Do, 14:05 Uhr
26.09.2013
Menschenbilder (75)
Im Spätherbst 2013 veröffentlicht der Nordhäuser Autor Bodo Schwarzberg den zweiten, reich bebilderten Band der Buchreihe "Menschenbilder aus der Harz- und Kyffhäuserregion" - wiederum mit rund 200 Texten über Zeitzeugen unserer jüngeren Geschichte...
Ich versuche nicht, an die Schicksalsschläge zu denken, sagt Ingrid Nonnberg und meint damit das frühe Ableben ihres Ehemannes Herbert (1989) und ihrer beiden Kinder Herbert (2005) und. Ingrid (2008). Die am 22.11.1930 in Großwerther geborene, heutige Rentnerin, konzentrierte sich auf das Geschäft, weil es sie ablenkte. Denn hier war sie gefordert und hatte Kontakt zu ihren Wertherschen, zu den Kunden also, von denen viele gemeinsam mit ihr alt geworden sind. Erst 2008, als sie im 78. Lebensjahr stand, beschloss sie, die Ladentür für immer zu schließen. Für immer? Ganz stimmt dies nicht, worüber noch zu lesen sein wird.
Die frühere Bäckerei in der Hauptstraße 7 bestimmte jahrzehntelang das Familienleben der Nonnbergs und sie war über mehr als 100 Jahre für die Groß- und Klein-Wertherschen einer der wichtigsten Anlaufpunkte: Denn ohne Brot, Brötchen und Kuchen konnte sich das Leben in beiden Dörfern wohl niemand vorstellen.
Bevor der Handwerksbetrieb 1927 von Ingrid Nonnbergs Schwiegereltern, Anna und Hermann Nonnberg, gekauft worden war, seien hier bereits sieben Bäckermeistergenerationen ansässig gewesen, berichtet sie. Ihre Schwiegereltern brachten Brot und Brötchen zunächst per Pferdefuhrwerk zu Gaststätten nach Nordhausen. Noch vor dem Krieg stand ihnen hierfür bereits ein Lieferwagen zur Verfügung. Den durfte die Familie nach Kriegsbeginn behalten, während sie ihren Personenwagen an die Wehrmacht abtreten musste.
Im Jahre 1951 übernahm Herbert Nonnberg die Bäckerei von seinem erkrankten Vater (gest. 1953). Er selbst durfte sich zu diesem Zeitpunkt bereits Meister seines Fachs nennen. In demselben Jahr heiratete der junge Geschäftsinhaber Ingrid Nonnberg. Sie kannte die Bäckerei seit ihrer Kindheit. Während der Nazizeit musste sie noch ihr so genanntes Pflichtjahr beim Stiftsgut Werther absolvieren und erinnert sich auch noch an die schweren Bombenangriffe auf das nahe Nordhausen im April 1945: Ich sehe noch heute die Bomber, die am 3. April nachmittags über Werther flogen und ich erinnere mich an die entsetzten Menschen, die aus der Stadt in unsere beiden Dörfer flohen, sagt sie.
Nach ihrem Schulabschluss 1946 absolvierte die junge Frau zunächst eine kaufmännische Lehre bei der Nordhäuser Niederlassung der Württembergischen Metall (WMF), wo sie nach ihrem Abschluss noch für einige Zeit beschäftigt blieb. Bis zu ihrem privaten und beruflichen Wechsel zur Bäckerei Nonnberg, arbeitete sie beim damaligen Tapetenhändler Konstantin Creidt am Nordhäuser Altentor.
Sich der anspruchsvollen Tätigkeit an der Seite ihres Mannes in der Bäckerei zu widmen, das sah sie als ihre Pflicht an, als Pflicht für viele Jahrzehnte. Früh um Vier heizte Herbert Nonnberg den Brustfeuerungsofen an. Bevor das Brot auf Stein gebacken wurde, frischte seine Ehefrau den in Kesseln befindlichen Sauerteig auf. Zu zweit kneteten sie dann den Brotteig, formten die Brote und beförderten sie in den Backofen. Ähnlich waren die Abläufe bei den Brötchen.
