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Gab es eine deutsche Atombombe?

Sonntag, 27. November 2022, 16:30 Uhr
Spätestens seitdem sich der Historiker Dr. Rainer Karlsch diesem Thema wissenschaftlich mit seinem Buch „Hitlers Bombe. Die geheime Geschichte der deutschen Kernwaffenversuche“ angenommen hat *, ist der Öffentlichkeit klar geworden, dass die Lehrgeschichtsschreibung fehlerhaft und unvollständig ist...


Von einigen spekulativen unwissenschaftlichen Publikationen verschiedener Autoren abgesehen, wurde dieses Werk zur Basis weiterer Recherchen. Durch die Reihen der Historiker ging daher seit der Veröffentlichung dieses Buches ein Aufschrei, da diese neuen Fakten auch gleichzeitig offenbarten, dass die Lehrgeschichtsschreibung bewusst oder auch unbewusst „offiziell vorgegebenes Wissen“ lediglich verwaltet und keine Forschungen zu diesem Thema betrieben hatte, obwohl es nicht nur Indizien, sondern auch Dokumente gab, die insbesondere widerlegten, dass das deutsche Atombombenprogramm im Jahr 1942 gestoppt wurde. Angeblich beschränkte sich Deutschland ab diesem Zeitpunkt auf die Atomenergiegewinnung beziehungsweise deren Nutzung durch die Entwicklung einer „Uranmaschine“, eines Kernreaktors.

Das ist falsch, wie die Dokumentenlage beweist. Auch die Behauptung, es hätten sich nur wenige deutsche Wissenschaftler um Werner Heisenberg dieser Forschung gewidmet, ist widerlegt, denn es gab mehrere bis dahin unbekannte Gruppen, die bis zum Kriegsende an der Atomwaffen-Forschung tätig waren. In diesem Zusammenhang bis dato unbekannte Namen wie Manfred von Ardenne, Kurt Diebner, Erich Schumann.

Walter Gerlach und viele andere mittlerweile bekannte Wissenschaftler und Ingenieure arbeiteten teils zusammen oder in diversen Gruppen einander zu. Die zentrale Koordinierung dieser Arbeiten oblag eben nicht – wie immer behauptet – dem sogenannten „Uranverein“, sondern anderen Dienststellen. Eine zentrale Rolle spielte dabei das Heereswaffenamt aber auch Forschungsstellen der SS, die entsprechende Fachleute rekrutiert hatten und zum Beispiel im Rüstungskomplex der SKODA-Werke beschäftigten.

Als bezeichnend für die deutschen Aktivitäten dürfte unter anderem angesehen werden, dass schon im Jahr 1941 ein Geheimpatent für eine Plutoniumbombe von Carl Friedrich von Weizsäcker eingereicht wurde, die sich als Vorschlag einer Waffenentwicklung auch in einem Forschungsbericht des Heereswaffenamtes aus dem Frühjahr 1942 von Kurt Diebner wiederfindet.

Cover (Foto: Verlag) Cover (Foto: Verlag) Dokumente, die auf den Zeitraum nach dem angeblichen Stopp des Atombombenprogramms, also zwischen 1942 und dem Frühjahr 1945 datiert sind, belegen intensive Arbeiten auf allen kernphysikalischen Teilgebieten. Sie geben auch Aufschluss über den hohen Stand der Forschung, denn Themen wie zum Beispiel die Isotopentrennung mittels bereits laufender Ultrazentrifugen, die alternative Verwendung von Thorium (bzw. die Herstellung von Uran 233) als Spaltstoff, die Herabsetzung der sogenannten „kritischen Masse“ durch die Konstruktion des Bombensystems zeigen die Intensivität des Wirkens. Ein besonderer Fakt ist die Tatsache, dass es theoretische Forschungen und praktische Versuche gab, die Kernfusion für eine Bombe zu nutzen, also die Entwicklung einer Wasserstoffbombe.

Dies ist in damaligen sowjetischen Geheimdienstberichten (GRU-Berichte aus dem März 1945) festgehalten worden, die eine deutsche taktische Kernwaffe beschreiben, die später als sogenannte Hybrid-Bombe (Kern-Spaltung und –Fusion im Wechsel) bezeichnet wird und in den heutigen Arsenalen aller Atommächte vorhanden ist.

