nnz-online
Wurde bei Sophienhof eine Hirschkuh vom Wolf gerissen?

Der Märchenbösewicht kommt zurück

Mittwoch, 10. November 2021, 14:00 Uhr
Unweit der Straße zwischen Sophienhof und Rothesütte wurde am Freitag eine Hirschkuh gefunden, die mutmaßlich einem Raubtier zum Opfer fiel. Der nach erstem Augenschein vermutete Wolfsbiss alarmiert Bewohner und Landwirte, denn die Sichtungen und Spuren des märchenhaften Bösewichts mehren sich …


Noch ist die gerissene Hirschkuh zur genaueren Untersuchung beim Gutachter, doch die Spatzen pfeifen es in Sophienhof von den verbliebenen Fichten, dass es sich um einen Wolfsbiss handelt, dem das Tier erlag. Mindestens zwei, aber vielleicht auch vier bis sechs Wölfe vermuten Insider in der Harzregion zwischen Niedersachsen und Thüringen. Wenn es einen strengen Winter geben sollte, könnte der Isegrim sich auf der Suche nach Nahrung auch den menschlichen Behausung gefährlich nähern, wird befürchtet.

Von einer solchen Begegnung weiß Kai Liebig, Betreiber der Ziegenalm zu berichten, der selbst Ende März dieses Jahres einen Wolf unter dem Fenster seines Hauses stehen sah, ihn aber nicht mehr fotografieren konnte. Liebigs Haus liegt dicht bei seinen Ziegenställen, die dem Raubtier wie ein reich gedecktes Büffet erscheinen müssen. Das Erlebnis des Sophienhofer Tierhalters ist eine so genannte „unbestätigte Sichtung“, weil sie nicht durch Beweise dokumentiert werden konnte. Anders verhält es sich mit dem Foto einer Wildkamera, das am vergangenen Samstag um 18.22 Uhr bei Ellrich entstand, als offensichtlich ein Wolf in die Fotofalle tappte.

Solche klaren Sichtungen liegen auch dem zuständigen Forstamt in Bleicherode vor und werden hier gesammelt. In einzelnen Fällen kann dem Viehwirt eine Entschädigung gezahlt werden für seinen Verlust, sonst könne man da nicht viel machen, sagte uns Knut Apel, der stellvertretende Leiter des Forstamts am Telefon. Sein Chef Gerd Thomsen ergänzt: „Der Wolf kommt wieder und er ist eine streng geschützte Tierart. Das ist so.“ Und er fügt an: „Noch ist es nicht erwiesen, dass es sich um einen Wolfsbiss bei dem am Freitag gefundenen Tier handelt. Da muss man das Gutachten abwarten.“ Und selbst wenn das Gutachten ergäbe, dass ein Wolf die Hirschkuh gerissen hat, wird er deshalb nicht verfolgt. Dazu müsste er großen Schaden unter dem Nutzvieh anrichten, was bisher nicht geschah.

Sicherlich auch dank der Umsichtigkeit des Ziegenalmbetreibers, denn Kai Liebig hat einen 1,20 Meter hohen Elektrozaun um sein Rotwildgatter aufgestellt und hofft, dass der Wolf davon dauerhaft abgeschreckt wird. In der Winterzeit nimmt er sowohl Ziegen wie auch die Schafe nachts in den Stall, allein das Rotwild im elektrisch bewachten Gatter wäre in Gefahr. Sollte es ein größeres Wolfsproblem geben, müsse er langfristig auf wehrhaftere Tiere wie Kühe umstellen, sinniert Liebig und erzählt, dass es aber in letzter Zeit auch schon gerissenen Kälber in der Umgebung gab.

Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, angesiedelt im Bundesumweltministerium stellt auf ihrer Internetseite klar: „Der vorsätzliche Abschuss eines Wolfes ist in Deutschland eine Straftat und wird mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren geahndet. Für den versehentlichen Abschuss sieht der Gesetzgeber eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten vor. Darüber hinaus sind jagdrechtliche Konsequenzen wie der Entzug des Jagdscheines oder ein Verbot der Jagd möglich.“

Zuständig für den Umgang mit der Wolfspopulation ist vor Ort die zuständige Naturschutzbehörde. Die entscheidet nach Prüfung eines formellen Antrages über eine Ausnahmegenehmigung zur „Entnahme“ (Tötung durch Abschuss) des Problemtiers. In der Regel ist die Untere Naturschutzbehörde (UNB) zuständig. „Bei dem Ohrdrufer Rudel wurde damals im Zuge einer Zuständigkeitsänderung die Obere Naturschutzbehörde (TLUBN) für zuständig erklärt“, sagte uns Tom Wetzling, der Pressesprecher des Thüringer Umweltministeriums.

Ausnahmen vom Tötungsverbot sind nur in sehr gut begründeten Einzelfällen und innerhalb der gesetzlichen Vorgaben möglich. Geregelt sind die Ausnahmegründe in Paragraph 45, Absatz 7, Seite 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Ausnahmen beim Wolf sind insbesondere zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden und im Interesse der Gesundheit des Menschen möglich.  Eine  Ausnahme  darf  gemäß Paragraph  45  Absatz  7,  Seite  2 des BNatSchG  nur  zugelassen  werden,  wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer  Art  nicht  verschlechtert. Wölfe, die sich Menschen gegenüber kritisch verhalten oder nachweislich wirksame Herdenschutzmaßnahmen überwinden, können demzufolge entnommen werden.

„Entnahmen  müssen  von  erfahrenen Personen  im  Auftrag  sowie  mit  Ausnahmegenehmigung  der  zuständigen  Unteren  Naturschutzbehörde  (UNB)  und  in Abstimmung  mit  dem  Kompetenzzentrum Wolf, Biber Luchs am Thüringer Umweltministerium durchgeführt werden“, erklärt Tom Wetzling.

In Thüringen wurde im bisher einzigen Verfahren dieser Art gegen die Ohrdrufer Wölfin eine vom Umweltministerium beantragte und vom TLUBN erteilte Entnahmegenehmigung aufgrund der Klage zweier Naturschutzverbände nicht vollzogen. Die schon erteilte Entnahmegenehmigung ist Ende 2020 ausgelaufen und wurde nicht verlängert. Die als gefährlich eingestufte Ohrdrufer Wölfin blieb am Leben.

Ob es auch im äußersten Norden Thüringens einen Problemwolf gibt, werden das laufende Gutachten und die Ereignisse der nächsten Zeit in und um Sophienhof zeigen.
Olaf Schulze
Autor: osch

Drucken ...
Alle Texte, Bilder und Grafiken dieser Web-Site unterliegen dem Urherberrechtsschutz.
© 2021 nnz-online.de