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Reaktionen zur Bundestagswahl

Früher war mehr Lametta

Sonntag, 26. September 2021, 21:30 Uhr
Der Wahlkampf der letzten Monate wurde, zumindest im Kreis Nordhausen, eher zurückhaltend geführt. Ähnlich nüchtern fiel der heutige Wahlabend aus, in Feierstimmung kamen Angesichts der Ergebnisse nur wenige, dafür gibt es viele Fragezeichen…

Wirklich Freude kam heute nur bei den Grünen auf (Foto: agl) Wirklich Freude kam heute nur bei den Grünen auf (Foto: agl)

Würde man den Wahlabend in Nordhausen umschreiben wollen, man müsste es mit Loriot tun: früher war mehr Lametta. Die SPD mit Olaf Scholz liegt in den ersten Prognosen gleichauf mit der CDU, ein gutes Ergebnis für die Sozialdemokraten aber zur „Wahlparty“ der Nordhäuser SPD sind kaum ein halbes dutzend Genossen in das Café Sahne gekommen. Die ersten Ergebnisse des Abends, sie sorgen eher für Fragezeichen als für Freude im politischen Nordhausen und das nicht nur bei der SPD.

Gute inhaltliche Arbeit und die ruhige Art des Hanseaten Scholz hätten den Ausschlag gegeben, meinen hier Barbara Rinke und Anika Gruner. Grund zum jubeln hat man scheinbar aber nicht, auf Prognosen könne man noch nicht bauen, müsse die ersten Hochrechnungen abwarten. Aber was wäre wenn? Dann hätte man jetzt viele Optionen. Wobei, eine „GroKo“ wolle eigentlich niemand mehr. Persönlich sehe Anika Gruner am liebsten ein Mitte-Links-Bündnis in Berlin aber das geben die Zahlen nicht her und das wird sich auch mit den ersten Hochrechnungen nicht ändern. Dreh- und Angelpunkt der Koalitionsfragen würde wohl die FDP werden.

Ein paar Meter weiter tritt die CDU zusammen. Auf der Leinwand in der „Brandenburg“ läuft die Berichterstattung, die Zuschauer aus den Reihen der Christdemokraten fehlen allerdings. Herr Dr. Zeh ist zugegen und bringt die Zahl der Anwesenden auf vier. Die anderen würden noch kommen, auch Kandidat Manfred Grund, man wolle erst einmal die Hochrechnungen abwarten. Es werde eine lange Nacht, meint Zeh und gibt dann aber doch eine erste Analyse. Im Ergebnis stehe die CDU sicher nicht schlecht aber auch nicht wirklich befriedigend da, wobei es der Landespolitiker Laschet schwerer gehabt habe als Olaf Scholz, der vom „Bundesnimbus“ profitiert habe. Gute Politiker seien beide, ihren Kandidaten hätte die CDU aber früher positionieren müssen. Und die Koalitionsfrage? Die ist auch in der Brandenburg nicht leichter zu beantworten. Stabil müsse sie sein, mit welchen Partnern auch immer.


Ein paar Schritte weiter die Altstadt hinab knallten die Sektkorken, wenn heute Abend jemand etwas zu feiern hatte, dann wohl die Grünen. „Wenn wir überlegen wo wir herkommen, dann könnte man das durchaus als historisches Ergebnis betrachten“, sagte Sylvia Spehr im Nordhäuser Büro der Grünen. Mit sechs Leuten ist man quasi in Mannschaftsstärke zusammengekommen und ist bei bester Laune. Vor Ort kann der kleine Kreisverband von Zahlen wie sie ihre Partei heute Zustande gebracht hat nur träumen, gerade mal auf sechs Prozent kam man beim letzten Urnengang. Im Bund stehen die Grünen nun deutlich stärker da, mit Potential nach oben, wie die Nordhäuser meinen. Der Wahlkampf sei gut gelaufen, allerdings sei die Konzentration auf Personen vor Inhalten ein Problem. Optionen sieht man auch hier nun viele, diejenigen Parteien die am meisten miteinander gemein haben, sollten am Ende regieren und zumindest unter den demokratischen Parteien sollten das fast alle können, meint man bei den Grünen.

Das Zünglein an der Waage könnte, wie schon zur letzten Bundestagswahl, die FDP sein. Wenn die Nordhäuser Liberalen zusammenkommen geht es ähnlich wie bei den Grünen zu: es bleibt übersichtlich. Bei Bier und Bratwurst freute man sich über das das zweite zweistellige Ergebnis auf Bundesebene in Folge, Zugewinne gab es auch in Berlin und Mecklenburg. Man wird wieder mitentscheiden können, wie es politisch weitergeht. Inhaltlich müsse es passen mit den Koalitionspartnern und da stehe man sicher näher an der CDU, meinte Claus Peter Roßberg. Die bis dato „unverrückbaren“ Standpunkte des SPD Kandidaten zu Steuerpolitik stehen einer Partnerschaft in dieser Richtung diametral entgegen. Die AfD scheidet unter diesem Gesichtspunkt ganz aus. Überschneidungen zur FPD gebe es nur in der Wirtschaftspolitik und selbst die seien eher oberflächlicher Natur, in der Gesellschafts- und Außenpolitik liege man weit auseinander. Der liberale Ersteindruck zum Wahlabend? Es wird spannend. Und es ist gut möglich, dass die Neujahrsansprache noch von Angela Merkel gehalten wird.

Das große Zähneklappern dürfte derweil die Genossen der Linken ergriffen haben, im Moment liegt man auf der 5-Prozent Hürde. Ein „Ergebnis mit Ansage“ meint Thüringens Landtagspräsidentin Birgit Keller. Zum einen sei es nicht gelungen, die eigenen Botschaften unterzubringen. In der allgemeinen Wahrnehmung sei die Linke auf „NATO“ und „gendern“ reduziert worden. Zum anderen sei die Strategie, eine weitere CDU Regierung zu verhindern, auch auf Kosten der Linken gegangen. Und man hat die Protestwähler von einst zumindest zum Teil an die andere Seite des politischen Spektrums verloren. Das Ergebnis der AfD in Thüringen sei für sie noch erschütternder, als das der Linken auf Bundesebene, sagt Keller. In Thüringen müssten jetzt alle, die politisch und gesellschaftlich Verantwortung tragen, in sich gehen und fragen wie das möglich sein könne.

Eine Wahlparty gab es auch beim Kandidaten der AfD nicht. Jürgen Pohl ist gerade auf dem Heimweg, als die nnz ihn ans Telefon bekommt. Er freue sich aber über die guten Ergebnisse seiner Partei in Thüringen, sagt Pohl. Man habe der CDU "massenhaft und stark" die Direktmandate abgejagt und werde wohl stärkste Partei im Freistaat. Dass man auf Bundesebene bei zehn Prozent und damit unter dem Ergebnis des letzten Urnengangs liegt, sei kein Wunder wenn man "den Inlandsgeheimdienst der größten Oppositionspartei auf den Hals hetzt", so Pohl. Ein Problem sei aber auch das nicht, man sei vielmehr dabei sich zu konsolidieren und liege nicht gerade sondern "satt" bei zehn Prozent, mit Potential für 20 Prozent, so die Einschätzung Pohls.
Angelo Glashagel
Autor: red

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