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Nordhäuser Schmuckstücke mit Schuss

Der große und der kleine Drache

Mittwoch, 20. Oktober 2021, 07:00 Uhr
Fast sieben Meter lang, mehr als drei Tonnen schwer, von Meisterhand geschaffen und sündhaft teuer - das war einmal der „Lindwurm“. Das Geschütz gehörte zu den „Sieben Wundern“ Nordhausens und ist das einzige Kleinod in dieser Reihe, das die Zeiten nicht überdauert hat. Ein Nordhäuser möchte die Sieben wieder voll machen, ein anderer hat das in gewisser Weise schon getan…

So ein "Lindwurm" gehörte einst zu den "Sieben Wundern" Nordhausens (Foto: Albrecht Uhlmann) So ein "Lindwurm" gehörte einst zu den "Sieben Wundern" Nordhausens (Foto: Albrecht Uhlmann)


Die Stadt Nordhausen besaß einst gleich zwei echte Schmuckstücke in ihrem Arsenal, die wohl nicht nur dazu dienten mit großem Rumms Salut zu schießen oder mögliche Gegner einzuschüchtern, sondern zu allererst die Pracht und den Ruhm der freien Reichsstadt mehren sollten. Die Rede ist von der „Schnellundbaldavon“ und dem „Lindwurm“. Das Artilleriegeschütz mit dem kreativen Namen der keine Fragen offen lässt wurde schon Mitte des 15. Jahrhunderts in Auftrag gegeben, ihr jüngerer aber auch größerer Bruder, der „Lindwurm“ folgte 1519. Etwa zur gleichen Zeit hatte man sich mit der Erweiterung der Stadtmauer samt Zwinger ein beeindruckendes Bollwerk vor die sprichwörtliche Haustür gesetzt, weiß Michael Garke zu berichten. Der Lokalhistoriker hat sich wie kein zweiter in diesen Tagen mit den Sieben Wundern beschäftigt, insbesondere mit dem Lindwurm. Denn Garke, dem einen oder anderen Einheimischen unter Umständen als „der Roland“ bekannt, hat eine Mission. Die „Sieben Wunder“ und mit ihnen auch die lange Geschichte der alten Stadt, mit all ihrem Auf und Ab, soll wieder mehr in das Bewusstsein seiner Zeitgenossen rücken.

Mit ein paar Zeilen schwarz auf weiß mag sich Garke nicht begnügen, auch wenn er die freilich schon zu diversen Themen, nicht zuletzt den „Wundern“, verfasst hat. Nein, unser Roland müht sich seiner Heimat ein Stück ihres alten Antlitzes ganz real und für jeden sichtbar wiederzugeben. Einen ersten Streich, der eigentlich zum pandemiebedingt abgeblasenen Rolandsfest 2020 hätte eingeweiht werden sollen, war der „goldene Theo“ am Nordhäuser Rathaus, auch eines der sieben Wunder der Reichsstadt. Als man die Enthüllung schließlich im kleinen Kreis vornahm, ging der Historiker schon mit dem nächsten, um ein vielfaches ambitionierteren Plan schwanger: der Lindwurm, das einzige Wunder das nicht mehr in der Stadt zu finden ist, sollte zurückkehren.

Goldener Theo: der "Theodosius-Stein" am Rathaus konnte im vergangenen Jahr restauriert werden (Foto: agl) Goldener Theo: der "Theodosius-Stein" am Rathaus konnte im vergangenen Jahr restauriert werden (Foto: agl)


Nur reden wir hier nicht wie beim „Theodosius“ von einem Stein, der in 500 Jahren nur einen kleinen Umzug hinter sich zu bringen hatte und eigentlich immer da war, sondern von einem drei Tonnen schweren Schwarzpulver-Artilleriegeschütz aus Bronze, dass seit guten 300 Jahren niemand mehr gesehen hat. Garke ficht das nicht an, er macht sich auf die Suche nach Hinweisen und wird fündig. Bei den Historikerkollegen der Vergangenheit, Meyer und Förstemann, finden sich Beschreibungen des Prunkstücks. Klingend wie eine Glocke soll sie gewesen sein, „einwendig und auswendig glatt und poliert“, auf dem Mundstück ein „nackendes Kind, erhaben gegossen“, vor den „Delphinen“ (Vorrichtungen an denen die Kanone aus der Lafette gehoben werden konnte) „erhabenes Laubwerk“, welches auf jeder Seite von einem „sitzendem nackten Mägdelein gehalten“ und auf dem Zapfenstück der namensgebende, geflügelte Drache, der „Lindwurm“. Und ein Reichsadler durfte zur Zier freilich auch nicht fehlen. Der Mann der das Kunststück gegossen hat, war ein gewisser Endres Pegnitzer aus Nürnberg. Auch das steht auf der Kanone in Kurzform zu lesen.

