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Fr, 07:00 Uhr
01.12.2017
Lichtblick

Überfremdung

Das Bundesland Sachsen, durch Pegida- u.a. Aufmärsche „besorgter Bürger“ um seinen guten Ruf besorgt, lässt seit 2016 jährlich die Stimmung unter der Bevölkerung abfragen, um kurzfristig darauf reagieren zu können. Diese Woche wurde der Sachsen-Monitor 2017 vorgestellt, mit interessanten Ergebnissen...


Eines der Ergebnisse ist die Feststellung: „Eine Mehrheit der Sachsen ist der Meinung, dass Deutschland aufgrund der hier lebenden Ausländer in einem gefährlichen Maß »überfremdet« sei. Gleichzeitig gibt jeweils nur eine kleine Minderheit an, im privaten oder beruflichen Umfeld häufig oder manchmal Kontakt zu Ausländern zu haben. Die Mehrheit der Sachsen weist jedoch nur einen niedrigen Grad an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auf – stimmt also den überwiegenden Aussagen zur Messung von Ressentiments nicht zu.“

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Soweit so kurz. Wenn wir uns den Begriff Überfremdung ansehen, so stellen wir fest, dass er in wichtigen Nachschlagewerken, wie dem „Grimm’schen Wörterbuch“, nicht vorkommt. Er ist neueren Datums und geht wohl auf die Nationalsozialisten zurück, die mit der Kreation eines „äußeren Feindes“ eine „innere Ordnung“ in der Bevölkerung schaffen wollten – ein bis heute beliebtes „Stilmittel“ von Despoten. Das waren wahlweise die Sozialisten, die Kommunisten, die Gewerkschafter, die Juden, die Schwulen, die Sinti und Roma…

In jeder Diktatur bilden „äußere Feinde“ die Projektionsfläche für nach innen gerichtete Einheitssehnsüchte. Wenn alle mit einem äußeren Feind beschäftigt sind, können sie nicht über unterschiedliche Meinungen im Inneren nachdenken und sind abgelenkt. Soweit so durchschaubar.

Das Wort fremd gibt es freilich häufiger und meint den „Ausländer“, den „nicht Alteinheimischen“. Doch ab wann ist man alteinheimisch? „Wenn mindestens drei Generationen Deiner Familie vor Dir auf dem Friedhof im Ort liegen“ erklärte mir in meiner ersten Pfarrstelle jemand.

Wer Ahnenforschung betreibt weiß, dass das mit den Vorfahren so eine Sache ist, denn die Wanderbewegungen früherer Zeit waren enorm und damit meine ich nicht einmal die Völkerwanderungszeit, zu der unsere Vorfahren erst in diese Region zugewandert sind, aus Angst vor Hunnen (375/376) und Langobarden (568).

Streng genommen ist die sprachwissenschaftliche These klar: unsere Vorvorfahren und wir gehör(t)en einer indo-europäischen Sprachfamilie (1813 zuerst von Thomas Young so genannt) an, stammten also aus einem Raum, der sich von hier bis mindestens in heutige irakisch/iranische erstreckt, wenn nicht noch weiter. Wir alle sind also streng genommen keine Inländer, sondern unsere Vorfahren stammen ursprünglich aus anderen Gebieten Europas bzw. dieser Welt.

Was ist also Überfremdung? Es ist zumindest eins: relativ.

Für den einen ist sie es schon, wenn ein Sachse in seine thüringische Familie einheiratet. Ein anderer sieht es nicht als Überfremdung, wenn er eine chinesische Frau liebt, mit ihr lebt und Kinder zeugt. Für Dritte beginnt Überfremdung mit der ersten fremden Person im Dorf, für andere ist sie noch nicht erreicht, wenn sie lediglich ein (fünf, zehn) Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht.

Fremdheit hat dem Sinn nach viel mit dem zu tun, der die Fremdheit empfindet. Lasse ich mich auf mir unvertrautes ein oder nicht? Setze ich mich mit dem, was mir bisher unvertraut ist, auseinander oder lehne ich es ab und bleibe bei meinem mir bisher bekannten?