Außerdem erwähnen die sowjetischen Dokumente deutsche Tests dieser Bomben am 3. und 12. März auf dem damaligen SS-Truppenübungsplatz Ohrdruf in Thüringen. Basierend auf fehlenden kernphysikalischen Fachkenntnissen wurden die Dokumente bezüglich dieser Tests jedoch sogleich als Falschmeldung abgetan, denn Journalisten wie auch Historiker stellten diese Tests den bekannten Explosionen über Hiroshima und Nagasaki gegenüber, welche man in Deutschland nicht durchführen konnte, ohne massive Schäden im Hinblick auf die dichte Besiedlung und Bebauung anzurichten. „Außerdem wäre dies nicht geheim zu halten gewesen“, wurde immer wieder angemerkt. Diese ablehnenden Aussagen basieren auf fehlenden Fachkenntnissen, denn es wurden Bomben mit einem Wirkungsradius von etwa 500 m getestet, wie die Dokumente beweisen. Dennoch gab es auch Augenzeugen, wie in Befragungsprotokollen der Staatssicherheit der DDR nachlesbar ist.

Bei den getesteten Bombenkonstruktionen handelte es sich um taktische Kernwaffen, also „Mini-Nukes“, wie sie heute genannt werden und von den Atommächten seit dem Ende der 1950-er Jahre entwickelt wurden. Mittlerweile ist auch in den USA durch den Wissenschaftshistoriker Todd H. Rider eine sehr umfangreiche Veröffentlichung unter dem Titel „Forgotten Creators“ („Vergessene Schöpfer“) entstanden, die im Internet zugänglich ist und sich unter anderem mit diesem Thema auseinandersetzt.

In den zurückliegenden Tagen erschien nun ein weiteres Buch mit dem Titel: „Deutschlands Weg zur Bombe“ von Heinz Dieter Haupt (utzverlag, 09/2022, ISBN 978-3-8316-2328-0), das ich hiermit sehr empfehlen möchte. Darin greift der Autor diese Recherchen auf und ergänzt sie durch weitere, eigene Forschungen. Seine Ausbildung in Kerntechnik und –physik lässt ihn tief in die technischen Zusammenhänge blicken und macht es ihm möglich, die bisherigen Kenntnisse über die deutsche Bombenkonstruktion zu bewerten. Zu welchen Ergebnissen er gekommen ist, möchte ich hier nicht vorwegnehmen. Nur so viel: die Autoren Dr. Rainer Karlsch und Dr. Todd Rider dürfen sich erneut bestätigt fühlen.

Auch im Verlauf meiner Recherchen zu einer Buchveröffentlichung („Raketen aus Bleicherode“) im Jahr 1998 stieß ich in Archivdokumenten bereits auf Überlegungen zur Verwendung der „V2“ und ihrer Nachfolger als Trägermittel für Kernwaffen. Dazu gab es protokollarisch festgehaltene Besprechungen, an denen unter anderem Wernher von Braun und Werner Heisenberg teilnahmen.

Als Mitstreiter einer Forschungsgruppe um Dr. Rainer Karlsch, die sich seit vielen Jahren mit diesem Thema beschäftigt, habe ich anhand der mir vorliegenden Aufklärungs-Luftbilder (von der US-Airforce und der Royal-Airforce) aus diesem Zeitraum unzählige Örtlichkeiten in diesem Zusammenhang untersucht und sowohl für Dr. Rider („Forgotten Creators“) als auch für Herrn Dr. h.c. Haupt zugearbeitet, denn auf einer Aufnahme vom damaligen SS-Truppenübungsplatz Ohrdruf ist sehr wahrscheinlich die Stelle des Tests vom 3. März 1945 zu erkennen.

Obgleich diese historischen Recherchen sehr spannend sind, sollte jedem bewusst sein, welchen Zweck diese Erfindungen erfüllen sollten. Schließlich bilden die Kernwaffen den pervertierten Höhepunkt aller Mordinstrumente der Menschheit.

Es ist jedoch nicht die Aufgabe der Historiker, den moralischen Wert dieser Entwicklungen in den Vordergrund zu stellen und erzieherisch tätig zu werden, denn es geht ausschließlich darum, die Geschehnisse frei von Meinungen und ideologischer Manipulation darzustellen. Die Geschichte soll uns Menschen aber dienen, die richtigen Schlüsse aus ihr zu ziehen und insbesondere die Anwendung solcher teuflischen Erfindungen zu verhindern.

Die führenden Politiker der USA verfolgten offenbar „andere“ moralische Grundsätze, als Hiroshima am 6. August 1945 und Nagasaki am 9. August 1945 mit Kernwaffen zerstört wurden. Die etwa 200.000 zivilen Toten (ohne Berücksichtigung der Spätfolgen) sind ein Zeugnis politischer Skrupellosigkeit.
Gunther Hebestreit

*(Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005, ISBN 3-421-05809-1
Autor: psg

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