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Rückzugsgefechte im Wald

Eine Atempause, noch keine Erholung

Dienstag, 21. September 2021, 14:30 Uhr
Nach drei aufeinander folgenden „Jahrhundertsommern“ herrschte dieses Jahr aufatmen im Wald - endlich „normale“ Temperaturen und ausreichend Wasser. Doch für Fichte und Buche im Südharz dürfte es dennoch zu spät sein, die Schäden sind zu groß, „der Käfer“ zu stark…

Wie steht es um den Wald? - ein Rundgang mit dem Forstamt Bleicherode (Foto: agl) Wie steht es um den Wald? - ein Rundgang mit dem Forstamt Bleicherode (Foto: agl)


Drei knochentrockene Sommer haben den Wälder zwischen Südharz und Hainleite schwer zugesetzt, selbst bei einem eher flüchtigen Blick Richtung Berge sind Narben aus totem Holz deutlich zu erkennen. Wer genauer hinsieht, ab und an wandern geht, gerade auch auf der Nordseite des Harzes, der kann das Ausmaß der „Kalamität“ vielleicht fassen: wo vor drei Jahren noch dichter Wald stand bleibt heute nur eine Mondlandschaft, eingerahmt von Mauern aus geschlagenem Holz.

Drei Jahre lang haben die Förster im Südharz im Angesicht anhaltender Trockenheit einen erbitterten Kampf gegen den Borkenkäfer geführt und sie verlieren trotz aller Anstrengung, erzählt Gerd Thomsen, Leiter des Forstamtes Bleicherode. Zusammen mit Revierförster Stefan Große zeigte uns Thomsen oberhalb der Eisfelder Talmühle in der vergangen Woche, wie es um den Wald steht.

Es nieselt leicht, ein frisch-feuchter Tag, gutes Wetter für den Wald. So war es oft in diesem Jahr. Man konnte aufatmen. „Wir hatten einen genialen Sommer aber leider kam der zu spät. Der Fichte hat das gute Wetter nicht mehr geholfen. Ein Jahr früher und wir hätten den Käfer vielleicht noch in die Schranken weisen können“, berichtet Thomsen am Rande eines entwaldeten Hügels. Am Hang gegenüber ist eine Schneise toter Bäume deutlich zu erkennen, der Wald drumherum sieht noch gesund aus, dürfte aber bereits vom „Feind“ befallen sein.

Gemeint ist der Borkenkäfer. In durchschnittlichen Zeiten sind die Tiere kein größeres Problem, schließlich sind auch sie Teil des Ökosystems. Aber gerade das ist in den letzten Jahren dramatisch aus den Fugen geraten. Durch die anhaltende Dürre in den Vorjahren trockneten vor allem die Fichten schnell aus und konnten kein Baumharz mehr produzieren, um sich gegen den massenhaften Befall der Insekten zu wehren. Die Populationen der Käfer explodierten, im Forst kam man mit der Entfernung befallener Bäume nicht mehr hinterher. Für das Jahr 2017 weist die Statistik der Bleicheröder 1.500 Festmeter Befall aus. 2018 fegt Sturmtief Frederike über das Land, legt 43.000 Festmeter Holz nieder, darunter allein 40.000 in der Fichte. Ein Fest für den Käfer, die Zahlen schießen in die Höhe: 19.000 befallene Festmeter sind es 2018, ein Jahr später schon 77.000, 2020 kommt man auf 170.000. Im laufenden Jahr liegt man aktuell bei 75.000 Festmetern. Reagiert hat man mit mehr Holzeinschlag, der Befall sollte raus aus dem Wald, damit sich die Tiere nicht noch weiter ausbreiten. Im letzten „Normaljahr“ holen die Förster 41.000 Festmeter Holz aus dem Wald. Danach folgt der sprunghafte Anstieg parallel zur Käferpopulation:

JahrEinschlag in Fmdavon Fichte
201852.00031.000
201987.00063.000
2020160.000140.000



Wie dramatisch sich die Lage entwickelt hat, zeigt das Revier Rothessütte. Im Schnitt holt man am äußersten Zipfel des Kreises rund 9.000 Festmeter Holz pro Jahr aus dem Wald. 2018 waren es 65.000 Festmeter. Und der Käfer fliegt trotzdem weiter.

