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Neustart für den Landtagswahlkampf

Uns fehlen die großen Köpfe

Freitag, 07. Juni 2019, 17:00 Uhr
Bei den jüngsten Wahlen legten auch die Nordhäuser Sozialdemokraten einen veritablen Absturz hin. Für die Landtagswahl im Herbst stellen sich die Genossen nun neu auf, viel Zeit Lehren aus der Misere zu ziehen bleibt nicht. Dennoch sieht man der Zukunft mit einem gewissen Optimismus entgegen...

Die Nordhäuser SPD stellt sich für die Landtagswahl neu auf (Foto: Angelo Glashagel) Die Nordhäuser SPD stellt sich für die Landtagswahl neu auf (Foto: Angelo Glashagel)

Schwarz-Weiß blicken die Altvorderen der deutschen Sozialdemokratie auf ihre Nordhäuser Genossen herab, Lassalle, Brandt, Schmidt - Heroen einer anderen, lang vergangenen Zeit. Die "alte Tante SPD" hat an der Wahlurne zuletzt viel einstecken müssen. Auch am Südharz, eigentlich einmal eine Hochburg der Sozialdemokraten im Freistaat, folgte man dem allgemeinen Abwärtstrend. Im Stadtrat fiel man von fast 30% der Wählerstimmen auf 17%. Bis zum Tiefpunkt des Landesdurchschnitts mag da noch ein kleines Polster bleiben, Grund zum jubeln gab es nach der letzten Wahl im SPD Büro aber keinen.

Doch: nach der Wahl ist vor der Wahl und der nächste Urnengang steht schon im Herbst an, der Landtag wird gewählt. Ziel müsse sein das (historisch schlechte) Ergebniss der letzten Wahl von 12,4% zu halten, meint Anika Gruner, Kreisvorsitzende der SPD und frische gebackene Direktkandidatin für den Wahlkreis 4, die Stadt Nordhausen.

Gruner übernimmt die Kandidatur von Nancy Kämmerer, die erst im März von den Genossen auserkoren worden war den Wahlkampf zu führen, der Partei aber noch im April mitteilte, dass sie aus persönlichen Gründen nicht weiter zur Verfügung stehen werde. Ihre Gründe seien der Partei bekannt und "nachvollziehbar", erklärte Georg Müller, Ortsvorsitzender der Stadt-SPD.

Frau Gruner wurde in der vergangenen Woche einstimmig zur neuen Direktkandidatin gekürt, der nötige "Rückenwind" aus den eigenen Reihen sei damit gegeben. Für ein Landtagsmandat brauche es politisches Verständnis und Know-How, erklärte Müller, Gruner bringe beides Dank ihrer Erfahrung als Büroleiterin für die Landtagsabgeordnete Dagmar Becker bereits mit.

Im aktuellen politischen Diskurs und Angesichts zu erwartender Gegenkandidaten der anderen Parteien werde es kein leichter Wahlkampf werden, man befinde sich in einer schwierigen Situation. Inhaltlich will sich Gruner auf Themen konzentrieren, die die Region direkt betreffen aber auch anderswo in Thüringen Thema sind. "Da ist der Umweltschutz und unser Dauerthema Gipskarst. Es ärgert mich das wir das Biosphärenreservat nicht durchsetzen konnten und das Thema im grünen Umweltministerium ignoriert wurde, obwohl es im Koalitionsvertrag festgehalten ist. Wir haben hier aber auch Themen die nicht nur den Norden betreffen. Die Entwicklung des ländlichen Raumes, das fehlen von Ärzten auf dem Land, die Situation der Schulen in den Ortschaften - da muss grundsätzliches getan werden.", erklärt Gruner. Ein einheitliches Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr wäre in einem kleinen Bundesland wie Thüringen nicht nur wünschenwert sondern notwendig und auch eine kostenlose Kita-Betreuung und Mittagsversorgung würde sie gerne sehen.

