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Die Spur führt in den Südharz

Montag, 21. Februar 2011, 19:16 Uhr
Welcher „gelernte“ DDR-Bürger kennt sie nicht – die lustigen Gestalten Dig, Dag und Digedag aus dem legendären Mosaik? Doch dass einige Grafiker und Texter dieser Comic-Zeitschrift auch Verbindungen zum Landkreis Nordhausen hatten, dürfte weniger bekannt sein. nnz-Autor Hans-Georg Backhaus hat dazu Interessantes in einem Sachbuch entdeckt und weitere Recherchen angestellt. Hier sein spannender Bericht …

Legende in Ost (Foto: privat) Legende in Ost (Foto: privat)

Im Spätherbst des vergangenen Jahres wurde im MDR-Kulturmagazin „artour“ ein Buch von Mark Lehmstedt vorgestellt. Sein Titel „Die geheime Geschichte der Digedags. Die Publikations- und Zensurgeschichte des ´Mosaik` von Hannes Hegen, 1955 - 1975 “, erschienen im Lehmstedt Verlag, Leipzig, 2010. In dem Beitrag wurde dem Autor für diese äußerst tiefgründig recherchierte Arbeit höchstes Lob gezollt. Völlig zu recht – wie ich nach bislang rund 200 gelesenen Seiten sagen kann. Als Mosaik-Fan und stolzer Besitzer von weit über 150 zumeist gut erhaltenen Heften, hatte ich das Buch im Familienkreis ins Gespräch gebracht und prompt lag es als weihnachtliche Gabe unterm Tannenbaum.

Mark Lehmstedt, 1961 in Berlin geboren, machte sich auf Anregung eines Kollegen und Freundes (Mathias Bertram) daran, von 1993 bis 1995 aufwendige Recherchen zur Geschichte der DDR-Comic-Literatur zu betreiben. Sein Hauptaugenmerk galt dabei dem Mosaik von Hannes Hegen. Bei den einstigen Akteuren des Mosaik, die zu dieser Zeit nahezu alle noch lebten, fand er großartige Unterstützung. Gleiches galt auch für die ehemaligen Mitarbeiter und Chefredakteure der Verlage Neues Leben und Junge Welt.

Autor Backhaus (Foto: privat) Autor Backhaus (Foto: privat)
Autor Hans-Georg Backhaus, der Autor des Beitrages

Nur am eigentlichen Hauptakteur kam Lehmstedt – so sehr er sich auch mühte - nie recht heran – den Erfinder des Mosaik: Johannes (Johann) Hegenbarth, alias Hannes Hegen. Der lud den Leipziger Kulturhistoriker Lehmstedt zwar mal zu sich in seine Privatwohnung nach Berlin ein, beantwortete aber kaum Fragen zu seiner Person. In der Tat widersetzte sich der Schöpfer der Digedags zeitlebens und zumeist äußerst hartnäckig derlei Veröffentlichungen zu seiner Person.

Doch Mark Lehmstedt gab nicht auf, vergrub sich in Unmengen von Akten und griff auch auf das zusammengetragene Wissen rühriger Mosaik-Sammler und Fan–Clubs zurück. So fügte sich schließlich doch noch quasi mosaiksteinartig eine Biographie des Mannes zusammen, der den knuddeligen Kobolden Dig, Dag und Digedag über zwei Jahrzehnte Gestalt und Sprache gab. Und das nicht nur in der Deutschen Demokratischen Republik sondern auch in der alten BRD und weiteren westlichen Ländern!

Nach Ende des zweiten Weltkrieges aus Böhmisch-Kamnitz vertrieben, kam Johann(es) als 20jähriger mit seiner Mutter und Schwester nach mehreren Zwischenstationen etwa um den Jahreswechsel 1945/1946 in den Südharz - nach Ilfeld-Netzkater. Vermutlich gab es auch einen kurzen Aufenthalt im Umsiedler-Lager in Rothesütte. Um die Familie zu ernähren, verdiente sich Johannes Hegenbarth in der Druckerei F. Labusch in Benneckenstein sein erstes Geld.

