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Di, 07:35 Uhr
22.04.2003

Betrachtet: Erinnerungen

Nordhausen (nnz). Vom Westkreuz-Verlag Berlin wurde jetzt das Buch „Bilanz ­ Erlebnisse und Gedanken“ des ehemaligen „Dora“-Häftlings Friedrich Kochheim herausgegeben. Die Erstveröffentlichung erschien 1952 in Hannover. Dazu eine Betrachtung von Jörg Kulbe.


Um den Eigenwert des Textes als zeithistorisches Dokument nicht zu schmälern, wurde er jetzt als Reprint ohne sprachliche Korrekturen vorgelegt. Ein Nachwort zu Friedrich Kochheims Erinnerungen von Gedenkstättenleiter Dr. Jens-Christian Wagner ordnet den Text in seinen historischen Zusammenhang ein. Kochheims Aufzeichnungen haben einen hohen dokumentarischen Wert, nicht nur, weil er als wohlhabender Fabrikant ein ungewöhnlicher Häftling im KZ Mittelbau-Dora war, sondern weil sein Bericht auch dokumentiert, welch erschreckende Bandbreite das nationalsozialistische Lager- und Haftstättensystem hatte.

Insbesondere für die Geschichte des KZ Mittelbau-Dora ist Kochheims Bericht eine wichtige Quelle, zumal es der einzige publizierte Bericht eines deutschen Häftlings aus diesem Konzentrationslager ist.
Die Erinnerungen von Friedrich Kochheim sind ein schonungsloser Bericht über die in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern erlittenen Qualen, aber auch ein Zeugnis seines tiefen katholischen Glaubens, der das Buch als roter Faden durchzieht.

Der im Jahr 1891 in Dortmund geborene Friedrich Kochheim, war seit 1918 Inhaber und Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens in Hannover-Linden. Wie viele andere Industrielle wurde er im Sommer 1934 förderndes Mitglied der SS, ob freiwillig oder gezwungen, lässt sich heute nicht mehr klären. Im Jahr 1942 wurde er wegen „staatsfeindlicher Äußerungen“ denunziert und von der Gestapo verhaftet. In seinem Buch beschreibt er den Weg, den er durch verschiedene Gefängnisse und Lager Nazideutschlands gehen mußte. Den größten Teil der sich Haft verbrachte Friedrich Kochheim im KZ Mittelbau-Dora.

Verurteilt wegen Beleidigung des „Führers“, Verleumdung der Gestapo und „Wirtschaftsverbrechens“, wurde er Ende Januar 1944 von Buchenwald nach „Dora“ geschafft. Zu diesem Zeitpunkt konnte von einem Lager keine Rede sein. In den sog. Schlafstollen vegetierten über 10 000 Häftlinge. Hunger, Durst, Kälte und die schwere Arbeit quälten und töteten die Deportierten. Friedrich Kochheim schildert dies sehr eindringlich. Kochheim beschreibt, wie er gleich während der ersten Nacht im Stollensystem „die entsetzliche Entdeckung (machte), daß zwischen den (Abort-)Kübeln tote Kameraden lagen. Ekel und Empörung schlugen in mir hoch, und es schien mir unfaßbar, daß an diesem Ort des Grauens Zivilpersonen arbeiteten, die außerhalb des Lagers wohnten und draußen nichts von dem verlauten ließen, was hier an Grauenhaftem geschah.“

Mit Beginn der Produktion der V2-Rakete im „Mittelwerk“ wurde er als Ingenieur und Betriebsleiter dem Kommando Kaufleute zugeteilt. Obwohl er damit einen relativ begehrten Arbeitsplatz hatte, war er Anfang 1945 so geschwächt, dass er in das Krankenrevier eingewiesen wurde, Dort konnte er beobachten, unter welchen Bedingungen seine Mithäftlinge im Revier leiden mußten. Im Februar 1945 wurde er Zeuge einer Massenhinrichtung im Stollen, die er sehr eindrücklich beschreibt. Kochheim, der einstige „Dora“-Häftling 21 549, benennt unzweideutig den Zweck des unterirdischen Rüstungswerks, beschreibt dessen Verbindung mit dem KZ, die Verzahnung von SS- und Zivilaufsicht über die Sklavenarbeit der Lagerinsassen.

Anfang April 1945 begann die SS die Mittelbau-Lager zu räumen. Wer auf den Gewaltmärschen nicht mithalten konnte, wurde von den Wachmannschaften hinterrücks erschossen. Friedrich Kochheim gelangte mit einem dieser Evakuierungstransporte, dem sogenannten „Taifun-Express“, nach einer lrrfahrt durch Deutschland und die Tschechoslowakei in das Außenlager Ebensee des KZ Mauthausen in Osterreich. Dort wurde er am 6. Mai 1945 befreit.

Kochheim läßt keinen Zweifel an der Absicht, der die Niederschrift seiner Erinnerungen diente: „Niemals dürfen Dinge in jene Vergessenheit geraten, die es möglich macht, daß jemals wieder auf solche Weise das Antlitz des Menschen geschändet wird“. Ein wichtiger Grund für die Niederschrift seiner Erinnerungen war daneben der Kampf um seine gesellschaftliche und juristische Rehabilitierung. Im Jahr 1950 hob ein Gericht lediglich die Strafe aus dem Heimtückeverfahren auf, nicht die Verurteilung wegen Verleumdung (eines Gestapo-Beamten!) und Verstoßes gegen die Kriegswirtschaftsverordnung.

Zwar wurde die Verurteilung wegen Verleumdung in einem Revisionsverfahren aufgehoben, die Haftstrafe wegen Verstoßes gegen die Kriegswirtschaftsverordnung wurde jedoch bestätigt. Damit blieb Kochheim nicht nur vorbestraft, sondern auch vom Recht auf Haftentschädigung ausgeschlossen. Neue Hoffnung schöpfte er als 1953 das Bundesentschädigungsgesetz in Kraft trat. Im September 1954 stellte er einen erneuten Antrag auf Haftentschädigung. Zu einem Entscheid kam es in dem Verfahren aber nicht mehr, denn am 23. August 1955 starb Friedrich Kochheim im Alter von 63 Jahren.

Das Buch ist im Buchhaus Rose und der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora erhältlich.
Jörg Kulbe, Nordhausen
Autor: nnz

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