Um Sieben standen zunächst die Vertreter der ansässigen Betriebe vor der Bäckerei (u.a. LPG und Straßenmeisterei), um ihren Tagesbedarf abzuholen, um 8 Uhr öffneten die Nonnbergs den Laden. Die schwere Arbeit in der Backstube bewältigte das Paar ganz allein, weil es das Geld für einen Gesellen nicht aufbringen konnte. Beim Verkauf fanden sie Unterstützung durch eine Verkäuferin und gelegentlich durch Schwiegermutter Anna sowie Schwägerin Margarethe Höche.
Trotz ihrer großen Bedeutung für die Versorgung, erhielt die kleine Privatbäckerei in den 60er Jahren aus politischen Gründen immer weniger Ware. Gezwungenermaßen ließen sich die Nonnbergs daraufhin auf einen Kommissionsvertrag mit dem Konsum ein, was zu einer leichten Verbesserung der Situation führte. Dennoch empfanden wir es als sehr gewöhnungsbedürftig, als plötzlich Konsummitarbeiter, also uns fremde Menschen, bei uns zur Inventur erschienen, sagt sie. Trotz des neuen Partners fühlte sich die Bäckerei gegenüber den staatlichen Versorgern weiterhin benachteiligt, ja als fünftes Rad am Wagen, wie meine Gesprächspartnerin sagt. Wenn wir Waren einkauften, kamen erst die HO, dann der Konsum und dann erst wir an die Reihe.
Aus all diesen Gründen, aber auch als Folge des Gesundheitszustandes von Herbert Nonnberg, gab die Familie ihre Bäckerei im Jahre 1985 auf und überführte sie in ein gut ausgestattetes, dörfliches Konsum-Lebensmittelgeschäft. Für Ingrid Nonnberg begannen schwierige Jahre, musste sie doch zum einen das Geschäft aufrecht erhalten und zum zweiten ihren Ehemann und ihre Schiegermutter pflegen (gest. 1985). Viel Unterstützung erhielt sie während dieser Zeit weiterhin von ihrer Schwägerin Margarethe Höche, geb. Nonnberg.
Auch nach der Wende führte sie das Geschäft nahtlos weiter. Mein Ehemann war verstorben und der Konsum kündigte den Vertrag mit uns. Aber ich war 59 und hatte kaum Rentenansprüche. Daher musste ich weitermachen, sagt sie. Nicht einen Tag lang hielt sie den Laden nach der Wende geschlossen, nicht einmal machte sie Urlaub. Nach einem Sturz saß die Werthersche sogar mit einem Gipsbein an der Kasse.
Erst unter dem Druck eigener gesundheitlicher Probleme entschied sie sich, das Geschäft 2008, nach 57 Jahren ununterbrochener Präsenz, aufzugeben. Doch nach dem Verlust ihrer liebsten Angehörigen vermisste sie nun ein wenig den Kontakt zu ihren Mitmenschen, der ihr Leben ja in all den Jahren bestimmt hatte.
Heute finden in den Räumlichkeiten der alten Bäckerei regelmäßig kirchliche Veranstaltungen statt, Gottesdienste ebenso, wie Kirchenkaffee. Das kirchliche Leben fängt mich auf, sagt die 83-jährige.
Verlassen kann sie sich aber natürlich auch auf ihre vier Enkel (je zwei von Tochter und Sohn): Sebastian Nonnberg wohnt heute bei seiner Oma mit im Haus und ist dessen Eigentümer. Christian lebt in Arnstadt, wo er als Techniker arbeitet, Katharina ist Hebamme in Trusetal und Stefan lebt in demselben Ort als Frührentner. Meine Enkel machen mich stolz. Sie sind alle gut gelungen, schmunzelt die Großmutter und blickt auf ihre vielen Blumen, die ihr wichtig sind und die der ehemaligen Bäckerei ein ganz besonderes Gepräge geben.
