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Nordthüringer Unternehmerverband positioniert sich in der Krise

„Ideologie gehört nicht in die Politik!“

Mittwoch, 18. Januar 2023, 16:30 Uhr
Zu einem vorausschauenden Pressegespräch lud heute der Vorstand des Nordthüringer Unternehmerverbandes (NUV) ein, der über 200 Unternehmen mit annähernd 45.000 Mitarbeitern in einer freiwilligen Vereinigung vertritt. Dementsprechend deutlich waren heute die Botschaften an die verantwortlichen Politiker …

Der aktuelle NUV-Vorstand: Thomas Seeber, Claudia Rheinländer, Dr. Dirk Vetter und Niels Neu (Foto: oas) Der aktuelle NUV-Vorstand: Thomas Seeber, Claudia Rheinländer, Dr. Dirk Vetter und Niels Neu (Foto: oas)

Die Energiekrise habe im letzten Jahr alles überschattet und bei den Nordthüringer Unternehmen für Frust und Verzweiflung gesorgt, berichtete der Vorsitzende des Verbandes, Niels Neu, heute Vormittag in seiner Presseansprache. Zwei Mitgliedsunternehmen haben die Preisturbulenzen nicht überstanden, für kleinere Einzelunternehmer wie inhabergeführte Handwerksbetriebe, Bäcker oder Gastronomen sähe es schlecht aus. Gerade als der NUV seine Kampagne zur Gewinnung neuer Unternehmer startete und das irrige Image vom braungebrannten, goldbeketteten Yachtbesitzer und Gestütsinhaber dahingehend korrigieren wollte, dass es sich bei Unternehmern um Menschen wie du und ich handelt, die den Mut aufbringen etwas zu unternehmen und Wagnisse einzugehen, detonierte die Erdgasleitung in der Ostsee, aus der die deutsche Regierung aber ohnehin nichts mehr zur Stromgewinnung haben wollte.

Im NUV wurde darüber abgestimmt, ob sich die Unternehmerschaft an den damals vielköpfigen Montagsprotesten beteiligen sollte. Aus heutiger Sicht sei die demokratische Mehrheitsentscheidung der Mitglieder, nicht daran teilzunehmen, sehr gut gewesen, freute sich Niels Neu. Einen Forderungskatalog an die Bundesregierung auszuarbeiten und den dann in Berlin zu überreichen erwies sich als eine wesentlich bessere Alternative. Nun fährt Anfang Februar erneut eine Delegation des NUV zum Thüringer und Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), um über weitere konkrete Schritte zur Hilfe für die angeschlagenen und von hohen Kosten betroffenen Betriebe zu diskutieren. Die ersten im Herbst gestellten Forderungen sind erfüllt, aber das reiche nicht aus. Leider, so Niels Neu, seien Körperschaften wie die Industrie- und Handelskammer keine Hilfe dabei, den Druck auf die Politik aufrecht zu erhalten oder gar zu erhöhen. Zu eng seinen die Verflechtungen mit der Landesregierung, so dass hier keine freien und unabhängigen Entscheidungen zu erwarten seien.

„Das Vertrauen in die Politik hat in der Unternehmerschaft extrem nachgelassen“, betonte Neu und bemängelte, dass bei führenden Politikern die fachlichen Voraussetzungen offensichtlich nicht gegeben sind und auch dreißig Jahre nach der Wende noch Verantwortliche aus den alten Bundesländern Führungspositionen in Thüringen einnähmen. Jüngstes Beispiel der Wechsel im Umweltministerium in Erfurt. „Es ist aber egal, wo sie herkommen, die Politiker müssen endlich ihre Hausaufgaben machen und Ergebnisse liefern.“ Scheinbar, so Niels Neu, gibt es jedoch neue Regeln in der politischen Elite. „Die Diskussionen müssen wieder auf der Sachebene geführt werden. Ideologie hat in der Politik nichts zu suchen, das hemmt die Wirtschaftskraft und ist für das gesellschaftliche Miteinander nicht förderlich.“

Auch der Schatzmeister des Vereins und Sparkassenvorstand, Thomas Seeber, bestätigte Neus Sicht der Dinge. „Das Jahr wird spannend, momentan ist noch nicht absehbar, ob es zur großen Krise kommt oder nicht. Deshalb sind bei den Unternehmen keine langfristigen Planungen möglich und alle fahren auf Sicht.“ Sorgen macht sich Seeber ganz offen um den Wirtschaftsstandort Deutschland, denn er befürchtet, der Mittelstand könne abhanden kommen und der Wohlstand sich auflösen, wenn die Politik nicht umdenkt.

Landespolitisch befürwortet der NUV-Vorstand zügige Neuwahlen in Erfurt, um das lädierte Vertrauen der Bevölkerung schnell durch eine demokratische Neubestimmung der Regierung wieder zurück zu gewinnen. Ausdruck der geringen Begeisterung für die Thüringer Regierenden sei unter anderem die spärliche Beteiligung Nordthüringer Unternehmen an der Grünen Woche in Berlin, die früher immer ein Highlight im Jahreskalender war. 2023 werden sich zwei Firmen aus dem Nordthüringer Bereich in Berlin zeigen.

Bisher habe der Unternehmerverband keine direkten Wahlempfehlungen für Landtagswahlen gegeben; ob das aber so bleibe, sei fraglich. Er könne sich vorstellen, sinnierte Niels Neu, dass es künftig per Mehrheitsbeschluss einen solchen Hinweis aus dem NUV vor Landtagswahlen geben könnte.

Das gegenseitige Vertrauen und gemeinsame Interessen, die im Umgang mit der Landesregierung so schmerzlich vermisst werden, sind auf lokaler und regionaler Ebene dafür umso besser verwurzelt. Sowohl mit den Städten im Kreis wie vor allem mit der Kreisverwaltung arbeite der NUV hervorragend zusammen, erläuterte Niels Neu. Für die Besiedlung des Bielener Industriegebiets ist er weiterhin optimistisch: „ Es ist erst seit drei Jahren wirklich verhandlungsreif“, sagte er, „Interessenten sind da und so große, gut ausgebaute und zentral gelegene Industriegebiete gibt es in Deutschland nur wenige“. Weshalb er fest damit rechne, dass es in Kürze schon zu Ansiedlungen in der Goldenen Aue käme.

Der NUV werde sich dafür und auch für einen ideologiefreien Diskurs mit der Landesregierung einsetzen. „Es muss endlich aufgehört werden eine ideologiegetriebene Politik und ihre Folgen auf die Unternehmen abwälzen zu wollen“, forderte der NUV-Chef und bekräftigte noch einmal, dass Vertrauen und Effizienz notwendig seien, wenn die Krise überwunden werden soll. „Die Anerkennung ausländischer Fachkräfte dauert immer noch zu lange, bürgernahe Entscheidungen im Sinne der Menschen sind gefragt und die Neugründung und Weiterführung von mittelständischen Unternehmen muss gefördert werden.“

Ob Niels Neu als Vereinsvorsitzender auch im nächsten Jahr noch zu Pressegesprächen einladen wird, entscheiden seine Mitglieder noch in diesem Halbjahr bei Vorstandswahlen. In den letzten Wahlen erreichte er mit seinen Mitstreitern eine Zustimmung von einhundert Prozent. Davon oder wenigstens von einem annähernd guten Ergebnis kann die Thüringer Landesregierung derzeit nur träumen.
Olaf Schulze
Autor: osch

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