfristige Spitzenzüchtungen angelegten Anwendung, der Experimentalzüchtung, der Neuzüchtung und der Populationsgenetik, waren das entscheidende Werkzeug in diesem Prozess. Mit diesem neuen System wurden im VEG Tierzucht pro Jahr durchschnittlich 1.500 Vatertiere produziert. Die Auswahl der besten Zuchttiere erfolgte aus den Nachkommen von 10.000 Tieren.
Der Selektionsdruck war durch diese hohe Zahl besonders groß, wodurch es leichter war, gute Tiere zu finden, sagt Dr. Johann Franz. Viele Lösungsmöglichkeiten entwickelten sich im Gespräch mit seinen Kollegen und mit Forschungsinstituten, wobei ihm die Selbständigkeit der jeweiligen Partner ein besonders wichtiges Anliegen war.
Bereits nach zwei Jahren schrieb der Betrieb stabil schwarze Zahlen. Bei alledem halfen dem sozialistischen Unternehmer Dr. Franz auch unzählige Auslandsaufenthalte. In Vietnam leistete er Schützenhilfe beim Aufbau von landwirtschaftlichen Staatsbetrieben. Für deren erfolgreiche Entwicklung revanchierte sich das Land mit einem gesteigerten Kaffeeexport in die DDR. In Algerien wirkte er an der Gründung der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften mit und mit Österreich und anderen Ländern unterhielt er Handelskontakte.
Reisen führten ihn auch in die USA und nach Kanada, wo man ihn zum Bleiben überreden wollte. Ihre Familie holen wir nach, wurde ihm in den USA gesagt. Amüsiert erinnert er sich auch an die Frage nach der Anzahl der Mitarbeiter, die für ihn arbeiteten. Diese Sichtweise entsprach nicht meiner Herangehensweise im Umgang mit Menschen, mit denen ich immer auf. Augenhöhe kommunizierte, sagt er. Auch an Abnehmer in das westliche Ausland lieferte das VEG aus Nordhausen Zuchttiere, und erhielt im Gegenzug andere Rassen. Im westlichen Ausland war man oft über die fachliche Entscheidungsfreiheit erstaunt, für die Johann Franz in seinem Betrieb stand. Doch er nutzte, wie er sagt, einfach nur die in der DDR gegebenen großzügigen Strukturen der Landwirtschaft effektiv aus. Diese jedoch fehlten in den nichtsozialistischen Ländern.
Neben der Tierzucht setzte das VEG Tierzucht aber auch auf zahlreichen anderen Gebieten Maßstäbe: So gehörten zum Betrieb 300 Stuten, die damit die größte Pferdezucht der gesamten DDR repräsentierten. Die Tiere waren hochwertige Sportpferde und wurden fast ausschließlich in westliche Länder exportiert, ja sogar zum britische Königshaus. Einen Teil seiner Einnahmen erwirtschaftete das Unternehmen mit der Gewinnung von Hormonseren, die zur Fortpflanzungssteuerung benötigt werden.
Für 73 Mark Einsatz in der Pferdezucht erreichten wir einen Erlös von 100 Mark, sagt Johann Franz. Zum Unternehmen gehörte außerdem eine Gärtnerei, in der neben Blumen und Zierpflanzen Chicorée und Champignons produziert wurden, letztere im Betriebsteil Himmelsberg bei Appenrode. Mit den Champignons verbindet sich für Johann Franz auch eine seiner negativsten Erfahrungen im sozialistischen Wirtschaftssystem, die zugleich den Gegensatz zwischen seiner unternehmerischen Denkweise und der Erstarrtheit der Partei in einzigartiger Weise verdeutlichten: Einen wirtschaftsverantwortlichen Genossen ersuchte er um Erhöhung der Plankennziffer der Arbeitskräfte zur Erweiterung der Pilzzucht. Als dieser entgegnete, der Gartenbau sei nicht Aufgabe seines Wirtschaftszweiges, bekam der Landwirt einen Herzinfarkt.
Trotz des Systems der ökonomischen Freiheit, das ich aufgebaut hatte, musste ich doch immer wieder erkennen, wie wenig Initiative in der Republik erwünscht war, sagt er dazu. Auch die Tatsache, dass er das Leistungsprinzip nicht so anwenden konnte, wie er es sich vorstellte, bereitete ihm Kopfzerbrechen. Dass er also JEDEM Mitarbeiter eine Leistungsprämie zu zahlen hatte, ob für gute oder für schlechte Arbeit, störte ihn sehr.
Bekannt war über Landesgrenzen hinaus auch die Biogasanlage des VEG, die Johann Franz als Forschungsobjekt initiierte und für die er sich ausgesprochen stark machte. In der DDR jedoch stieß er mit seinen zukunftsträchtigen Plänen zur alternativen Energiegewinnung, wegen des Mangels an Material, auf wenig Interesse, aber auch weil Mais und Getreide ausschließlich für die Ernährung vorgesehen waren.
