Sa, 09:55 Uhr
01.02.2020
Lichtblick zum Wochenende
Begegnung
Heute morgen, kurz vor 7 Uhr schalte ich das Radio an. MDR Kultur. Gerade habe ich den Knopf gedrückt und werde von einer Männerstimme begrüßt, die mich fragt: Woran glauben Sie? Wow, was für ein Start in den Tag, denke ich mir...
Aber bevor ich reagieren kann, spricht schon ein anderer. Seine Antwort lautet: Ich glaube an die Menschen. Puh, denke ich, an die Menschen; na ja, Menschen können ganz nett sein. Mir freundlich zugewandt. Menschen können zuhören und da sein. Menschen können helfen.
Ja, der Mensch kann schon sehr viel. Gerade aus sich selbst heraus. Und trotzdem könnte ich das so nicht beantworten. Hätte dieser Mann im Radio gesagt: Ich glaube an das Gute im Menschen, dann hätte ich heute morgen nicht so viel nachgedacht. Das hätte ich gut hören können. Aber so stockt mir der Atem. Gerade in diesen Tagen, wo wir der Befreiung des KZ Ausschwitz vor 75 Jahren gedenken, kann ich das nicht so stehen lassen. Denn wieviel Böses schlummert in uns. Wieviel Neid, Gier und Machtstreben steckt in uns Menschen. Wozu ist der Mensch fähig? Das frage ich mich, wenn ich heute noch immer auch in unserer Region höre, dass Menschen Vernichtungslager wie Ausschwitz nicht ernst nehmen, sie gar leugnen. Oder sie sich gar wieder wünschten. Wozu ist der Mensch fähig? Das frage ich mich bei wieder aufkeimendem Antisemitismus, bei Fremdenhass auch in direkter Nachbarschaft. Das Böse im Menschen ist eine nicht zu unterschätzende Macht. In mir und in dir. Kann ich da noch sagen, dass ich an die Menschen glaube? Unberechenbar scheint der Mensch zu sein. Auf den eigenen Vorteil bedacht.
Ach, wären wir nur tatsächlich auf den eigenen Vorteil bedacht. Würden wir uns doch darauf einlassen, uns dem Fremden zu stellen. Dem Anderen zu begegnen und genau hinzuschauen: wie lebst du denn dein Leben? Was treibt dich um? Was sind die Baustellen deines Lebens, die dich zu dem haben werden lassen, der du jetzt bist? Würden wir dem wirklich nachgehen und uns auf den Anderen einlassen, wir hätten so sehr Vorteil daran. Denn unser Blickwinkel könnte sich verschieben. Unser Horizont könnte sich weiten. Ich würde mehr verstehen und sicherlich an diesen Begegnungen wachsen. Das wäre tatsächlich ganz zu unserem Vorteil.
In der Bibel (Apostelgeschichte 10, 21-35) wird von eben solch einer Begegnung erzählt. Von zwei Menschen wird erzählt: vom Judenchristen Petrus und von einem römischen Hauptmann Namens Kornelius. Jüdische und römische Traditionen klafften so weit auseinander. Nichts wollte Petrus von den Römern wissen. Man redete nicht miteinander. Schon gar nicht lässt man sich einladen.
Eine Art Déjà-vu (ein Moment, bei dem der Eindruck entsteht, gegenwärtig Erlebtes schon einmal angedacht oder gar erlebt zu haben) brachte Petrus dazu, sich auf eine Einladung des Kornelius einzulassen. Kornelius wollte von diesem Jesus hören. Und so kam Petrus voller Vorurteile in dieses Haus, das voll war mit anderen Gepflogenheiten. Vorsichtig nur wird sich Petrus an diese Situation herangetastet haben. Voll beladen mit Vorurteilen vielleicht.
Aber diese Begegnung war für Petrus letztlich zum eigenen Vorteil. Denn er hat sich auf das Fremde, das Andere, den Ausländer und seine Tradition eingelassen. Petrus hat die Begegnung zugelassen. Und sein Blickwinkel auf das Leben hat sich verschoben. Sein Horizont hat sich geweitet. Es wird berichtet, dass Petrus zuvor von Gott vorgewarnt wurde: du wirst eine Einladung bekommen. Schlag sie nicht aus. Lass dich darauf ein.
Es ist also sogar in göttlichem Sinn, dass wir uns auf den Anderen, das Fremde einlassen. Dass wir unsere Augen und Ohren nicht verschließen und wegkommen von unserem kleinen Horizont, um uns bereichern zu lassen. Gott will die Begegnung zu unserem eigenen Vorteil.
Und wann saßen SIE das letzte Mal im Haus eines Menschen, bei dem Sie Vorurteile hegten?
Pfarrerin Esther M. Fauß
Autor: redAber bevor ich reagieren kann, spricht schon ein anderer. Seine Antwort lautet: Ich glaube an die Menschen. Puh, denke ich, an die Menschen; na ja, Menschen können ganz nett sein. Mir freundlich zugewandt. Menschen können zuhören und da sein. Menschen können helfen.
