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Fr, 10:06 Uhr
30.10.2020
Betrachtung

Elke Erb in Limlingerode

Elke Erb erhält morgen den höchsten Literaturpreis in Deutschland. In der nnz erinnert Heidelore Kneffel an einen Besuch in Limlingerode...


Die Dichterin Elke Erb schrieb am 27. Juni 2003 in das 1. Gästebuch des Fördervereins „Dichterstätte Sarah Kirsch“ in Limlingerode die Verse: „Wie ich Spiegeln vereiteln kann // Ich halte am Hang dieses Hügels stand / zur Betrachtung seiner trockenen Welle / unter der Luft. Setze Flieder an / den lotrechten Eigensinn, ende in Duft.“

Elke Erb 2003 in Limlingerode (Foto: Archiv Kneffel) Elke Erb 2003 in Limlingerode (Foto: Archiv Kneffel)
Mit Freude erfuhren die Mitglieder im Sommer dieses ungewöhnlichen Jahres, dass die Dichterin Elke Erb am 31. Oktober 2020 von der Akademie für Sprache und Dichtkunst in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis erhalten wird. Endlich!!! denken, sagen und schreiben Lyrikfreunde. Für uns, die wir der Leidenschaft für Gedichtetes seit 1997 auf unterschiedliche Weise in Limlingerode, im Geburtsort der Dichterin Sarah Kirsch, frönen, ist Elke Erb natürlich keine Unbekannte. Sie und die Kirsch waren insbesondere in Ostberlin mehrere Jahre sehr miteinander verbunden, sie sind für die deutschsprachige Lyrik ja zwei außergewöhnliche Größen.

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1975 erscheint Elke Erbs Debüt „Gutachten, Lyrik und Prosa“, mit einer Nachbemerkung von Sarah Kirsch, 1977 bei Reclam in Leipzig der Sarah-Kisch-Band „Musik auf dem Wasser“, herausgegeben von Elke Erb, die zur Auswahl ein kenntnisreiches Nachwort über ihre Freundin geschrieben hat. 1989 gibt Reclams Universal-Bibliothek eine 2., berichtigte und erweiterte Auflage mit dem Erb-Text „Zwölf Jahre später“ heraus. Dieser beginnt mit dem Nachdenken über Kirschs häufige Verwendung des Wortes „schön“, der sie auch in den Bänden, die in der Bundesrepublik entstanden, treu geblieben ist, was sich bei unseren persönlichen Begegnungen in Limlingerode und Tielenhemme immer aufs Neue bestätigte.

Die Texte der Erb im Band zeigen, wie genau sie das Leben und Dichten ihrer Freundin darzustellen vermag. Die Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart veröffentlichte 1982 den Erb-Band „Trost. Gedichte und Prosa“ in der Auswahl der Kirsch, die sie mit wenigen prägnanten Sätzen einleitete. Beide Dichterinnen trafen sich auch in Tielenhemme. Von dort brach dann die Verbindung in den 1990 Jahren ab. Das ist ein Kapitel für sich.

Da wir in Limlingerode gern Autoren vorstellen, die Sarah Kirsch gut kennen, luden wir zu den 5. „Limlingeröder Diskursen“ im Juni 2002 Elke Erb aus Berlin ein und Wulf Kirsten aus Weimar. Von letzterem kannten wir die Adresse der Erb aus der Hauptstadt, auch die von Wuischke bei Bautzen. Beide würden sich gegenseitig vorstellen. Kurz vor den Diskursetagen erreichte uns aus dem ländlichen Domizil die Nachricht, dass vier Rippen gebrochen wurden.

So trug ich den Text „Die Fähre“ vor, den sie über den Kirsten-Text verfasst hatte und uns nun zuschickte, denn der gedruckte Text, den uns Wulf Kirsten versprochen hatte, kam dann erst 2003 beim Verlag Ulrich Keicher im blauen Gewand heraus. Dieses bibliophile Bändchen steht in unserer Bibliothek. Entstanden war der Erb-Text 2001 für die Vortragsreihe „Dichter erklären Dichter“, die die Badische Zeitung in Freiburg veranstaltet hatte. Wulf Kirstens Verse beginnen: „unterwegs über den fluß / … dirigiert von zwei stakenden männern …“ erfährt der Lesende kurz danach. Die Fähre ist dann im „eisgang“ mit den Pendlern an Bord auf und davon. Die Erb nennt ihren Text nach der ersten Verszeile und beginnt: „Mit meinen Augen gelesen ist unterwegs, unterwegs sein: nicht hier und nicht dort.“ Diesen Faden spinnt sie mit mehreren Verflechtungen spannend weiter. Wir druckten mit ihrer Genehmigung einen Textauszug in der „Limlingeröder Reihe, Heft 5“.

Die Rippen waren längst gut verheilt, da kam die Erb am 25.6.2003 ins Dorf an der Sete zu den „6. Diskursen“. Sie war in Begleitung des Dichters Norbert Hummelt, der Literaturkritikerin/Moderatorin Cornelia Jentzsch, die sie vorstellte, des Literaturexperten Thomas Böhm, der sich kenntnisreich dem Autor Norbert Hummelt widmete, und der Fotografin Helga Paris, der Freundin der Dichterin. Diese wollte erkunden, ob sie im Geburtshaus der Ingrid, Hella, Irmelinde, Bernstein, das am 29. November 2002 rekonstruiert zum „Kulturhaus“, wie es Sarah Kirsch bei der Eröffnung genannt hatte, seine Pforten geöffnet hatte, ihre Schwarz-Weiß-Fotografien ausstellen könnte. Das geschah 2004 mit der berühmten Serie „Diva in Grau – Häuser und Gesichter in Halle“ und mit den Fotografien von Christa Wolf, Sarah Kirsch und Elke Erb, diesen gelungenen Porträts.

