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Sa, 19:23 Uhr
27.06.2020
Vom Kampf um gesunden Baumbestand erzählt Jochen Miche

Gericht ist für die Axt im Walde

Die Blätter von Eichen und Buchen haben Orientierungsprobleme. Jedenfalls alljährlich im Herbst, wenn sie sich auf große Reise begeben. Ihr Ziel: der Waldboden, den sie zur Freude vieler Insekten und Kriechtiere bedecken und schützen. Wehe aber, sie landen – beispielsweise – auf dem gepflegten Rasen eines noch gepflegteren Gartens! Das gibt dann Ärger!...

Pro Baum hatte eingeladen, Peter Frobel gab dem TV-Sender PunktUm ein Interview. Im Vordergrund links die Eigentümerfamilie Ludwig und Gudrun Peter. (Foto: J.Miche) Pro Baum hatte eingeladen, Peter Frobel gab dem TV-Sender PunktUm ein Interview. Im Vordergrund links die Eigentümerfamilie Ludwig und Gudrun Peter. (Foto: J.Miche)


Solchen hatte das Ehepaar Gudrun und Ludwig Peter aus Hannover. Sie hatten vor ein paar Jahren ein kleines Stück Wald zwischen Annarode und Ahlsdorf erworben und freuten sich, ihrer Enkelin Ida (7) hier ein Stück Natur mit all ihrem Reichtum an Fauna und Flora vermitteln und das Kind für den Wert einer gesunden und lebenswerten Umwelt sensibilisieren zu können.

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Beim Kauf dieses 14 mal 110 Meter messenden „Handtuchs“ hatten die Peters aber nicht bedacht, dass sie vielleicht einen Nachbarn mit Garten und gepflegtem Rasen haben könnten. Tatsächlich stellen sich viele Menschen „ein Stück Wald“ oft als riesiges Baumareal mit angrenzendem Acker oder Wiesen vor. Familie Peter wusste zwar, dass ihr Wald eine Randlage hat, doch dass das zum Problem werden könnte, hätte sich Ludwig Peter in seinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können.

Zaun, Weg, Wald. Der Waldsaum soll vier Meter in die Tiefe gefällt werden. (Foto: J.Miche) Zaun, Weg, Wald. Der Waldsaum soll vier Meter in die Tiefe gefällt werden. (Foto: J.Miche)


Es wurde zum Problem, schließlich ragten trotz eines vier Meter breiten Fußweges entlang des Gartenzauns einige Baumkronen bis über den gepflegten Rasen. Unverschämtheit, mochte da der Nachbar gedacht haben, denn die Bäume warfen nicht nur Schatten, sondern im Frühjahr auch noch Blütensamen und im Herbst Blätter in seinen Garten. Ein Schuldiger für die Unordnung in seinem Paradies war gefunden. Was folgte, war Streit, der bis vors Gericht führte. Um diesen zu beenden, ließ sich Ludwig Peter auf einen Vergleich ein. Ein Gericht forderte die Axt im Walde. Peter soll seinen Waldrand vier Meter zurücknehmen, forderte eine Richterin, die in Ludwig Peter offenbar einen turbokapitalistischen Wessi-Raffi vor sich zu sehen glaubte, der die halbe Ex-DDR aufzukaufen gedachte. Sie entschied: Abholzen eines vier Meter breiten und 110 Meter langen Waldstreifens – mehr als ein Viertel des gesamten Waldbesitzes von Ludwig Peter.

Als er das Urteil vor Augen hatte, glaubte Herr Peter, seinen Augen nicht mehr trauen zu können. Er suchte Rat bei Menschen, von denen er annahm, die müssten Bäume doch lieben: die Hettstedter Helmholzgruppe „Pro Baum“. Fortan hatte er Peter Frobel an seiner Seite und damit einen nahezu verbissenen Streiter für die Rechte von Bäumen. Und ihrer Besitzer. Familie Peter fühlte sich in guten Händen.