Ein wenig Hoffnung hatte man in diesem Jahr noch, der April war so kalt wie seit 40 Jahren nicht mehr, erzählt Thomsen. Um den Muttertag herum waren die Pheromonfallen bereits voll und im Juni war innerhalb zweier Wochen klar, dass man den Kampf verlieren würde, als ganze Wolken an Käfern ausschwärmten. Die Wochen bitterer Kälte im Februar und der frische Frühling haben den Tieren wenig ausgemacht, sie überwintern im Bodenstreu, zumal die Temperaturen nicht ausgereicht hätten um das Erdreich gefrieren zu lassen.

v.l.: Revierförster Stefan Großer und Forstamtsleiter Gerd Thomsen (Foto: agl) v.l.: Revierförster Stefan Großer und Forstamtsleiter Gerd Thomsen (Foto: agl)


Rund 1000 Hektar kahle Fläche sind die sichtbare Folge der letzten Jahre, über die Hälfte der Fichtenfläche und des Fichten-Holzvorrates sind verloren. Dem Fichtensterben wird mit großflächiger Abholzung nicht mehr beizukommen und der Borkenkäfer nicht aufzuhalten sein, egal wieviel Befall man dem Wald entnimmt. Im Forstamt hat man die Strategie geändert, an den Hängen von Harz und Hainleite kämpft man nun lediglich „Rückzugsgefechte“. Viele tote Bäume wird man stehen lassen müssen und sich stattdessen darauf konzentrieren, die „Infrastruktur“, also Wirtschafts- und Wanderwege frei zu halten. Wo Gefahr besteht muss der Bewuchs um mindestens eine Baumlänge weichen. Ansonsten wären die Wälder bald nicht mehr begehbar, meint Thomsen, für Wanderer genauso wenig wie für die Forstleute. Auf den Bleicheröder Bergen und der Hainleite hatte man bereits Wege sperren müssen.

Hier stehen vor allem Buchen, die rund 50 Prozent des Baumbestandes im Bereich des Bleicheröder Forstamtes ausmachen. Weitere 25 Prozent sind Fichten. Macht zusammen 75 Prozent Probleme. Für die Buche mag ein wenig Hoffnung bestehen. Die Talsohle der letzten Jahre scheint überschritten, nun da sich die Grundwasserpegel wieder gefüllt haben. Schlägt die Trockenheit nicht erneut zu, haben die Bäume vielleicht eine Chance sich zu erholen. Aber das braucht Jahre. Zumal mancher Schaden, etwa an den Wurzeln, nicht sofort sichtbar wird. „Das Sterben ist langsamer geworden.“, konstatiert Thomsen nüchtern, man müsse auf zwei bis drei normale Jahre hoffen.

Schneller und massiver als erwartet
Vom Klimawandel und einem „Waldumbau“ sprach man auch schon 2008, als Stefan Großer sein Studium abschloss. Seit 2013 ist er im Forstamt Bleicherode tätig und hat die Entwicklungen als zuständiger Förster in der Hainleite und nun bei Ilfeld verfolgt. „Über die Monokulturen und den nötigen Umbau der Wälder hat man damals gesprochen aber niemand hat geglaubt, dass es so rasant gehen und sich so schnell und massiv gegen die Fichte richten würde. Die betroffenen Flächen sind so riesig das man sie gar nicht schnell umbauen kann.“, erzählt Großer. In seinem alten Revier auf der Hainleite war das Problem den meisten Wanderern gar nicht aufgefallen. Die Buchenwälder waren grün, also schien alles in Ordnung. Wer den Blick aber nach oben richtet, der hätte viele trockene Kronen gesehen. Und trockenes Geäst wird bei den Buchen schnell brüchig und damit gefährlich. Während man trockene Fichten noch ein paar Jahre guten Gewissens stehen lassen kann, bevor auch sie instabil werden, muss man bei der Buche zügig handeln.

