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Mi, 06:47 Uhr
15.11.2017
Neues vom Geschichts- und Altertumsverein

Ein Abschnitt jüdischer Geschichte

Am vergangenen Donnerstag wurde bundesweit der Judenpogrome vom 9. November 1938 gedacht. Auch in Nordhausen. Rund 80 Bürgerinnen und Bürger, darunter Vertreter aus Stadt- und Kreisverwaltung, der Parteien und der Kirchen, hatten sich am Gedenkstein nahe der ehemaligen Synagoge versammelt (nnz berichtete). Passend zum Gedenktag befassten sich die Südharzer Geschichtsfreunde mit einem zeitlichen Abschnitt jüdischen Lebens in der Rolandstadt...

Ein Abschnitt jüdischer Geschichte (Foto: ) Ein Abschnitt jüdischer Geschichte (Foto: )
Vorstandsmitglied Dr. Marie-Luis Zahradnik referierte in der November-Veranstaltung des Geschichtsvereins über „Die Integration und Assimilation der Juden im 19. Jahrhundert in Nordhausen und Umgebung“. Der Vortrag fußte im wesentlichen auf ihre im April diesen Jahres erfolgreich verteidigte Doktorarbeit. Und ergänzte damit ihre bisherige Forschung zur Integration der Juden im 19. Jahrhundert um eine lokale Studie.

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In Nordhausen gestaltete sich der Umbruch in der Politik gegenüber den Juden besonders problematisch. In der ehemals freien Reichsstadt waren die jüdischen Bürger bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch einer starken Diskriminierung ausgesetzt. So war für sie beispielsweise das Wohnen in der Stadt völlig ausgeschlossen.

Durch die Wiederinbesitznahme durch Preußen büßten die jüdischen Bürger zunächst einen Teil ihrer zwischenzeitlich unter der Herrschaft Napoleons gewährten Rechte wieder ein. Doch waren sie deutlich besser gestellt als in anderen, nicht vormals westphälischen Landesteilen von Preußen. Ein Emanzipationsdekret vom 27. Januar 1808 sicherte fortan die „Gleichstellung der Juden“ gegenüber den „anderen Untertanen und Fremden“. Die ab dem genannten Jahr möglich gewordene Niederlassungs-, Handels- und Gewerbefreiheit für Juden stieß anfangs auf erheblichen Widerstand seitens des Nordhäuser Bürgertums.

Allmählich flaute der Widerstand aber ab. Das hatte zur Folge, dass die jüdische Bevölkerung bis in die 1880er Jahre beständig anwuchs. Nordhausen wurde zur größten Synagogengemeinde im preußischen Regierungsbezirk Erfurt. Die Juden erfuhren einen sozialen Aufstieg. Sie durchliefen einen Angleichungs- und Anpassungsprozess (Assimilierungsprozess). Und das trotz manifestierter Ansichten und Lebensweisen der christlich geprägten Umwelt.

Wie aus sogenannten Seelenlisten und Adressbüchern hervorgeht, wurden aus rund ein Fünftel der jüdischen Geschäftsleute Fabrikanten. Die meisten von ihnen verblieben jedoch in traditionell jüdischen Berufen: Sie betrieben Handels- und Geldgeschäfte. In der durch Handel und Wirtschaft aufblühenden Stadt Nordhausen hatten sie beste Chancen für gesellschaftliche und wirtschaftliche Etablierung.

Einige Archivdokumente der jüdischen Gemeinde lassen den Schluss zu, dass es sich um eine Reformgemeinde handelte. Religiöse Belange und Traditionen traten in den Hintergrund. Verhaltensnormen und Lebensweisen wurden an das christliche Umfeld angepasst.

Die jüdische Gemeinde war bekannt für intensive Wohlfahrtspflege, die immer professioneller wurde. Jüdische Vereine deckten ein breites Aufgabenfeld ab und stellten sich den Anforderungen der Zeit. Belegt ist zudem eine überkonfessionelle Vereinsarbeit. Die Nordhäuser Juden vollzogen einen Verbürgerlichungs- und Säkularisierungsprozess in sozialer und kultureller Hinsicht.

Diese Entwicklung ermöglichte ihnen als Staatsbürger jüdischen Glaubens einerseits die relativ konfliktarme Angleichung an die restliche Gesellschaft. Andererseits wandelte sich die Einstellung des städtischen Bürgertums gegenüber den Juden durch den aufkommenden Liberalismus. Man kam in der Regel gut miteinander aus.

Von 1813 bis etwa 1842 nutzten die jüdischen Bürger einen Gebetssaal in der Ritterstraße 4 zur Ausübung ihrer religiösen Handlungen und Traditionen. Ab 1812 wurde eine Jüdische Religionsschule eingerichtet und 1821 der Jüdische Friedhof erbaut. 1843 schließlich kam es zum Bau einer Synagoge am Pferdemarkt, die 1845 mit einem Festakt eingeweiht wurde. Bis 1880 wuchs die jüdische Gemeinde auf fast 500 Mitglieder an.

Doch mit dem aufkommenden Nationalsozialismus verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden zunehmend. Die Juden wurden für alles Übel auf der Welt verantwortlich gemacht. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 zogen SA-Horden durch die Straßen deutscher Städte, zertrümmerten die Fensterscheiden jüdischer Geschäfte, plünderten sie und steckten die Synagogen in Brand. Auch das jüdische Gotteshaus in Nordhausen wurde ein Opfer der Flammen.

Erfreulicherweise sind den Forschern einige – wenn auch sehr wenige – Akten, Etatrollen, Seelenlisten, Schriftstücke und Fotos erhalten geblieben, die vom Leben der Juden im 19. Jahrhundert berichten. Das gilt auch für die steinernen Zeugnisse auf jüdischen Friedhöfen. Darauf kann Marie-Luis Zahradnik immer verweisen, wenn sie mehrmals im Jahr Besucherinnen und Besucher über den Nordhäuser jüdischen Friedhof führt. Oft sind es Nachfahren Nordhäuser Juden, und die haben in der Regel viele Fragen.

Die Referentin äußerte sich erfreut darüber, dass in diesem Jahr von Mai bis Oktober etwa 120 Personen an ihren Führungen über den jüdischen Friedhof teilgenommen haben. Auch für das neue Jahr hofft sie auf anhaltendes Interesse an diesen Führungen.

Die nächste Zusammenkunft der Südharzer Geschichtsfreunde findet am Dienstag, 19. Dezember, um 19.30 Uhr im Tabakspeicher statt. Die Hobbyhistoriker lassen dann in adventlicher Atmosphäre ihr Vereinsjahr besinnlich ausklingen. Für kleine Überraschungen ist wieder gesorgt.
Hans-Georg Backhaus
Vortrag im Tabakspeicher (Foto: Hans-Georg Backhaus)
Vortrag im Tabakspeicher (Foto: Hans-Georg Backhaus)
Vortrag im Tabakspeicher (Foto: Hans-Georg Backhaus)
Vortrag im Tabakspeicher (Foto: Hans-Georg Backhaus)
Vortrag im Tabakspeicher (Foto: Hans-Georg Backhaus)
Vortrag im Tabakspeicher (Foto: Hans-Georg Backhaus)
Vortrag im Tabakspeicher (Foto: Hans-Georg Backhaus)
Vortrag im Tabakspeicher (Foto: Hans-Georg Backhaus)
Vortrag im Tabakspeicher (Foto: Hans-Georg Backhaus)
Autor: red

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