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Die Eisen-Bahn und der Winter

Freitag, 24. Dezember 2010, 15:20 Uhr
Als die Bahn noch eine Eisenbahn war und dem Winter erfolgreich trotzte: Aus den Erinnerungen eines Lokomotivführers am Heiligen Abend. Gefunden von Bodo Schwarzberg...


„Wir fahren.---Hinter uns liegt in verschwommenen Umrissen die Masse des Bahnhofes, vor uns die weiße Winterlandschaft, Weichen und Signale und zwei Schienenstränge. Im monotonen Geräusch hämmern die Räder auf den Schienen. Doch das Hämmern klingt nicht wie sonst. Der Schnee dämpft den Schall.

Die Maschine arbeitet schwer. Sie stößt den heißen Dampf in die kalte Winterlandschaft, als wäre sie ärgerlich darüber, daß man sie frühmorgens, und dazu noch am Sonntag, aus dem Schuppen geholt hat. ….Gegen den wilden Herbstwind hat sie trutzig gekämpft, und jetzt dient sie uns in der grimmigen Kälte des Winters. Zerstampft den gefrorenen Schnee und gibt Dampf ab, um die Insassen des Zuges vor der Kälte zu schützen. ..Wir fahren. Soltau ist passiert, und wir befinden uns in der Lüneburger Heide.

Hier bekommen wir den Wind aus erster Hand. Vor uns liegt nur Schnee; die Schienen sind nicht mehr zu sehen. Stellenweise liegt der Schnee meterhoch. Doch durch geht es mit 90 km/st. Wir befinden uns zeitweise in einer Wolke aus Pulverschnee, so daß wir manchmal nicht den Schornstein unserer Lokomotive sehen können. Ist es unverantwortlich, in einem solchen Tempo zu fahren? Aber in der Pünktlichkeit liegt die Sicherheit.
Nur vereinzelt können wir die Signale von weitem sehen, die meisten müssen wir suchen, fast erspähen. Die Fenster sind vereist und erschweren die Sicht nach vorn.

Es nützt nichts, wir müssen uns hinauslehnen. Die Fahrt wird zu einer Qual. Wie Nadelstiche schmerzen die Schneeflocken, die das Gesicht treffen bei diesem Tempo. …Der Lokomotivführer legt die Steuerung weiter vor. Er tut es ungern, weiß er doch, daß dadurch die Arbeit des Heizers erschwert. Aber es muss sein. Die Maschine gibt alles her. Sie dehnt ihre gelenkigen Glieder und rast durch den gläsernen Frost und schüttelt verächtlich den Schnee von sich ab. Von hinten fällt uns eine schmutzige Masse an. Schnee und Kohlenstaub.

Auf dem Führerstand liegt der Schnee zentimeterhoch. Dampf wirbelt hoch, kondensiert und wird zu Eis. Das Bedienen des Feuers erfordert bei der Glätte und bei dem Tempo Geschicklichkeit und Anstrengung. Doch Dampf müssen wir haben, soviel, dass uns das Sicherheitsventil ein Heulkonzert gibt. Kalt und beklommen stehen wir auf unseren Plätzen. ….

Zur selben Zeit.---In dumpfer Enge warten auf dem Bahnsteig die Menschen. Ungeduldig harren sie des Zuges. Sie haben keine Zeit; sie wollen nach Hause. Es ist der letzte Zug. Zu lange hielten Geschäfte und andere Umstände sie zurück. Aber jetzt, am Heiligen Abend, wollen sie nach Haus. Im Kreise ihrer Lieben wollen sie Weihnachten feiern. –Da fährt mit Donnergepolter der Zug ein. Ein Knirschen und Kreischen, dann hält er und nimmt neue Menschen auf, während andere in Eile dem Ausgang zuströmen. …

Ein Ruck, ein Stöhnen und Zischen, und hinaus gings in die rabenschwarze Nacht, hinein in Schneegestöber, hinein in die Weihnacht. …Und konnten Lokführer und Heizer selber nicht im Kreise ihrer Lieben Weihnachten feiern, andere wollten sie diese Freude bereiten und gönnen. Das war sein Weihnachtsgeschenk am Heiligen Abend, und wahrlich kein kleines. Und weiter gings durch Nacht und Schneetreiben, vorbei an Dörfern und Städten. Da taucht aus der Dunkelheit ein hell erleuchtetes Fenster auf! Durch die Vorhänge dringt ein Flimmern von Weihnachtskerzen. …Wie schön muss es dort sein. Doch sie dürfen sich diesen Gedanken nicht hingeben. …

Da loht plötzlich eine mächtige Feuersäule zum Nachthimmel empor. Der Heizer hat die Tür zur Feuerung aufgerissen und wirft Schaufel um Schaufel voll Kohlen in den Rachen des fauchenden Umgetüms. …Ein harter Schlag, Metall auf Metall, die Tür schlägt zu. Der Lichtschein fällt zurück. Die Schatten der Nacht schlagen wieder über die beiden Männer zusammen, die schweigend ihre Arbeit verrichten – am Heiligen Abend, in der Weihnacht!“

Aus: Borchert, Veenhuis (1934): Rot und Grün. Leid und Freud. Aus dem Leben auf der Lokomotive und anderes. Selbstverlag Berlin
Autor: nnz

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