Der „Abfluss“ des Holzes war, zur Erleichterung der Förster und dem Ärger der Harz-Anwohner, dank der rasant kletternden Weltmarktpreise in diesem Jahr gut. Vor allem die Nachfrage aus den USA habe die Entwicklung getrieben, erzählt Thomsen. Andererseits hat es in den letzten Jahren auch viele junge und mittelalte Bäume getroffen, nicht nur die Alten, die ohnehin gefällt worden wären. Für den Forst, der meist erst nach 30 bis 40 Jahren „erntet“, ist das auch ein wirtschaftliches Problem. Dass man aus Gründen des Gewinns mehr Holz aus dem Wald holen würde als tatsächlich nötig verneint der Forstamtsleiter. „Ich treffe immer mal wieder Leute die uns vorwerfen wir würden nur die grünen Bäume aus dem Wald holen und das tote Holz stehen lassen. Fakt ist: von einem toten Baum geht keine Gefahr mehr aus, da ist der Käfer nicht mehr drin. Der sitzt unter der Rinde der Bäume, die noch grün sind.“

Der Wald von morgen
Das eine gute Jahr, es reicht zum Luft holen, nicht aber zur Entwarnung. Denn während hierzulande die Temperaturen moderat waren, sprangen die Thermometer andernorts in bis dato unbekannte Höhen. Regen auf Grönland, tauender Permafrost in Sibirien, brennende Wälder in Kanada: es wird wärmer, es wird trockener und die Extreme halten sich länger. Die Förster haben das erkannt und planen entsprechend. Das sich etwas ändern muss und zwar jetzt, dass ist nicht nur den Fachleuten klar geworden, sondern auch der Politik. Insgesamt 550.000 Euro hat der Freistaat allein für den Forstamtsbereich Bleicherode locker gemacht, um den Waldumbau anzuschieben. Für ganz Thüringen sind es rund elf Millionen Euro. Das sei „richtig gutes Geld“, meint Thomsen. Man plane in dieser Saison rund 120 der 1000 Hektar kahlen Fläche mit rund 200.000 Bäumen neu zu bepflanzen.

Eine Schneise toter Fichten oberhalb von Netzkater, die Bäume drumherum dürften bereits befallen sein (Foto: agl) Eine Schneise toter Fichten oberhalb von Netzkater, die Bäume drumherum dürften bereits befallen sein (Foto: agl)


Der Wald, der daraus erwachsen soll, wird ein anderer sein als man ihn kennt, vielfältiger und resistenter. Wer heute auf den Südharz blickt, sieht Areale in denen die Bäume nahezu alle von der gleichen Sorte sind und die gleiche Höhe haben. Ein reiner „Holzacker“, könnte man sagen. In Zukunft sollen die Wälder sowohl „vertikal wie horizontal“ deutlich durchmischter ausfallen, erklärt der Forstamtsleiter. Berg- und Spitzahorn, Eiche, Tanne und Douglasie sollen Buche und Fichte perspektivisch ersetzen. Und das nicht in einer Generation, sondern in vielen. Kommt es zur erneuten „Kalamität“ und die oberen Bereiche sterben, bleiben darunter frische Bäume, die den Verlust vergleichsweise zeitnah ausgleichen können, so die Überlegung.

Bei der Wiederbepflanzung sollte man nicht wilden Aktionismus verfallen, meint Thomsen. Einzelne Flächen, nicht größer als zwei Hektar, werde man in Angriff nehmen und ansonsten die Natur machen lassen. Wo es geht, insbesondere bei Eiche und Tanne, wird man die jungen Triebe einzäunen, um sie vor Verbiss zu schützen. Die geplanten 120 Hektar komplett einzuzäunen, sei nicht möglich weil das die Kosten etwa um das dreifache in die Höhe treiben würde und er würde lieber mehr Pflanzen in den Boden bringen, als Zäune zu setzen, sagt Thomsen. Es sei möglich, einzelne Bereiche und Bäume zu umzäunen, die meisten müssten aber ohne Schutz auskommen.