Letzteres beißt sich mit der Erfahrung, dass mit Fremden fremdelnden Menschen problemlos in andere Länder fliegen, andere Speisen essen und andere Sitten und Gebräuche imitieren bzw. praktizieren (z.B. Yoga, Traumfänger, Holifestival etc.), sich Fremden (mitunter auch Deutschen) in Ihrem Heimatdorf aber nicht aufgeschlossen zeigen. Es gibt sogar Leute, die einen (nach islamischen Speisegeboten hergestellten) Döner essen und danach gegen Überfremdung auf der Straße protestieren, zum Aufwärmen einen, aus der Türkei stammenden Kaffee trinken oder eine Pekingsuppe bzw. eine Soljanka löffeln. Alles fremde Speisen und Sitten. Wie geht das zusammen?

Es geht nicht zusammen und das ist das demaskierende. Auch das Christentum wird dabei oft als Überfremdung wahrgenommen und zuweilen wieder alte germanische Bräuche eingefordert. Würde sich jeder wünschen, dass er bei einer öffentlichen Verbrennung des gestorbenen Angehörigen bis zum Schluss mit allen auf dem Marktplatz steht?

Wer sich vor fremden Einflüssen schützen will, der muss das Eigene erst einmal zweifelsfrei bestimmen. Was ist nicht fremd? Das geht bei den Speisen los, setzt sich über die Kleidung fort und hört bei Glaubensfragen nicht auf. Kämen wir da auf eine einheitliche, für alle sich Deutsche Nennende verbindliche und von allen anerkannte Liste? Wohl kaum. Es gibt ja sogar Deutsche, die das Bestehen der BRD in Zweifel ziehen.

Geben wir es zu. Fremdsein und Nichtfremdsein sind schwer zu bestimmen. Es ist eigentlich unmöglich. Selbst Dinge, die wir für „urdeutsch“ halten sind es womöglich nicht.

Der Umgang mit dem Fremden ist von jeher Angst-besetzt. Das ist normal und liegt uns inne. Wer jedoch geistige und geistliche Größe besitzt, hält sich offen dafür. Keine Wissenschaft, die die Nachfolgediktatur der oben genannten für den Glaubensgegenstand schlechthin hielt, kommt ohne Auseinandersetzung mit dem (bisher) Fremden aus. Menschliche Entwicklung ist durchgängig nur dort geschehen, wo sich mit Fremden und Fremdem auseinandergesetzt, es an Eigenes assimiliert oder weiterentwickelt wurde.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns mit Fremden auseinandersetzen. Nicht, dass wir alles gutheißen: die Fremden sind genauso gut oder schlecht, wie die bisher Vertrauten. Aber es ansehen, es auf uns wirken lassen, es betrachten, ausprobieren, uns ggf. aneignen. Das ist der rechte Umgang mit dem, was bisher fremd war, es aber nicht bleiben muss. Wir müssen nicht bleiben, wie wir sind, wir dürfen uns weiterentwickeln. Das ist sogar wünschenswert.

Jesus gibt in Matthäus 25 ein Beispiel dafür, wie wir mit Fremden umgehen sollen. Wir sollen sie nicht vor den Kopf stoßen, sie ausgrenzen, ihnen Hilfe verweigern. Wir sollen Sie aufnehmen, kleiden, pflegen und besuchen, denn in ihnen lassen wir das alles ihm zukommen (Mt 2543).

Im nächsten Menschen das eigene Ebenbild sehen, mit allem Guten und Bösen. Das ist Jesu Antwort auf das Fremde. Das wird uns nicht vor Enttäuschungen bewahren, vor schlimmen Erfahrungen, aber es ist die einzig menschlich reife Antwort auf das Fremde.

Machen wir also unser Herz auf und glauben wir (ja) nicht, die Alternative (eine Welt frei von Fremden) wäre einfacher: Myanmar zeigt z.B. aktuell, dass es ethnisch/religiös „reine“ Staaten nicht geben kann.

Und was noch schlimmer ist: wenn es keine Fremden mehr gäbe, über die wir uns als Inländer definierten, dann müssten wir uns mit uns selbst beschäftigten und allen unseren Unterschieden. Doch das können wir schon jetzt – ohne Feind-/Fremdbild nach außen.

Ein gesegnetes und angeregtes Wochenende wünsche ich Ihnen,
Ihr Superintendent Bálint

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Autor: red

Kommentare
tannhäuser
01.12.2017, 08.26 Uhr
Der Beitrag wurde deaktiviert – Kommentare sind hierzu nicht möglich.
altmeister
01.12.2017, 09.05 Uhr
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