Uwe Daum betreut 4000 Hektar Forstfläche. Er fordert den Erhalt der Waldkante hinter sich. (Foto: J.Miche) Uwe Daum betreut 4000 Hektar Forstfläche. Er fordert den Erhalt der Waldkante hinter sich. (Foto: J.Miche)


Gute Hände sind das eine, Spezialistenwissen ist das andere. Frobel sah sich den betreffenden Wald an, staunte auch über das wie geleckt daliegende Grundstück daneben und erklärte: „Hier darf kein Baum fallen. Der Wald ist gesund, steht perfekt da und hat auch genau das Buschwerk an seinem Rand, das ihn im Sommer vor heißem, austrocknendem, und im Winter vor eisigem und zerstörerischem Wind schützt.“

Frobel wandte sich Hilfe suchend an Uwe Daum. Er ist Vorsitzender der Forstbetriebsgemeinschaft Ostharz und sorgt mit anderen Fachleuten dafür, dass sage und schreibe 4000 Hektar Wald von vielen Privatbesitzern gehegt und gepflegt werden und sich entwickeln können wie die sprichwörtliche deutsche Eiche. Selbst, wenn es sich um eine Buche oder einen Nadelbaum handelt: Die Gesundheit und der Fortbestand der Wälder und natürlich ihre im Einklang mit der Ökologie stehende ökonomische Nutzung sind die Prämissen seines Wirkens.

Uwe Daum sah sich die Sache vor Ort an. Und entschied: „Der Waldstreifen muss stehen bleiben. Die Kante schützt den gesamten Wald dahinter. Das ist besonders schützenswertes FFH-Gebiet. Das sind europäische Schutzgebiete, die sicherstellen sollen, dass ausgewählte Pflanzen- (Flora) und Tierarten (Fauna) sowie deren Lebensräume (Habitate) erhalten bleiben.“ Weiter erklärte Daum: „Ich kann Ihnen, Familie Peter, nur empfehlen, Widerspruch gegen das Urteil einzulegen. Wald ist lebenswichtig und war schon vor dem Garten da.“

Das sagte er den Teilnehmern des gestrigen Vor-Ort-Termins. Nicht zwischen Baum und Borke, wohl aber zwischen Waldsaum und Gartenzaun trafen sich zahlreiche Interessierte. Pro Baum hatte eingeladen. Peter Frobel versicherte: „Uns geht es hier nicht um eine Einmischung in eine privatrechtliche Angelegenheit, sondern ausschließlich um den Natur- und Umweltschutz.“

Die gute Nachricht vor Ort: Uwe Daum hatte nicht zu viel versprochen, als er den Vertretern von Pro Baum, Regionalfernsehen, Print- und Internetzeitung einen sensationell gesunden und schönen Baumbestand angekündigt hatte. Die schlechte Nachricht: Eine kleine Rechnung zeigte, dass dem richterlich verordneten Kahlschlag auf 110 Meter Länge und vier Meter Breite mehrere hundert Bäume sowie das gesamte schützende Buschwerk und Unterholz zum Opfer fallen würden. Bezogen auf die Kahlschlagentscheidung mutmaßte jemand: „Hier sind nicht nur die Blätter orientierungslos, sondern auch die Richterin. Ihre Entscheidung ist doch ein Witz, oder? Und wer hat eigentlich den Garten und die Gartenhäuser hier genehmigt?“

Da hat einer ein Stück abgebissen. War das ein Gartenbesitzer Denn Hunde sieht man in den Gärten kaum. (Foto: J.Miche) Da hat einer ein Stück abgebissen. War das ein Gartenbesitzer Denn Hunde sieht man in den Gärten kaum. (Foto: J.Miche)


Auf die Frage nach dem Witz reagierte Familie Peter mit Kopfschütteln und einem „Nein“. Die andere Frage fand ein Spaziergänger, der sich auf ein Gespräch eingelassen hatte, interessant. Er erklärte, dass hier zu DDR-Zeiten nur jemand Land für einen Garten bekam, der Beziehungen hatte oder jemanden kannte, der „Beziehungen oder den richtigen Posten“ hatte. Das sei aber alles lange her, und nun wolle das Thema niemand mehr anfassen, zumal heute keiner mehr Beziehungen, sondern allenfalls Geld brauche, um hier „an was zu kommen“. Und die Baugenehmigung? „Fragen Sie den Gartenbesitzer. Der wird sich auf den Vorbesitzer berufen oder das Geheimnis für sich behalten.“

