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Mi, 22:40 Uhr
24.10.2018
nnz-Forum:

Bevor es zu spät ist...

"Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es in der Südharzregion nach wie vor großes Interesse vieler Bürger, die einmalig schöne und wertvolle Gipskarstlandschaft nicht abzubaggern, sondern als nachhaltigen Lebensraum zu erhalten", so beginnt ein Leserbrief an die nnz-Redaktion...


Mit unserer nachstehenden Veröffentlichung hoffen wir durch mehr Information und Transparenz viele Bürger zu schriftlichen Einwendungen zum Regionalen Raumordnungsplan (RROP oder Regionalplan) ermutigen zu können.

Im Landkreis Nordhausen gibt es eine Vielzahl von Gebieten, in denen Gips abgebaut wird bzw. die für den Gipsabbau vorgesehen sind:

1. Bergwerkseigentum
Stempeda / Alter Stolberg
Kohnstein
Woffleben / Hohe Schleife
Appenrode / Rüsselsee
Ellrich / Ellricher Klippen
Rüdigsdorf / Günzdorf (NSG)
Rüdigsdorf / Winkelberg (zur Hälfte NSG)
Rüdigsdorf / Kalkberg(NSG)
Rüdigsdorf / Kahleberg (NSG)
Woffleben / Hörninger Klippen (NSG)

Hinzukommen folgende Bewilligungsfelder (nach 1990 durch Thüringer Bergamt erteilt):

Branderode / Röseberg
Woffleben / Himmelsberg
Rüdigsdorf / Kuhberg
und Erweiterungsflächen über Bergwerkseigentum und Bewilligungen hinaus;
. Branderode, Röseberg
. Himmelsberg West
. Rüsselsee Ost und Süd
. Ellricher Klippen Ost, West und Süd
. Kuhberg bis Kirchberg in die Rüdigsdorfer Schweiz
. Fläche zwischen Steigerthal und Buchholz
Tauschfläche;
. Alter Stolberg

Der Abbau und die Verwertung des Gipses erfolgt durch folgende Firmen:
Knauf deutsche Gipswerke KG, Rottleberode
Saint Gobain Formula, Walkenried
Casea GmbH, Ellrich (Remondis)
Kohnstein Bergwerks GmbH (Österreich).

Diese Firmen haben nach der Wende von der Treuhand Abbaugebiete als Bergwerkseigentum erworben. Die detaillierten Bedingungen sind nicht bekannt, werden aber von uns weiter hinterfragt. Die Unternehmenszentralen sind nicht im Landkreis Nordhausen ansässig, die Folge ist ein Ungleichgewicht zum Nachteil der Kommunen des Landkreises.

Zum Beispiel wurden im Landkreis 2017 ca. 1 bis 1,5 Mio. t/a Gips abgebaut, aber nur ca. 0,15 Mio. t/a, im Landkreis Nordhausen verarbeitet.

Die bedeutenden Verarbeitungsstandorte befinden sich in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und weiteren Standorten im Bundesgebiet. Fazit: Abbau und Zerstörung geschieht eindeutig zu Lasten von Natur- und Landschaft im Landkreis Nordhausen, der Bürger durch Lärm und Abgas als auch der nachhaltigen Tourismusentwicklung mit weitaus mehr Arbeitsplätzen als in der Gipsindustrie bisher oder jemals zu erwarten sind.

Wer zahlt die Mehrbelastung der kommunalen Straßen durch Schwerlastverkehr?

Der Anspruch der Gipsunternehmen wurde im z.Z. gültigen RROP mit einem enormen Gipsvorrat bis 2027 festgeschrieben.

Dem Wunsch nach einer Erweiterung der Planungssicherheit über 2027 hinaus dürfen die derzeit politisch Verantwortlichen in der Region aber auch im Land aus einer Vielzahl von Gründen nicht zustimmen.