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Autor: redIngrid Nonnberg
Ehemalige Bäckerei Nonnberg in WertherIch versuche nicht, an die Schicksalsschläge zu denken, sagt Ingrid Nonnberg und meint damit das frühe Ableben ihres Ehemannes Herbert (1989) und ihrer beiden Kinder Herbert (2005) und. Ingrid (2008). Die am 22.11.1930 in Großwerther geborene, heutige Rentnerin, konzentrierte sich auf das Geschäft, weil es sie ablenkte. Denn hier war sie gefordert und hatte Kontakt zu ihren Wertherschen, zu den Kunden also, von denen viele gemeinsam mit ihr alt geworden sind. Erst 2008, als sie im 78. Lebensjahr stand, beschloss sie, die Ladentür für immer zu schließen. Für immer? Ganz stimmt dies nicht, worüber noch zu lesen sein wird.
Die frühere Bäckerei in der Hauptstraße 7 bestimmte jahrzehntelang das Familienleben der Nonnbergs und sie war über mehr als 100 Jahre für die Groß- und Klein-Wertherschen einer der wichtigsten Anlaufpunkte: Denn ohne Brot, Brötchen und Kuchen konnte sich das Leben in beiden Dörfern wohl niemand vorstellen.
Bevor der Handwerksbetrieb 1927 von Ingrid Nonnbergs Schwiegereltern, Anna und Hermann Nonnberg, gekauft worden war, seien hier bereits sieben Bäckermeistergenerationen ansässig gewesen, berichtet sie. Ihre Schwiegereltern brachten Brot und Brötchen zunächst per Pferdefuhrwerk zu Gaststätten nach Nordhausen. Noch vor dem Krieg stand ihnen hierfür bereits ein Lieferwagen zur Verfügung. Den durfte die Familie nach Kriegsbeginn behalten, während sie ihren Personenwagen an die Wehrmacht abtreten musste.
Im Jahre 1951 übernahm Herbert Nonnberg die Bäckerei von seinem erkrankten Vater (gest. 1953). Er selbst durfte sich zu diesem Zeitpunkt bereits Meister seines Fachs nennen. In demselben Jahr heiratete der junge Geschäftsinhaber Ingrid Nonnberg. Sie kannte die Bäckerei seit ihrer Kindheit. Während der Nazizeit musste sie noch ihr so genanntes Pflichtjahr beim Stiftsgut Werther absolvieren und erinnert sich auch noch an die schweren Bombenangriffe auf das nahe Nordhausen im April 1945: Ich sehe noch heute die Bomber, die am 3. April nachmittags über Werther flogen und ich erinnere mich an die entsetzten Menschen, die aus der Stadt in unsere beiden Dörfer flohen, sagt sie.
Nach ihrem Schulabschluss 1946 absolvierte die junge Frau zunächst eine kaufmännische Lehre bei der Nordhäuser Niederlassung der Württembergischen Metall (WMF), wo sie nach ihrem Abschluss noch für einige Zeit beschäftigt blieb. Bis zu ihrem privaten und beruflichen Wechsel zur Bäckerei Nonnberg, arbeitete sie beim damaligen Tapetenhändler Konstantin Creidt am Nordhäuser Altentor.
Sich der anspruchsvollen Tätigkeit an der Seite ihres Mannes in der Bäckerei zu widmen, das sah sie als ihre Pflicht an, als Pflicht für viele Jahrzehnte. Früh um Vier heizte Herbert Nonnberg den Brustfeuerungsofen an. Bevor das Brot auf Stein gebacken wurde, frischte seine Ehefrau den in Kesseln befindlichen Sauerteig auf. Zu zweit kneteten sie dann den Brotteig, formten die Brote und beförderten sie in den Backofen. Ähnlich waren die Abläufe bei den Brötchen.