Ja, der Mensch kann schon sehr viel. Gerade aus sich selbst heraus. Und trotzdem könnte ich das so nicht beantworten. Hätte dieser Mann im Radio gesagt: Ich glaube an das Gute im Menschen, dann hätte ich heute morgen nicht so viel nachgedacht. Das hätte ich gut hören können. Aber so stockt mir der Atem. Gerade in diesen Tagen, wo wir der Befreiung des KZ Ausschwitz vor 75 Jahren gedenken, kann ich das nicht so stehen lassen. Denn wieviel Böses schlummert in uns. Wieviel Neid, Gier und Machtstreben steckt in uns Menschen. Wozu ist der Mensch fähig? Das frage ich mich, wenn ich heute noch immer auch in unserer Region höre, dass Menschen Vernichtungslager wie Ausschwitz nicht ernst nehmen, sie gar leugnen. Oder sie sich gar wieder wünschten. Wozu ist der Mensch fähig? Das frage ich mich bei wieder aufkeimendem Antisemitismus, bei Fremdenhass auch in direkter Nachbarschaft. Das Böse im Menschen ist eine nicht zu unterschätzende Macht. In mir und in dir. Kann ich da noch sagen, dass ich an die Menschen glaube? Unberechenbar scheint der Mensch zu sein. Auf den eigenen Vorteil bedacht.
Ach, wären wir nur tatsächlich auf den eigenen Vorteil bedacht. Würden wir uns doch darauf einlassen, uns dem Fremden zu stellen. Dem Anderen zu begegnen und genau hinzuschauen: wie lebst du denn dein Leben? Was treibt dich um? Was sind die Baustellen deines Lebens, die dich zu dem haben werden lassen, der du jetzt bist? Würden wir dem wirklich nachgehen und uns auf den Anderen einlassen, wir hätten so sehr Vorteil daran. Denn unser Blickwinkel könnte sich verschieben. Unser Horizont könnte sich weiten. Ich würde mehr verstehen und sicherlich an diesen Begegnungen wachsen. Das wäre tatsächlich ganz zu unserem Vorteil.
In der Bibel (Apostelgeschichte 10, 21-35) wird von eben solch einer Begegnung erzählt. Von zwei Menschen wird erzählt: vom Judenchristen Petrus und von einem römischen Hauptmann Namens Kornelius. Jüdische und römische Traditionen klafften so weit auseinander. Nichts wollte Petrus von den Römern wissen. Man redete nicht miteinander. Schon gar nicht lässt man sich einladen.
Eine Art Déjà-vu (ein Moment, bei dem der Eindruck entsteht, gegenwärtig Erlebtes schon einmal angedacht oder gar erlebt zu haben) brachte Petrus dazu, sich auf eine Einladung des Kornelius einzulassen. Kornelius wollte von diesem Jesus hören. Und so kam Petrus voller Vorurteile in dieses Haus, das voll war mit anderen Gepflogenheiten. Vorsichtig nur wird sich Petrus an diese Situation herangetastet haben. Voll beladen mit Vorurteilen vielleicht.
Aber diese Begegnung war für Petrus letztlich zum eigenen Vorteil. Denn er hat sich auf das Fremde, das Andere, den Ausländer und seine Tradition eingelassen. Petrus hat die Begegnung zugelassen. Und sein Blickwinkel auf das Leben hat sich verschoben. Sein Horizont hat sich geweitet. Es wird berichtet, dass Petrus zuvor von Gott vorgewarnt wurde: du wirst eine Einladung bekommen. Schlag sie nicht aus. Lass dich darauf ein.
Es ist also sogar in göttlichem Sinn, dass wir uns auf den Anderen, das Fremde einlassen. Dass wir unsere Augen und Ohren nicht verschließen und wegkommen von unserem kleinen Horizont, um uns bereichern zu lassen. Gott will die Begegnung zu unserem eigenen Vorteil.
Und wann saßen SIE das letzte Mal im Haus eines Menschen, bei dem Sie Vorurteile hegten?
Pfarrerin Esther M. Fauß
Kommentare
Teja
01.02.2020, 12.54 Uhr
Menschen
Sehr guter Artikel , der von Idealen ausgeht.Doch leider ist das Wort Bereichern in vieler Hinsicht missbraucht worden.
Auch die Kirche hat da so ihre Probleme.
Warum erstarkten andere Religionen und im Gegensatz dazu laufen hier die Gläubigen der Kirche weg?
Sollen sich das die Kirchen Oberen nicht fragen und dem entgegenstehen? Wie holen sie die wieder ein?
Nicht jeder ist bereit die Nächstenliebe als Selbstaufgabe zu akzeptieren , das wäre ja auch widersinnig.
Auch die Kirche hat da so ihre Probleme.
Warum erstarkten andere Religionen und im Gegensatz dazu laufen hier die Gläubigen der Kirche weg?
Sollen sich das die Kirchen Oberen nicht fragen und dem entgegenstehen? Wie holen sie die wieder ein?
Nicht jeder ist bereit die Nächstenliebe als Selbstaufgabe zu akzeptieren , das wäre ja auch widersinnig.
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