Das Sozialsystem des VEG war ebenso beispielhaft: So wurden zum Beispiel Mütter mit ihren Kindern gemeinsam von Zuhause hin zu Betriebskindergärten bzw. zum Betrieb abgeholt und gemeinsam auch wieder nach Hause gefahren. Es gab einen Jugendklub und eine Betriebskantine, die auch am Wochenende geöffnet war. Betriebsärzte sorgten sich um das gesundheitliche Wohl der 800 Kolleginnen und Kollegen sowie um das ihrer Angehörigen. Der Betrieb sollte mehr sein, als nur ein Ort zum Geldverdienen, meint Johann Franz.
Seine Arbeit wurde mehrfach hoch dekoriert. So mit dem Titel Held der Arbeit und mit dem Nationalpreis. Das bedeutete mir wenig, aber das Geld brauchte ich schon für meine vier Kinder, sagt er dazu. Auch der Betrieb erhielt die höchsten staatlichen Auszeichnungen. Ein eigenes Haus indes hatte Johann Franz zu DDR-Zeiten stets mit der Begründung abgelehnt, er wolle nicht, dass man ihn vonseiten der Machthaber auf Grund ihrer Großzügigkeit der Gewährung eines Eigenheimes, unter Druck setzen konnte.
Die Wende hat Dr. Johann Franz sehr begrüßt, Im Land schlief alles ein und ich hatte die große Hoffnung, dass sich das starre System ändern könne, sagt er. Aber er musste schnell erkennen, dass das VEG Tierzucht trotz seiner Erfolge und seiner Einzigartigkeit immer noch ein Teil des Systems war. Auf einmal kümmerte sich niemand mehr um das riesige Vermögen, das ich in den Händen hielt. Die oben waren wie gelähmt, sagt er.
In Osteuropa und in der Verarbeitungsindustrie brachen die langjährigen Kunden des VEG weg. Aus der Angst heraus, dass er unter den unsicheren Verhältnissen der Umbruchzeit für seine 120.000 Schweine nicht mehr über ausreichend Futter verfügen könne, verkaufte er sie zu Dumpingpreisen in den Westen. Die sich leerenden Ställe, aber auch die Notwendigkeit, viele seiner 800 Mitarbeiter zu entlassen, belastete ihn so sehr, dass Johann Franz darüber nachdachte, ins Ausland zu gehen.
Ich sehnte eine schnelle Vereinigung der beiden deutschen Staaten herbei, damit wieder eine verlässliche Rechtsordnung besteht, nennt er einen seiner damaligen Wünsche. Immer wieder standen westdeutsche Glücksritter vor dem Werkstor: Was kann man bei Ihnen billig kaufen?, fragte ihn einst zum Beispiel ein Bayer. Hier gibt es gar nichts billig zu kaufen!, entgegnete ihm Johann Franz. Als der Bayer sah, dass er der Chef des VEG war und nur einen Lada fuhr, forderte er ihn auf, sich doch erst einmal ein vernünftiges Auto zu kaufen.
Zunächst wurde das VEG als GmbH an einen Autohändler verkauft, der jedoch scheiterte. Denen ging es nie um den Betrieb, sondern nur um das Vermögen, kritisiert Johann Franz.. Der zweite und schließlich erfolgreiche Eigentümer heißt van Asten und kommt aus Holland. Er knüpft an die Tradition des VEG an und hat heute, wie in alten Zeiten, wieder eine große Zahl an Schweinen in den Ställen stehen: Ich sehe in ihm einen tüchtigen und würdigen Mann, der der neuen Zeit angepasst ist, sagt Johann Franz über ihn. Alle Führungspositionen sind heute übrigens mit Tierzuchtexperten besetzt, die an ostdeutschen Universitäten ausgebildet wurden.
Johann Franz selbst blieb noch bis 1997 an seiner langjährigen Wirkungsstätte, und ging anschließend mit seinem Wissen und seinen Patenten hausieren, wie er sagt. Ich wollte zeigen, dass ich kein dummer Ossi bin, sagt er. In Wallhausen baute er aus eigener Kraft einen Betrieb für die Herstellung von Pilzsubstrat auf. Dieser Betrieb Pilzhof Pilzsubtrat Wallhausen GmbH ist einer der größten und erfolgreichsten Betriebe in ganz Mitteleuropa. Er exportiert das Substrat in zahlreiche Länder. Bis 2006 war er in Wallhausen Geschäftsführer und stellte dann sein Wissen vor allem zu Leitungsfragen diesem Betrieb, aber auch anderen Firmen zur Verfügung.
Dr. Johann Franz ist seit 1960 mit Monika Franz, geb. Lehmann-Eschenhorn, verheiratet und blickt mit Stolz auf seine Enkel und vier Söhne, die erfolgreich die neuen Umstände und Unternehmen meistern. Drei Söhne sind in der Region selbständig. Am liebsten widmet er sich in der Freizeit seinem großen Garten und ist interessiert an wirtschaftlichen Leitungsfragen großer Landwirtschaftsbetriebe.
Das Buch wird von Helmut Peter von der Autohaus Peter GmbH und vom Maler und Grafiker Klaus-Dieter Kerwitz (mit Grafiken) großzügig unterstützt. Kommentare sind nicht erwünscht.
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