Der Wald und das Wild
Damit ist man nach dem Holzeinschlag bei der zweiten Gretchenfrage: dem Wild. Wie das Thüringer Landesamt für Statistik jüngst vermeldete, wurde im Wald zuletzt mehr „Strecke“ gemacht, sprich mehr Wild geschossen, als in den Vorjahren. Vor Ort ist das manchem ein Dorn im Auge, es werde zu viel gejagt, vor allem zu viel Rotwild, so der Vorwurf. Da die Umzäunung frisch gepflanzter Triebe keine realistische Alternative sei, müsse man die Wilddichte per Bejagung anpassen, argumentiert Thomsen und da sei man aktuell auf dem richtigen Weg. Ein Teil Verbiss sei in Ordnung, aber wenn man den Wald verjüngen wolle, müsse man jagen. Sonst würden die Bemühungen schlicht „weggeäst“.

"Verbiss- und Schälschäden" würden Waldbesitzer und Forstleute verkraften wenn am Ende genügend Bäume unverbissen und ungeschält bleiben, um stabile Mischwälder für zukünftige Generationen zu begründen, die möglichen Eskapaden des Klimas trotzen. Man brauche die Verjüngung, brauche "strukturreiche", mehrschichtige Wälder sind, damit immer junge Bäume unter dem Schirm der alten Bäume wachsen. Damit der Wald nicht schlagartig vor die Hunde geht, wenn die alten Bäume vertrocknen, vom Sturm geworfen werden oder von Insekten getötet werden. Das Wild trage keine Schuld am Klimawandel, an Trockenheit, Monokultur und Käferplage. Aber hätte man schon vor 20 bis 30 Jahren damit angefangen, die Wildbestände anzupassen, dann hätte man heute Mischwälder, in denen die Fichte ausgefallen wäre. "Angepasste Wildbestände werden wir nur im Schulterschluss mit den privaten Jägern im Landkreis erreichen, da diese den weitaus größten Teil der Fläche bejagen.", sagt Thomsen. Man müsse "an einem Strang ziehen", um zukünftigen Generationen einen stabilen Mischwald zu überlassen.


Die Jagd selbst soll vorrangig eher kurz und heftig als kontinuierlich stattfinden. „Es ist besser wir gehen mit 25 Jägern zweieinhalb Stunden in den Wald und machen viel Strecke, als jeden Jäger einzeln einhundert mal losgehen zu lassen und dabei das gleiche Ergebnis zu erzielen. Das mindert den Druck auf die Tiere“, erläutert der Förster. Die Wildschweine spielen für die Walderneuerung eher eine untergeordnete Rolle, werden aber wegen der Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest aktuell stark bejagt, neuerdings sogar mit Nachtsichtgeräten.

Lichtblicke
Die frei gewordenen Flächen könnten für Rot- und Rehwild und den Baumbestand auch etwas gutes mit sich bringen: die Tiere hätten in den kommenden Jahren „Äsung ohne Ende“, was den Druck auf die Bäume mindern sollte, hoffen die Förster. Und im Südharz sehen die Jäger inzwischen öfter die Spuren eines stillen Helfers: der Luchs reißt inzwischen auch in den niederen Lagen des Gebirges Beute.

Für Fichte und Buche wollen Großer und Thomsen die Hoffnung nicht ganz aufgeben. Es gibt vereinzelte Bäume, die der Trockenheit getrotzt haben wo andere gestorben sind. Gerade bei den Buchen würde man sehen „das die richtig kämpfen“, meint der Leiter des Forstamtes. Vielleicht beschert der evolutionäre Druck den Pflanzen doch noch eine Zukunft in den „umgebauten“ Wäldern des Thüringer Nordens. Doch dafür muss sich die Lage halten. Was dieses „normale“ Jahr tatsächlich an Entspannung gebracht hat, das wird man allerdings erst 2022 sehen.
Angelo Glashagel
Autor: red

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