Als Entwurfszeichner für Glückwunschkarten stellte er dort sei außerordentliches Talent unter Beweis. Die Hegenbarths blieben jedoch nur wenige Monate im Südharz. Im Juli 1946 zogen sie nach Ilmenau, später nach Berlin. Etwa Mitte der 1950er Jahre, nach erfolgreicher Arbeit bei der Satirezeitschrift Frischer Wind (Vorgänger des Eulenspiegel), der Neue Berliner Illustrierte (NBI), der Deutsche Lehrerzeitung (DLZ) und der Wochenpost, sah Hegenbarth aufgrund günstiger kultur-politischer Umstände in der DDR seine Stunde gekommen.

Faktisch als Gegenstück zur westdeutschen Comic-Zeitschrift Micky Maus und zu weiteren ähnlich gearteten Publikationen wollte Hegenbarth in der DDR eine eigenständige Bilderzeitschrift ohne Magazin-Charakter entwickeln. Dazu scharte er in kürzester Zeit begabte Mitstreiter um sich.

Als einer der letzten und in der Folge auch wichtigsten Mitarbeiter stieß Lothar Dräger (Draeger) zum Mosaik-Kollektiv. Dräger hatte zunächst Gesang studiert und im Anschluss ein Engagement an den Bühnen der Stadt in Nordhausen (heute Theater Nordhausen/ Loh-Orchester Sondershausen GmbH) aufgenommen. In der Spielzeit 1954/1955 war er u.a. und in der Oper von Giuseppe Verdi „Der Troubadour“ – hier er spielte einen Boten – zusehen und zu hören.

Als Muezzin erlebten ihn die Nordhäuser Theaterfreunde in der Komischen Oper von Peter Cornelius „Der Barbier von Bagdad“. Doch den jungen Sänger hielt es immer nicht allzu lange an einer Bühne. So zog es ihn schon bald nach Potsdam, aber auch hier bekam er nur kleine Rollen, was ihn auf Dauer nicht befriedigen konnte. Alsbald stieß er zum Mosaik, wollte zunächst grafisch tätig werden. Doch Hegenbarth hatte ihm eine andere Rolle zugedacht, nämlich Geschichten zu entwickeln. Die Römer-Serie stand gerade auf dem Plan und die galt es nun fortzuschreiben. Eine große Herausforderung für Dräger, die er mit Bravour meisterte. Schon bald stieg er zum künstlerischen Leiter des Mosaik auf und hatte diese Funktion bis zum Dezember 1989 inne.

Indes überstand die Comic-Zeitschrift zahlreiche Irrungen und Wirrungen und mitunter auch mal mehr oder weniger deutlich vorgebrachte Drohungen nach gänzlicher Einstellung des Erscheinens der beliebtesten DDR- Bilderzeitschrift. Doch das Mosaik war bei einer Auflage von durchschnittlich 250.000 Heften pro Monat ein Renner und brachte den Verlagen Neues Leben bzw. Junge Welt einen hohen wirtschaftlichen Gewinn. Und auf derlei beeindruckende ökonomische Erfolge konnte und wollte auch ein aufstrebender sozialistischer Staat nicht verzichten. So musste die Ideologie – in diesem Fall zumindest – dem Geld weichen.

Eine eher (anfangs zumindest) unrühmliche Rolle spielte der aus Nordhausen stammende Hans Ehrhardt, der er seine vorrangige Aufgabe darin sah, die politisch-ideologische Arbeit der Mosaik-Gestalter voran zu bringen und u.a. um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ zu kämpfen. Mit dieser politischen Einflussnahme sollte das Mosaik zu einer propagandistischen Zeitschrift der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ entwickelt werden.