Orts- und Kreisvorsitz wollen an einem Strang ziehen: Georg Müller und Anika Gruner (Foto: Angelo Glashagel) Orts- und Kreisvorsitz wollen an einem Strang ziehen: Georg Müller und Anika Gruner (Foto: Angelo Glashagel)

Die Entwicklung in Berlin drückt derweil auch auf die Basis vor Ort, der Bundesvorstand müsse eine klare Position zur "Marschrichtung" finden, sagt Gruner, am besten noch im August, spätestens im September und nicht wieder "auf Zuruf". "Was den Abgang von Andrea Nahles angeht, da bin ich hin- und hergerissen. Sie hat bei weitem nicht alles richtig gemacht aber sie war immer eine Kämpferin. Der Umgang der hier untereinander zuletzt gepflegt wurde, das hatte keine Kultur und war sehr erschreckend."

Und so stellt man sich auch im kleinen Nordhausen die ganz großen Fragen. Quo vadis SPD? Die Grundfrage nach Erneuerung oder Regierungsauftrag stelle sich aktuell wieder, meint Müller, beides auf einmal werde nicht funktionieren. Wolle man den Rückhalt in der Bevölkerung gewinnen, müsse man eigene Ziele verfolgen, in der aktuellen Regierung sei die SPD da "nicht erkennbar". "Uns fehlen die großen Köpfe", meint Gruner und blickt auf die Altvorderen Genossen an der Wand. Malu Dreyer wäre für sie eine passende Wahl gewesen, oder Martin Dulig aus Sachsen, der habe aber genug zu tun seine Landes-SPD über Wasser zu halten.

Der Blick auf die Entwicklung vor der eigenen Haustür fällt nüchtern aus, wird aber mit einem Schuss Optimismus gesehen. Inhaltlich habe man sich im Kommunalwahlkampf nichts vorzuwerfen gehabt, erklärte Georg Müller, der Wahlkampf sei insgesamt anständig und angemessen verlaufen. Die Vorschläge zur Kommunalpolitik seien bei fast allen Parteien ähnlich ausgefallen, insofern müsse man sehen wo es bei der SPD gehapert habe. "Unsere Zielrichtung waren 20% bei der Wahl zu erringen, das ist uns nicht gelungen. Aber es gibt immer noch starke SPD-Ecken in der Stadt". Deutlich verloren habe man hingegen in den Ortsteilen, als SPD sei man hier kaum wahrgenommen worden. Schuld daran habe zum Teil auch die Politik aus dem Rathaus, meint Müller, die Anliegen der Ortsteile würden oft nicht bis in die Verwaltung vordringen. "Es kann nicht sein das örtliche Gremien Beschlüsse fassen und diese dann nicht durchsetzen dürfen. Wenn wir soweit gekommen sind, das niemand mehr für seinen Ort Verantwortung übernehmen will, weil man nicht gehört wird, dann haben wir etwas kräftig falsch gemacht. Da gehört auch das Verhältnis von Stadtrat und Verwaltung auf den Prüfstand. Die Rolle als Entscheider wird sich der Stadtrat nicht nehmen lassen, da sind sich alle einig."

Der Optimismus der Genossen speist sich derweil vor allem aus dem Nachwuchs. Die letzten Neueintritte in die Partei waren allesamt junge Menschen, die ein Engagement innerhalb einer Partei wieder als legitime Handlungsoption sehen würden. Die "Jusos" engagieren sich unter anderem bei der "Fridays for Future" Bewegung und würden der Partei wie der Gesellschaft andere, dringend nötige, Blickwinkel aufzeigen. Die junge Generation werde nicht bei der Umweltpolitik halt machen, sondern auch Themen wie den ÖPNV und die Wohnsituation für sich entdecken, sind sich Gruner und Müller sicher. Erfahrung sei gut, müsse sich aber auch einmal erneuern können.

Auch in Sachen Wahlkampf will man sich Nachhilfe bei der Jugend holen. Man werde den Straßenwahlkampf nicht aufgeben sondern das klassische machen, das Neue aber nicht vergessen. Ob es fruchtet und sich die Nordhäuser SPD weiter über dem Landesdurchschnitt halten kann, wird der Herbst zeigen.
Angelo Glashagel
Autor: red

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