Die Interessen und Rechte unserer Bürger von heute und von morgen auf wirtschaftliche Effektivität, vielfältige Arbeitsplätze im Tourismus, sowie Renaturierung bzw. Rekultivierung würden damit für viele Jahrzehnte weitgehend ausgehebelt werden.
Der rücksichtslosen Erweiterung der Abbaugebiete können die Bewohner des Landkreises auch auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der folgenden Generationen nicht zustimmen.

Viele Nordhäuser Bürger erwarten,
dass die Gipsindustrie die Karstlandschaft als ein erhaltenswertes Naturphänomen im Landkreis Nordhausen begreift und achtet,
dass die Gipsindustrie den Bedarf überzeugend nachweist und die Neu-Verritzung minimiert
dass die Gipsindustrie konkrete Zielstellungen zur Reduzierung des Bedarfs an natürlichem Gips erarbeitet und entsprechende Anlagen im Landkreis Nordhausen errichtet
die Gipsabbrüche nach einem konkreten Zeitplan und auf der Basis fundierter Konzepte renaturiert oder rekultiviert werden und
ein gewichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landkreises Nordhausen geleistet wird.

Wichtige Fragen zur Meinungsbildung sind nach wie vor nicht beantwortet:

Warum braucht man eine Planungssicherheit bis 2052, wenn im Landkreis Nordhausen ohnehin nichts investiert wird?
Warum müssen die Abbauflächen erweitert werden? Auf welcher Grundlage wurde der abzudeckende Bedarf ermittelt?
Wie soll der Abbau von Gips minimiert werden (Recycling, alternative Baustoffe)?
Wie soll die Rekultivierung alter und neuer Abbauflächen konkret für die einzelnen Abbaugebiete finanziert und gestaltet werden?
Welche Firmen zur Gipsverarbeitung bzw. zum Recycling sind in der Stadt und im Landkreis Nordhausen neu entstanden bzw. sind geplant?
Wieviel Arbeitsplätze stellt die Gipsindustrie für die Stadt und den Landkreis Nordhausen zur Verfügung?
Welche Steuern zahlt die Gipsindustrie an die Stadt Nordhausen und die betroffenen Kommunen im Landkreis Nordhausen?
Wieviel Geld wird für das Sponsoring von Kultur, Sport und Politik im Detail ausgegeben?

Die von der Gipsindustrie veröffentlichten Zahlen sind vermutlich bewusst allgemein und nicht nachvollziehbar gehalten.
Konkrete Anfragen konnte demzufolge das Landratsamt Nordhausen nicht konkret beantworten, wie der nachstehende Text erkennen lässt:

„Leider können wir die von Ihnen gestellten Fragen nicht beantworten, da wir dazu keine Statistiken führen, und auch die amtliche Statistik des Thüringer Statistischen Landesamtes, die für jedermann frei zugänglich ist, gibt zu diesen konkreten Fragen keine Informationen. Fraglich ist zudem, ob diese Fragen in dieser konkreten Form statistisch überhaupt erfasst werden bzw. ob diese Informationen aus Datenschutzgründen veröffentlicht werden können.“

Das bedeutet, im Landratsamt ist nicht bekannt, welche wirtschaftliche Bedeutung die Gipsindustrie für den Landkreis hat.