Der Gartenbesitzer war jedoch für niemanden erreichbar. Weder in Leuna noch in seinem prächtigen, mit Strom und allem Lebensnotwendigen ausgestatteten Gartenhaus. Doch sobald der Rasen zwei Zentimeter in die Höhe geschossen sein oder sich ein Baumblatt auf die gepflegte Grünfläche verirrt haben wird, dürfte der Gartenbesitzer wieder auftauchen, seine grüne Oase frisch sterilisieren und – zumindest gedanklich – die Kette an seiner Säge ölen. „Hoffentlich hat bis dahin das Gericht nicht die Bäume, sondern ein neues Urteil zu ihren Gunsten gefällt“, bemerkte jemand in der Runde beim Abschied.
Jochen Miche
Autor: red

Kommentare
Fönix
27.06.2020, 15.34 Uhr
Schlimm, ganz schlimm,
aber im in der Umweltverwaltung dunkelgrün regierten Sachsen-Anhalt scheint nichts unmöglich. Wie auch die ganze Problematik zum Stausee Kelbra zeigt, entfernt sich die politische Umweltverwaltung ganz offensichtlich immer weiter von naturschutzfachlich nachvollziehbaren Denkstrukturen.
Zum Stausee Kelbra habe ich in der letzten Zeit viele interessante und aufschlussreiche Gespräche geführt. Nach meinem Urlaub werde ich darüber berichten. Eines kann ich schon jetzt versichern: Nichts ist, wie es scheint...
Iltis
27.06.2020, 16.40 Uhr
Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben,
wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.

Hier geht es eindeutig um Nachbarschaftsrecht. Seine Neurosen mit dem dunkelgrünen Umweltverwaltungen sollte man deshalb anderweitig ausleben. Keine Verwaltung hat im demokratischen Staat ein Urteil der Judikative zu beeinflussen. Auch wenn das manche Denkstruktur überfordert.

Und noch etwas, bevor man Grundstücke erwirbt, schaut man sie sich an! Wer das nicht tut, kann der kleinen Enkelin den Wald alternativ auf zig tausend staatlichen oder anderen privaten Hektar Wald näher bringen. Es gibt nämlich Waldgesetze.
Leser X
27.06.2020, 16.53 Uhr
Der Rasen-Fetischist...
... sollte doch eigentlich dankbar sein für die schattenspendenden Bäume. Und wo gibt es schon noch gesunde Baumbestände. Schwer zu begreifen.
diskobolos
27.06.2020, 18.06 Uhr
Eindeutig ein juristisches
Problem, das vom Gericht nur nach Gesetzestexten zu entscheiden ist.
Meinungen von Förstern, Naturliebhabern usw. sind dabei völlig unerheblich. (Und das ist gut so...)
Fönix
27.06.2020, 18.21 Uhr
@ Auleber:
Zitat:

"Keine Verwaltung hat im demokratischen Staat ein Urteil der Judikative zu beeinflussen."

Da ist wohl eher der Wunsch Vater des Gedankens. Sie glauben sicher auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.

Mal im Ernst: So wie der Fall hier beschrieben ist, geht es wohl eher um Raumordnungsplanung und ggf. um den Flächennutzungsplan der betreffenden Gemeinde. Nachbarschaftsrecht ist da nur nachrangig von Belang.
Iltis
27.06.2020, 18.44 Uhr
Wer nicht mehr weiter weis,
keine Argumente mehr hat, der Kommt mit "Glaube" und Zitronenfaltern daher.

Überhängende Äste an Grundstücksgrenzen sind immer Nachbarschaftsrecht und niemals Raumordnungsplanung oder Flächennutzungsplan.

Selbst wenn das Nachbargrundstück nur ein beackertes Feld wäre, müsste der Besitzer/Nutzer ein Überwachsen seines Grundstückes NICHT dulden. Das Gericht hat nach geltenden Gesetz entschieden.
Fönix
27.06.2020, 22.38 Uhr
@ Auleber:
Ausnahmsweise nochmal zum Mitschreiben:

So wie der Fall hier beschrieben ist, wäre zuerst zu prüfen, ob das betroffene Grundstück überhaupt als Gartengrundstück genutzt werden darf, von der Bebauung mal ganz zu schweigen. Offensichtlich gibt es in dieser Hinsicht erhebliche Unsicherheiten, die erst zu klären wären, bevor evtl. das Nachbarschaftsrecht greifen kann.