Nicht selten sah sich Hegenbarth Vorwürfen Ehrhardts ausgesetzt, die Machart sei westlichen Vorbildern entlehnt und das Heft könne generell westlichen Comics nicht ausreichend Paroli bieten. Doch dank seines Durchsetzungsvermögens und seiner zuweilen sturen Art ging Hegenbarth aus fortwährenden Konflikten mit Ehrhardt meist als Gewinner hervor und widerstand in bewundernswerter Weise unterschiedlich geartetem staatlichen Dirigismus.

Zudem hatte er sich immer durch geschickt ausgehandelte Verträge mit den Verlagen Neues Leben und später Junge Welt Rechte gesichert, durch die er praktisch wie der Chef einer privaten Comic-Manufaktur schalten und walten konnte wie er wollte. Für die gesellschaftlichen Verhältnisse, die in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren in der DDR herrschten, eine einmalige pressegeschichtliche Sensation, wie es Lehmstedt in seinem Buch treffend beschrieb! Erst als Johannes Hegenbarth kürzer treten wollte (es sollten nur noch sechs Hefte pro Jahr erscheinen), was wirtschaftlich seitens des Verlages jedoch nicht zu vertreten war, entschloss er sich, dass mit dem Juni-Heft des Jahres 1975 Schluss sein sollte.

Im Mosaik-Heft Nr. 223 schickte er seine von Ihm einst erfundenen Kobolde Dig, Dag und Digedag für immer in das Reich der Träume zurück. Ab Januar 1976 erschien ein neues Mosaik unter neuer Leitung und mit neuen Figuren – den Abrafaxen.

Seinen etwa halbjährigen Aufenthalt im Südharzer Raum würdigte Hegenbarth übrigens mit der Nr. 54 des Mosaik vom Mai 1961. Darin ließ er die Digedags gemeinsam mit dem Magdeburger Bürgermeister und Erfinder Otto von Guericke – von Magdeburg kommend – durch den Harz Richtung Regensburg kutschieren. Und in den Sommermonaten 1999 präsentierte das Nordhäuser Meyenburg-Museum (heute Kunsthaus Meyenburg) eine große Sonderausstellung zur Comic-Geschichte in Ost und West, in der das Mosaik von Hannes Hegen einen würdigen Platz einnahm.

Die Geschichte des Mosaik und seiner Macher gilt als Beleg dafür, dass es auch unter den schwierigen Bedingungen eines bevormundeten Presse- und Verlagswesens in der DDR Möglichkeiten gab, sich Freiräume zu schaffen – wenn man nur mutig und geschickt genug war. Johannes Hegenbarth und zahlreiche seiner Mitstreiter waren es zweifellos. Das Mosaik war märchenhaft – und war doch kein Märchen.

Es war Realität, wurde zum Mythos, überlebte die Wende und es gibt es bis heute. Im Dezember 2010 feierten die Fans der Digedags und der Abrafaxe den 55. Jahrestag des Erscheinens des Mosaik. Johannes Hegenbarth konnte im vergangenem Jahr seinen 85. Geburtstag feiern und wurde am 30. November 2010 für sein Lebenswerk mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienst-ordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Es war höchste Zeit für diese Ehrung! Es tut gut zu wissen, dass das „Wunder Mosaik“ in der Stadt und dem Kreis Nordhausen ein Stück weit seinen Anfang nahm. Wir sollten stolz und dankbar dafür sein.
Hans-Georg Backhaus

Dank des Autors: Für die freundliche Unterstützung bei meinen Recherchen danke ich Regina Nafe, Dramaturgiesekretärin am Theater Nordhausen/LOH-Orchester Sondershausen GmbH und Isabelle Meinhardt, Mitarbeiterin in der Verwaltungsgemeinschaft „Südharz/Hohnstein“, Ilfeld. Mein besonderer Dank gilt Mark Lehmstedt für seine freundlichen Hinweise und seine ausdrückliche Genehmigung der Zuhilfenahme seines Sachbuches „Die geheime Geschichte der Digedags“ für diesen Beitrag.
Autor: nnz

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