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Wiedersehen an der alten Bell

Die Staffel der ersten Stunde

Sonntag, 26. März 2023, 08:30 Uhr
Die frühen 90er Jahre waren in mancher Hinsicht „Wilder Westen“, vieles musste sich erst noch finden und fügen, manche Regel noch geschrieben werden. Das war auch am Himmel über Nordhausen der Fall, wie man gestern beim Treffen der ersten Rettungsfliegerstaffel erfahren konnte…

Nach 30 Jahren wieder auf dem Platz - die erste Nordhäuser Rettungsfliegerstaffel kam am Wochenende wieder zusammen (Foto: agl) Nach 30 Jahren wieder auf dem Platz - die erste Nordhäuser Rettungsfliegerstaffel kam am Wochenende wieder zusammen (Foto: agl)

Auf dem Hof der Nordhäuser Polizei steht ein Stück Geschichte, abgeschottet von der Außenwelt und nur für die seltenen Besucher zu sehen. Es ist groß, knallig orange und würde von vielen Nordhäusern noch heute sofort und ohne zögern erkannt werden: unser erster „Christoph 37“.

Die Fliegerei hat am Südharz lange Tradition, dass aus der Luft auch professionelle Hilfe und Rettung in der Not kommen kann, das gibt es gerade einmal 30 Jahre. Die Damen und Herren der ersten Stunde, Nordhausens erste Rettungsflieger, kamen am gestrigen Samstag nach langer Zeit das erste mal wieder zusammen und ließen die „wilden“ 90er noch einmal Revue passieren.

Vieles war damals in der Schwebe, gerade auch im Rettungswesen. Dass der Thüringer Norden einen Hubschrauber kriegen würde, stand nicht in Stein gemeißelt, auch der Standort Magdeburg war im Gespräch. Die besseren Vorraussetzungen hatte aber Nordhausen, erinnert sich Wolfgang Russke, damals Leiter der Polizeidirektion. Der Hangar am Darrweg und die Gebäude am heutigen Hauptstandort der Landespolizeiinspektion sollten die neue Heimat der Rettungsflieger werden, als Teil der „zivilen Dienste“, direkt neben der Hundestaffel.

Ein Hubschrauber, viele Erinnerungen - die fliegenden Retter von damals waren bei der Nordhäuser Polizei zu Gast und durften ihren Hubschrauber noch einmal in Augenschein nehmen (Foto: agl) Ein Hubschrauber, viele Erinnerungen - die fliegenden Retter von damals waren bei der Nordhäuser Polizei zu Gast und durften ihren Hubschrauber noch einmal in Augenschein nehmen (Foto: agl)

Den Helikopter musste man am Anfang noch per Muskelkraft in den Hangar schieben und das erste Dienstfahrzeug wurde ein Trabant aus Erfurter Beständen, den man kurzerhand mit den Verbandszeichen versah. Am Krankenhaus wurde auf dem kurzen Dienstweg und mit etwas Vitamin B ein Landeplatz aus dem Boden gestampft. Dass es für den gar keine Baugenehmigung gab, kam erst später heraus. „Es war eine Zeit des Aufbruchs, man hat gemerkt das sich was bewegt, dass man selber etwas bewegen kann und das es vorangeht.“, sagt Liane Schmalz.

Als Fachschwester für Intensivmedizin war sie eine bestens geeignete Kandidatin für den Dienst in der Luft und die waren in den ersten Tagen nicht leicht zu finden. Die „SMH“, die schnelle medizinische Hilfe der DDR, hatte man aufgelöst und einen Rettungsdienst wie er in den alten Bundesländern üblich war, gab es noch nicht. Wer in eine Ausbildung zum Pfleger oder zur Krankenschwester absolviert hatte, konnte auch mit dem Arzt hinausfahren doch das ging nun nicht mehr ohne weiteres und eine Anerkennung brauchte gut 2000 Stunden im aktiven Rettungsdienst.

Dafür hatte man an anderer Stelle Freiheiten, einen Transponder gab es in der alten Bell zum Beispiel nicht. So fiel es auch nicht weiter auf, wenn man an Himmelfahrt kurz in der Windlücke landete um sich bei einem Bekannten eine Bratwurst abzuholen oder einen Abstecher über eine Kleingartenanlage machte, um Geburtstagsgrüße zum 50. per Lautsprecher zu übermitteln. Jeder hat hier eine kleine Anekdote zu erzählen, einen schönen oder außergewöhnlichen Moment, der im Gedächtnis geblieben ist. Die gibt es auch von Seiten der Polizei. „Die Gesichter sind noch da und mit den Gesichtern kommt auch die Erinnerung an die gemeinsamen Einsätze zurück“, sagt am Vormittag Polizeihauptkommissar Jens Böhnisch und berichtet von einem Fahndnungseinsatz bei dem es schnell gehen sollte, man kurzerhand den Hubschrauber nahm, für die Identifizierung aus der Luft dann aber etwas näher heran musste.

Liane Schmalz und Bernd Jonas erinnern sich an die ersten Starts mit der Bell (Foto: agl) Liane Schmalz und Bernd Jonas erinnern sich an die ersten Starts mit der Bell (Foto: agl)

Die Erinnerung an die guten Zeiten, an den Zusammenhalt und die Erfahrungen dieser ersten Jahre sollten im Mittelpunkt stehen, aber die meiste Zeit aber war die Luftrettung harte Arbeit. Die Fliegerei vermisse man, den Alltag des Rettungsdienstes eher weniger, ist am Rande zu hören. Dass der Rettungsdienst aus der Luft in Nordhausen durchstarten konnte, wurde dabei nicht nur in der Luft zur Realität gemacht. „Damit man starten konnte, hatte jeder etwas beigetragen, die Ärzte, die Sanitäter, das Krankenhaus, die Polizei bis zur Verwaltung und der Abrechnung am Schluss“, sagt Dirk Erfurt, der damals selber zu den jungen Sanitätern gehörte und das „Klassentreffen“ in die Wege geleitet hat.

Ihre alte Bell werde nachwievor liebevoll gepflegt, versicherte Jens Böhnisch, der den alten Mitstreitern in zivil heute die Tore der Polizeiinspektion öffnen durfte. Keine Selbstverständlichkeit, denn die relative Leichtigkeit der frühen Wendezeit gibt es heute nicht mehr, auch und gerade nicht im Polizeidienst. Von einer Gefährdungslage müsse man heute auch für Feuerwehr und Rettungskräfte sprechen und mitunter müsse die Polizei kommen, um den Rettern den Weg frei zu räumen. In Nordhausen habe man derlei Probleme aber glücklicherweise kaum, es gebe noch Achtung für das Ehrenamt in der Bevölkerung.

Ein großer Dank für den Erhalt des alten „Christoph“ gelte auch der Freiwilligen Feuerwehr Mitte, die unter anderem dabei geholfen hat, neue und historisch korrekte Sitze aufzutreiben, die Scheibe zu ersetzen und den Lack auszubessern, berichtet Böhnisch. Innen drin ist fast alles beim Alten, nur eine Trage, Technik wie der Defibrilator und die passenden Helme fehlen, aber ein paar der vermissten Details ließen sich bestimmt auftreiben, ist aus den Reihen der ergrauten Fliegerstaffel zu vernehmen. Gut möglich, dass es nicht das letzte Treffen war und das man in Zukunft wieder öfter und vielleicht auch in größerer Runde zusammenfindet.
Angelo Glashagel
Autor: red

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