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Ausbildung mit Tradition (1)

Donnerstag, 25. Oktober 2007, 11:43 Uhr
Nordhausen (nnz). Am kommenden Dienstag wird in Nordhausen der neue und zugleich traditionsreiche Berufsschulstandort Morgenröte seiner feierlichen Bestimmung übergeben. Aus diesem Anlaß hat Heidi Wedde für die nnz im Schularchiv gestöbert.
Teil 1: 1893 bis 1945

Morgenröte (Foto: Archiv Schule) Morgenröte (Foto: Archiv Schule)

Vor rund 116 Jahren, also in der Zeit der sogenannten Gründerjahre, beklagte sich die hiesige Handelskammer über die mangelnde Vorbildung der Lehrlinge. Man sah die Gründung einer kaufmännischen Fortbildungsschule als unumgänglich an. Aber wie das so ist mit der Umsetzung von Wünschen, mussten vorher natürlich noch jede Menge Beschlüsse gefasst werden.

Nachdem sich die Stadtverordnetenversammlung am 11. Dezember 1893 zum ersten Mal öffentlich mit dem Erlass eines „Ortsstatuts betreffend die kaufmännische Fachschule für Handlungslehrlinge“ befasst und dieses auch im Dezember annahm, gingen noch fast drei Jahre ins Land, ehe am 11.06.1896 die Eröffnung der Fortbildungsschule für Handlungslehrlinge in der Aula der Mittelschule in der Domstraße stattfinden konnte.

Schließlich fehlte noch die Genehmigung durch den Bezirksausschuss zu Erfurt, die am 11.Mai 1895 erfolgte. Ein Jahr später wurde das „Ortsstatuts betreffend die kaufmännische Fachschule für Handlungslehrlinge“ durch den Magistrat im Nordhäuser Courier und der Nordhäuser Zeitung öffentlich bekanntgegeben. Der Besuch der Fachschule für alle im Stadtbezirk Nordhausen im Handelsgewerbe beschäftigten Lehrlinge unter 18 Jahren war somit verbindlich vorgeschrieben. Die Lehrherren entrichteten ein Schulgeld.

Während der Reichstag 1896 das Bürgerliche Gesetzbuch billigte, das am 1. Januar 1900 in Kraft trat, in Hamburg die Hafenarbeiter einen Streik für Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung begannen und in Berlin ein Boykott gegen Bier stattfand, den man jedoch nicht lange durchhielt, bereitete sich Nordhausen auf die Eröffnung der Fortbildungsschule für Handelslehrlinge vor.

Im heutigen Gebäude der Mittelstufe des Humboldt-Gymnasiums begannen 117 Lehrlinge im Juni 1886 in fünf Klassen ihre Ausbildung. Der Unterricht fand nachmittags statt. So war gewährleistet, dass die Lehrlinge tagsüber den
Unternehmen zur Verfügung standen. In der schulischen Ausbildung sollte den Lehrlingen zunächst eine den Anforderungen des kaufmännischen Berufes angemessene allgemeine Bildung vermittelt werden.

1897 wurden das Schulgeld von 20,00 auf 30,00 Mark erhöht und eine weitere Klasseeingerichtet. Der Rektor der Knabenmittelschule leitete die Schule im Nebenamt. 1898 erstellte er auch einen Lehrplan für die 4-stufigen Fortbildungsschule. Die zur damaligen Zeit übliche Trennung der Geschlechter im Schulwesen machte auch vor der kaufmännischen Ausbildung nicht Halt. Da die Fortbildungsschule nur für männliche Handlungslehrlinge zugänglich war, gründete man 1903 die Städtische Handels- und Gewerbeschule für Mädchen. Diese Schule befand sich in der Predigerstraße. Hier legte man besonders großen Wert auf die Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten auf hauswirtschaftlichem Gebiet. Neben Kochen und Nähen sollten die Mädchen auch lernen, die wirtschaftlichen Veränderungen dieser Zeit zu erkennen. So sollten arbeitnehmende wie arbeitsgebende Frauen genauso wie Hausfrauen in die Lage versetzt werden, sich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anzusehen.

Erst 1933 sollte es möglich sein, dass Mädchen gemeinsam mit Jungen eine Schule besuchen. Die damalige Mädchenberufsschule ging 1932 in die Kaufmännische Berufsschule ein, die nun auch von Jungen besucht werden durfte.

Bis dahin gab es für die Jungen nur die Möglichkeit, an der Fortbildungsschule für Handlungslehrlinge unterrichtet zu werden. Dort hatte man 1904 wahlfreie Schreibmaschinen- und Französischkurse eingeführt und bis 1906 drei weitere Klassen eingerichtet. 1908 übernahm Handelslehrer Berthold Eckardt aus Erfurt die jetzt hauptamtliche Leitung der am 1. April gegründeten Fortbildungsschule. Er gab im gleichen Jahr beim Berliner Anselm Verlag den Lehrplan für kaufmännische Fortbildungsschulen heraus, der bald in ganz Deutschland bekannt war.

Der Vormittagsunterricht wurde 1909 eingeführt um den Missstand zu beseitigen, stets müde und abgearbeitete Schüler in den Klassen sitzen zu haben. Im Folgejahr bewilligte die Stadt Nordhausen der Schule eine Unterstützung in Höhe von 500 Mark für die Anschaffung von Lehrmitteln und von 100 Mark für die Gründung einer Schülerbibliothek. Es wurden zwei modernere Schreibmaschinen vom Typ System Smith-Premier angeschafft.

Die Arbeit der mittlerweile seit 1907 hauptamtlichen Lehrer würdigte man um 1910 durch die Gewährung von Ortszulagen. Der Direktor erhielt eine Gehaltserhöhung. An der Kaufmännischen Fortbildungsschule wurden die Fächer Handelskunde, Korrespondenz, Kaufmännisches Rechnen und Warenkunde gelehrt. Diese Fächer finden sich auch noch heute z.B. im Lernfeldunterricht der Einzelhändler wieder. 1916 konnten Kriegerfrauen- und töchter ebenfalls Kurse in einfacher Buchführung, kaufmännischem Rechnen und kaufmännischem Schreiben besuchen.

Zwei Jahre später wurde die Handelsschule für Mädchen mit der Abteilung Höhere Handelsschule gegründet. Zugangsvoraussetzung war das Abgangszeugnis der Untersekunda eines Oberlyzeums oder der ersten Klasse einer Mittelschule mit dem Prädikat „Gut“ in zwei Fremdsprachen. Die vorerst letzte im Bunde sollte die 1919 gegründete Hauswirtschaftliche Berufsschule für Mädchen mit gewerblicher und kaufmännischer Abteilung sein. 1921 erfolgte die Umbenennung der Kaufmännischen Fortbildungsschule in Kaufmännische Berufsschule. Die kaufmännische Ausbildung strukturierte sich noch mehr, als 1921 eine Berufsschuldeputation die Verwaltung der Nordhäuser Berufsschulen übernahm. Das kaufmännische Schulwesen ging nach 1933 in die Städtischen Beruf- und Berufsfachschulen ein.

Die Kaufmännische Berufsschule zog 1933 aus der Domstraße 15 in die Räume des ehemaligen Alten Museums am damaligen Friedrich-Wilhelm-Platz. Diese Räumlichkeiten wurden, wie alle anderen Klassenräume, im April 1945 durch den britischen Bombenangriff auf Nordhausen zerstört. Doch das bedeutete nicht das Ende der kaufmännischen Ausbildung in Nordhausen...
Autor: nnz

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