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Sa, 16:18 Uhr
13.01.2018
Wie die Stasi das Grenzgebiet überwachte

Unterirdisch keine Fluchtwege

So wenig wie ein geheimer Mönchsgang seit dem Mittelalter vom Kloster Himmelgarten in die Stadt Nordhausen führt, so wenig existiert eine unterirdische Verbindung zwischen dem Kloster Walkenried und Ellrich. Weitere Einzelheiten von Manfred Neuber...


In ihrem Wahn, die „Staatsgrenze der DDR“ nach Westen hermetisch abzuriegeln, suchten die Grenzorgane der SED-Diktatur nach möglichen Tunnelanlagen im Nordwest-Zipfel des Kreises Nordhausen.

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„Von einem sachkundigen Fachmann, der vom MfS als IM ’Wilhelm’ geführt wurde, bekam die KD (Stasi-Kreisstelle) auch eine Einschätzung der Fluchtmöglichkeiten über einen unterirdischen Gang vom Kloster Walkenried (in der Bundesrepublik) nach Ellrich“, heißt es in der kürzlich veröffentlichten Studie über den lokalen Ableger des Ministeriums für Staatssicherheit in Stadt und Kreis Nordhausen.

„Der Gang verlief von Walkenried in Richtung (der Gemarkung) Himmelreich. Von dort sollte er unter der Grenze hindurchführen. In der Klosterruine befand sich angeblich ein Keller, von dem ein unterirdischer Gang abging, der zum Teil erhalten sein sollte. Das Betreten dieses Ganges war verboten, und dem MfS-Sachverständigen war nicht bekannt, ob dieser Gang noch zur Gänze passierbar war“, wird in dem Dokument des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitdienstes der DDR festgestellt.

„Eine Besonderheit des Grenzgebietes im Kreis Nordhausen waren stillgelegte Steinsalzschächte des Kombinates Kali sowie Reste von alten Stollen, Tunneln
und Schächten aus dem 19. Jahrhundert, die als Fluchtwege hätten genutzt werden können“, hebt die Autorin Hanna Labrenz-Weiß in ihrer wissenschaftlichen
Dokumentation hervor. Bei der Kontrolle der alten Stollensystem im Harzgebiet konzentrierte sich die Bezirksverwaltung Erfurt auf den Raum Ellrich –
Sülzhayn und die Sperrzone des Kreises Nordhausen.

Nach Einschätzung der Stasi bestand dort „das höchste Fluchtpotential“. Im Fokus lagen die Kanalisation der Stadt Ellrich und ihrer Umgebung sowie die Abwasseranlage des Eisenbahntunnels der Strecke Ellrich – Walkenried. Der Verdacht eines möglichen Fluchtweges habe sich nicht bestätigt. Das traf auch auf Schächte und Stollen alter Steinkohle-Bergwerke im Bereich Obersachswerfen/Sülzhayn zu, obwohl es historisch überlieferte Verbindungen zum Wiedigshof gegeben haben soll.

Schon 1971 hatte der KD-Leiter Hildebrand mit Unterstützung der Bezirksverwaltung Erfurt bewirkt, dass ein staatliches Museum in Wernigerode eine Karte mit dem Anna-Stollen und dem Botho-Schacht zur Verschlusssache erklärte. Zur Begründung hieß es in der Anweisung an das Feudalmuseum: „Die Karte enthält Angaben über Stollen, die unter der Staatsgrenze verlaufen.“ Überprüft und als unbedenklich eingestuft wurden desweiteren stillgelegte und noch im Betrieb befindliche Steinsalzschächte wie der Schacht „Thomas Müntzer“ in Bischofferode.

Große Aufmerksamkeit wurde auch offiziellen und inoffiziellen Hinweisen über unterirdische Gänge zu Kirchen, Klöstern und Burgen in den Grenzorten Branderode, Klettenberg und Ellrich hinsichtlich der Begehbarkeit gewidmet. Die Absicht, Untertage-Anlagen im Raum Woffleben des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora zu sprengen, wurde nach einer Ortsbesichtigung durch einen Pionier-Offizier aufgegeben. Zur Sprengung der Stolleneingänge am Ton- und Himmelberg hätte es 15 Meter tiefer Bohrlöcher bedurft.

