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Do, 16:35 Uhr
15.12.2011

nnz-Bücherkiste: Kultivierung des Hasses

Umberto Eco wurde als Romancier durch seinen Bestseller "Der Name der Rose" weltberühmt. Jetzt erschien sein neues Werk "Der Friedhof in Prag", das in Italien und Frankreich spielt, aber nie in Prag. Für die nnz las Olaf Schulze das Buch.

eco (Foto: verlag) eco (Foto: verlag) Umberto Eco
"Der Friedhof in Prag"
(Hanser)

"Jemand hat gesagt, der Patriotismus sei die letzte Zuflucht der Kanaillien – wer keine moralischen Prinzipien hat, wickelt sich gewöhnlich in eine Fahne, und die Bastarde berufen sich stets auf die Reinheit ihrer Rasse. Die nationale Identität ist die letzte Ressource der Entrechteten und Enterbten. Doch das nationale Identitätsgefühl gründet sich auf Hass, Hass auf den, der nicht mit einem identisch ist. Daher muss man den Hass als zivile Leidenschaft kultivieren. Der Feind ist der Freund der Völker."

Der Mann, der das sagt heißt Ratschkowski, ist Offizier des zaristischen Geheimdienstes Ochranka und eine Romanfigur aus Umberto Ecos neuem Werk "Der Friedhof in Prag". Und er spricht über eine Intrige, die er gegen die Juden anzetteln will. "Aber warum zielen Sie gerade auf die Juden?", wird er gefragt. "Weil es in Russland so viele Juden gibt. Wäre ich in der Türkei, würde ich auf die Armenier zielen."

Der kantige und äußerst intellektuelle italienische Sprachwissenschaftler Umberto Eco hat schon viele Meisterwerke geschrieben, in denen er mit der Menschheitsgeschichte gespielt hat. Und er hat schon viele witzig-phantastische Ansätze geliefert, wie und warum Geschichte so gelaufen ist, wie sie gelaufen ist (oder wenigstens, wie wir sie überliefert bekommen haben). Da waren sein toskanischer Bauernbursche Baudolino, der dem Kaiser Barbarossa Ratschläge erteilte und viele andere illustre Figuren. Aber nun mit dem "Friedhof in Prag" setzt sich Eco selbst die Lorbeerkrone auf. Da er auf die Kraft und Macht der Worte vertraut, läßt er Worte zu Auslösern globaler Katastrophen werden. Und wenigstens das ist keine Erfindung von ihm.

Außer der Hauptfigur, einem skrupellosen italienischen Gauner und Schriftfälscher, haben alle anderen handelnden Figuren tatsächlich gelebt. In einem atemberaubenden Parfource-Ritt jagt uns Eco erst durch die Geschichte der italienischen Unabhängigkeitskriege unter Garibaldi, um im behäbigen, arroganten Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu landen, wo die ganz großen antisemitischen Intrigen - wie jene gegen den jüdischen Offizier Dreyfus - gesponnen werden. Sehr gründlich und immer wieder mit den selben alten Lügen, wie jener vom nächtlichen Treffen der Oberrabbiner auf dem gespenstischen Prager Friedhof, das nie stattgefunden hat.
Ob der oben zitierte russische Geheimdienstoffizier das gesagt hat, was Eco schreibt, werden wir nicht mehr erfahren. Aber er hätte es durchaus sagen können.

"Friedhof in Prag" ist eine besondere Lehrstunde im Fach "Geschichte der Enststehung und Kultivierung des europäischen Antisemistismus". Dieses Buch gibt uns einen kaleidoskopischen Blick aus dem 19. Jahrhundert ins hier und jetzt. Es ist geistvoll, spannend, bitter, lehrreich und absolut brillant. Und das Thema immer noch aktuell.
Olaf Schulze
Autor: nnz

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