Von uns im Internet durchgeführte Recherchen haben bisher folgendes ergeben:
Im Landkreis Nordhausen wurden jährlich zwischen 1cund 1,5 Mio. t Gips abgebaut.
Förderabgaben bzw. Entschädigungen werden nicht gezahlt.
Konkrete Pläne für die Rekultivierung sind nicht bekannt.
Im Landkreis Nordhausen werden wahrscheinlich nur ca. 0,150 Mio.t/a Gips (ca. 10% der Abbaumenge) verarbeitet. Eine Verarbeitung findet nur in geringem Umfang in Ellrich statt.
In Ellrich sollen nach der Privatisierung durch die Treuhand noch 60 Arbeitsplätze erhalten geblieben sein. Außerdem wird geschätzt, dass es noch 40 Arbeitsplätze in den Gipsbrüchen geben könnte. Gemessen an den unvertretbaren Schäden in Natur und Landschaft und Behinderung in der Zukunftsbranche Tourismus sind die Arbeitsplätze und die geringen Einnahmen für die Kommunen keine ausreichende Begründung, die einen so hohen Preis rechtfertigen.
Gewerbesteuer zahlt die Gipsindustrie nur in Ellrich, nicht an die übrigen vom Gipsabbau betroffenen Kommunen wie Stempeda, Niedersachswerfen, Nordhausen etc.
Die Firmen Knauf, Saint Gobian und CASEA gaben 2014 insgesamt 110.000 € für die Förderung von Kultur, Tourismus und Sport im gesamten Landkreis Nordhausen aus.
Was für ein Ungleichverhältnis zwischen Gewinn der Gipsindustrie und Partizipation der Menschen in der Region.

Daraus lässt sich folgendes ableiten:
Für den Landkreis und die Stadt Nordhausen hat die Gipsindustrie nur eine geringe wirtschaftliche Bedeutung.

Die weltweit von Naturwissenschaftlern erkundete und wertgeschätzte Karstlandschaft, ein bedeutendes Alleinstellungsmerkmal unserer Südharzregion, wird unwiederbringlich für folgende Generationen zerstört. Die Renaturierung bzw. Rekultivierung bringen keine auch nur annähernd gleichwertige neue Qualität der Landschaft, des Artenschutzes etc., wie uns Gefälligkeitsgutachten der Gipsindustrie versichern wollen.

Bestes Beispiel dafür ist der Kohnstein. Der Kohnstein zeigt bis heute den Raubbau durch die Ammoniakwerke Merseburg (BASF-Tochter vor dem Krieg), durch die VEB Leuna-Werke in der DDR
und die Verschleuderung in der Wende durch die Treuhand.

Gipsabbau am Kohnstein
Rekultivierungsmaßnahmen fanden beim Verkauf offenbar keine Berücksichtigung, obwohl nach dem Gesetz jede Firma zeitgleich zum Abbau eine ausreichende Rücklage für die Rekultivierung einzustellen hat. Das gleiche kann man im Alten Stolberg besichtigen.

Wo bleiben die Kontrolle und Sanktionierung durch die zuständigen Behörden? Inzwischen sind die Treuhand und einige Firmen verschwunden, aber der Verlust an Artenvielfalt, Landschaft und der erschreckende Anblick, auch die Kosten für die Rekultivierung sind geblieben.

Die Belastungen für die Bewohner der Region, Lärm durch Sprengungen und Schwerlasttransporte, Vibrationsschäden an Grundstücken usw. sind beträchtlich, das gilt vor allem auch für die in Aussicht genommenen neuen Abbaugebiete, insbesondere am Kuhberg.

Unser Fazit:
1. Gipsabbau unter ökonomischen, ökologischen und sozialverträglichen Kriterien.
2. Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Territoriums durch Zahlung von Förderabgaben oder ähnlichen Abgaben in Anlehnung an die Fördermengen an die Stadt Nordhausen bzw. die vom Abbau betroffenen Kommunen.
3. Schaffung von Verarbeitungs- und Recyclingkapazitäten in unmittelbarer Nähe zu den Abbaugebieten und damit Initiierung neuer Arbeitsplätze, Zahlung angemessener Gewerbesteuer an die Kommunen in der Region Nordhausen. Keine LKW-Transporte über schmale Straßen und kleine Dörfer.
4. Vertragsgerechte Renaturierung bzw. Rekultivierung mit konkreten Zielen und Abläufen:
a. Beginn mit der Renaturierung sofort nach dem Abschluss des Abbaus in einzelnen Abschnitten
b. Festlegung des Ziels der Renaturierung
c. Bisher vernachlässigte Renaturierungen zeitnah abarbeiten.

