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Di, 11:40 Uhr
07.02.2023
DOPPELL-BALLETTABEND AM TNLOS!

Zwei getanzte Geschichten

Der neue Ballettabend am TN LOS! wird in doppelter Hinsicht spannend. Zwei Werke: »Der Feuervogel«/»Humpback Runner« – zwei Choreografen: Ivan Alboresi und Jiri Pokorný – zwei unterschiedliche Handschriften zu ganz verschiedener Musik…

Mit »Der Feuervogel« widmet sich Ballettdirektor Ivan Alboresi nach »Petruschka« einem weiteren bedeutenden Ballett von Igor Strawinsky. Alboresi hat einen neuen spannenden Zugang zu diesem Märchen vom Feuervogel, der die zerstörerischen Kräfte des Zauberers Kastschei zu vernichten vermag, gefunden. Renate Liedtke hat ihn zu seiner Konzeption befragt.

Ivan, »Der Feuervogel« ist deine zweite Choreografie zu Musik von Igor Strawinsky. Du willst die Reihe der Choreografien Balletten von ihm auch fortsetzen, was fasziniert dich an dieser Musik?

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Ja, später bringen wir noch »Le sacre du printemps« auf die Bühne und zuvor »Les Noces«. »Les Noces« werde ich aber nicht selbst choreografieren, dafür hole ich einen Gastchoreografen. Ich möchte, dass das Publikum diese großartigen Werke Strawinskys kennenlernt und das in unterschiedlichen choreografischen Handschriften. Strawinsky war ein so innovativer Komponist. Seine Musik hat unglaublich viele Facetten. Sie ist sinnlich und gleichzeitig von großer rhythmischer und gestischer Kraft. Was mich an ihr besonders reizt, ist ihr Bildreichtum. Diese Musik gibt viel Raum für Interpretationen.

Balettdirektor Ivan Alboresi (Foto: Theater Nordhausen) Balettdirektor Ivan Alboresi (Foto: Theater Nordhausen)


Strawinsky hat in »Der Feuervogel« ein russisches Märchen aufgegriffen. Es geht im Märchen meist um den Kampf von Gut und Böse.

Richtig, es geht um Gut und Böse, auch hier, das ist die Basis der Geschichte. Mir war das allerdings etwas zu eindimensional. Mein Ziel ist, den Charakteren mehr psychologische Tiefe zu geben. Zum Beispiel interessiert mich bei Kastschei, dem Seelenlosen, wie er war, bevor er seine Seele verloren hat, was passiert ist, um ihn zum Tyrannen werden zu lassen.

Du erzählst die Geschichte nicht als Märchen, du holst sie in unsere Zeit …

Sogar in die zukünftige Zeit, in eine Zeit, in der alles unter Kontrolle ist, wo z. B. mittels QR-Codes die Gesellschaft gecheckt wird. Wer nicht systemkonform ist, wird in Glasvitrinen »ausgestellt«.

In deiner Konzeption ist Kastschei nicht ein Zauberer oder nur der Seelenlose. Für was steht er und für was die Prinzessinnen, die ihn umgeben?

Kastschei ist Sinnbild für jemanden, der Macht über eine ganz Gesellschaft hat und diese Macht als Tyrann und Diktator ausübt. Die Prinzessinnen sind bei mir einfach nur Frauen (lacht) – alle Frauen sind Prinzessinnen –. Mit ihnen möchte ich zeigen, wie Tradition auf eine fanatische Art benutzt und missbraucht wird. Man könnte denken, ich setze alles in eine russische dystopische Zeit, aber mit den Kostümen und der Art, wie die Frauen tanzen, gehe ich auf eine alte russische Tradition ein, die ich als Zitat verwende. Diese Art von Tanz wurde in den fünfziger Jahren erfunden, es ist ein Reigentanz mit starren Kostümen, in dem die Tänzerinnen wie aufgezogene Spieluhren über den Boden gleiten. Die Frauen sind wie in einem Korsett gefangen. Und das ist genau das, was ein Diktator mit der Tradition macht, er nutzt sie, um die Gesellschaft in ein Korsett zu pressen. Das ist keine Kritik an Traditionen, im Gegenteil, es ist ganz wichtig, zu wissen, woher wir kommen und wie wir so geworden sind, wie wir sind. Aber oft werden diese Traditionen wie auch Religionen von Tyrannen für ihre Zwecke missbraucht.

Der Gegenspieler von Kastschei ist im Märchen Iwan…

Genau. Iwan steht für eine freie Gesellschaft, für einen freien Menschen. Das sehen wir bei ihm schon an der Technik seiner Bewegungen. Er bewegt sich sehr rund, sehr fließend – ganz im Kontrast zu Kastschei. Dieser hat eher roboterartige, abgehackte Bewegungsabläufe. Die Menschen seines Gefolges bewegen sich wie in Trance, auch sie haben keine Seelen. Kastschei hat sie ihrer Seelen beraubt und diese in Kugeln verwahrt. Im Unterschied zu dem Märchen, in dem Kastscheis Seele in einem Ei ist, werden die Seelen dieser Menschen jeweils in leuchtenden Kugeln gefangen gehalten. Kastschei hat alle Seelen um sich versammelt und somit Macht über sie.

Und Iwan rettet die Prinzessinnen?

Iwan gibt den Prinzessinnen mit seinem Mut den Impuls, sich selbst zu befreien, er gibt ihnen die Kraft, gegen das System zu rebellieren. Er ist also nicht der Heilsbringer sondern eher der Katalysator. Der Feuervogel ist für mich eine Metapher für Mut, Liebe und für Gefühle, die erwachen und wieder verschwinden. Der Feuervogel taucht auf, fliegt, verbrennt zu Asche und ersteht wieder neu. Das ist wie mit unseren Gefühlen, die wie eine Welle kommen und gehen, um wieder neu zu erwachen. Der Feuervogel ist nicht nur für Iwan und die Prinzessinnen Kraftquelle und Impulsgeber, er versucht auch in Kastschei ein Gefühl von Liebe aufkeimen zu lassen. Allerdings kann Kastschei damit so gar nicht umgehen.

Du hast gesagt, dass Kastschei sehr harte, sehr technische Bewegungen hat. Wenn der Feuervogel auf Kastschei trifft, verändert sich das Bewegungsmuster von dem Tyrannen?

Ja, man merkt, dass er weichere Bewegungen bekommt, sich aber dagegen wehrt. Sein Körper kämpft dagegen an. Es gibt auch einen Moment von Helligkeit bei Kastschei. Für mich war interessant, zu überlegen, was diesen Gewaltherrscher zu dem gemacht hat, was er ist, woher seine negativen Gefühle rühren. Oft gibt es in der Vergangenheit enttäuschte Hoffnungen, Abwertungen, Verluste, was natürlich keine Entschuldigung für Tyrannei sein kann, aber Verstehen bringt.

Am Ende löst das befreiende Moment alles in Licht auf, in eine strahlende Zukunft. Kastschei wird besiegt, nicht nur von den Frauen, alle verdrängen die finstere Macht, es ist die Musik Strawinskys, die das vorgibt.

Das Interview führte Renate Liedtke vom TNLOS
Autor: red

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