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Mo, 07:35 Uhr
11.06.2012

Mit dem Original messen

Begeisterten Applaus durften die 27 Akteure, in der Hauptsache die 23 Schüler der Klasse Erzieher 10/1 an der ProVita dieser Tage entgegennehmen: Hoch verdient hatten sie diese Begeisterung mit ihrer Version des Musicalklassikers „Linie 1“. Unter den Gästen war Eva Maria Wiegand, Regisseurin eines Berliner Jugendtheaters. Ihr Urteil...

Erfolgreich aufgeführt: "Linie 1" (Foto: privat) Erfolgreich aufgeführt: "Linie 1" (Foto: privat)

„Diese Truppe darf sich mit dem Original messen – ob Gesang, Darstellung oder Choreografie - eine professionelle Darstellung mit Energie, Freude und durchgängigem Spannungsbogen.“ Über dieses Lob aus berufenem Mund freuten sich nicht nur die Darsteller – alles angehende Erzieher -, sondern ganz besonders Uwe Rüdiger, Dozent für Physio- und Tanztherapie.

Der ehemalige Balletttänzer hatte das Original mit der Musik von Birger Heymann und den Texten von Volker Ludwig für die ProVita-Bühne bearbeitet und auf 120 Minuten reduziert – gekonnt, kreativ, ohne den geringsten Verlust an Handlung und Unterhaltungswert. „Insgesamt stecken knapp vier Jahre Arbeit in diesem Projekt, darunter etwa zwei Jahre Proben. Das Bühnenbild haben die Schüler selbst gestaltet und angefertigt. Es war eine harte Zeit, aber die Arbeit hat uns allen viel Spaß bereitet“, blickt der Bühneprofi zurück und lächelt. Neben der großen Befriedigung über den riesigen Erfolg schwingt auch ein wenig Erleichterung mit.
"Linie 1" (Foto: privat)
"Linie 1" (Foto: privat)
"Linie 1" (Foto: privat)
„Doch nicht nur allen Darstellern und Helfern hinter der Bühne gilt in diesem Zusammenhang unser Dank. Er gilt auch all' unseren Sponsoren, die an uns geglaubt haben und ohne die ein solches Projekt gar nicht realisierbar gewesen wäre“, stellt der Pädagoge heraus.

„Linie 1“ spielt in der Berliner U-Bahn. Ursprünglich verlief die Linie 1 im Westteil der damals noch getrennten Stadt – zwischen Ruhleben und Kreuzberg. Sie verband verschiedene Stadtbezirke und damit Bereiche sehr unterschiedlicher Sozialstruktur. Sonny, ein Teenager aus der Provinz, verschlägt es auf der Suche nach ihrer vermeintlichen großen Liebe, dem Rocksänger Johnny, in diesen Schmelztiegel aus Ottonormalverbrauchern, Bankern, Ausländern, Schnorrern, genervten Eltern mit verzogenen Gören, Zuhältern, Schlägern, Punkern, Drogenjunkies, Ewiggestrigen, Predigern und Großstadtengeln. Sie schwankt zwischen Hoffen und Bangen, Angst und dem Mut der Verzweiflung. In kurzer Zeit durchlebt sie ein Kaleidoskop an Gefühlen, hervorgerufen durch die unterschiedlichsten Erlebnisse.

Und sie fragt sich nicht nur einmal nach dem Verhältnis von Sein und Schein. Der Mann mit Hut – Pädophiler oder ein Exhibitionist? Oder einfach nur ein Mensch mit Sehnsüchten, Wünschen und Plänen, der durch sein Äußeres zum Außenseiter wird? Was ist mit dem Mädchen, dass sich vor die U-Bahn geworfen hat? Wer liebt sie, wer sucht sie? Ein lästiges Ägernis für Berufspendler, weil die Bahn durch sie wieder mal Verspätung hat oder ein wertvoller Mensch? Was ist mit dem Vater, der seine Kinder schlägt? Ist er glücklich?

Horst ist es jedenfalls – der alte Mann hat sich eingerichtet in seinem Berlin. Er sieht Hoffnung in jedem Sonnenaufgang. Und auch Großstadtengel Maria mit Herz und edlen Visionen – die sich selbst klein, hässlich und unbedeutend findet – tritt an die Seite der hübschen Sonny, hilft ihr, macht ihr Mut. Risi und Bisi, zwei Mädels mit gleichfalls nicht einfachem Background, lassen sich nichts gefallen und geben Sonny so manches Lehrstück in Sachen Überlebenskampf im Großstadtdschungel.

Nicht fehlen dürfen die wohlhabenden Wilmersdorfer Witwen, die seit der Uraufführung des Originals als Klischee verwendet werden. Danach sind sie rassistisch, kleingeistig, Nachkriegsfrauen – die die Verbrechen des Nationalsozialismus abstreiten. Sie entdecken in der U-Bahn die schlafende Protagonistin und vermuten in ihr eine Prostituierte. Auch eine andere Mitfahrerin, Tochter eines „Sozis“, erweckt ihren Unmut. Dümmlich-arrogant und bis auf die Knochen konservativ intoniert die selbsternannte Elite – in diesem Fall hervorragend überspitzt von vier jungen Männern dargestellt - : „Ja, wir Wilmersdorfer Witwen verteidigen Berlin!“

Neben vielen anderen mehr oder weniger skurrilen Typen – alle hervorragend angelegt von den Darstellern - ist da noch Leo – ein kleiner Lauser mit großem Ego und gutem Herz. Er hilft Sonny, sucht ihren Johnny – der dann am Ende doch nicht der ist, für den das Mädchen ihn gehalten hat. Statt Dreamboy verlogener und oberflächlicher Scharlatan. Ein Traum zerbricht, aber – und das ist das eigentlich Schönste an diesem Stück – viele neue Träume beginnen, auch für die vielen Sonnys dieser Welt, die es nicht nur in den großen Städten gibt – sondern auch in einer Straßenbahn in Nordhausen.

Und das Stück macht deutlich: Manchmal lohnt ein zweiter oder dritter Blick auf einen Menschen, denn es gibt sie wirklich, die ungeschliffenen Rohdiamanten, die nicht durch Äußerlichkeiten bestechen, aber so unverzichtbar sind für eine Welt, in der nicht alles gut ist, aber vieles besser werden kann.
Britta Gerstenberger
Autor: nnz

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