Es kann auf Dauer nicht hingenommen werden, dass die Bodenschätze im Landkreis Nordhausen immer expansiver ohne nennenswerte wirtschaftliche Effekte abgebaut und in andere Regionen zur Weiterverarbeitung verbracht werden. Was bleibt sind Umweltschäden in Millionenhöhe und der Verlust von dauerhaften Arbeitsplätzen im Tourismus.

Wir danken Oberbürgermeister Kai Buchman und allen Fraktionen des Stadtrates für das klare „Nein“ zum vorliegenden Regionalplan.

Wir fordern eine Korrektur und Neuauslegung mit ausreichendem Zeitraum, um den vorliegenden RROP sorgfältiger als in den Jahren zuvor auf den Prüfstand stellen zu können.
G. Hartmann, Dr. H-J- Reinhardt
Autor: red

Anmerkung der Redaktion:
Die im Forum dargestellten Äußerungen und Meinungen sind nicht unbedingt mit denen der Redaktion identisch. Für den Inhalt ist der Verfasser verantwortlich. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
Kommentare
Fönix
25.10.2018, 13.52 Uhr
Der beste Beitrag zum Thema seit Jahren!
Endlich mal konkrete Zahlen und Fakten, endlich mal Aussagen dazu, wer in welchem Umfang profitiert und wer die Belastungen trägt. Endlich mal konkrete Kritik an den Vergehen der Treuhand. Sie hat im Schatten der Wendeeuphorie Hand in Hand mit den Akteuren aus Politik und Wirtschaft das Wertvollste, was Ostdeutschland in den Vereinigungsprozess einzubringen hatte, gnadenlos, schnellstmöglich und unwiederbringlich verhökert bzw. als unliebsame Konkurrenz wie z.B. den Maschinenbau und die Kaliindustrie gleich ganz ausgerottet. Die Folgen müssen wir alle noch über Generationen ausbaden. Und damit meine ich nicht nur das Gipskarstgebiet. Viel gravierender sind die Schicksale vieler Menschen, die nach 1990 die Region verlassen mussten, um sich eine neue Lebensperspektive aufzubauen, wobei viele nicht unbedingt erfolgreich waren. Noch problematischer sind die sozioökonomischen Folgen für die Region Südharz/Kyffhäuser insgesamt, die Wettbewerbsfähigkeit ist nicht nur in dieser Hinsicht auf der Strecke geblieben. Alle Fördermittel der Welt können da allenfalls Linderung, aber keine Heilung bringen.

Der mühselige Kampf um den Erhalt einzelner seltener Tier- und Pflanzenarten, obwohl unbestritten wichtig und wertvoll, gerät da zum Nebenkriegsschauplatz und erinnert an die griechische Mythologie. Mit dem Unterschied, dass Sisyphos dort immer wieder auf's Neue die Gelegenheit bekommt, den Stein den Berg hinauf zu rollen. Den bereits verloren gegangenen Arten ergeht es in der Regel schlechter, sie haben nur in Ausnahmefällen die Chance zum comeback.
der Andere
25.10.2018, 21.40 Uhr
Kompliment - einer der besten Kommentare, den ich hier je las
Ihrem Kommentar ist aber auch gar nichts weiter hinzuzufügen. Damit ist alles gesagt und man sollte sehr wohl darüber nachdenken und auch handeln. Hier läuft sehr viel zu schief und der Wirtschaft und den Reichen werden einfach zu viele Geschenke von der Politik gemacht - klar weil die dann wieder von der Wirtschaft bestochen werden , anders kann man das nicht mehr deuten. Siehe , wer wo im Vorstand sitzt, Beraterfunktionen etc. .
Wenn ich mir die Renaturisierung in Niedersachswerfen - ehemals Leuna-Werk ansehe , fällt mir absolut gar nichts mehr ein und das kann ein Referenzbeispiel für künftige Vorhaben sein . Das sollte eigentlich jedem klar sein.
Wollen wir das wirklich ?
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