Das wichtigste der sechs Referate (insgesamt 55 Planstellen, 1989 jedoch 68 hauptamtliche Mitarbeiter) war jenes für „Staatsgrenze/Grenzsicherung“ an der 36 km langen Grenze des Kreises Nordhausen zur alten Bundesrepublik. Angelpunkte waren Ellrich, Sülzhayn und Rothesütte. Für diesen Bereich wurden 1989 die OPK „Kontakt“ und „Sprung“ angelegt, um Bewohner ausfindig zu machen, die „abhauen“ wollten. Sowohl in Ellrich wie auch in Appenrode, Klettenberg, Sülzhayn und Woffleben sollten die IM-Netze gegen „Grenzverletzer“ erweitert werden.

Acht Prozent der Bevölkerung des Kreises Nordhausen wohnten in zehn Orten des Grenzgebietes. Im so genannten Schutzstreifen waren nur noch 80 Personen ansässig. Zu einem Drittel verlief die Staatsgrenze entlang bewalteter Gebiete. Nach Einschätzung des MfS bot dieser Grenzabschnitt durch die Reichs- und
Harzquerbahn sowie die Fernstraße80 „eine Hauptangriffsrichtung durch Grenzverletzer“ wegen der günstigen „Annäherungsmöglichkeiten im Vorfeld“. So
entfielen bis zu 80 Prozent der Fluchtversuche auf diesen Abschnitt.

Über 80 Prozent der Treffs mit den IM des Referates Grenzsicherung fanden nicht in konspirativen Wohnungen statt, sondern auf Arbeitsstellen, in Kleinbetrieben oder im Dienst-Pkw. Dabei wurden Tonband-Berichte aufgenommen, was nach der Rüge aus Erfurt dem „Prinzip der Konspiration“ widersprach. Oberleutnant Müller, der den Jugendklub Sülzhayn im Auge behalten sollte, wurde kritisiert, weil er nur in seiner Dienstzeit sich darum kümmere. Für die Einsätze gebe es zu oft „unkonkrete, undifferenzierte Ziele“.

Im Zuge der Wer-ist-wer?-Überprüfung nahm die Stasi in Nordhausen im Grenz gebiet vor allem Angehörige der Volkspolizei-Gruppenposten, Personen, die mit schwerer Technik eingesetzt wurden bzw. zu schwerer Technik Zugriff hatten, die „feindwärts“ der Sicherungsanlagen tätig waren wie beim VEG Staatlicher Forstwirtschaftsbetrieb oder der Meliorationsgenossenschaft und im Grenzgebiet wohnhafte Jugendliche mit „operativ bedeutsamen Merkmalen“.

Die „Hauptanmarschwege der Grenztäter“ sollte die Volkspolizei besser abriegeln. Als 1952 die Sperrzone im Grenzkreis Nordhausen eingerichtet wurde – fünf km breites Sperrgebiet, 500 m „Schutzstreifen“ – lautete die offizielle Begründung, damit solle „das Eindringen von Diversanten, Spionen, Terroristen und Schädlingen in die DDR“ vereitelt werden. Tatsächlich ging es um die Verhinderung von Flucht in den Westen. Es folgte die Zwangsumsiedlung von Bewohnern des Grenzgebietes unter dem menschenverachtenden Decknamen „Ungeziefer“.

Oberstleutnant Hubert Kurzbach, Leiter der Kreisstelle Nordhausen, wie die meisten Stasi-Offiziere ein Diplom-Jurist der MfS-Hochschule Potsdam, konnte unmittelbar vor dem Zusammenbruch der DDR die „Grenzsicherungsanlagen“ als “funktionstüchtig“ und „wirksam“ preisen. In „sozialistischer Sparsamkeit“ waren dafür keine neuen Mittel mehr aufgewendet worden. Auf Druck der Bundesregierung waren die mörderischen Minen und Selbstschussanlagen längst abgebaut. Einige Jahre zuvor hatte der Chefarzt Dr. Gebhardt im Krankenhaus Ilfeld sie noch als „fahrlässig und gewissenlos“ gebrandmarkt, als er durch eine Explosion verstümmelte Grenzposten operieren musste.
Manfred Neuber
Autor: red

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