Um Sieben standen zunächst die Vertreter der ansässigen Betriebe vor der Bäckerei (u.a. LPG und Straßenmeisterei), um ihren Tagesbedarf abzuholen, um 8 Uhr öffneten die Nonnbergs den Laden. Die schwere Arbeit in der Backstube bewältigte das Paar ganz allein, weil es das Geld für einen Gesellen nicht aufbringen konnte. Beim Verkauf fanden sie Unterstützung durch eine Verkäuferin und gelegentlich durch Schwiegermutter Anna sowie Schwägerin Margarethe Höche.
Trotz ihrer großen Bedeutung für die Versorgung, erhielt die kleine Privatbäckerei in den 60er Jahren aus politischen Gründen immer weniger Ware. Gezwungenermaßen ließen sich die Nonnbergs daraufhin auf einen Kommissionsvertrag mit dem Konsum ein, was zu einer leichten Verbesserung der Situation führte. Dennoch empfanden wir es als sehr gewöhnungsbedürftig, als plötzlich Konsummitarbeiter, also uns fremde Menschen, bei uns zur Inventur erschienen, sagt sie. Trotz des neuen Partners fühlte sich die Bäckerei gegenüber den staatlichen Versorgern weiterhin benachteiligt, ja als fünftes Rad am Wagen, wie meine Gesprächspartnerin sagt. Wenn wir Waren einkauften, kamen erst die HO, dann der Konsum und dann erst wir an die Reihe.
Aus all diesen Gründen, aber auch als Folge des Gesundheitszustandes von Herbert Nonnberg, gab die Familie ihre Bäckerei im Jahre 1985 auf und überführte sie in ein gut ausgestattetes, dörfliches Konsum-Lebensmittelgeschäft. Für Ingrid Nonnberg begannen schwierige Jahre, musste sie doch zum einen das Geschäft aufrecht erhalten und zum zweiten ihren Ehemann und ihre Schiegermutter pflegen (gest. 1985). Viel Unterstützung erhielt sie während dieser Zeit weiterhin von ihrer Schwägerin Margarethe Höche, geb. Nonnberg.
Auch nach der Wende führte sie das Geschäft nahtlos weiter. Mein Ehemann war verstorben und der Konsum kündigte den Vertrag mit uns. Aber ich war 59 und hatte kaum Rentenansprüche. Daher musste ich weitermachen, sagt sie. Nicht einen Tag lang hielt sie den Laden nach der Wende geschlossen, nicht einmal machte sie Urlaub. Nach einem Sturz saß die Werthersche sogar mit einem Gipsbein an der Kasse.
Erst unter dem Druck eigener gesundheitlicher Probleme entschied sie sich, das Geschäft 2008, nach 57 Jahren ununterbrochener Präsenz, aufzugeben. Doch nach dem Verlust ihrer liebsten Angehörigen vermisste sie nun ein wenig den Kontakt zu ihren Mitmenschen, der ihr Leben ja in all den Jahren bestimmt hatte.
Heute finden in den Räumlichkeiten der alten Bäckerei regelmäßig kirchliche Veranstaltungen statt, Gottesdienste ebenso, wie Kirchenkaffee. Das kirchliche Leben fängt mich auf, sagt die 83-jährige.
Verlassen kann sie sich aber natürlich auch auf ihre vier Enkel (je zwei von Tochter und Sohn): Sebastian Nonnberg wohnt heute bei seiner Oma mit im Haus und ist dessen Eigentümer. Christian lebt in Arnstadt, wo er als Techniker arbeitet, Katharina ist Hebamme in Trusetal und Stefan lebt in demselben Ort als Frührentner. Meine Enkel machen mich stolz. Sie sind alle gut gelungen, schmunzelt die Großmutter und blickt auf ihre vielen Blumen, die ihr wichtig sind und die der ehemaligen Bäckerei ein ganz besonderes Gepräge geben.
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