Zitat Auleber:

"Überhängende Äste an Grundstücksgrenzen sind immer Nachbarschaftsrecht"

Was Sie hier von sich geben, ist mit dem von Ihnen formulierten Anspruch der Allgemeingültigkeit ("immer") völliger Nonsens. Oder wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass z.B. bei einer durch einen Wald führenden Straße das Lichtraumprofil nach oben in voller Breite des Straßenflurstückes freigeschnitten werden muss? Na viel Spaß!
Iltis
28.06.2020, 00.18 Uhr
Netter, aber nur hilfloser Ablenkungsversuch
Lichtraumprofil von Straßen interessiert hier nicht die Bohne, da es sich um ZWEI Grundstücke von ZWEI Eigentümern ohne Straße handelt. Also nochmal - es handelt sich um Nachbarschaftsrecht.

Bebauung ist ganz offensichtlich schon vor 1990 passiert. Also irrelevant für diesen Nachbarschaftsstreit! Es bleiben die überhängenden Äste, die nach Gesetz entfernt werden müssen, wenn das der betroffene Eigentümer so wünscht.

Das muss man alles nicht gut finden. Ich hätte da auch mehr das Gespräch zwischen den Nachbarn mit minimaler Lösung bevorzugt. Das ist aber offensichtlich fehlgeschlagen. Aber nochmal, wer kauft ein Grundstück, ohne es gesehen zu haben?

Den Leuten hier noch vorzumachen, das Gartenhaus wäre zu DDR Zeiten illegal gebaut worden, führt nur zu noch mehr Gerichtskosten für diese Mikro-Waldbesitzer aus den alten Bundesländern Aschevogel. Das sind die paar Quadratmeter gar nicht wert. Außerdem wußten sie, dass es ein Randgrundstück ist!
altmeister
28.06.2020, 16.40 Uhr
Seltsame Diskussion
Wenn ich mir die Bilder ansehe, so ist dieses, nun vor Gericht verhandelte Problem, nicht ganz frisch.
Die Bäume sind schon Jahrzehnte alt, älter als die Wende, in einem großen Abstand zum Nachbarn und da stellt sich die Frage, warum eine Fällung gefordert wird.
Maximal wäre vielleicht ein Überwachsen der Grundstücksbegrenzung zu beseitigen, was aber definitiv das Laub nicht daran hindert, weiterhin über den Zaun zu kommen.
Sieht man sich weiterhin die Grundstücksgrenze der anderen Seite des englischen Rasens an, so ist auch dort ersichtlich, dass die Bäume nicht weiter weg stehen und somit das gleiche Problem im Raum stehen wird.
Es ist ersichtlich, dass schon zu DDR-Zeiten dort jede Menge Bäume standen, schon weit vor der Bungalowbebauung und dem englischen Rasen, evtl. sogar so mancher Baum dem "Golfplatz" weichen musste und die Bäume definitiv die "älteren Rechte" haben, was durch den klagenden Gartenbesitzer auch schon viele Jahre akzeptiert wurde.
Daraus jetzt eine Ossi - Wessi Argumentation zu basteln ist etwas armselig. Der Baumeigentümer hat ein bestehendes und zum Zeitpunkt des Kaufes bestimmt nicht mit Gerichtsklagen behaftetes Grundstück gekauft und da ist es egal, woher er kommt.
Landrat
01.07.2020, 21.46 Uhr
EIN TEUFELSKREIS
Nimmt Herr Peter, wie von der Richterin gewollt, die Waldkante weg, dann verstößt er gegen die FFH-Richtlinien und bekommt ein saftiges Bußgeld bis zu 50 000,00€. Da versteht die Untere und die Obere Naturschutzbehörde keinen Spass.
Bis jetzt hat Herr Peter so weit seine Arme mit Verlängerung reichen die Äste zum Garten abgesägt. Das war schon mal ein guter Wille.
Herr Peter und der Gartenbesitzer sind keine direkten Nachbarn. Zwischen den beiden Grundstücken ist noch ein 4 Meter breiter Weg, der der Gemeinde Ahlsdorf gehört.
Würde die Provinzrichterin sich nur etwas mehr bemühen, hätte sie den Sachverhalt erkannt und sicherlich anders entschieden. Die ehmaligen Parteibonzen aus der DDR denken immer noch sie können es so treiben wie Früher.
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