Sieben Wunder, ein Vortrag
Ob die Kanone überhaupt jemals abgefeuert wurde, wieviel der Spaß gekostet hat, was ein preußischer Rittmeister mit dem Verschwinden des „Lindwurmes“ zu tun hat, wer der Schöpfer der Kanone eigentlich war und warum der sein Werk drei mal persönlich abzufeuern hatte, wie Nordhausen auch nach Jahrhunderten noch nach dem Verbleib des Prunkstücks forschte - all das weiß Garke inzwischen ausführlich zu berichten und zwar besser, als es diese Zeilen könnten. Die Geschichte rund um den Lindwurm sowie kurioses und wissenswertes zu den „Wundern“ Nordhausens wird er am morgigen Donnerstag um 19 Uhr in der Traditionsbrennerei zum besten geben.

Dem historisch interessierten Nordhäuser sind die sieben Ausflüge in die Geschichte nur ans Herz zu legen. Hier aber soll es um eine Geschichte gehen, die noch geschrieben wird.

Verrückte Männer und ihre alten Kanonen
Wir bleiben bei Garke und seiner „Queste“ den Nordhäuser Drachen wieder zum Leben zu erwecken, bleiben bei der Spur Pegnitzer. Der Mann war fleißig, ein gefragter Meister seines Faches aber große Geschütze wie den Lindwurm hat er seltener gefertigt. Und eines davon, genannt die „Schöne Treiberin“, existiert bis heute und war bis vor kurzem auf Schloss Wernigerode zu sehen.

Albrecht Uhlmann und sein Richtschütze als "Nordhäuser Stadtwache" mit dem Lindwurm auf der Pfalz Tilleda (Foto: M. Garke) Albrecht Uhlmann und sein Richtschütze als "Nordhäuser Stadtwache" mit dem Lindwurm auf der Pfalz Tilleda (Foto: M. Garke)


Garke und begeisterte Kollegen fangen an zu rechnen und zu zeichnen. Warum den „Lindwurm“, wenn er unwiederbringlich verschwunden ist, nicht einfach nachbauen? Von hier aus geht es für Garke hinab in den Kaninchenbau und der führt: nach Allstedt. Einen „Kanonenschuss von Nordhausen entfernt“ trifft sich hier der „Verband der deutschen Schwarzpulverkanoniere“. Ihr Vizepräsident ist Nordhäuser. Und er hat, unabhängig vom umtriebigen Historiker, die gleiche Idee. Mehr noch, Albrecht Uhlmann baut schon einen Lindwurm.

Der kleine Lindwurm beim "Nachtschießen" (Foto: Albrecht Uhlmann) Der kleine Lindwurm beim "Nachtschießen" (Foto: Albrecht Uhlmann)


Garke fällt aus allen Wolken und macht sich postwendend auf den Weg, die Schwarzpulverenthusiasten zu besuchen. Der Verband ist 560 Mitglieder stark, an 54 Standorten in Deutschland, zwei mal in Schweden und je einmal in Belgien, England und der Schweiz vertreten. Das „böllern“ versteht man als Brauchtumspflege, erzählt Uhlmann, außerdem misst man sich gerne im Wettkampfschießen. Er selbst holte zuletzt Bronze bei den Europameisterschaften der Kanoniere. „Ich habe mich irgendwann mit dem Gedanken getragen, ein eigenes Geschütz fertigen zu lassen und als Nordhäuser konnte das nur der Lindwurm sein“, erzählt der Schütze. Sein Nachbau fällt mit einem Gewicht von rund 360 Kilogramm und einem Lauf von 1,65 Metern deutlich kleiner aus als das Original, ist ein „3-Pfünder“, also mit „drei Pfund Gewicht vor dem Pulver“ und darauf ausgelegt nicht nur bei Gelegenheit im Kyffhäuser Salut zu schießen wenn die Bundeswehr darum bittet, sondern auch im Wettkampf abgefeuert zu werden.

