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IN DER BOCHUMER STRASSE 90 BLIEB KEIN ANDERER WEG:

Das letzte Mittel: Zwangsräumung

Donnerstag, 18. Februar 2021, 18:15 Uhr
Der Lockdown soll uns schützen. Vor der Gefahr, mit dem Corona-Virus infiziert zu werden. Das ist seine gute Seite. Nicht zu übersehen sind indes auch die Schatten, die er wirft. Von Kontaktbeschränkungen einmal abgesehen, soll er Frust, aggressives und brutales Verhalten fördern, wie Psychologen feststellten. Ohnehin ging es schon vor den Einschränkungen des öffentlichen Lebens hinter vielen Wohnungstüren brutal zu. Jetzt, abgeschottet in vier Wänden, griffen manche Zeitgenossen häufiger zu Alkohol und Drogen, was sich nicht förderlich auf das Familienleben und den Hausfrieden auswirkt...

Kurz nach der Festnahme (Foto: S. Dietzel) Kurz nach der Festnahme (Foto: S. Dietzel)
Nur wenige Fälle häuslicher Gewalt oder unerträglicher Mieter werden öffentlich. Die Opfer, zumeist Frauen und Kinder, leiden seelische Qualen. Manche werden depressiv, ängstlich, gleichgültig. Oder ertragen ihr Schicksal. Aus Scham vor der Verwandtschaft, aus Abhängigkeit, finanziellen Gründen. Oder aus Angst. Prügelnde Männer oder unberechenbare Mieter aus der Wohnung zu entfernen, erfordert Mut. Und Geduld. Hat man sich zu einer Anzeige entschlossen, setzt ein komplizierter Prozess vor Gerichten und Instanzen ein. Nur mit etwas Glück endet er nach wenigen Monaten zugunsten der Klagenden.

Wie gestern in der Bochumer Straße 90. Ein der Polizei bekannter Mann stiftete Unruhe. Er beleidigte Mitbewohner, drohte mit Schlägen, beschimpfte auf unerträgliche Art eine allein erziehende Frau. Sie und ihre Kinder erlitten Todesängste. Schon am 18. September 2020 berichtete nnz hier im Artikel"Wenn der Nachbar töten will" über den Fall. Da ist eine allein erziehende Mutter mit zwei Kindern. Sie hört, wie der Kerl an ihre Tür pocht, schreit: „Du bist tot!“. Ein anderes Mal: „Ich bring euch um!“

Ein ums andere Mal kam die Polizei. Er sei krank, hörten sie ihn sagen. Jedes Mal gelobte er Besserung. Indes setzten sich die Attacken fort. Die Ängste der Frau, der Kinder und anderer Bewohner blieben. Monatelang! Gestern war das Maß voll. Eine Zwangsräumung stand an. Es blieb kein anderer Weg und das letzte Mittel. Die Räumung wollte der 34-Jährige mit allen Mitteln verhindern (wir berichteten). Drohte mit Brandsätzen. 70 Einsatzkräfte waren zugange. Das SEK aus Erfurt war angerückt. 14 Mitbewohner hatten ihre Wohnung zu verlassen. Welch ein Aufwand. Die unter Schock stehende Frau musste aus ihrer Wohnung, die der Wüterich versperrt hatte, befreit werden.

So einen extremen Fall der Wohnungs-Zwangsräumung haben wir nur alle fünf bis zehn Jahre, sagt WBG-Vorstand Sven Dörmann im Gespräch mit der nnz. Im Bereich der Wohnungsbaugenossenschaft fallen bei einem Bestand von 7000 Wohnungen bis zu 1000 Umzüge im Jahr und zwischen fünf und zehn Räumungsklagen an. Wohnungsmanager und Sozialarbeiter bemühten sich intensiv um Vorbeuge, werden unliebsame Dinge bekannt. Mit viel Mühe, Einsichtnahme, Fleiß und Geduld ist es ihnen daran gelegen, Schwerpunkte zu bereinigen.

Es bedürfe keiner neuen Gesetze, sondern ein schnelleres Reagieren auf beängstigende Vorkommnisse, um handeln zu können, ist Dörmann der Ansicht. Gelinge es, einen unliebsamen Mieter zu kündigen und ihn der Wohnung zu verweisen, sei die WBG nicht verpflichtet, ihm eine andere aus ihren Beständen zuzuweisen. Dann sei die Kommune gefragt.

Zwangsräumungen mithilfe der Polizei hätten auch bei der Städtischen Wohnungsgesellschaft (SWG) Seltenheitswert, kann sich Chefin Inge Klaan freuen. Schwierige Mieter habe ihr Wohnungsunternehmen auch. Die bereiteten schon Kummer und Stress. Dem Unternehmen wie Mitbewohnern. Bei einem Wohnungsbestand von 4976 bleiben Räumungsklagen nicht aus.

Es bleibt eine zwielichtige Angelegenheit. Was, wenn einem Mitbewohner im Haus Bochumer Straße 90 bei all den Beleidigungen der Geduldsfaden nach Monaten der Zurückhaltung gerissen wäre, er ein Nudelholz ergriffen und dem Gegenüber damit traktiert hätte? Dann müsste er glaubhaft beweisen, dass er angegriffen worden sei, sagt der Anwalt. Ansonsten sei er des Dummen, zumal er um den Zustand des Übeltäters wisse.

Mit anderen Worten: Erst muss – ob Gewalt hinter Wohnungstüren oder Beleidigungen im Haus – was Handfestes erfolgen, um den gesetzlich gerechtfertigten Zugriff bzw. eine Zwangsräumung zu ermöglichen. Plausibel? Schwer zu begreifen.
Kurt Frank
Autor: psg

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