Zurück zum Juni 2003! In der „Limlingeröder Reihe KALEIDOSKOP I“ werden diese Junitage so vorgestellt: „Der Himmel konnte nicht blauer sei, die Sonne nicht angenehmer scheinen, die Luft nicht sommerlicher schmeicheln an diesem grünen, grünen Wochenende. Im Haus am Hang, das im sanften Goldton strahlte und mit der edlen Freitreppe lockte …“ kamen die drei genannten Frauen zu ihrer Freude in dem Geburtszimmer der Ingrid Bernstein im erste Stock unter, dort wohnte noch kein Untermieter. Frühmorgens und abends wurden der große hölzerne Küchentisch und einige Sammelstühle in den Hof mit der schönen Mauer gestellt. Die Herren, die im Dorf übernachteten, kamen hinzu, eine redefreudige Runde.

Im „Salong Musenbundt“ mit den schimmernden Sternen auf dem langen Balken, wurde an den zwei Tagen gelesen und vorgetragen, Musik erklang. Elke Erbs rotes Kleid und die Kirschzweige in den Vasen brachten den Sommer ins Haus.

Die Poetin wurde 1938 in Scherbach (Eifel) geboren, hatte zwei Schwestern. Man übersiedelte 1949 nach Halle an der Saale, wo der Vater seit 1947 an der Universität als Literaturwissenschaftler lehrte. Elke Erb studierte Germanistik, Slawistik, Geschichte und Pädagogik, war zwei Jahre Lektorin, blieb bis 1965, zog nach Ostberlin, war von1969 bis 1978 mit dem großartigen Literaten Adolf Engeler verheiratet, 1971 wird der Sohn Konrad geboren. Sie macht sich als Lyrikerin, Prosaistin, Essayistin und Nachdichterin einen Namen. Als Auszeichnungen seien der Peter-Huchel-Preis, der Heinrich-Mann-Preis, der Roswitha-Preis, der Georg-Trakl-Preis, die Ehrengabe der Schillerstiftung genannt. Ein weites Feld!

In Limlingerode las die Erb auch aus ihrem 1994 bei Steidl in Göttingen erschienenen Lyrikband „Unschuld, das Licht meiner Augen“. Ein Rezensent schrieb darüber: „Immer bleiben Elke Erbs Gedichte an interessante Wortfügungen gebunden, an besondere Bilder, die konkret ansetzen, in surreale übergehen und wieder zur Ausgangsebene zurückkehren. Die Lust der Autorin an der Sprache fängt auch den Leser ein.“

Von Cornelia Jentzsch, die nach der Lyriklesung ihren Beitrag „Ich höre nicht auf, mich zu wundern“ vortrug, erfuhren wir, dass die Dichterin auf die Unschuld anspiele, die jeder Dichter der Sprache gegenüber besitzen müsse, damit ihm die Worte auch in all ihrer Beweglichkeit, Freiheit und Vollkommenheit überlassen würden. Sie erzählte auch von einem 1978 stattgefundenen Gespräch Christa Wolfs mit der Erb:

„Da ist vor Jahren die Entscheidung gefallen. Ich habe mir gesagt: Ich kann mich in den Berufen, die es gibt, nicht bewegen. So kann ich diese Formen, die die Menschheit hat, nicht richtig nachvollziehen. Ich bin außerhalb der Form. Und das ist eine Chance und ein Risiko. Die Menschheit geht mit mir ein Risiko ein, ich diene als Risiko. So ungefähr. Und in dieser Situation ergibt sich das Äußerste, was man als kreativer Mensch machen kann.“ Am Nachmittag wanderten die Gekommenen auf dem Dichterweg „Grüner Junipfad“. Das Schauen, Hören und Sprechen fand seine Wege.

Am zweiten Tag stand nach einem abwechslungsreichen Text -und Musikprogramm über die russische Dichterin Marina Zwetajewa von Ulrike Müller, Pianistin und Komponisten, und Antje Finkenwirth, Sopranistin, der Vortrag über die Zwetajewa im Mittelpunkt: „DU - BIST DABEI NICHTS“. Und den hielt Elke Erb. Von ihr erfuhren wir, dass sie von dem hochgeschätzten Slawisten Fritz Mierau, der 2018 verstarb, die Interlineare zu Zwetajewa-Gedichten geschickt bekam. Die Nachdichtungen sollten 1974 im Poesiealbum Nr. 81 veröffentlicht werden. Die Intensität und Strenge in den Versen dieser Russin führten die Erb dazu, sich „… erst durch die Knochenmühle der Revolution“ zu begeben. Das gelang und so „fand ich den Ton“: “Not, die einen das Leben auf trockene Brotrinde haut. / Wieder einen Sommer wie trockene Rinde gekaut. / Unser Ozean ist – ein vereister. / Unser Sommer - ein von anderen verspeister.“ Das Verhältnis Elke Erbs zu der Zwetajewa, die 1892 in Moskau geboren wurde und ihr stürmisches Leben 1941 in Jelabuga mit dem Freitod beendete, ist ein sehr vertrautes, was in ihrem Sprechen für die Gäste sehr prägnant deutlich wurde. Man lauschte gespannt. Fritz Mierau, der vier Mal mit seiner Frau in Limlingerode weilte, hat im Haus auf dem Hügel die russischen Poeten Anna Achmatowa, Alexander Blok, Ossip Mandelstam und Sergei Jessenin vorgestellt. Er war es, der uns Elke Erb vorschlug, als wir nach Marina Zwetajewa fragten. Es gäbe keine bessere. So war es!

Liebe, verehrte Elke Erb, Gratulation für den Georg-Büchner-Preis aus Limlingerode am Südharz.
Heidelore Kneffel
Autor: psg

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