Geschossen wird auf Zielscheiben über Entfernungen von 100, 200 oder 400 Meter. Dabei kann die Vorbereitung für einen Schuss schon mal bis zu 45 Minuten dauern. „Sicherheit steht an oberster Stelle, das ist kein leichter Vorgang und auch heute nicht ganz ungefährlich.“, erzählt Uhlmann. Der Büchsenmeister Pegnitzer etwa soll drei Leute auf dem Gewissen gehabt haben, dazu rund 50 Verletzte, als eine seiner Kanonen nicht wie intendiert funktionierte und in die Luft flog.

Uhlmanns Lindwurm wurde aus Stahl gedreht und ist um einiges kleiner als das Original (Foto: Albrecht Uhlmann) Uhlmanns Lindwurm wurde aus Stahl gedreht und ist um einiges kleiner als das Original (Foto: Albrecht Uhlmann)

Heute sind die Geräte zwar an die Historie angelehnt, die Verfahrenswege aber sind modern. Uhlmann’s kleiner Lindwurm etwa wurde gedreht und nicht gegossen und besteht auch nicht mehr aus Bronze.


Wie hier bei der "schönen Treiberin" auf Schloss Wernigerode stellt sich Garke auch die "Nutzung" des Nordhäuser Lindwurms als Hingucker und Wahrzeichen vor (Foto: M. Garke) Wie hier bei der "schönen Treiberin" auf Schloss Wernigerode stellt sich Garke auch die "Nutzung" des Nordhäuser Lindwurms als Hingucker und Wahrzeichen vor (Foto: M. Garke)
Geschossen wird nicht mit Blei, sondern mit genormten Stahlkugeln, die auch in den Kugellagern von Windkraftanlagen verwendet werden. Jede Kanone wird von Amts wegen geprüft, bevor sie ernstlich beschossen werden kann und von besonderen Anlässen abgesehen bekommt das zumeist kaum jemand mit, denn man übt „weit ab vom Schuss“, etwa auf einem alten Truppenübungsplatz im Kyffhäuserkreis, den man dankenswerterweise nutzen kann. Einmal im Jahr kommt man auch auf der Pfalz Tilleda zusammen, um hier das Publikum mit „Böllerschüssen“ zu begeistern. Und eindrucksvoll sind die alten Geschütze, das sieht auch Garke, der im vergangenen Jahr ebenfalls dabei war. Zum ersten öffentlichen Beschuss wurde der „kleine“ Lindwurm, standesgemäß von Garke in vollem Ornat mit Schnaps getauft.

Seitdem stecken Uhlmann und Garke immer wieder die Köpfe zusammen, fachsimpeln und schmieden Pläne. Zwei "Verrückte", die sich gefunden haben. Als siebtes Wunder reicht der Nachbau Uhlmann’s nicht, zumal das Gerät nach Recht und Gesetz tatsächlich eine Waffe ist, die man schlecht im öffentlichen Raum aufstellen könnte.

Genau das aber schwebt Garke vor, im Originalmaß, wenn es geht. Der neue „Lindwurm“ würde nicht gegossen, das kommt zu teuer. Und da er, wie sein historischer Vorgänger, als echter „Hingucker“ vor allem dem Schmuck dienen würde, müsste der neue Nordhäuser Drache auch nicht beschussfähig sein. Ein angedeuteter Lauf würde es also auch tun, das macht die Sache etwas leichter. Die Lafette könnte man, im Sinne der Beständigkeit, aus Stahl statt Holz fertigen lassen und das ganze dann an prominenter Stelle in der Stadt präsentieren. Am besten freilich am alten Zwinger in der Töpferstraße.



Soweit die Vision Garkes, die zwar noch mit einer ganzen Batterie offener Fragen behaftet ist, deren Realisierung aber nicht so unwahrscheinlich sei, wie man denken mag. „Ich rechne ja inzwischen rückwärts. Wir haben noch sechs Jahre. Dann feiert die Stadt ihren 1.100sten Geburtstag. Und ich kann mir keinen besseren Anlass vorstellen, unsere sieben Wunder wieder komplett zu machen.“, sagt der Historiker. Ein wenig Zeit bleibt also noch und die nötigen finanziellen Mittel, die ließen sich zusammentragen, da ist sich unser Roland sicher.

Wer übrigens den kleinen Lindwurm selber einmal in Augenschein nehmen möchte, der wird am Donnerstag in der Traditionsbrennerei dazu Gelegenheit haben. Die Nordhäuser Stadtwache, in Person von Albrecht Uhlmann, hat ihr kommen angekündigt. Zum Anlass freilich im passenden Ornat und mit dem „Lindwurm“ im Gepäck.
Angelo Glashagel
Autor: red

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